VwGH 2000/02/0258

VwGH2000/02/025826.1.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des FG in St. Pölten, vertreten durch den Sachwalter, dieser vertreten durch Mag. Volker Leitner, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 14. August 2000, Zl. Senat-P-99-102, betreffend Übertretung des FSG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §9;
AVG §9;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 7. Juli 1999 wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe am 23. April 1999 zu einer näher angeführten Zeit in Hainfeld an einem näher angeführten Ort den durch Kennzeichen bezeichneten Kraftwagen gelenkt, ohne im Besitz der erforderlichen Lenkberechtigung der Klasse B zu sein, da ihm diese mit Bescheid bis zum 21. Juli 1999 entzogen gewesen sei. Über den Beschwerdeführer, der dadurch § 1 Abs. 3 FSG verletzt habe, wurde gemäß § 37 Abs. 4 Z. 1 FSG eine Geldstrafe in der Höhe von S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

In seiner dagegen durch seinen damaligen Sachwalter erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, eine Rückfrage bei der Führerscheinbehörde habe ergeben, dass der "Entziehungsbescheid" am 20. Jänner 1999 durch Hinterlegung zugestellt worden sei. Der Beschwerdeführer sei allerdings zu dieser Zeit ortsabwesend gewesen, weshalb die Zustellung nicht bewirkt und daher der Bescheid über die Führerscheinentziehung gegenüber dem Beschwerdeführer nicht wirksam geworden sei.

In der mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde brachte der Beschwerdeführer weiters vor, dass der Bescheid über die Entziehung der Lenkberechtigung vom 18. Jänner 1999 seinem damaligen Sachwalter nicht "zugekommen" sei.

Mit ihrem Bescheid vom 14. August 2000 bestätigte die belangte Behörde das erstinstanzliche Straferkenntnis "vollinhaltlich".

Begründend befasste sich die belangte Behörde mit der Frage der rechtmäßigen Zustellung des Bescheides über die Entziehung der Lenkberechtigung. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers sei zum Hinterlegungszeitraum keine wirksame Bestellung eines Sachwalters vorgelegen; ein diesbezüglich beim Bezirksgericht St. Pölten anhängig gewesenes Verfahren sei mit der Begründung eingestellt worden, dass der Beschwerdeführer in der Lage sei, alle seine Angelegenheiten selbst zu besorgen, er also keines Sachwalters bedürfe. Die Zustellung des Bescheides über die Entziehung der Lenkberechtigung sei daher rechtmäßig gewesen. Soweit der Beschwerdeführer die Ansicht vertrete, die Bestellung eines Sachwalters sei (dennoch) erforderlich gewesen, so sei ihm entgegenzuhalten, dass ein derartiges Erfordernis vom Bezirksgericht St. Pölten erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt festgestellt worden sei. Von der Einholung eines Sachverständigengutachtens sei daher abzusehen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Wenn der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof vorbringt, es sei als Ergebnis des Beweisverfahrens von seiner Anwesenheit in Ungarn am 16. Jänner 1999 auszugehen, legt er damit nicht dar, warum er auch am 20. Jänner 1999 von seiner Abgabestelle abwesend gewesen sein sollte und somit aus diesem Grund ihm nicht hätte durch Hinterlegung zugestellt werden dürfen.

Soweit aber der Beschwerdeführer darauf verweist, die belangte Behörde hätte - ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens - nicht von seiner Prozessfähigkeit zum Zeitpunkt der Zustellung ausgehen dürfen, ist er im Recht. Bereits in der Darstellung der Tat durch den Gendarmerieposten Hainfeld vom 27. April 1999 wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer wegen seines geistig labilen Zustandes amtsbekannt ist. Die belangte Behörde geht nach Einsicht in den von ihr beigeschafften Akt des Bezirksgerichtes St. Pölten selbst davon aus (Schreiben vom 24. Juli 2000), dass ein einstweiliger Sachwalter für Behördenangelegenheiten erstmals mit Beschluss vom 14. Mai 1999 dem Beschwerdeführer beigegeben wurde; ein davor anhängiges Verfahren sei mit Beschluss vom 2. April 1997 eingestellt worden. Der Beschwerdeführer selbst hat (vertreten durch seinen Sachwalter) in der Stellungnahme zu dem erwähnten Schreiben der belangten Behörde vom 24. Juli 2000 Ablichtungen eines Protokolls aus dem bezughabenden Pflegschaftsakt mit dem Gutachten des dort bestellten Sachverständigen vorgelegt. Aus diesem ergibt sich, dass der Beschwerdeführer seit Jahren an einer zyklisch rezitivierenden affektiven Psychose vom Typ einer rezitivierenden Manie leide. Derzeit bestehe noch ein hypomanisches Syndrom. In den Zuständen der Manie sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, etwaige Schwierigkeiten oder negative Auswirkungen seines Tuns wahrzunehmen, der Realitätsbezug sei diesbezüglich gestört, die Kritikfähigkeit sinke, es komme zu einem impulshaften Agieren insofern, als Ideen sofort in die Tat umgesetzt werden.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde führt der Umstand, dass das (gerichtliche) Verfahren erst einige Monate nach dem 20. Jänner 1999 zur Beigebung eines Sachwalters führte, nicht zwingend zu dem Schluss, der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides, mit dem ihm die Lenkberechtigung entzogen wurde, prozessfähig gewesen, die Zustellung somit rechtswirksam vorgenommen worden (zu den Fragen des Mangels der Prozessfähigkeit (Postulationsfähigkeit) und der Sachwalterbestellung im Zusammenhang mit Verfahren auf Entziehung der Lenkerbefugnis vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. Jänner 1996, Zl. 95/11/0151, und vom 23. April 1996, Zl. 95/11/0365). Damit liegt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, deren Relevanz im gegebenen Zusammenhang keiner weiteren Begründung bedarf.

Für das fortzusetzende Verfahren sei - sollte die Entziehung der Lenkberechtigung rechtswirksam erfolgt sein - noch auf Folgendes hingewiesen:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens notwendig, wenn Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit (vgl. § 3 Abs. 1 VStG) zur Tatzeit vorliegen, um diese Frage hinreichend beurteilen zu können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. September 2000, Zl. 97/03/0375, m.w.N.). Dennoch ist die belangte Behörde, ohne ein medizinisches Gutachten zur Frage der Fähigkeit des Beschwerdeführers, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen bzw. der Einsicht gemäß zu handeln, offenbar zur Auffassung gelangt, diese Fähigkeit sei im Zeitpunkt der Tat (23. April 1999) nicht ausgeschlossen gewesen. Sie hat es dabei unterlassen, den insoweit entscheidungswesentlichen Sachverhalt hinreichend zu klären, obwohl dies im Hinblick auf die oben aufgezeigten Umstände angezeigt war.

Im Hinblick auf die dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Beendigung des Beschwerdeverfahrens, für dessen Dauer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wurde, einen Abspruch über diesen Antrag durch den Berichter entbehrlich macht.

Wien, am 26. Jänner 2001

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