VwGH 96/01/0276

VwGH96/01/027617.2.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des G in K, vertreten durch Dr. Werner Bachlechner und Dr. Klaus Herunter, Rechtsanwälte in Köflach, Herunterplatz 1, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Voitsberg vom 13. Februar 1996, Zl. Vst G 27/1995, betreffend erkennungsdienstliche Behandlung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §65 Abs1;
SPG 1991 §77 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §65 Abs1;
SPG 1991 §77 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. Februar 1996 verpflichtete die belangte Behörde gemäß § 65 Abs. 1 und 4 und § 77 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz 1991 (SPG) in Verbindung mit §§ 19 und 20 AVG den Beschwerdeführer, an den für eine erkennungsdienstliche Behandlung seiner Person erforderlichen Handlungen im erforderlichen Ausmaß mitzuwirken, insbesondere seine Fingerabdrücke für Vergleichszwecke abzugeben und sich zu einem näher angeführten Zeitpunkt bei der belangten Behörde persönlich einzufinden, widrigenfalls seine zwangsweise Vorführung veranlaßt werde. Begründend führte die belangte Behörde aus, das Landesgendarmeriekommando für Steiermark habe mitgeteilt, daß gegen den Beschwerdeführer im einzelnen näher angeführte Indizien bestünden, Ende Oktober 1994 durch anonyme Anschuldigungen gegen einen Beamten den Tatbestand der Verleumdung begangen zu haben. Einer formlosen, unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht ergangenen Aufforderung der belangten Behörde, sich zwecks erkennungsdienstlicher Behandlung beim Landesgendarmeriekommando für Steiermark zu einem bestimmten Termin einzufinden, sei der Beschwerdeführer zwar nachgekommen, doch habe er sich geweigert, die erkennungsdienstliche Behandlung vornehmen zu lassen. Im Hinblick auf die angeführten Indizien sei die bescheidmäßige Verpflichtung zur Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung im erforderlichen Ausmaß aufzuerlegen und mit einer, die Androhung der zwangsweisen Vorführung enthaltenden Ladung zu verbinden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG), in der hier anzuwendenden Fassung, haben folgenden Wortlaut:

"§ 16. ...

(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer

  1. 1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, oder
  2. 2. nach den §§ 12, 14 oder 14a des Suchtgiftgesetzes, BGBl. Nr. 234/1951, oder
  3. 3. nach dem Verbotsgesetz, StGBl. Nr. 13/1945, strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird.

(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen, die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Hievon kann solange abgesehen werden, als nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen.

(2) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, im Zusammenhang mit der Klärung der Umstände eines bestimmten gefährlichen Angriffes Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn diese nicht im Verdacht stehen, den gefährlichen Angriff begangen zu haben, aber Gelegenheit hatten, Spuren zu hinterlassen, soweit dies zur Auswertung vorhandener Spuren notwendig ist.

(3) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, deren Identität gemäß § 35 Abs. 1 Z. 3 festgestellt werden muß und die über ihre Identität keine ausreichenden Aussagen machen wollen oder können, sofern eine Anknüpfung an andere Umstände nicht möglich ist oder unverhältnismäßig wäre.

§ 77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.

(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden."

Gemäß § 3 SPG besteht die Sicherheitspolizei aus der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, ausgenommen die örtliche Sicherheitspolizei (Art. 10 Abs. 1 Z. 7 B-VG), und aus der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht.

Die Aufgaben der Sicherheitspolizei wurden durch § 22 Abs. 3 SPG dahin konkretisiert, daß nach einem gefährlichen Angriff die Sicherheitsbehörden, unbeschadet ihrer Aufgaben nach der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl. Nr. 631/1975, die maßgebenden Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären haben, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich ist. Sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist, gelten ausschließlich die Bestimmungen der StPO; die §§ 57 und 58 sowie die Bestimmungen über den Erkennungsdienst bleiben jedoch unberührt.

Daraus ergibt sich die Anordnung, daß erkennungsdienstliche Maßnahmen - für diese gilt gemäß § 22 Abs. 3 letzter Satz SPG die Einschränkung auf die Vorbeugung gegen weitere gefährliche Angriffe nicht -, auch wenn sie der Ausforschung eines Täters dienen, selbst dann, wenn bereits ein Verdacht vorliegt, jedenfalls in den Fällen, die durch das SPG erfaßt sind, in denen ein direkter Auftrag der Staatsanwaltschaft oder eines Gerichtes an die Organe der Sicherheitspolizei nicht vorliegt. Damit in Übereinstimmung steht auch die in den Erläuternden Bemerkungen zu § 65 SPG (148 Blg. NR 18. GP) dokumentierte Absicht, die erkennungsdienstliche Behandlung nur für sicherheitspolizeilich relevante Fälle vorzusehen und Fälle, in denen diese Behandlung ausschließlich zum Zweck der Strafjustiz erfolgen soll, einer strafprozessualen Regelung vorzubehalten. Da die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers nicht direkt von einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft angeordnet worden war und somit nicht als ausschließlich Zwecken der Strafjustiz dienend gewertet werden kann, erweist sich das Vorgehen der Bezirkshauptmannschaft Voitsberg - ausgehend vom dargelegten Verständnis - als dem Vollzugsbereich des SPG zuordenbar.

Im vorliegenden Fall wurde seitens des Bezirksgendarmeriekommandos Voitsberg bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides Anzeige gegen unbekannte Täter an die Staatsanwaltschaft Graz erstattet. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer in dieser Anzeige nicht als Verdächtiger angeführt ist, stand der an ihn gerichteten Aufforderung, sich der erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, nicht entgegen, weil einerseits die in § 65 Abs. 1 SPG enthaltene Ermächtigung der Behörde zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nicht zur Voraussetzung hat, daß der in dieser Gesetzesstelle angeführte Verdacht auch bereits in einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft zum Ausdruck gekommen sein muß, und andererseits die im angefochtenen Bescheid angeführten Indizien den gegen den Beschwerdeführer gehegten Verdacht nicht von vornherein als unbegründet erscheinen lassen. Daraus, daß die Anzeige an die Staatsanwaltschaft lediglich gegen unbekannte Täter gerichtet war, ist daher für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Zuständigkeit der Behörde zur Anordnung und Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung auch dann nicht ausgeschlossen, wenn bereits eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft vorliegt. Dies ergibt sich aus § 77 Abs. 3 SPG, der ausdrücklich auf das Vorliegen einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft abstellt und für diesen Fall die bereits im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als behördliches Ermittlungsverfahren gelten läßt.

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Die Bestimmung des § 65 Abs. 1 SPG räumt der Behörde jedenfalls insoweit Ermessen ein, als sie trotz Vorliegens der Voraussetzungen hiefür von der erkennungsdienstlichen Behandlung absehen kann, wenn und solange nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen. Der der Behörde eingeräumte Ermessensspielraum für die Anordnung oder das Absehen von erkennungsdienstlichen Maßnahmen ist dann gegeben, wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine vergleichsweise nur geringe Gefahr der Begehung weiterer Angriffe besteht. Hiebei ist auch zu beachten, daß ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung dann eher in Betracht kommt, wenn die Gefahr der Begehung weiterer Delikte eher hinsichtlich solcher Delikte gegeben ist, für deren Aufklärung aus erkennungsdienstlichen Daten nichts oder nur wenig gewonnen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1998, Zl. 97/01/0793). Hiezu ist festzuhalten, daß - im Gegensatz zum angeführten Erkenntnis - im Beschwerdefall der zur Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung verpflichtete Beschwerdeführer nicht einer Straftat überführt, sondern lediglich verdächtigt wurde, eine solche begangen zu haben. Da § 65 Abs. 1 SPG auf den Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffes abstellt, ist davon auszugehen, daß die gemäß dem zweiten Satz dieses Absatzes zu treffende Prognoseentscheidung hinsichtlich der Frage des Begehens weiterer gefährlicher Angriffe jedenfalls auch dann zu treffen ist, wenn lediglich der Verdacht der Begehung eines solchen Angriffes vorliegt. Auch in einem solchen Verdachtsfall müssen die im angeführten Erkenntnis genannten Ermessenskriterien - hiebei kommt insbesondere der Frage, ob sich aus der Art des vermutlich begangenen Deliktes eine Wiederholungsgefahr ergibt, besondere Bedeutung zu - von der Behörde geprüft werden, um entscheiden zu können, ob von der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen werden kann.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid in keiner Weise dargetan, daß sie ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers überhaupt in Erwägung gezogen hätte. Vielmehr ist der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen, daß sie der Auffassung war, der Beschwerdeführer sei schon deshalb jedenfalls zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu verpflichten gewesen, weil er im Verdacht stehe, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, und der Aufforderung zur Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht nachgekommen sei. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt und ausgehend von dieser unzutreffenden Rechtsansicht die Prüfung der Frage, ob im Fall des Beschwerdeführers von der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen werden könne, unterlassen bzw. keine Ausführungen zu den dargestellten Ermessenskriterien in die Begründung des angefochtenen Bescheides aufgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Februar 1999

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