VwGH 98/08/0058

VwGH98/08/005820.12.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des O in L, vertreten durch Dr. Hans Kortschak, Rechtsanwalt in 8430 Leibnitz, Kadagasse 15, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 20. Jänner 1998, Zl. 5-s26h49/8-1997, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gem. § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §67 Abs10;
ASVG §67 Abs10;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Einspruchsbescheid verpflichtete die belangte Behörde die beschwerdeführende Partei gem. § 67 Abs. 10 ASVG als Obmann eines Vereines (Fußballverein) zur Zahlung von rückständigen, beim Verein uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von S 1,139.746,92 sA.

Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die genannten, aus der Zeit von November 1993 bis Dezember 1995, also aus Zeiträumen, während derer die beschwerdeführende Partei Obmann eines näher genannten Sportvereins und auch zur Vertretung nach außen berufen gewesen sei, unberichtigt aushaftenden Sozialversicherungsbeiträge im Insolvenzverfahren der Gesellschaft uneinbringlich geworden seien und die beschwerdeführende Partei nicht (ausreichend) dargetan habe, dass sie an der Nichtentrichtung dieser Beiträge kein Verschulden treffe, insbesondere, dass die Verbindlichkeiten gegenüber der Gebietskrankenkasse nicht schlechter behandelt worden seien als die übrigen Verbindlichkeiten. Der vom Beschwerdeführer in seinem Einspruch erhobene Einwand, die Forderung sei infolge eines 20 %igen Zwangsausgleichs gegenüber dem Verein im darüber hinausgehenden Umfang erloschen, weshalb eine Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG wegen der Akzessorietät der Haftung mit der Beitragsforderung nicht mehr in Betracht komme, wurde von der belangten Behörde aus rechtlichen Gründen nicht geteilt. Den weiteren Einspruchseinwendungen, den Beschwerdeführer treffe an dem Beitragsrückstand deshalb kein Verschulden, weil die Gebietskrankenkasse die auch bei Beitragsprüfungen unbeanstandet gebliebene Praxis, nur die Trainer und die sonstigen Dienstnehmer des Fußballvereins versichert zu halten, "im Jahre 1996 im Zuge von Verhandlungen zwischen Sozialversicherungsträgern und dem ÖFB" geändert und daraufhin anlässlich einer Beitragsprüfung im Jahre 1997 (richtig: am 18. November 1996) die Beitragspflicht für Spieler rückwirkend für Zeiträume von Jänner 1991 bis Juni 1996" angenommen habe, entgegnet die belangte Behörde, dass die strittige Versicherungspflicht und Beitragspflicht mit Bescheid der Gebietskrankenkasse vom 30. April 1997 ausgesprochen worden und dem dagegen erhobenen Einspruch mit Bescheid des Landeshauptmanns vom 11.11.1997 keine Folge gegeben worden sei. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen. Die Forderung sei im Konkurs der Gesellschaft zur Gänze anerkannt worden, sodass "Einwendungen hinsichtlich der Richtigkeit der Nachverrechnung als Haftungsbetrag in diesem Verfahren nicht mehr behandelt werden können". Auf den Einwand der in Beitragsprüfungen bis 1997 geübten gegenteiligen Praxis der Gebietskrankenkasse geht die belangte Behörde in der Bescheidbegründung nicht ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gem. § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, offene Erwerbsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Kommandit-Erwerbsgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Soweit der Beschwerdeführer - der seine von der belangten Behörde anhand der Vereinsstatuten bejahte Befugnis zur Vertretung des Vereins nach außen nicht bestreitet - der Sache nach geltend macht, er sei nicht der einzige Vertreter des Vereins gewesen, vermag er eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen, da die Gebietskrankenkasse durch keine gesetzliche Bestimmung dazu verhalten ist, alle Haftungsverpflichteten in Anspruch zu nehmen. Die Frage eines allfälligen Ausgleichs mehrerer Haftender untereinander, sofern nur einer von ihnen in Anspruch genommen wurde, muss im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden.

Auch kann der Verwaltungsgerichtshof dem Beschwerdeführer in seiner Auffassung nicht folgen, ihm kämen die Wirkungen des Zwangsausgleichs des Vereins zugute. Diesbezüglich genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Senates zu verweisen: Dieser hat die "dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung" des Geschäftsführers in der jüngeren Rechtsprechung als "Deliktshaftung" gedeutet und daher den gesetzlichen Vertretern die Wirkungen eines Ausgleichs der Gesellschaft in Ansehung der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG nicht zugebilligt (vgl. die Erkenntnisse vom 22. Dezember 1998, Zl. 94/08/0249, vom 4. Mai 1999, Zl. 96/08/0385, zuletzt das Erkenntnis vom 21. September 1999, Zl. 99/08/0127, mit weiteren Hinweisen).

Im Übrigen ist die Beschwerde aber aus folgenden Erwägungen begründet:

Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, hat der Verwaltungsgerichtshof in Abänderung seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung nunmehr die Auffassung vertreten, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle in Ermangelung weiterer in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses, welches in einer Ausfertigung diesem Erkenntnis beigeschlossen ist, wird gem. § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Entgegen dieser nunmehrigen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist die belangte Behörde (noch) davon ausgegangen, dass die beschwerdeführende Partei gem. § 67 Abs. 10 ASVG für alle nicht entrichteten, beim Verein uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträge haftet, hinsichtlich derer sie nicht in der Lage ist nachzuweisen, dass sie an der Nichtentrichtung kein Verschulden trifft, insbesondere durch den Nachweis fehlender Mittel im Zeitraum des Beitragsrückstandes und der (jeweiligen) Gleichbehandlung der Gebietskrankenkasse mit anderen Gläubigern bei der Erbringung von Zahlungen.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Gründen gem. § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

Im Recht ist der Beschwerdeführer aber auch mit seinem Einwand fehlenden Verschuldens an der Nichtentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen insoweit, als er der Sache nach zurecht rügt, dass sich die belangte Behörde mit dieser Frage im angefochtenen Bescheid nicht auseinander gesetzt hat. Der Beschwerdeführer macht der Sache nach geltend, dass er ohne Verschulden keine Meldungen erstattet bzw. für die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Spieler des Vereins Sorge getragen habe, weil die Spieler nach der jahrelang geübten Praxis der Gebietskrankenkasse als nicht versicherungspflichtig angesehen worden seien und dies bei mehrfachen Beitragsprüfungen nicht beanstandet worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 25. April 1985, Zl. 84/08/0133, vom 13. Juni 1989, Zl. 85/08/0064, vom 17. Dezember 1991, Zl. 90/08/0005, und vom 29. September 1992, Zl. 92/08/0154, mit weiteren Judikaturhinweisen) ist bei Beurteilung der Frage, ob ein meldepflichtiger Vertreter bei gehöriger Sorgfalt Meldungen (auf deren Unterbleiben der Beitragsrückstand kausal zurückzuführen ist) als notwendig hätte erkennen müssen, davon auszugehen, dass er sich alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verschaffen muss und deren Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt zu vertreten hat. Einen solchen Meldepflichtigen trifft eine Erkundigungspflicht, sofern er seine - objektiv unrichtige - Rechtsauffassung nicht etwa auf höchstgerichtliche (und erst später geänderte) Rechtsprechung oder bei Fehlen einer solchen auf eine ständige Verwaltungsübung zu stützen vermag (vgl. das Erkenntnis vom 22. März 1994, Slg. Nr. 14020/A).

Vorliegendenfalls hat sich der Beschwerdeführer auf eine ständige Verwaltungsübung der Gebietskrankenkasse berufen, die Spieler des Vereins als nicht versicherungspflichtig anzusehen (nach dem Vorbringen in einem Schriftsatz vom 3. Juni 1997 im Verfahren vor der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse habe diese den Spielern "Amateurstatus" zugestanden). Die belangte Behörde hat - wie der auf diesen Einwand antwortende Teil der Begründung des angefochtenen Bescheides zeigt - verkannt, dass die von ihr ins Treffen geführten rechtskräftigen Bescheide bzw. die Anerkennung der Beitragsforderung der Gebietskrankenkasse im Insolvenzverfahren zwar die Beitragsschuld der Gesellschaft betreffen, aber nicht geignet sind, den Einwand des fehlenden Verschuldens des Beschwerdeführers an der Nichtentrichtung der Beiträge wegen einer anders lautenden Verwaltungspraxis zu entkräften. Die belangte Behörde hätte daher Feststellungen darüber zu treffen gehabt, wie die Beschäftigungsverhältnisse der Spieler gestaltet gewesen sind, ob danach deren Versicherungspflicht durch verwaltungsgerichtliche Judikatur in vergleichbaren Fällen bereits bei Beginn des Haftungszeitraums als zweifelsfrei geklärt anzusehen gewesen ist, sowie, welche Praxis die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse vor und während des Haftungszeitraums diesbezüglich geübt hat und ob diese Praxis bei den behaupteten Beitragsprüfungen tatsächlich zu keinen Beanstandungen geführt hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das auf den Ersatz von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die gem. § 110 ASVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenbefreiung abzuweisen.

Wien, am 20. Dezember 2000

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