VwGH 2000/01/0126

VwGH2000/01/012621.12.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Pelant, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. März 2000, Zl. 211.972/0-V/13/99, betreffend Asylgewährung und Feststellung gemäß § 12 AsylG (mitbeteiligte Partei: NM, geboren am 15. Februar 1975, B), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §43;
AsylG 1997 §7;
B-VG Art50 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §43;
AsylG 1997 §7;
B-VG Art50 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsbürger der Bundesrepublik Jugoslawien aus dem Kosovo, ist am 31. März 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Seinen Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 2. August 1999 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.); zugleich sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in den Kosovo gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Der dagegen erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 6. März 2000 statt; er entschied, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt werde und stellte gemäß § 12 leg. cit. fest, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Mitbeteiligte infolge seiner auffallend dunklen Hautfarbe bzw. "von seinem physiognomischen Äußeren her" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einem Roma-Volk zugeordnet werden könne; er sei jedenfalls nicht dem rein albanischen Bevölkerungsteil des Kosovo - ungeachtet seines albanischen Namens sowie der Tatsache, dass er ausschließlich der albanischen Sprache mächtig sei - zuzurechnen bzw. gehöre einer ethnisch nichtalbanischen sowie nicht-slawischen Minderheit an. Er verstehe sich zwar nicht als Angehöriger der Roma oder der im Kosovo ansässigen "Magjupe", habe jedoch releviert, seitens der albanischen Mehrheitsbevölkerung infolge seines Aussehens als ein Angehöriger einer Roma-Bevölkerungsgruppe identifiziert zu werden.

Zur allgemeinen Situation der verschiedenen Roma-Gruppen im Kosovo stellte die belangte Behörde fest, dass für diese die Situation unbestritten nach wie vor gefährlich sei; es bestehe ein nicht unbeträchtliches Risiko, zumeist von Unbekannten bedroht, misshandelt, entführt oder gar ermordet zu werden. Seitens der Kosovo-Albaner werde den Roma vorgeworfen, mit den Serben "gemeinsame Sache" gemacht zu haben. Die Roma-Bevölkerung des Kosovo lasse sich grob in zwei Hauptgruppen aufteilen, etwa zur Hälfte in so genannte "ethnische Roma" und - zum anderen Teil - in "Ashkali" (so genannte albanisierte Roma). Die Ashkali sprächen in der Regel nur Albanisch und nicht mehr Romani. Bis Anfang September 1999 seien schätzungsweise zwar weniger als 50 Roma/Ashkali ermordet worden, doch seien mehrere Hundert vermisst. Ca. 3/4 der Roma/Ashkali seien seit dem Einmarsch der KFOR-Truppen vertrieben worden. Zwar seien die KFOR-Soldaten um einen besonderen Schutz der Roma und anderer Minderheiten bemüht, sie könnten jedoch keinen hundertprozentigen Schutz leisten. Insgesamt sei die Bedrohung von Roma durch ethnische Albaner regional unterschiedlich, wobei Roma, die nicht Albanisch sprächen, in einer besonders schlechten Situation seien. Außerhalb des Kosovos seien Roma in Jugoslawien nicht willkommen. Vielerorts werde Roma der Zugang zum öffentlichen Leben erschwert.

Es erscheine nahe liegend, dass der Mitbeteiligte tatsächlich Angehöriger der albanisierten Ashkali sei, obwohl für ihn subjektiv seine tatsächliche Volksgruppenzugehörigkeit bis zum Beginn der kriegerischen Ereignisse im Kosovo nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Letztendlich sei für eine Bedrohung durch andere Ethnien jedoch nicht ausschlaggebend, ob er tatsächlich der Volksgruppe der Roma angehöre, sondern vielmehr, ob er - vielleicht auch fälschlicherweise - seitens der anderen Ethnien in seinem Heimatland dieser Volksgruppe zugerechnet werde. Dies sei nach den Angaben des Mitbeteiligten der Fall und erscheine "zweifellos dokumentiert bzw. glaubhaft". Zwar sei dem Bundesasylamt darin beizupflichten, dass die ursprüngliche Verfolgung des Mitbeteiligten durch serbische Armeeeinheiten auf Grund der entscheidenden Änderung des Sachverhaltes nicht mehr aktuell sei; es dürfe jedoch nicht übersehen werden, dass nunmehr Angehörige von Minderheiten im Kosovo einem erhöhten Gefährdungspotential unterlägen. Im Hinblick darauf, dass seit dem Einmarsch der KFOR-Truppen in den Kosovo rund 3/4 der im Kosovo vormals befindlichen Roma-Angehörigen bereits vertrieben worden seien bzw. aus Furcht vor Übergriffen den Kosovo freiwillig verlassen hätten, ergebe sich im Zusammenhalt mit dem weiteren Umstand, dass mehrere hundert Roma vermisst würden, dass für Angehörige dieser Volksgruppe im Kosovo ein erhöhtes Gefährdungspotential bestehe, Opfer von Übergriffen seitens der albanischen Bevölkerung zu werden. Dabei handle es sich wohl um eine von Privaten ausgehende Bedrohung; es stehe auch fest, dass die internationalen Kräfte im Kosovo willens seien, allen dort ansässigen Ethnien und Minderheiten Schutz zu gewähren, und dass sie "grundsätzlich" vor vereinzelt stattfindenden Übergriffen Schutz gewähren könnten. Die Bedrohung der Roma im Kosovo gehe jedoch über vereinzelte Übergriffe an Angehörigen dieser Volksgruppe deutlich hinaus, weshalb nicht davon gesprochen werden könne, dass die internationalen Kräfte diesem Personenkreis auch nur grundsätzlich effektiven Schutz gewähren könnten. Insgesamt betrachtet sei daher die Furcht des Mitbeteiligten, im Falle einer Rückkehr in den Kosovo als Angehöriger der Volksgruppe der Roma erkannt (bzw. bezeichnet) und in der Folge misshandelt, vertrieben oder gar ermordet zu werden, auf Grund der äußeren Umstände objektiv nachvollziehbar und somit wohlbegründet, weshalb seine Flüchtlingseigenschaft gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Inneres mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Ablehnung in eventu die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Mitbeteiligte ist unbestritten jugoslawischer Staatsbürger und stammt aus dem Kosovo. Im Hinblick darauf sind gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im gegenständlichen Fall sowohl der Kosovo als auch die Bundesrepublik Jugoslawien (ohne den Kosovo) jeweils als "Herkunftsstaat" iS des § 1 Z. 4 AsylG anzusehen. (Vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Juni 2000, Zl. 2000/01/0162, und vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0116, auf deren nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird.)

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Eine ausdrückliche Regelung der hier zur Beurteilung stehenden Konstellation, dass ein Asylwerber zwei (oder mehrere) Herkunftsstaaten habe, enthält diese Norm nicht. Eine Bedachtnahme auf derartige Fälle findet sich allerdings in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wo es im letzten Absatz heißt:

"Falls jemand mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, ist unter dem Heimatland jedes Land zu verstehen, dessen Staatsangehöriger er ist; wenn jemand ohne triftige, auf wohlbegründeter Furcht beruhende Ursache sich des Schutzes eines der Staaten, dessen Staatsangehöriger er ist, nicht bedient, soll er nicht als eine Person angesehen werden, der der Schutz des Heimatlandes versagt worden ist."

Zwar kann sich der Verweis auf Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK in § 7 AsylG schon angesichts der eigenständigen Definition des Begriffs "Herkunftsstaat" in § 1 Z. 4 AsylG nicht auch auf die eben zitierte Textstelle beziehen (er erfasst vielmehr offenkundig nur die Umschreibung des Begriffs "Verfolgung" im ersten Absatz des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK). Im Ergebnis erweist sich ein Rückgriff auf die Regelung des zweiten Halbsatzes des zitierten Absatzes in Fällen wie dem vorliegenden jedoch zweifelsohne als geboten; einerseits ist es nämlich einheitlicher Standpunkt, dass es sich bei der GFK um unmittelbar anzuwendendes, einfaches Bundesrecht handelt, das "self executing" ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1992, Zl. 92/15/0146, mwN), andererseits normiert § 43 AsylG, dass die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention unberührt bleiben. Man gelangt daher zwanglos zur Anwendbarkeit der besagten Bestimmung, sodass dem Mitbeteiligten also nur dann die Flüchtlingseigenschaft zukäme, wenn ihm in beiden "Herkunftsstaaten" asylrelevante Verfolgung drohte.

Wie der beschwerdeführende Bundesminister zutreffend aufzeigt, hat sich die belangte Behörde im bekämpften Bescheid im Wesentlichen auf die potenzielle Situation des Mitbeteiligten im Herkunftsstaat "Kosovo" beschränkt. Bezüglich der Bundesrepublik Jugoslawien (ohne den Kosovo) findet sich nur die Feststellung, dass Roma dort "nicht willkommen" seien und dass ihnen "vielerorts" der Zugang zum öffentlichen Leben erschwert werde. Dass derartige Umstände nicht das für eine Asylgewährung erforderliche Maß an Verfolgungsintensität erreichen, bedarf keiner näheren Erörterung. Zwar mag es zutreffen (so die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift), dass der Mitbeteiligte infolge seines Namens und der Unkenntnis einer slawischen Sprache "im serbischen Kernland" der albanischen Volksgruppe zugerechnet werden würde und davon ausgehend einem erhöhten Gefährdungspotential ausgesetzt wäre, doch fehlen eben Feststellungen, die eine rechtlich einwandfreie Beurteilung dieser Frage erlauben. Der angefochtene

Bescheid war daher aufgrund des auf einer Verkennung der Rechtslage beruhenden (sekundären) Verfahrensmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (siehe auch das hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0122).

Wien, am 21. Dezember 2000

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