VwGH 99/06/0202

VwGH99/06/020220.6.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hanslik, über die Beschwerde

  1. 1. des JF, 2. des BD, 3. der SB, 4. des TR, 5. der ER, 6. des JB,
  2. 7. des MF, 8. der AW, 9. des KK, 10. des CK, 11. des Dr. JL,
  3. 12. der PL, 13. des WH, 14. des HH, 15. der EH, 16. des DS,
  4. 17. des FW, 18. der MA, 19. des GF und 20. der CK, alle in L, alle vertreten durch Dr. M, Dr. P und Dr. S, Rechtsanwälte in D, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 12. November 1999, Zl. II-4151-1999/0007, betreffend Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde L, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
AVG §8;
BauG Vlbg 1972 §30 Abs1 litb;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs10;
BauRallg;
AVG §52;
AVG §8;
BauG Vlbg 1972 §30 Abs1 litb;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs10;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde der Siebent- bis Sechzehntbeschwerdeführer wird abgewiesen.

Auf Grund der Beschwerde der übrigen Beschwerdeführer wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Siebent- bis Sechzehntbeschwerdeführer haben dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- (zu gleichen Teilen) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen, während das Land Vorarlberg den übrigen Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen hat. Das Mehrbegehren der übrigen Beschwerdeführer wird abgewiesen.

Begründung

Mit Antrag der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 17. Mai 1999 wurde um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Umbau der Haupttribüne und die Errichtung einer provisorischen Stehplatztribüne (Osttribüne) im Reichshofstadion auf dem näher angeführten Grundstück angesucht. Das Baugrundstück steht im Eigentum der mitbeteiligten Marktgemeinde und grenzt im Osten an die S-Straße. Das Grundstück ist im Flächenwidmungsplan der mitbeteiligten Marktgemeinde als "Vorbehaltsfläche, Sportfläche" gewidmet. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer bzw. Miteigentümer von an der S-Straße gegenüber dem verfahrensgegenständlichen Stadion gelegenen Grundstücken (die Grundstücke der Erst- bis Sechst- und Siebzehnt- bis Zwanzigstbeschwerdeführer liegen unmittelbar an der S-Straße).

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 20. Mai 1999 wurde - ohne dass hierüber eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden wäre und ohne Beiziehung der Beschwerdeführer - die beantragte Baubewilligung erteilt. Mit Schreiben vom 4. Juni 1999 (bei der mitbeteiligten Gemeinde eingelangt am 7. Juni 2000) erhoben u.a. die Beschwerdeführer Berufung. Unter anderem machten sie geltend, dass das beabsichtigte Bauvorhaben eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung und Gefährdung der Nachbarn erwarten lasse. Die Nachbarn hätten daher einen Anspruch gemäß § 6 Abs. 10 Vlbg. BauG darauf, dass größere als die sonst vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abstände festgesetzt würden.

Mit Bescheid der Berufungskommission der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 23. Juni 1999 wurde die Berufung u.a. der Beschwerdeführer als unzulässig zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde, soweit es beschwerderelevant ist, damit begründet, dass es sich bei der Bestimmung des § 6 Abs. 10 Vlbg. BauG nicht um eine allgemeine Immissionsschutzregelung für die Nachbarn zur Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes handle, sondern um eine Ausnahmeregelung für Bauwerke mit einem aus dem Ortsüblichen herausfallenden Verwendungszweck. Hiebei sei insbesondere die bestehende Flächenwidmung maßgebend. Weder hinsichtlich der Einhaltung des Flächenwidmungsplanes noch hinsichtlich eines allgemeinen Schutzes vor Emissionen bestehe ein subjektivöffentliches Nachbarrecht, wohl aber - fallbezogen - gemäß § 30 Abs. 1 lit. b) leg. cit. hinsichtlich der Einhaltung der Vorschriften des § 6 Vlbg. BauG über die Abstände oder Abstandsflächen bestehe. Nur soweit in den Vorschriften über die Abstände auch an jene über die Flächenwidmung bzw. an die in diesem Zusammenhang jeweils zulässigen Immissionen angeknüpft werde, seien diese auch im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Nachbarrechten im Sinne des § 6 Vlbg. BauG bedeutsam. Das Grundstück, auf dem die Tribüne errichtet werden solle, sei im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan als Vorbehaltsfläche/Sportfläche ausgewiesen. Gemäß § 20 Abs. 1 Vlbg. Raumplanungsgesetz könnten in Bauflächen, Bauerwartungsflächen oder Freiflächen Flächen festgelegt werden, die Zwecken des Gemeinbedarfs dienten oder für solche voraussichtlich innerhalb von 20 Jahren benötigt würden. Die vorgesehene Verwendung sei im Flächenwidmungsplan anzugeben. Es sei in § 20 Vlbg. Raumplanungsgesetz für Vorbehaltsflächen kein wie immer gearteter Immissionsschutz normiert. Schon aus diesem Grunde könnten die Nachbarn keine auf § 6 Vlbg. BauG gestützte Einhaltung solcher Abstände beantragen, zumal die Abstände gegenüber sämtlichen Nachbarn ohnedies im mindesten Falle ein Vielfaches des für Bauwerke gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstandes von 2 m betrügen.

Die dagegen u.a. von den Beschwerdeführern erhobene Vorstellung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde vertrat zu der Einwendung gemäß § 6 Abs. 10 Vlbg. BauG die von der Berufungsbehörde vertretene Auffassung.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat - wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet. Die Beschwerdeführer haben zu diesen Gegenschriften eine Replik eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 lit. i Vlbg. Baugesetz, LGBl. Nr. 39/1972 (BauG) ist Nachbar der Eigentümer eines fremden Grundstückes, das zu einem Baugrundstück in einem solchen räumlichen Nahverhältnis steht, dass mit Auswirkungen des geplanten Bauwerkes oder dessen vorgesehener Benützung, gegen welche die Bestimmungen dieses Gesetzes einen Schutz gewähren, zu rechnen ist.

Gemäß § 6 Abs. 1 BauG sind oberirdische Gebäude so anzuordnen, dass vor ihren Außenwänden, ausgenommen vor deren Ecken, Abstandsflächen liegen, auf denen keine Gebäude und keine sonstigen oberirdischen Bauwerke bestehen oder errichtet werden dürfen, die an einer Stelle mehr als 1 m hoch sind. Bauwerke, die an keiner Stelle mehr als 3 m hoch sind und nicht dem länger dauernden Aufenthalt von Menschen dienen, dürfen jedoch innerhalb der Abstandsflächen von Gebäuden des gleichen Baugrundstückes liegen, soweit dadurch für Fenster gemäß Abs. 3 ein Lichteinfall im Sinne des letzten Satzes des Abs. 3 nicht verhindert wird.

Gemäß § 6 Abs. 2 erster Satz leg. cit. muss die Abstandsfläche so tief sein, wie sechs Zehntel des Abstandes zwischen der Außenwand und dem Schattenpunkt, der sich auf einer in Höhe des jeweiligen Fußpunktes der Außenwand gelegten Waagrechten ergibt, wenn über das Gebäude Licht unter einem Winkel von 45 Grad einfällt.

Gemäß § 6 Abs. 10 leg. cit. kann die Behörde auch größere als in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebene Abstandsflächen und Abstände festsetzen, wenn der Verwendungszweck eines Bauwerkes eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarn erwarten lässt.

Gemäß § 20 Abs. 1 Vlbg. Raumplanungsgesetz, LGBl. Nr. 39/1996 (RPG), können in Bauflächen, Bauerwartungsflächen oder Freiflächen Flächen festgelegt werden, die Zwecken des Gemeinbedarfs dienen oder für solche Zwecke voraussichtlich innerhalb von 20 Jahren benötigt werden (Vorbehaltsflächen). Die vorgesehene Verwendung ist im Flächenwidmungsplan anzugeben.

Die Beschwerdeführer machen geltend, dass der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 10 BauG nicht auf die Frage der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit dem Flächenwidmungsplan beschränkt sei. Bei der Beurteilung der Frage, ob durch das Bauvorhaben das in § 6 Abs. 10 leg. cit. genannte ortsübliche Ausmaß an Belästigungen überschritten werde oder nicht, sei die bestehende Flächenwidmung maßgebend, aber sie sei es nicht alleine. Es sei auch in Fällen, in denen die Flächenwidmung keinen Immissionsschutz gewähre, die Bestimmung des § 6 Abs. 10 BauG anzuwenden. Auf der Grundlage der von den Beschwerdeführern beantragten Gutachten hätte die Baubehörde die Ortsüblichkeit der Belästigungen sowie die Gefährdungen der Nachbarschaft feststellen und rechtlich beurteilen müssen. Ungeachtet der Flächenwidmung müsse die Baubehörde das Ausmaß der Immissionen durch Gutachten feststellen und diese dann im Lichte des § 6 Abs. 10 BauG beurteilen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, hat nur der unmittelbare Nachbar bzw. der einer Verkehrsfläche gegenüberliegende Nachbar ein Recht auf Einhaltung von Abstandsbestimmungen und damit auch des § 6 Abs. 10 BauG (siehe das hg. Erkenntnis vom 5. Dezember 2000, Zl. 99/06/0127, und die in diesem angeführte Vorjudikatur). Die Siebt- bis Sechzehnt-Beschwerdeführer können sich im Hinblick auf die Lage ihrer Grundstücke (nicht unmittelbar an der vorliegenden Verkehrsfläche der S-Straße gelegen) nicht mit Erfolg auf § 6 Abs. 10 BauG stützen. Die Zurückweisung der Berufung mangels Parteistellung war somit im Hinblick auf diese Beschwerdeführer rechtmäßig. Die Beschwerde ist in Bezug auf diese Beschwerdeführer daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

In Bezug auf die übrigen Beschwerdeführer ist Folgendes auszuführen:

Bei der Bestimmung des § 6 Abs. 10 BauG handelt es sich - worauf auch die Beschwerdeführer verweisen - nicht um einen allgemeinen Immissionsschutz für die Nachbarn zur Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes, sondern um eine Ausnahmeregelung für Bauwerke mit einem aus dem Ortsüblichen herausfallenden Verwendungszweck (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1999, Zl. 98/06/0028). Bei Beurteilung der Frage, ob durch das Bauvorhaben das in § 6 Abs. 10 leg. cit. genannte ortsübliche Ausmaß an Belästigungen überschritten wird oder nicht, ist insbesondere auch die bestehende Flächenwidmung maßgebend, ob es sich also um ein Wohngebiet, ein Kerngebiet, ein gemischtes Baugebiet usw. handelt. Ist demnach durch einen Flächenwidmungsplan eine bestimmte Widmungskategorie festgelegt, so sind die Emissionen, die sich im Rahmen des in einer solchen Widmungskategorie üblichen Ausmaßes halten, als zumutbar anzusehen, und zwar auch dann, wenn sie beispielsweise das Ausmaß der in der unmittelbaren Nähe eines anderen Gebäudes feststellbaren Emissionen übersteigen (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 98/06/0028).

Die Beschwerdeführer haben im Verfahren das ortsübliche Ausmaß im Sinne des § 6 Abs. 10 leg. cit. überschreitende Immissionen geltend gemacht. Sie haben diese Immissionseinwendung nicht auf die vorgesehene Flächenwidmung gestützt. Die Beschwerdeführer haben zwar im Rahmen des § 6 Abs. 10 leg. cit. kein Recht auf Einhaltung der Widmung, da diese Widmung keinen Immissionsschutz umfasst. Sie haben aber anknüpfend an die von ihnen durch das Bauvorhaben befürchteten, das ortsübliche Ausmaß übersteigenden Belästigungen die Einhaltung eines größeren Abstandes im Sinne des § 6 Abs. 10 leg. cit. geltend gemacht. Der belangten Behörde kann nicht gefolgt werden, wenn sie meint, dem Nachbarn stehe nur dann ein Mitspracherecht im Lichte des § 6 Abs. 10 BauG zu, wenn die gesetzlichen Regelung betreffend die vorgesehene Widmung einen Immissionsschutz vorsieht. In der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung wird immer nur davon gesprochen, dass die Flächenwidmung "insbesondere" maßgebend ist. Wenn die vorgesehene Widmung keinen Immissionsschutz enthält, kann sich der Nachbar gestützt auf § 6 Abs. 10 BauG auf das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigungen und auf Gefährdungen berufen. Es war daher jedenfalls rechtswidrig, dass die Berufung der übrigen Beschwerdeführer mangels Parteistellung zurückgewiesen wurde.

Sowohl zu der Frage, ob bei der vorliegenden Widmungskategorie von Immissionen, die sich im Rahmen des in dieser Widmung üblichen Ausmaßes halten, überhaupt gesprochen werden kann und welches Ausmaß dabei als üblich anzunehmen wäre bzw. ob durch das Bauvorhaben eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder ein Gefährdung der Nachbarn zu erwarten ist, bedarf es der Einholung entsprechender Gutachten. Die belangte Behörde hätte daher im Hinblick auf die Berufung der Erst- bis Sechstbeschwerdeführer und der Siebzehnt- bis Zwanzigstbeschwerdeführer den Berufungsbescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufheben müssen. Indem sie dies verkannte, belastete sie ihrerseits den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der Erst- bis Sechstbeschwerdeführer und Siebzehntbis Zwanzigstbeschwerdeführer war im Hinblick auf die in der angeführten Verordnung genannten Pauschalbeträge, in denen auch Umsatzsteuer enthalten ist, abzuweisen. An Stempelgebühren war gemäß § 24 Abs. 3 eine Gebühr in Höhe von S 2.500,-- zu entrichten.

Wien, am 20. Juni 2001

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