VwGH 97/03/0375

VwGH97/03/037520.9.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des MS in Innsbruck, vertreten durch den Sachwalter Mag. RJ, diese vertreten durch Dr. Gerhard Ebner und Dr. Joachim Tschütscher, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Anichstraße 24, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 9. Oktober 1997, Zl. 1997/4/34, 1997/14/131, betreffend Übertretung des KFG 1967 und der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
VStG §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §52;
VStG §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 9. Oktober 1997 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 11. April 1997 um 01.50 Uhr in Innsbruck in der Kaufmannstraße einen näher bezeichneten Pkw 1.) ohne Lenkerberechtigung gelenkt und 2.) die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h erheblich überschritten und dadurch 1.) § 64 Abs. 1 KFG 1967 sowie 2.) § 52 Abs. l0a StVO 1960 verletzt, weshalb über ihn Geldstrafen in Höhe von S 10.000,-- bzw. S 500,-- (sowie Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt wurden. Hiezu wurde im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers, er sei im Tatzeitpunkt nicht deliktsfähig gewesen, sei in den Akt des Bezirksgerichtes Innsbruck betreffend die Bestellung eines Sachwalters für den Beschwerdeführer Einsicht genommen worden. Demnach sei für den Beschwerdeführer für im Einzelnen genannte Angelegenheiten (Einkommens- und Vermögensverwaltung mit bestimmten Ausnahmen, Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden sowie allfälligen Dienstgebern und bei Rechtsgeschäften mit privaten Vertragspartnern) ein Sachwalter bestellt worden, weil der Beschwerdeführer an einer Debilitas leide, die sich vor allem im rechnerischen Bereich bemerkbar mache, und eine ausgeprägte emotionale Unreife bestehe. Kritisch abwägendes und überschauendes Denken sei massiv eingeschränkt. Nur die Dinge des alltäglichen Lebens könne der Beschwerdeführer ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen. Weiters sei in den Protokoll- und Urteilsvermerk des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 16. Juli 1997 eingesehen worden, mit dem der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von S 1.600,-- verurteilt worden sei. Davon ausgehend stehe für den unabhängigen Verwaltungssenat fest, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Tat nicht wegen einer Bewusstseinsstörung oder wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig gewesen sei, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Es sei auch so, dass einer Person, die an einer Bewusstseinsstörung oder an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit oder an Geistesschwäche leide, einsichtig sei, dass ein Pkw nur mit einem Führerschein gelenkt werden dürfe und dass zulässige Höchstgeschwindigkeiten eingehalten werden müssten. Für diese Einsicht brauche es keine besonderen geistigen Fähigkeiten. Der Beschwerdeführer habe anlässlich seiner Betretung auch erklärt, es tue ihm Leid, dass er zu schnell gefahren sei und dass er keinen Führerschein habe. Es bestünden daher keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Geistesschwäche des Beschwerdeführers sei derart, dass er unfähig gewesen sei, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln. Allerdings sei die Geistesschwäche des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 2 VStG als Milderungsgrund zu berücksichtigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich - seinem gesamten Vorbringen zufolge - durch den angefochtenen Bescheid im Recht, der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen nicht schuldig erkannt und dafür auch nicht bestraft zu werden, verletzt. Er bringt hiezu im Wesentlichen vor, er sei aufgrund seiner Debilitas unfähig gewesen, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen bzw. dieser Einsicht gemäß zu handeln. Hätte die belangte Behörde aufgrund der Hinweise aus dem Sachwalterbestellungsakt das Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie eingeholt, wäre sie ebenfalls zu dieser Auffassung gelangt.

Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Die Zurechnungsfähigkeit bildet demnach eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Wenn Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit vorliegen, so ist nach hg. Judikatur die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens notwendig, um diese Frage hinreichend beurteilen zu können (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 23. Oktober 1991, Zl. 91/02/0065, und vom 20. September 1995, Zl. 94/03/0150).

Solche Indizien sind im Beschwerdefall gegeben, geht doch die belangte Behörde - den Feststellungen im Beschluss über die Sachwalterbestellung folgend - selbst davon aus, der Beschwerdeführer leide an einer Debilitas und es bestehe eine ausgeprägte emotionale Unreife; kritisch abwägendes und überschauendes Denken sei massiv eingeschränkt. Dennoch ist die belangte Behörde, ohne ein medizinisches Gutachten zur Frage einzuholen, ob und gegebenenfalls inwieweit zufolge dieser Umstände die Fähigkeit des Beschwerdeführers, das Unerlaubte seiner Taten einzusehen bzw. dieser Einsicht gemäß zu handeln, gegeben gewesen sei, zur Auffassung gelangt, diese Fähigkeit sei im Zeitpunkt der Tat deswegen zwar im Sinne des § 3 Abs. 2 VStG in hohem Maße vermindert, aber nicht ausgeschlossen gewesen.

Solcherart hat sie es unterlassen, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt hinreichend zu klären. Die belangte Behörde hat dadurch Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, was zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG zu führen hatte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. September 2000

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