VwGH 98/19/0193

VwGH98/19/019312.2.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1969 geborenen LB in Wien, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1998, Zl. 308.735/6-III/11/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §10 Abs1;
AVG §58 Abs1;
AVG §62 Abs1;
FrG 1993 §7 Abs6;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
AufG 1992 §10 Abs1;
AVG §58 Abs1;
AVG §62 Abs1;
FrG 1993 §7 Abs6;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit ihrer am 19. August 1996 persönlich bei der österreichischen Botschaft in Tirana überreichten Eingabe beantragte die Beschwerdeführerin die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Als gesicherte Unterkunft in Österreich gab sie eine Adresse in Wien an. Der Antrag langte am 12. September 1996 beim Landeshauptmann von Wien ein.

Am 12. Februar 1997 wurde von der erstinstanzlichen Behörde eine Vignette betreffend eine Aufenthaltsbewilligung für den Zeitraum vom 12. Februar 1997 bis 12. Februar 1999 ausgefertigt und an die österreichische Botschaft in Tirana übermittelt. Eine Anbringung dieser Vignette im Reisedokument der Beschwerdeführerin erfolgte jedoch nicht.

Mit Schreiben vom 28. April 1997 retournierte die österreichische Botschaft in Tirana über Aufforderung der erstinstanzlichen Behörde diese Vignette wieder an den Landeshauptmann von Wien.

Nachdem die Beschwerdeführerin dem Landeshauptmann von Wien mitgeteilt hatte, dass sie seit 18. April 1997 an einer Adresse in Niederösterreich aufhältig sei, übermittelte dieser den in Rede stehenden Antrag mit Schreiben vom 22. Mai 1997 an das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung.

Mit einer am 23. Juni 1997 beim Landeshauptmann von Wien eingelangten Eingabe beantragte die Beschwerdeführerin die "Wiedereinsetzung gemäß § 71 AVG", wobei sie im Wesentlichen folgendes vorbrachte:

Bereits im Februar 1997 sei die Aufenthaltsbewilligung an sie erteilt worden. Der Landeshauptmann von Wien habe mitgeteilt, dass die Vignette nach Belgrad übersandt worden sei. Jedoch habe sich herausgestellt, dass die Übersendung tatsächlich an die österreichische Botschaft in Tirana erfolgt sei. Der Beschwerdeführerin sei es nicht möglich gewesen, nach Tirana zu gelangen, weil schwere Unruhen und bewaffnete Konflikte vorherrschten. Sie sei daher durch höhere Gewalt an der fristgerechten Behebung des Bescheides gehindert worden. Es werde daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die neuerliche Zustellung "des Bescheides" beantragt.

Mit einer am 28. November 1997 bei der belangten Behörde eingelangten Eingabe machte die Beschwerdeführerin den Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 1 AVG (in Ansehung des Antrages vom 19. August 1996) auf den Bundesminister für Inneres geltend.

In Stattgebung dieses Devolutionsantrages wies die belangte Behörde mit dem Bescheid vom 30. Juni 1998 den am 19. August 1996 überreichten Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 und § 10 Abs. 2 Z. 3 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) ab.

Begründend führte die belangte Behörde in Ansehung des erstgenannten Versagungsgrundes aus, die Beschwerdeführerin sei mit einem von der österreichischen Botschaft in Belgrad ausgestellten Reisevisum (Visum C) mit Geltungsdauer vom 15. April 1997 bis 22. April 1997 eingereist. Seither halte sie sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Damit sei der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 gegeben. Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sei daher ausgeschlossen. Zwar hielten sich der Ehegatte der Beschwerdeführerin und ihre beiden minderjährigen Kinder im Bundesgebiet auf. Lediglich der Ehegatte verfüge über eine Aufenthaltsbewilligung. Die durch die Anwesenheit des Ehegatten der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet begründeten privaten und familiären Interessen seien jedoch im Hinblick auf den unrechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin den öffentlichen Interessen hintanzustellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

§ 10 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 4 sowie § 112 FrG 1997 lauten (auszugsweise):

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn

...

2. der Aufenthaltstitel zeitlich an den durch ein Reise- oder Durchreisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden soll;

...

(4) Die Behörde kann Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes gemäß Abs. 1 Z 2, 3 und 4 ... in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. ...

...

§ 112. Verfahren zur Erteilung eines Sichtvermerkes sowie Verfahren zur Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, oder gemäß der §§ 113 und 114 anhängig werden, sind nach dessen Bestimmungen - je nach dem Zweck der Reise oder des Aufenthaltes - als Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels oder als Verfahren zur Erteilung eines Erstaufenthaltstitels oder eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen. ..."

§ 10 Abs. 1 AufG lautete (auszugsweise):

"§ 10. (1) Fremde, die eine Bewilligung haben, sind zur Einreise und für deren Geltungsdauer zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Die Bewilligung ersetzt einen gemäß dem Fremdengesetz notwendigen Sichtvermerk und ist in Form eines österreichischen Sichtvermerkes zu erteilen. ..."

§ 7 Abs. 6 des Fremdengesetzes 1992 (FrG 1992) lautete:

"§ 7. ...

...

(6) Der Sichtvermerk ist im Reisedokument des Fremden ersichtlich zu machen.

..."

Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe den gegenständlichen Antrag bei der österreichischen Botschaft in Tirana persönlich eingebracht. In der Folge sei "per März 1997" durch den Landeshauptmann von Wien eine Aufenthaltsbewilligung erteilt und an die österreichische Botschaft in Tirana übersendet worden. Der Beschwerdeführerin sei die unrichtige Auskunft erteilt worden, die Vignette sei bei der österreichischen Botschaft in Belgrad abzuholen. Die Beschwerdeführerin, die zu diesem Zeitpunkt im 8. Monat schwanger gewesen sei, habe bei der österreichischen Botschaft in Belgrad erfahren müssen, dass die Aufenthaltsbewilligung dort nicht eingetroffen sei. In Albanien habe Bürgerkrieg geherrscht, die Grenzen seien geschlossen gewesen, auch die österreichische Botschaft in Tirana habe nicht gearbeitet. In der Folge sei von der österreichischen Botschaft in Belgrad ein Touristensichtvermerk ausdrücklich zu dem Zweck erteilt worden, die Vignette in Wien abholen zu können.

In rechtlicher Hinsicht vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung durch den Landeshauptmann von Wien sei bereits dadurch wirksam erfolgt, dass die erstinstanzliche Behörde die entsprechende Vignette der österreichischen Botschaft in Tirana zwecks Vornahme der Zustellung übermittelt habe. Die Beschwerdeführerin habe sich daher im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Österreich bereits im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung befunden. Schon aus diesem Grund liege der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 nicht vor. Überdies sei der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung schon lange vor Ausstellung des in Rede stehenden Touristensichtvermerkes erfolgt. Schließlich habe es die belangte Behörde unterlassen, über den am 23. Juni 1997 eingelangten Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin zu entscheiden.

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung bewirkte die Übermittlung einer Ausfertigung der Aufenthaltsbewilligungsvignette durch den Landeshauptmann von Wien an die österreichische Botschaft in Tirana aus folgenden Gründen noch nicht die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an die Beschwerdeführerin:

Die in § 7 Abs. 6 FrG 1992 enthaltene Anordnung der Ersichtlichmachung des Sichtvermerkes und damit - im Grunde des § 10 Abs. 1 zweiter Satz AufG - auch der Aufenthaltsbewilligung im Reisedokument eines Fremden stellt sich als eine von den die Form von Bescheiden regelnden Bestimmungen der §§ 58 ff AVG abweichende Vorschrift über die Bescheidausfertigung dar. Gemäß § 7 Abs. 6 FrG 1992 ist kein "Bescheid" nach den Regeln des AVG zu erlassen, sondern eine besondere Urkunde (Ersichtlichmachung) auszustellen. Die Ausstellung dieser Urkunde hat die Wirkung der Erlassung eines Bescheides. Sie gilt als in dem Zeitpunkt vollzogen, in dem der mit der Aufenthaltsbewilligungsvignette versehene Reisepass dem Fremden ausgefolgt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 1996, Zl. 94/18/1109).

Vorliegendenfalls ist es jedoch unstrittig, dass eine Ausfolgung ihres mit einer solchen Vignette versehenen Reisepasses an die Beschwerdeführerin nicht erfolgte.

Im Übrigen bestehen aber auch keine Hinweise, dass gegenüber der Beschwerdeführerin ein Bescheid über die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung in schriftlicher oder mündlicher Form gemäß § 62 Abs. 1 AVG erlassen worden wäre. Die bloße Mitteilung, dass die Vignette bei der österreichischen Botschaft in Belgrad bzw. bei jener in Tirana abgeholt werden könne, hätte auch nach § 62 Abs. 1 AVG nicht zur Erlassung eines Bescheides geführt (vgl. insbesondere auch zum Erfordernis der Beurkundung eines mündlich verkündeten Bescheides die bei Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2 E. 99 ff zu § 62 AVG, wiedergegebene Judikatur).

Da die Beschwerdeführerin weder über eine Aufenthaltsbewilligung noch über einen vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten gewöhnlichen Sichtvermerk verfügte, wertete die belangte Behörde ihren am 19. August 1996 überreichten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zutreffend gemäß § 112 FrG 1997 als solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 98/19/0238, mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführte, ist für die Verwirklichung des Versagungsgrundes des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 maßgebend, dass sich der Fremde im Anschluss an eine mit einem Reise- oder Durchreisevisum nach dem FrG 1997, oder aber mit einem Touristensichtvermerk nach dem FrG 1992 erfolgte Einreise im Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Bundesgebiet aufhält (ohne dass er zwischenzeitig eine Berechtigung zum Aufenthalt aufgrund eines gewöhnlichen Sichtvermerkes, einer Aufenthaltsbewilligung, oder aber eines Aufenthaltstitels bzw. eines Aufenthaltsvisums nach dem FrG 1997 erlangt hätte).

Die Beschwerdeführerin tritt der maßgeblichen Bescheidannahme, sie sei mit dem von der österreichischen Botschaft in Belgrad ausgestellten Sichtvermerk mit Geltungsdauer vom 15. April 1997 bis 22. April 1997 in das Bundesgebiet eingereist und halte sich seither in Österreich auf, nicht entgegen. In diesem Zusammenhang kann es dahingestellt bleiben, ob es sich bei diesem Sichtvermerk - wie von der belangten Behörde festgestellt - um ein Reisevisum, oder aber, wie die Beschwerdeführerin behauptet, um einen Touristensichtvermerk handelte. In beiden Fällen wäre der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 verwirklicht.

Dieser Beurteilung stehen auch die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Gründe für ihre Einreise nach Österreich nach ihrer Antragstellung nicht entgegen.

Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aufgrund des gegenständlichen Antrages der Beschwerdeführerin war nach dem Vorgesagten daher ausgeschlossen.

Dem steht die in § 10 Abs. 4 FrG 1997 vorgesehene Möglichkeit, unter näher umschriebenen Voraussetzungen trotz Vorliegens des in Rede stehenden Versagungsgrundes von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, nicht entgegen. Ein subjektives Recht des Fremden auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels besteht allerdings nicht.

Ebenso wenig sind bei einer auf § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 gestützten Entscheidung die privaten und familiären Verhältnisse des Fremden im Sinne des Art. 8 MRK zu berücksichtigen (vgl. auch hiezu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, auf dessen Entscheidungsgründe auch insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Schließlich kann die Beschwerdeführerin die von ihr behauptete Säumnis der belangten Behörde (richtig wohl: der erstinstanzlichen Behörde) mit der Entscheidung über ihren am 23. Juni 1997 eingelangten Wiedereinsetzungsantrag - dessen Sinnhaftigkeit dahinstehen kann - nicht erfolgreich mit der vorliegenden Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1998 geltend machen.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, ohne dass auf den von der belangten Behörde herangezogenen weiteren Versagungsgrund einzugehen gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. Februar 1999

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