VwGH 98/20/0299

VwGH98/20/029919.12.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des O in G, geboren am 10. Oktober 1962, vertreten durch Dr. Harold Schmid, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kalchberggasse 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. Mai 1998, Zl. 200.011/0-V/15/98, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- (EUR 908,41) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 3. Oktober 1997 in das Bundesgebiet ein, beantragte am 6. Oktober 1997 Asyl und wurde am 22. Oktober 1997 vor dem Bundesasylamt einvernommen. Er gab im Wesentlichen an, in Benin City von der "Ogboni-Gesellschaft" verfolgt worden zu sein, weil er sich auf Grund seines christlichen Glaubens nach dem Tod seines Vaters geweigert habe, dessen Stellung in der "Ogboni-Gesellschaft" zu übernehmen. Ein Versuch, bei "einem staatlichen Organ" Schutz zu finden, sei fehlgeschlagen, weil dieses offenbar selbst Mitglied der Gesellschaft gewesen sei und dem Beschwerdeführer empfohlen habe, sich mit der Gesellschaft in Verbindung zu setzen.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 1997 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Es ging davon aus, dass den Angaben des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe aus näher dargestellten Erwägungen kein Glauben zu schenken sei. Davon abgesehen habe der Beschwerdeführer eine nicht von staatlichen Stellen ausgehende Verfolgung behauptet und "nur einmal" versucht, sich unter staatlichen Schutz zu stellen. Die Verweigerung des Schutzes "durch ein einzelnes staatliches Organ" lasse nicht darauf schließen, dass der Staat "ein Interesse daran" gehabt habe, dem Beschwerdeführer den Schutz zu verweigern. Schließlich hätte der Beschwerdeführer "sich auch in einem anderen Teil des Heimatlandes aufhalten und sich damit dem Einfluss der Ogboni-Gesellschaft entziehen können". Dies habe er "jedoch nicht gemacht".

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung verwies der Beschwerdeführer im Wesentlichen nur darauf, dass er sein Vorbringen aufrecht erhalte und die Voraussetzungen für die Asylgewährung erfülle.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab. Sie stellte "als entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest, dass der Berufungswerber sein Heimatland verlassen hat, weil er sich weigerte, nach dem Tode seines Vaters die Führungsfunktion bei der Ogboni-Gesellschaft zu übernehmen und daher von den Zugehörigen dieser Gesellschaft mit dem Tode bedroht wurde". Dem "durchgeführten Ermittlungsverfahren" sei "insbesondere das Vorbringen des Berufungswerbers zugrunde gelegt" worden. Die geltend gemachte (und von der belangten Behörde auch festgestellte) Verfolgung beruhe aber nicht auf einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe. Sie gehe weiters von Privatpersonen aus, wobei aus der Reaktion auf den einmaligen Versuch des Beschwerdeführers, sich unter staatlichen Schutz zu stellen, "nicht der generelle Staatswille" ableitbar sei, dem Beschwerdeführer Schutz zu verweigern. Schließlich habe die erstinstanzliche Behörde auch "zutreffend" ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative offen gestanden wäre, "da wohl nicht davon auszugehen ist, dass ihn die Ogboni-Gesellschaft durch den gesamten Staat Nigeria verfolgt hätte". Der Vollständigkeit halber werde angemerkt, dass die Behörde erster Instanz ihrer Entscheidung das zuletzt genannte Argument unter Verstoß gegen den Grundsatz des Parteiengehörs zugrunde gelegt habe, doch habe der Beschwerdeführer "im Zuge des gesamten Verfahrens kein die inländische Fluchtalternative betreffendes Vorbringen erstattet".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung die im erstinstanzlichen Vorbringen des Beschwerdeführers behaupteten Tatsachen - wenngleich verkürzt - als "entscheidungswesentlichen Sachverhalt" zugrunde gelegt und das Vorbringen somit als glaubwürdig gewertet, ohne sich mit der gegenteiligen Beweiswürdigung des Bundesasylamtes auseinander zu setzen oder die im Falle einer "Umwürdigung" des Vorbringens erforderliche Berufungsverhandlung durchzuführen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis von heute, Zl. 98/20/0312, mit weiteren Nachweisen).

Die Gründe, aus denen die belangte Behörde meinte, die Berufung dessen ungeachtet abweisen zu müssen, halten einer Überprüfung nicht stand:

Was zunächst das "Verfolgungsmotiv" anlangt, so lässt die nicht näher begründete Behauptung der belangten Behörde, es stelle "keinen der in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründe dar", eine Auseinandersetzung mit der Behauptung vermissen, der Beschwerdeführer habe sich den Wünschen der Ogboni-Gesellschaft wegen seines christlichen Glaubens widersetzt, wozu es in der Beschwerde heißt, insbesondere die Mitglieder der Ogboni-Gesellschaft, die staatliche Funktionen ausübten, versuchten den christlichen Glauben zu unterdrücken. Zu diesem Thema kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die zuletzt in den hg. Erkenntnissen vom 24. Oktober 2001, Zl. 99/20/0123 und Zl. 99/20/0169, sowie vom 22. November 2001, Zl. 99/20/0188 und Zl. 99/20/0313, dargestellte Vorjudikatur verwiesen werden.

In Bezug auf die Annahme staatlichen Schutzes ist der belangten Behörde entgegen zu halten, dass die von ihr selbst angenommene Voraussetzung, der Staat müsse "nicht in der Lage oder nicht gewillt" sein, Schutz zu gewähren, nicht nur dann erfüllt ist, wenn "der generelle Staatswille" auf die Verweigerung des Schutzes abzielt. Die Annahme einer inländischen Fluchtalternative im Sinne einer regionalen Begrenztheit der dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgung gründet sich auf eine bloße Vermutung ("da wohl nicht davon auszugehen ist, dass ..."). Auch in dieser Hinsicht ist insoweit, als darin auf den Botschaftsbericht vom 11. September 1997 Bezug genommen wird, auf die schon erwähnte Vorjudikatur zu verweisen (vgl. nun auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 2001, B 2136/00).

Die von der belangten Behörde ins Treffen geführten Gründe reichen somit nicht aus, um eine mündliche Berufungsverhandlung mit dem Ziel einer näheren Prüfung des Sachverhaltes - auch unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit des Vorbringens - zu erübrigen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Dezember 2001

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