VwGH 98/08/0117

VwGH98/08/011729.6.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der S in O, vertreten durch Dr. Erwin Fidler, Rechtsanwalt in Pöllau, Lamberggasse 30, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 13. März 1998, Zl. VIII/1-N-261/12-1998, betreffend Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Burgenländische Gebietskrankenkasse, Eisenstadt, Esterhazyplatz 3), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §58 Abs1;
ASVG §59 Abs1;
ASVG §67 Abs10;
BAO §80;
BAO §9;
ASVG §58 Abs1;
ASVG §59 Abs1;
ASVG §67 Abs10;
BAO §80;
BAO §9;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin war - nach dem insoweit unstrittigen Sachverhalt - seit dem 20. August 1993 selbstständig vertretungsbefugte Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH der L. GmbH & Co KG. Über das Vermögen der KG wurde am 23. Februar 1994 das Konkursverfahren eröffnet. Zur Komplementär-GmbH wird in der Beschwerde ausgeführt, am 27. Juni 1994 sei die Eröffnung des Konkurses (gemeint: ein darauf abzielender Antrag) mangels Kostendeckung abgewiesen worden.

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 10. November 1994 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Beschwerdeführerin gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in Verbindung mit § 83 ASVG zur Bezahlung auf dem Beitragskonto der KG rückständiger Beiträge samt Nebengebühren bis zum 8. November 1994 in der Höhe von S 1,890.589,09 zuzüglich Verzugszinsen seit dem 23. Februar 1994, berechnet von S 1,885.088,04. Nach dem angeschlossenen Rückstandsausweis vom 8. November 1994 bestand der Betrag von S 1,890.589,09 aus S 270.338,44 an Beiträgen für Dezember 1993, S 5.049,84 an Verzugszinsen hieraus, S 224.829,10 an Beiträgen für Jänner 1994, S 527,21 an Verzugszinsen hieraus, S 341.730,27 an Beiträgen für Februar 1994 und S 1,048.110,23 aus einer Nachverrechnung bis März 1994.

In ihrem Einspruch gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, die Beiträge für Dezember 1993 und Jänner 1994 hätten wegen der bevorstehenden Konkurseröffnung nicht mehr bezahlt werden dürfen, weil dies eine Gläubigerbevorzugung bedeutet hätte. Bei Fälligkeit der Beiträge für Februar 1994 und aus der Nachverrechnung bis März 1994 sei der Konkurs bereits eröffnet gewesen. Bei den Treibstoffkosten für die Firmenfahrzeuge, die nach den Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid bis zuletzt bezahlt worden seien, handle es sich um Zug-um-Zug-Geschäfte, mit denen keine Ungleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge bewirkt werde. Das weitere Argument der Gebietskrankenkasse, der Konkursantrag hätte schon wesentlich früher eingebracht werden müssen, gehe aus näher dargestellten Gründen ins Leere.

Die belangte Behörde forderte die Beschwerdeführerin - soweit noch wesentlich - auf, "hinsichtlich des Haftungszeitraumes 12/93 bis 1/94" unter Beweis zu stellen, welche Verbindlichkeiten aushafteten, welche Mittel zur Verfügung standen und welche Zahlungen geleistet wurden.

Die Beschwerdeführerin reagierte hierauf mit der Vorlage einer Aufstellung über die am 31. Dezember 1993 aushaftenden Verbindlichkeiten und die im Zeitraum vom 12. Jänner 1994 bis zur Konkurseröffnung geleisteten Zahlungen, wozu sie ausführte, eine Ungleichbehandlung sei trotz der Fälligkeit der Beiträge am letzten Tag des Kalendermonates aufgrund der gesetzlichen Zahlungsfrist für die Dezemberbeiträge frühestens ab 12. Jänner 1994 und für die Jännerbeiträge frühestens ab 12. Februar 1994 möglich. Der Aufstellung waren im Wesentlichen die Bilanz zum 31. Dezember 1993 und die Gewinn- und Verlustrechnung 1993 angeschlossen.

In weiteren Stellungnahmen führte die Beschwerdeführerin aus, es komme auf das Verhältnis der Beitragsschulden zur Gesamtheit der übrigen Verbindlichkeiten an, und in dieser Hinsicht sei die Gebietskrankenkasse, wie sich aus den vorgelegten Aufstellungen ergebe, bevorzugt worden. Sollte der Standpunkt vertreten werden, dass entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch die Zahlungen "in der Zeit vom 31.12.1993 bis 12.1.1994" darzulegen seien, so möge der Beschwerdeführerin ein entsprechender Auftrag erteilt werden.

Die belangte Behörde forderte die Beschwerdeführerin nun auf, "auch für den Zeitraum Dezember 1993" darzulegen, welche Verbindlichkeiten "im Dezember 1993" jeweils aushafteten, welche Mittel an sich zur Verfügung standen und welche Zahlungen jeweils geleistet wurden.

Hiezu erklärte sich die Beschwerdeführerin - nach mehrfacher Verlängerung der ihr gesetzten Frist - mit der Begründung, die erforderlichen Unterlagen seien beim Masseverwalter nicht mehr auffindbar, außer Stande.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch insoweit Folge, als er sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung der Beträge für Februar 1994 und aus der Nachverrechnung bis März 1994 richtete, und änderte den Bescheid somit dahingehend ab, dass die Beschwerdeführerin den Betrag von S 500.744,59 zuzüglich der ab 9. November 1994 laufenden Verzugszinsen zu bezahlen habe.

Die belangte Behörde traf Feststellungen über den Inhalt des Rückstandsausweises, das Datum der Konkurseröffnung und die Auskunft des Masseverwalters über die zu erwartende Konkursquote, und stellte zum Sachverhalt sonst nur fest, sechs namentlich angeführte Dienstnehmer hätten "ihre Löhne bzw. Gehälter für den Monat Dezember 1993 zur Gänze und für Jänner 1994 zu ca. 50 % ausbezahlt bekommen", und einer weiteren Dienstnehmerin sei der Lohn für beide Monate zur Gänze ausbezahlt worden. Die von der KG selbst berechneten Beiträge seien jeweils am letzten Tag des Kalendermonats fällig gewesen.

Es sei Sache der Beschwerdeführerin gewesen, das Fehlen

ausreichender Mittel sowie die Richtigkeit der Behauptung

nachzuweisen, dass sie die Beitragsforderungen bei der Verfügung

über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt habe. Die

Beschwerdeführerin sei mit Schreiben vom 8. Juli 1997 und vom

1. Oktober 1997 aufgefordert worden, das Einspruchsvorbringen zu

präzisieren und Beweismittel vorzulegen. Dieser Aufforderung sei

sie nicht nachgekommen. Sie habe mitgeteilt, die erforderlichen

Unterlagen seien nicht mehr auffindbar. Ihre "mangelnde Mitwirkung"

berechtige "zur Annahme einer sozialversicherungsrechtlichen auf

§ 67 Abs. 10 ASVG gestützten Pflichtverletzung". Für die erst nach

der Konkurseröffnung fällig gewordenen Beträge könne die

Beschwerdeführerin nicht haften. Im Übrigen sei die belangte

Behörde aber "im Sinne der oben angeführten rechtlichen Darlegung

zur Ansicht gelangt, dass Frau ... ihre

sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung zur rechtzeitigen

(zumindest anteiligen) Abfuhr offener Beitragsschulden der ... KG

im Haftungszeitraum, das waren die Monate Dezember 1993 und Jänner 1994 schuldhafterweise (fahrlässig) verletzt hat".

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erwogen hat:

Insoweit die Beschwerdeführerin bestreitet, als Geschäftsführerin der Komplementär-GesmbH die im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG zur Vertretung der KG berufene Person gewesen zu sein, ist sie gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl. 95/08/0152, zu verweisen. Auf das weitere Argument, es sei nicht versucht worden, die Beiträge der KG bei der Komplementär-GmbH einbringlich zu machen, ist schon deshalb nicht näher einzugehen, weil die Beschwerdeführerin selbst einräumt, ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH sei am 27. Juni 1994 mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden. Hierauf stützte sich auch ein - beiden Gegenschriften in Kopie angeschlossener - Bescheid vom 23. Oktober 1997, mit dem die belangte Behörde die Beschwerdeführerin in teilweiser Bestätigung eines erstinstanzlichen Bescheides vom 10. November 1994 zur Haftung für (vergleichsweise viel geringere) Beitragsschulden der GmbH heranzog. Zur amtswegigen Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Beitragsschulden der KG nicht bei der GmbH einbringlich seien, hatte die belangte Behörde unter diesen Umständen keinen Anlass (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Erkenntnis vom 10. Juni 1980, Zl. 535/80). Mit dem erstmals in der Beschwerde geltend gemachten - und nur bedingt aussagekräftigen - Argument, dem Handelsregisterauszug könne "entnommen werden", dass die Stammeinlagen "bis zuletzt nicht einbezahlt wurden und deshalb Vermögen der GmbH vorhanden ist", verstößt die Beschwerdeführerin gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot. Im Übrigen ist zu diesem Thema auf das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/08/0075, zu verweisen.

Der Beschwerde ist aber stattzugeben, weil die belangte Behörde es unterlassen hat, sich mit den Unterlagen und Aufstellungen, die die Beschwerdeführerin zum Beweis für die Erfüllung ihrer Gleichbehandlungspflicht vorgelegt hat, inhaltlich auseinander zu setzen. Hinsichtlich der Beiträge für Jänner 1994 ist ein Grund hiefür nicht ersichtlich, weil die Aufstellung der Beschwerdeführerin in Bezug auf diese Beiträge den gesamten Zeitraum von ihrem Fälligwerden bis zur Konkurseröffnung abdeckte. Auf die Beiträge für Dezember 1993 traf dies nicht zu, weil der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin der unrichtigen Ansicht war, es komme nicht auf die Gleichbehandlung ab dem Fälligwerden der Beiträge, sondern erst auf die ab dem 12. Jänner 1994 an (vgl. zur Begründung der gegenteiligen Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 21. Mai 1996, Zl. 95/08/0290). Im diesbezüglichen - vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin nach der Übermittlung einer in diesem Punkt zutreffenden Stellungnahme der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse durch die belangte Behörde am 8. Juli 1997 ausdrücklich erbetenen - Ergänzungsauftrag vom 1. Oktober 1997 bezog sich die belangte Behörde aber in Verkennung der Rechtslage nicht auf den fehlenden Zeitraum vom 31. Dezember 1993 bis zum 11. Jänner 1994, sondern auf die "im Dezember 1993" jeweils aushaftenden Verbindlichkeiten, zur Verfügung stehenden Mittel und geleisteten Zahlungen. Die in der Bescheidbegründung hervorgehobene Aufforderung, "das Einspruchsvorbringen ... zu präzisieren und Beweismittel vorzulegen", betraf daher von vornherein nur die Beiträge für Dezember 1993 und bezog sich insofern auf den falschen Zeitraum.

Durch den bloßen Hinweis, die Beschwerdeführerin sei diesem Ergänzungsauftrag nicht nachgekommen, in Verbindung mit dem Fehlen jedweder Auseinandersetzung mit dem zur Entlastung der Beschwerdeführerin erstatteten, nicht völlig unkonkreten Vorbringen hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Begründungsmängeln belastet, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren sei bemerkt, dass - anders als die belangte Behörde und die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse anzunehmen scheinen - der Gleichbehandlungsnachweis nicht schon dadurch ausgeschlossen wird, dass einzelne Forderungen zur Gänze oder mit einem höheren Anteil als die Beitragsforderungen befriedigt wurden. Maßgeblich ist vielmehr, wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, das Verhältnis der Befriedigung der Beitragsschulden im Verhältnis zur Tilgung der Gesamtheit der gleich zu behandelnden übrigen Verbindlichkeiten (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0217, und vom 19. März 1991, Zlen. 89/08/0321, 0322). Dabei wird die Beschwerdeführerin, abgesehen von einer Aufstellung der im Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 1993 und dem 11. Jänner 1994 geleisteten Zahlungen, auch zu anderen Punkten - etwa zur weiteren Entwicklung des Schuldenstandes in der Zeit zwischen dem 31. Dezember 1993 und der Konkurseröffnung - über Aufforderung durch die belangte Behörde die allenfalls noch erforderlichen Ergänzungen beizubringen haben. Insoweit auch die in der Beschwerde angesprochene Frage der richtigen Verrechnung der während dieses Zeitraumes an die Gebietskrankenkasse geleisteten Zahlungen im fortgesetzten Verfahren noch eine Rolle spielen sollte, ist auf das Erkenntnis vom 14. November 1995, Zl. 94/08/0081, hinzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ein Ersatz von Pauschalgebühr war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG nicht zuzusprechen.

Wien, am 29. Juni 1999

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