VwGH AW 2000/21/0128

VwGHAW 2000/21/01284.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des H, geboren 1963, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt, der gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 16. August 2000, Zl. Fr-4250a-38/00, betreffend Aufenthaltsverbot, erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung, den Beschluss gefasst:

Normen

61988CJ0143 Zuckerfabrik Süderdithmarschen Soest VORAB;
61989CJ0213 Factortame VORAB;
61993CJ0465 Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH VORAB;
61995CJ0334 Krüger VORAB;
61998CJ0017 Emesa Sugar VORAB;
61998CJ0065 Eyüp VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
AVG §68 Abs1;
EURallg;
FrG 1997 §10 Abs1 Z1;
FrG 1997 §107 Abs1 Z1;
FrG 1997 §16 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §63 Abs1;
61988CJ0143 Zuckerfabrik Süderdithmarschen Soest VORAB;
61989CJ0213 Factortame VORAB;
61993CJ0465 Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH VORAB;
61995CJ0334 Krüger VORAB;
61998CJ0017 Emesa Sugar VORAB;
61998CJ0065 Eyüp VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
AVG §68 Abs1;
EURallg;
FrG 1997 §10 Abs1 Z1;
FrG 1997 §107 Abs1 Z1;
FrG 1997 §16 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §63 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag auf Zuerkennung der

aufschiebenden Wirkung stattgegeben, dem Antrag auf Erlassung

einer einstweiligen Anordnung jedoch nicht stattgegeben.

Begründung

Mit dem mit Beschwerde angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsbürger, gemäß §§ 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1, 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigen Urteilen des Bezirksgerichtes Bludenz vom 7. Oktober 1994 wegen Sachbeschädigung, vom 4. November 1996 wegen Körperverletzung und vom 15. Oktober 1998 wegen Körperverletzung verurteilt und mit rechtskräftigem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 14. Mai 1997 wegen Übertretung des Meldegesetzes bestraft worden. Es sei die Annahme gerechtfertigt, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Der Beschwerdeführer lebe seit etwa neun Jahren in Österreich und gehe hier schon langjährig einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nach. Seine Ehegattin und seine minderjährigen Kindern lebten in der Türkei. Das im hohem Maße bestehende öffentliche Interesse an der Untersagung des weiteren Aufenthaltes überwiege sein privates Interesse am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet.

In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde stellt der Beschwerdeführer den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde "vor allem in der Weise ..., dass der angefochtene Bescheid nicht als Grundlage für eine Schubhaft, für sonstige fremdenpolizeiliche Maßnahmen, für Verwaltungsstrafverfahren oder für die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung (Niederlassungsbewilligung) herangezogen werden darf". Der Beschwerdeführer beantragt darüber hinaus auch "(d)ie Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dadurch, dass der Beschwerdeführer vom Höchstgericht eine (vorläufige) Niederlassungsbewilligung erhält". Er bezeichnet dieses Begehren auch als Antrag auf "einstweilige Anordnung" und beruft sich insoferne darauf nach Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 eingerichteten Assoziationsrates zum Aufenthalt in Österreich berechtigt zu sein. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung setze nur die belastende Wirkung des angefochtenen Bescheides aus. Der Beschwerdeführer habe aber ein gewichtiges Interesse daran, dass sein Aufenthalt in Österreich nicht nur toleriert werde, sondern dass er von Österreich (seiner zweiten Heimat) in die anderen EU-Staaten und die Türkei (erste Heimat) reisen und wieder nach Österreich zurückkehren könne.

Einer Beschwerde ist gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Gemäß § 30 Abs. 3 zweiter Satz VwGG hat die Behörde im Fall der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Verfügungen zu treffen; der durch den angefochtenen Bescheid Berechtigte darf die Berechtigung nicht ausüben.

Im vorliegenden Fall der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach dem Fremdengesetz ist offensichtlich, dass mit dem Vollzug des angefochtenen Bescheides - also mit der Abschiebung des Beschwerdeführers aus Österreich gemäß § 56 Abs. 1 FrG, wogegen ihm kein Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung mehr zur Verfügung stünde - für ihn ein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinn des § 30 Abs. 2 VwGG verbunden wäre. Nach der Lage des Falles lassen sich die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung daher ohne Weiteres erkennen, sodass sie der Beschwerdeführer in seinem Antrag nicht konkret darzulegen brauchte (vgl. den hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 25. Februar 1981, Slg. Nr. 10.381/A, und den hg. Beschluss vom 17. November 1999, Zl. AW 99/21/0254).

Soweit der Beschwerdeführer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung insoweit begehrt, dass das angefochtene Aufenthaltsverbot nicht als Grundlage für eine gegen ihn verhängte Schubhaft, sonstige fremdenpolizeiliche Maßnahmen einer Bestrafung oder die Versagung einer Niederlassungsbewilligung herangezogen werden dürfe, ist klarzustellen, dass die mit dem vorliegenden Beschluss erfolgte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohnehin diese Rechtswirkungen entfaltet. Einer gesonderten Hervorhebung im Spruch des vorliegenden Beschlusses bedarf es insoferne nicht, weil die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung von Gesetzes wegen zwar an der formellen Rechtskraft eines beim Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheides nichts ändert, aber bewirkt, dass sein "Vollzug" in einem umfassenden Sinn ausgesetzt, also seine Vollstreckbarkeit und die durch ihn bewirkte Gestaltung der Rechtslage, seine Tatbestandswirkungen und seine Bindungswirkungen zum Zwecke der Sicherung eines möglichen Erfolges der Beschwerde gemäß § 63 Abs. 1 VwGG für die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof suspendiert werden. Bis zur Entscheidung über die Beschwerde dürfen aus dem angefochtenen Bescheid keine für den Beschwerdeführer nachteiligen Rechtsfolgen gezogen werden.

Wurde daher - wie mit dem vorliegenden Beschluss - einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuerkannt, so bewirkt dies, dass die Abschiebung, die Festnahme und die Anhaltung in Schubhaft des betroffenen Fremden zur Sicherung seiner Abschiebung unzulässig ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/02/0081). Die vorliegende Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat für die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof auch jedenfalls zur Folge, dass die Bindungs- und Tatbestandswirkungen des angefochtenen Bescheides insoferne vorläufig außer Kraft gesetzt werden, als der in § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG normierte Grund zur Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels gegen den Betroffenen nicht herangezogen werden darf (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. Oktober 1995, Zl. 95/21/0521, und vom 15. Oktober 1999, Zl. 99/19/0031, jeweils mit weiteren Nachweisen), der Fremde wegen nicht rechtzeitiger Ausreise nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 107 Abs. 1 Z. 1 FrG nicht bestraft werden darf, sowie schließlich auch, dass eine allenfalls durch das Aufenthaltsverbot gemäß § 16 Abs. 2 FrG bewirkte Ungültigkeit eines Einreise- oder Aufenthaltstitels suspendiert ist.

Hinsichtlich seines Antrages auf Zuerkennung der "aufschiebenden Wirkung dadurch, dass der Beschwerdeführer vom Höchstgericht eine (vorläufige) Niederlassungsbewilligung erhält", - den der Beschwerdeführer auch als Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung bezeichnet - beruft sich der Beschwerdeführer auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts nicht daran gehindert werden darf, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen (vgl. etwa das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juni 1990, in der Rechtssache C-213/89 , Factortame, Slg. 1990, I-2433, und auch die Urteile vom 21. Februar 1991, in der Rechtssache C-143/88 und C-92/89 , Zuckerfabrik Süderdithmarschen u. a., Slg. 1991, I-0415, vom 9. November 1995, in der Rechtssache Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH u.a. C-465/93 , Slg. 1995, I-3761, und vom 17. Juli 1997, in der Rechtssache

KrügerGmbH & Co. KG, C-334/95 , Slg. 1997, I-4517; vgl. nunmehr auch das Urteil vom 8. Februar 2000, in der Rechtssache Emesa, C-17/98 ).

Soweit im Rahmen von Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde die Einräumung von positiven, auch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht bestehenden Rechten beantragt wurde, haben die Berichter des Verwaltungsgerichtshofes solche Anträge regelmäßig im Rahmen ihrer Befugnis gemäß § 14 Abs. 2 VwGG behandelt und im Wesentlichen mit der Begründung abschlägig beschieden, dass die Einräumung von Rechten, die eine beschwerdeführende Partei vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht hatte, und die ihr auch bei der Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht zukäme, gemäß § 30 Abs. 2 VwGG nicht bewirkt werden könne, weil der angefochtene Bescheid einem Vollzug im Sinn dieser Gesetzesstelle insofern nicht zugänglich sei (vgl. etwa die Beschlüsse vom 8. September 1994, Zl. AW 94/08/0023, vom 21. März 1995, Zl. AW 95/20/0084, und vom 12. Jänner 1998, Zl. AW 97/05/0112). Die Beurteilung, welche Rechtsstellung dem Beschwerdeführer im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheides zukäme, setzte insoferne auch eine Prognose über die Entscheidung in der Sache selbst, nämlich ihrer Rechtsfolgen (vgl. § 42 Abs. 3 und § 63 Abs. 1 VwGG) voraus. Auch über Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung, die unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht gestellt wurden, wurde vom Verwaltungsgerichtshof im Provisorialverfahren gemäß § 30 Abs. 2 VwGG entschieden (vgl. die hg. Beschlüsse vom 9. April 1999, Zl. AW 99/21/0061, vom 5. November 1999, Zl. AW 99/09/0073, und vom 30. November 1999, Zlen. AW 99/21/0246 - 0248; vgl. aber den hg. Beschluss vom 29. September 1999, Zl. 99/11/0257).

Im vorliegenden Fall hat die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde bereits zur Folge, dass - wie dargelegt - die für den Beschwerdeführer nachteiligen Rechtswirkungen des mit dem angefochtenen Bescheid gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes während des Beschwerdeverfahrens suspendiert sind. Auch können dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache Eyüp, Nr. C-65/98 , zufolge die gemäß Art. 7 Satz 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 bestehenden Rechte unmittelbar geltend gemacht werden, sie stehen dem Berechtigten ohne irgendeine Genehmigung zu (RZ 48), und jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts ist außer Anwendung zu lassen (RZ 42). Die Ausstellung einer Urkunde, mit der das Bestehen dieser Rechte bescheinigt wird, ist aber gemeinschaftsrechtlich nicht geboten, insofern ist auch die Anordnung von vorläufigen Maßnahmen nach dem Gemeinschaftsrecht durch ein Gericht, das über die Rechtsmäßigkeit der Verweigerung des Zugangs zur Beschäftigung zu entscheiden hat, nicht erforderlich (RZ 49). Ist der Beschwerdeführer daher - wie er behauptet - ungeachtet der von ihm nach Auffassung der belangten Behörde ausgehenden Gefahren gemäß Art. 6 Abs. 1 des angeführten Assoziationsratsbeschlusses zum Zugang zum Arbeitsmarkt berechtigt, so darf ihm auch die zur Aufnahme einer Beschäftigung erforderliche Einreise und der dazu erforderliche Aufenthalt nicht verwehrt werden. Die zur Ausübung dieser allenfalls bestehenden Rechte von ihm begehrte einstweilige Anordnung ist im Lichte des angeführten Urteiles des EuGH jedoch nicht erforderlich, weshalb dem Antrag insoferne nicht stattzugeben war.

Wien, am 4. Oktober 2000

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