VwGH 97/01/0793

VwGH97/01/079316.12.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des K, geboren 1962, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, Steegenstraße 3, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 6. Juni 1997, Zl. Sich01-433-1996-Hol, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Ladung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §28 Abs3;
SPG 1991 §29 Abs1;
SPG 1991 §65 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §28 Abs3;
SPG 1991 §29 Abs1;
SPG 1991 §65 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 6. Juni 1997 wurde der Beschwerdeführer

1. auf Grundlage der §§ 64, 65 Abs. 1 und Abs. 4 sowie 77 Abs. 2 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991, in der geltenden Fassung (SPG), verpflichtet, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen und

2. gemäß § 77 Abs. 3 SPG und § 19 AVG zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung für den 23. Juni 1997 geladen, wobei für den Fall der Nichtbefolgung des Ladungsbescheides eine Zwangsstrafe in der Höhe von S 1.500,-- angedroht wurde.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, daß gegen den Beschwerdeführer am 10. Juni 1996 Anzeige wegen des Verdachtes der Begehung des Vergehens der Vollstreckungsvereitelung erstattet worden sei. Im Zuge der dazu geführten Erhebungen sei der Beschwerdeführer vom Gendarmerieposten Raab zur erkennungsdienstlichen Behandlung aufgefordert worden. Der Beschwerdeführer habe dies verweigert. Am 14. März 1997 sei der Beschwerdeführer vom Oberlandesgericht Linz (wegen des Vergehens der Vollstreckungsvereitelung als Beteiligter gemäß §§ 12 dritter Fall, 162 Abs. 1 und Abs. 2 StGB) rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Da der Beschwerdeführer somit einen gefährlichen Angriff begangen und die erkennungsdienstliche Behandlung verweigert habe, lägen alle Voraussetzungen dafür vor, den Beschwerdeführer bescheidmäßig zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu verpflichten.

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des SPG haben folgenden Wortlaut:

"§ 16. ...

(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer

1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB) BGBl. Nr. 60/1974

...

strafbaren Handlungen, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird.

§ 28. (1) Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben haben die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen vor dem Schutz anderer Güter Vorrang einzuräumen.

(2) Sie dürfen zur Erfüllung der ihnen in diesem Bundesgesetz übertragenen Aufgaben alle rechtlich zulässigen Mittel einsetzen, die nicht in die Rechte eines Menschen eingreifen.

(3) In die Rechte eines Menschen dürfen sie bei der Erfüllung dieser Aufgaben nur dann eingreifen, wenn eine solche Befugnis in diesem Bundesgesetz vorgesehen ist und wenn entweder andere Mittel zur Erfüllung dieser Aufgaben nicht ausreichen oder wenn ihr Einsatz außer Verhältnis zum sonst gebotenen Eingriff steht.

§ 29. (1) Erweist sich ein Eingriff in Rechte von Menschen als erforderlich (§ 28 Abs. 3), so darf er dennoch nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg wahrt.

...

§ 64. ...

(6) Soweit die Zulässigkeit einer Maßnahme nach diesem Hauptstück vom Verdacht abhängt, der Betroffene habe einen gefährlichen Angriff begangen, bleibt diese Voraussetzung auch nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der entsprechenden gerichtlich strafbaren Handlung (§ 16 Abs. 2) bestehen.

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen, die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Hievon kann solange abgesehen werden, als nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen.

...

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

...

§ 77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.

(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.

..."

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, rechtskräftig wegen der Beteiligung an einer Vollstreckungsvereitelung verurteilt worden zu sein und bekämpft auch nicht die - unbedenkliche - Ansicht der belangten Behörde, daß er somit gemäß § 64 Abs. 6 SPG im "Verdacht" stehe, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben und daher die Voraussetzungen für die erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 65 Abs. 1 erster Satz SPG gegeben sind.

Er wendet jedoch ein, daß die belangte Behörde das ihr im zweiten Satz dieser Bestimmung eingeräumte Ermessen, von der erkennungsdienstlichen Behandlung abzusehen, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Betroffene weitere gefährliche Angriffe begehen werde, fehlerhaft geübt, dazu keine Erhebungen gepflogen und den Bescheid insoweit nicht begründet habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde führte aus, daß der Beschwerdeführer schon aufgrund der begangenen Straftat und der Verweigerung der erkennungsdienstlichen Behandlung jedenfalls zur Duldung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme zu verpflichten sei. Sie vertrat damit im Ergebnis die Ansicht, daß der zweite Satz des § 65 Abs. 1 SPG die Behörde nicht verpflichte, für die Frage der Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung auch das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle - nach Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens - zu beurteilen. Diese Ansicht wird durch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum SPG (148 Blg.NR 18. GP) gestützt, wonach von der Normierung einer Verpflichtung, in Fällen mangelnder Wiederholungsgefahr von der erkennungsdienstlichen Behandlung abzusehen, Abstand genommen worden sei, um förmliche Verfahren darüber, ob die Gefahr weiterer Angriffe bestehe oder nicht, zu vermeiden. Dies führte zu dem Ergebnis, daß es in Fällen mangelnder Rückfallsgefahr im freien Ermessen der Behörde stünde, eine erkennungsdienstliche Behandlung anzuordnen oder nicht, und dem Betroffenen diesbezüglich keine Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung stünde. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes kommt dem Gesetz jedoch aus folgenden Gründen ein anderer Inhalt zu.

Die im zweiten Satz des § 65 Abs. 1 verwendete Formulierung, "... kann so lange abgesehen werden, ...", deutet typischerweise auf ein der Behörde eingeräumtes Ermessen hin (Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrecht8, RZ 576). Ermessen liegt gemäß § 130 Abs. 2 B-VG dann vor, wenn das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens der Verwaltungsbehörde absieht und die Bestimmung dieses Verhaltens der Behörde selbst überläßt; in einem solchen Fall hat die Behörde von ihrem Ermessen jedoch im Sinne des Gesetzes Gebrauch zu machen. Ermessensbescheide sind in gleicher Weise zu begründen wie andere Bescheide. Die Behörde hat daher den Sachverhalt vollständig und richtig zu ermitteln und in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz erforderlich ist (vgl. etwa den hg. Beschluß vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490 mwN).

Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung handelt es sich um eine Befugnis der Sicherheitsbehörden, die einen Eingriff auch in die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Betroffenen mit sich bringt (Wiederin, Sicherheitspolizeirecht, 1998, RZ 650 f). Ein derartiger Eingriff ist nach dem SPG an strenge Voraussetzungen geknüpft. Er hat gemäß §§ 28 Abs. 3 und 29 Abs. 1 SPG insbesondere zur Voraussetzung, daß andere Mittel nicht ausreichen oder ihr Einsatz unverhältnismäßig wäre und daß die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg gewahrt bleibt. Von daher gesehen kann nicht angenommen werden, daß es das Gesetz in Fällen, in denen zwar die genannten Grundvoraussetzungen vorliegen, jedoch keine Wiederholungsgefahr besteht, der Behörde völlig frei stellt, eine erkennungsdienstliche Behandlung anzuordnen, zumal bei einem Gesetz, das zu einem Grundrechtseingriff ermächtigt, ein besonders strenges Determinationserfordernis besteht (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1985, Slg. 10.737). Es sei hinzugefügt, daß sich der Verwaltungsgerichtshof etwa in dem Erkenntnis vom 22. April 1998, Zl. 96/01/0784, im Rahmen des Überprüfung eines Bescheides, mit dem die erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet wurde, - ebenso wie die dort belangte Behörde - auch mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob zu befürchten sei, der Beschwerdeführer werde weitere gefährliche Angriffe begehen.

Die Bestimmung des § 65 Abs. 1 SPG räumt somit der Behörde insofern Ermessen ein, als sie in bestimmten Fällen trotz des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen hiefür von der erkennungsdienstlichen Behandlung absehen kann. Ein solcher Fall liegt jedenfalls vor, wenn nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen. Da bei niemandem mit absoluter Gewißheit ausgeschlossen werden kann, daß er in Hinkunft gefährliche Angriffe begehen werde, ist es für das Bestehen einer Möglichkeit zum Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung im Rahmen einer Ermessensentscheidung ausreichend, wenn - etwa aufgrund der Art des begangenen Delikts oder der konkreten Umstände bei der Tatbegehung - nur eine geringe Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Angriffe besteht. Aus der Bestimmung des § 65 Abs. 1 erster Satz SPG ergibt sich, daß für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung grundsätzlich der Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffes ausreicht. Das Gesetz geht daher davon aus, daß üblicherweise bei einem Rechtsbrecher die Gefahr weiterer Angriffe besteht. Für die erkennungsdienstliche Behandlung ist daher keinesfalls erforderlich, daß aufgrund besonderer Umstände, wie etwa eines bereits vorliegenden Rückfalles, eine evidente Wiederholungsgefahr vorliegt; vielmehr ist für das Bestehen eines Ermessensspielraumes für die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung Voraussetzung, daß nach den Umständen des Einzelfalles nur eine vergleichsweise geringe Gefahr der Begehung weiterer Angriffe besteht.

Die maßgeblichen Kriterien für das im aufgezeigten Rahmen bestehende Ermessen sind nicht ausdrücklich im SPG enthalten. Sie sind daher aus den diesem Gesetz zugrundeliegenden Prinzipien abzuleiten. Insbesondere stellt es zweifellos ein Kriterium für das Ermessen dar, ob aufgrund besonderer Umstände die Wiederholungsgefahr nahezu nicht gegeben ist, oder doch eine - wenn auch geringe - solche Gefahr besteht. Überdies ist zu berücksichtigen, ob lediglich die Begehung solcher Delikte zu befürchten ist, für deren Aufklärung die ermittelten erkennungsdienstlichen Daten keine oder nur eine geringe Hilfe darstellen können. Diesfalls kommt ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung eher in Betracht als bei der Gefahr der Begehung anderer Delikte.

Die belangte Behörde verkannte insoweit die dargestellte Rechtslage, als sie die Ansicht vertrat, der Beschwerdeführer sei schon deshalb jedenfalls zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu verpflichten gewesen, weil er einen gefährlichen Angriff begangen und die Aufforderung zur erkennungsdienstlichen Behandlung mißachtet habe. Es fehlen daher auch - auf einem Ermittlungsverfahren bzw. auf Erhebungen im Dienste der Strafjustiz basierende - Ausführungen zu den Ermessenskriterien.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Vorlage des angefochtenen Bescheides nur in einfacher Ausfertigung erforderlich war.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 16. Dezember 1998

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