VwGH 98/15/0040

VwGH98/15/004031.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der K und H Gesellschaft nach bürgerlichem Recht in Baden, vertreten durch

Dr. Johann Szemelliker, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Fischauer Gasse 152, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. Februar 1998, 17-94/4015/16, betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für 1991, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §10 Abs5;
EStG 1988 §10 Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die beschwerdeführende Gesellschaft nach bürgerlichem Recht betreibt ein auf die Bewertung von Immobilien spezialisiertes Sachverständigenbüro.

Im Jänner 1991 kaufte die Beschwerdeführerin den "gesamten Fundus" des als gerichtlicher Sachverständiger für Immobilienschätzung tätigen Architekten EF um den Gesamtkaufpreis von S 458.333,-- plus Umsatzsteuer. Von diesen Anschaffungskosten machte sie den Investitionsfreibetrag geltend. Der "Fundus" besteht im Wesentlichen aus 2.197 Schätzgutachten, 140 Büchern Fachliteratur, Zeitschriften, Flächenwidmungsplänen, einer Bodenwertsammlung und einer Diskettenstation.

Bei Feststellung der Einkünfte für 1991 ging das Finanzamt davon aus, dass 50 % der Anschaffungskosten für den "Fundus" des Architekten EF auf die Übernahme eines Firmenwertes entfielen. Hinsichtlich dieser 50 % der Anschaffungskosten könne die Bildung eines Investitionsfreibetrages im Hinblick auf die Bestimmung des § 10 Abs. 5 EStG 1988 nicht anerkannt werden.

Die Beschwerdeführerin brachte gegen den Feststellungsbescheid Berufung ein mit dem Antrag, die Kürzung des Investitionsfreibetrages in Höhe von S 45.733,50 rückgängig zu machen. In der Begründung führte sie aus, dass ein Sachverständigenbüro in Ermangelung von Dauerauftragsverhältnissen über keinen Klientenstock verfüge, der mit dem eines Arztes oder Steuerberaters vergleichbar wäre.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 14. Oktober 1993 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Das Finanzamt wertete die Übernahme des "Fundus" nunmehr als Betriebserwerb iSd § 10 Abs. 5 EStG 1988, der die Bildung eines Investitionsfreibetrages ausschließe.

Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Im Fall einer "gutachterlichen Sachverständigentätigkeit", die im überwiegenden Ausmaß über Auftrag der Gerichte ausgeübt werde, komme es wegen der dem Gericht vorbehaltenen Sachverständigenauswahl nicht entscheidend auf einen "Kundenstock" an. Als wesentliche Betriebsgrundlage eines solchen Betriebes sei vielmehr das im Wissen und den erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten gelegene "Humankapital" anzusehen. Auf technische und administrative Hilfsmittel, die in einem Sachverständigenbetrieb ebenfalls erforderlich seien, komme es nicht entscheidend an. Mit dem erworbenen "Fundus" seien vor allem Schätzgutachten, eine Bodenwertsammlung und ein Bestand an Fachliteratur erworben worden. Der Architekt EF sei ebenso wie die Beschwerdeführerin hauptsächlich im Landesgerichtsprengel Wiener Neustadt als gerichtlich bestellter Sachverständiger tätig gewesen. Der Wert des "Fundus" bestehe für die Beschwerdeführerin darin, dass sie im Fall von Gutachtensaufträgen auf bereits vorliegende Gutachten zurückgreifen und auf diese Weise an den Kenntnissen des Architekten EF partizipierten könne. Da die mit dem "Fundus" übertragenen Gutachten den Großteil der von EF erstellten Gutachten repräsentierten und solcherart das Ergebnis seiner langjährigen Berufstätigkeit widerspiegelten, sei die Übertragung des "Fundus" als Erwerb des Betriebes des EF anzusehen, zumal damit das in den Schätzgutachten gegenständlich gewordene "Humankapital" des EF auf die Beschwerdeführerin übertragen worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 5 EStG 1988 darf ein Investitionsfreibetrag u. a. bei Erwerb eines Betriebes nicht geltend gemacht werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Betriebserwerb vor, wenn ein in sich organisch geschlossener Kreis von Wirtschaftsgütern übereignet wird, der die wesentliche Grundlage des Betriebes bildet, wenn also ein lebender Betrieb veräußert wird und der Erwerber dadurch in die Lage versetzt wird, den Betrieb fortzuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, 89/14/0268). Unter einem lebenden Betrieb ist in diesem Zusammenhang ein in seinen wesentlichen Grundlagen vollständiger Organismus des Wirtschaftslebens zu verstehen, welcher objektiv die Fortführung des Betriebes ermöglicht (vgl das hg Erkenntnis vom 23. April 1998, 96/15/0211).

Durch die Übertragung der wesentlichen Grundlagen des Betriebes muss dem Erwerber die Fortführung des Betriebes ermöglicht werden. Unerheblich ist, ob der Erwerber von der objektiv vorhandenen Möglichkeit der Fortführung des Betriebes Gebrauch macht und ob er die Voraussetzungen - etwa die gewerberechtlichen Voraussetzungen - für die Führung des Betriebes erfüllt (vgl. nochmals das hg Erkenntnis 96/15/0211).

Die belangte Behörde hat den Bestand der von EF in seiner langjährigen Berufstätigkeit erstellten Schätzgutachten wegen des darin verkörperten "Humankapitals" des Architekten als wesentliche Betriebsgrundlage angesehen.

Wenn eine Person entgeltlich Schätzgutachten (bzw Rechte an solchen Gutachten) erwirbt, wird sie dadurch nicht in die Lage versetzt, den Betrieb des Gutachters fortzusetzen. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beschwerdeführerin durch den Erwerb der Gutachten des EF den Betrieb des Immobilienschätzers (ohne weiteres) fortsetzen hätte können. Die wesentlichen Betriebsgrundlagen werden im Beschwerdefall im persönlichen Wissen und den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten des EF gelegen gewesen sein, wie dies die belangte Behörde mit dem Begriff "Humankapital" zum Ausdruck zu bringen versucht hat. Allein, dieses "Humankapital" kann nicht durch die Anschaffung von Sachverständigengutachten erworben werden.

Weil die belangte Behörde aufgrund des von ihr festgestellten Sachverhaltes einen Betriebserwerb angenommen hat, hat sie die Rechtslage verkannt. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand beträgt S 12.500,--.

Wien, am 31. Oktober 2000

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