VwGH 97/01/0302

VwGH97/01/030228.1.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde

  1. 1.) des Akija Mahmutovic, geboren am 16. Februar 1960, und
  2. 2.) der Razija Mahmutovic, geboren am 24. Februar 1963, mit minderjährigen Kindern Nermina Mahmutovic, geboren am 9. November 1992, und Semir Mahmutovic, geboren am 9. Juni 1989, alle in Strengberg, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in Wien VII, Neubaugasse 12-14/20, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres 1.) vom 11. Februar 1997, Zl. 4.338.720/14-III/13/97, und 2.) vom 4. April 1997, Zl. 4.338.720/16-III/13/97, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, beschlossen und zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1 impl;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;
AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1 impl;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;

 

Spruch:

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid wird, soweit sie von dem mj. Kind Nermina Mahmutovic erhoben wurde, zurückgewiesen, im übrigen als unbegründet abgewiesen.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der "Jugosl. Föderation". Der Erstbeschwerdeführer reiste am 14. Mai 1992, die Zweitbeschwerdeführerin am 17. Mai 1992 in das Bundesgebiet ein. Sie beantragten am 17. Mai 1992 die Gewährung von Asyl. Sie wurden am 21. Mai 1992 niederschriftlich einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer gab hiebei an:

"Ich bin Kosovo-Albaner und gehöre der moslemischen Minderheit in meinem Heimatland an. Ich war nie Mitglied einer politischen Organisation o einer verbotenen Gruppierung. 1986 u 1989 war ich bei Demonstrationen in Pec beteiligt, wo es um die Freiheitsrechte und um die Demokratie in Kosovo ging. Wegen dieser Teilnahme hatte ich keine Probleme. Wegen meines Glaubensbekenntnisses hatte ich keine Probleme und durfte meine Religion frei ausüben. 1991 erhielt ich eine Einberufung fürs serbische Militär, dem ich jedoch nicht Folge leistete und nach Österreich flüchtete. In der Zwischenzeit verstarb mein Vater und ich kehrte zurück nach Kosovo. Da bekam ich abermals eine Einberufung und ich wollte nicht für die Bundesarmee kämpfen. Außerdem würde ich mit Sicherheit an die Front nach Bosnien geschickt werden. Ich wollte nicht auf meine Freunde u Bekannten sowie auf das Volk schießen, welches ich genauso respektierte wie alle in Jug lebenden Leute. Dies ist der einzige u wahre Grund für meine Flucht und ich würde mich unter den jetzigen Umständen nicht in meine Heimat zurückwagen. Weitere Gründe kann ich nicht angeben und ging deshalb nicht nach Kroatien o Slowenien, weil es dort ebenfalls Krieg gibt."

Die Zweitbeschwerdeführerin gab als Fluchtgründe an:

"Ich bin Kosovo-Albanerin und gehöre der Minderheit der Moslems in meiner Heimat an. Ich war nie Mitglied einer politischen Organisation oder einer verbotenen Gruppierung und hatte vor dem Beginn des Bürgerkrieges keine Probleme wegen meiner Glaubensbekennung. 1986 u 1989 war ich bei Demos anwesend, ebenso wie mein Mann, wo es in Pec um die Freiheitsrechte für Kosovo ging. Dies waren friedliche Demonstrationen. Derzeit herrscht in ganz Jug Bürgerkrieg und die jetzige Lebenslage ist sehr kritisch und unerträglich. Mein Mann ist 1991 im November vor dem Einberufungsbefehl der Bundesarmee geflohen und nach Österreich gegangen. Er kam jedoch wieder zurück als ich ihn verständigte, daß sein Vater gestorben ist. Als mein Mann weg war, wurde ich jeden Tag von der Militärpolizei um Mitternacht geweckt und traktiert, wo mein Mann sei, ich solle ihn nicht länger verstecken. Er war aber in Österreich. Nach dem Begräbnis mußte er sich verstecken, und dasselbe ging von vorne los. Es war nicht mehr auszuhalten und so beschlossen wir, daß wir nach Österreich gehen würden. Ich war schwanger bzw bin es und verließ Kosovo 1 Tag später als mein Mann. Weitere Gründe kann ich nicht angeben und würde momentan auch nicht wieder dort hin zurückgehen."

Mit den Bescheiden vom 30. Juni 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention bei den Beschwerdeführern nicht zuträfen.

Aufgrund der dagegen erhobenen Berufungen erließ die belangte Behörde die Bescheide vom 1. Februar 1993. Der Verwaltungsgerichtshof hob die Bescheide mit den Erkenntnissen vom 14. Dezember 1994, Zl. 93/01/0749 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) und Zl. 93/01/0678 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), wegen verfehlter Anwendung des Asylgesetzes 1991 auf.

Im fortgesetzten Verfahren räumte die belangte Behörde mit Schreiben vom 9. Jänner 1997 dem Erstbeschwerdeführer die Möglichkeit ein, zu dem am 21. Juni 1996 im Amtsblatt der "Jugoslawischen Förderation" Nr. 28/96 verlautbarten und somit am 22. Juni 1996 in Kraft getretenen Amnestiegesetz Stellung zu nehmen. Im Zuge dieser Stellungnahme vom 27. Jänner 1997 brachte der Erstbeschwerdeführer unter anderem auch vor:

"Es darf, glaube ich, in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen werden, daß von Beginn des Balkankrieges an bereits bekannt war, daß die jugoslawischen Behörden mit den vor allem gegenüber ethnischen Albanern erfolgten Einberufungsbefehlen und Einleitungen von Strafverfahren wegen Wehrdienstentzuges weniger die Sicherstellung der Wehrfähigkeit der Armee beabsichtigt waren als vielmehr die zielgerichtete Vertreibung ethnischer Albaner zu dem Zweck, die albanischen Autonomiebestrebungen im Kosovo durch sukzessive Erhöhung des Anteiles der serbischen Bewohner des Kosovo zu unterminieren."

Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin ordnete die belangte Behörde deren Einvernahme zwecks Vorhalt an, daß sie durch den ihr am 5. Dezember 1994 von der Botschaft der "Jugoslawischen Föderation" in Wien ausgestellten Reisepaß den Schutz ihres Heimatlandes begehrt und durch die Ausfolgung des Nationalreisepasses auch tatsächlich erhalten habe. Die Zweitbeschwerdeführerin gab hiezu in der niederschriftlichen Einvernahme vom 14. März 1997 an, sie wohne seit Juni 1994 in einer von der Hilfsorganisation Caritas zur Verfügung gestellten Unterkunft. Sie sei im Dezember 1994 von einer "Dame der Hilfsorganisation Caritas" aufmerksam gemacht worden, daß ihr Reisepaß demnächst (5. Dezember 1994) ablaufe. Die Dame habe die Zweitbeschwerdeführerin ersucht, bei der Vertretungsbehörde ihres Heimatstaates in Wien die Ausstellung eines neuen Reisepasses zu beantragen. Die Dame habe ihr Geld für allfällige Gebühren gegeben. Die Zweitbeschwerdeführerin habe die Ausstellung des Reisepasses beantragt. Sie sei gefragt worden, seit wann sie sich in Österreich aufhalte und wo sie wohne. Sie habe wahrheitsgemäß geantwortet, im Jahr 1992 nach Österreich gekommen zu sein und in einer Unterkunft der Hilfsorganisation Caritas, sowie auch in Traiskirchen gewohnt zu haben. Von der Asylantragstellung habe sie nichts gesagt. Sie habe am 5. Dezember 1994 einen Reisepaß der Botschaft der "Jugoslawischen Föderation" ausgestellt erhalten. Ohne Ersuchen der Dame der Hilfsorganisation Caritas hätte die Zweitbeschwerdeführerin die Ausstellung eines jugoslawischen Reisepasses nicht beantragt. Ihr sei keinesfalls bewußt gewesen, daß sie sich durch die Antragstellung und durch die Innehabung des Reisepasses eventuell unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt habe. Des weiteren erstattete die Zweitbeschwerdeführerin ein ergänzendes Vorbringen zu der ihr drohenden Verfolgung:

"Seit dem Jahre 1992, bis zuletzt vor etwa eineinhalb Monaten, habe ich aus vielen Gesprächen mit Asylwerbern aus Jugoslawien, insbesondere aus Montenegro stammend, erfahren, daß in der Kleinstadt Plav, meiner Heimatstadt, und auch in anderen Gebieten Montenegros, oftmals randalierende Soldaten willkürlich Gewaltakte gegen die Bürger setzen. Diese randalierenden Soldaten, so erzählten mir die Asylwerber, schossen oder stachen oftmals auf Menschen. Oftmals, so wurde mir erzählt, seien Menschen aus Autobussen gezerrt und erschossen oder erstochen worden.

Mein Vater verstarb im Mai 1992 in Plav an einer Krankheit. Ich wagte nicht, zur Beerdigung in meine Heimatstadt zu fahren, da ich sowohl hinsichtlich meiner Person als auch hinsichtlich meiner beiden Kinder, Nermina, geb. am 09.11.1992, und Semir, geb. am 09.06.1989, befürchtete, auf erwähnte Art und Weise Opfer von Gewaltakten von Soldaten zu werden. Ich wäre gezwungen gewesen, meine beiden Kinder zum Begräbnis mitzunehmen, da ich meine Kinder noch nie alleine gelassen habe. Im März 1990 oder 1991 war mein damals acht Monate alter Sohn namens Nermin schwer krank. Ich war mit meinem Sohn in einem Taxi unterwegs zum Krankenhaus. Polizisten hielten mich an und wiesen mich an, in mein Haus zurückzufahren. Mein Sohn verstarb, da er nicht ärztlich behandelt wurde. Ich gebe dies an, um auf die Willkürakte in meinem Heimatland hinzuweisen.

Ich kann nicht mehr in mein Heimatland zurückkehren, da dort für mich und meine beiden Kinder, aus erwähnten Gründen, nämlich durch die Gewaltakte randalierender Soldaten, die Gefahr bestünde, umgebracht zu werden. Ich habe durch Willkürakte der Polizisten, wie erwähnt, im März 1990 oder im März 1991, bereits ein Kind verloren."

Die belangte Behörde wies die Berufungen mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden ab.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Verbindung der Beschwerden aufgrund ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung erwogen hat:

In den Beschwerdefällen ist das Asylgesetz (1968) anzuwenden (siehe die genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Dezember 1994).

1. Betreffend den Erstbeschwerdeführer:

Die belangte Behörde befaßte sich in der Begründung des erstangefochtenen Bescheides ausführlich mit dem vom Parlament der "Jugoslawischen Föderation" am 18. Juni 1996 erlassenen Amnestiegesetz betreffend Wehrdienstverweigerer und Deserteure sowie mit den hiegegen in der Berufung vorgebrachten Argumenten. Sie kam zum Ergebnis, daß dem Erstbeschwerdeführer aufgrund des Amnestiegesetzes keine Bestrafung wegen des Umstandes drohe, daß er der Militärdienstpflicht nicht nachgekommen sei. Die belangte Behörde setzte fort:

"Darüber hinaus ist grundsätzlich festzuhalten, daß die Einberufung zum Militärdienst keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellt, da die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben ist, wenn die staatlichen Maßnahmen der Durchsetzung staatsbürgerlicher Pflichten dienen.

So sind Ihrem Vorbringen keine konkreten Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß mit Ihrer Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre.

Es kann nicht erkannt werden, daß die Einberufung zum Militärdienst an ein asylerhebliches Merkmal in Ihrer Person angeknüpft hätte, besteht doch in Ihrem Heimatland allgemeine Wehrpflicht, sodaß Ihre Einberufung keine außergewöhnliche Situation darstellt. Sie haben auch nicht dargetan, daß die Einberufung eine Art Strafreaktion auf ein unter dem Schutz des Asylrechtes stehendes Verhalten Ihrer Person wie etwa eine politische Betätigung dargestellt habe. Letztlich ist auch anzumerken, daß sich Ihr Heimatland nicht im Kriegszustand befindet, sodaß Ihre Befürchtungen an die Front geschickt zu werden und dort gegen Kroaten und Bosnier kämpfen zu müssen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls unbegründet ist."

Der belangten Behörde ist zunächst insoweit beizupflichten, als die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, daß dem Asylwerber aus diesen Gründen eine - im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A).

Der Erstbeschwerdeführer hat aber bereits in seiner Stellungnahme vom 27. Jänner 1997 ausdrücklich geltend gemacht, daß vor allem ethnische Albaner aus näher ausgeführten ethnischen politischen Gründen zum Militär eingezogen und im Falle des "Wehrdienstentzuges" strafrechtlich verfolgt würden.

Diesen Ausführungen kann im Lichte der angeführten Rechtsprechung hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden.

Die belangte Behörde hätte sich aufgrund der Anwendung des Asylgesetzes (1968) mit dem gesamten Vorbringen des Erstbeschwerdeführers im Verwaltungsverfahren auseinanderzusetzen gehabt. Indem sie den in der Stellungnahme vom 27. Jänner 1997 behaupteten Zusammenhang gerade zwischen der Einberufung des Erstbeschwerdeführers zum Militärdienst und seiner Eigenschaft als Angehöriger der von den Serben unterdrückten albanischen Nationalität im Kosovo verkannte und deshalb in weiterer Folge verabsäumte, diesbezüglich nähere Ermittlungen im Sinne der Ausführungen im genannten Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994 (auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) anzustellen, belastete sie den erstangefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Damit erübrigt sich eine Befassung mit der darüber hinausgehenden Begründung des angefochtenen Bescheides (betreffend "Amnestiegesetz", allgemeine Diskriminierungen, Suche nach Waffen, Vorfälle aus 1981 und 1984) sowie mit dem hiegegen erstatteten Beschwerdevorbringen.

2. Zum zweitangefochtenen Bescheid:

Das minderjährige Kind Nermina ist nicht Adressat des zweitangefochtenen Bescheides, weshalb ihm keine Beschwerdelegitimation zukommt und daher die Beschwerde insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen war.

Die Zweitbeschwerdeführerin bringt gegen die Annahme der Unterschutzstellung durch die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses der "Jugoslawischen Föderation" durch deren Botschaft in Wien vor, die belangte Behörde habe maßgebliche Sachverhalte übersehen, welche ihr bei eingehender Ermittlungstätigkeit hätten auffallen müssen, etwa bei einer Befragung der von der Zweitbeschwerdeführerin genannten Caritas-Mitarbeiterin nach dem konkreten Grund, warum von der Zweitbeschwerdeführerin im Dezember 1994 die Beantragung eines Reisepasses verlangt worden sei. Die ergänzende Einvernahme der Caritas-Mitarbeiterin hätte ergeben, daß die Zweitbeschwerdeführerin seit 1994 nahezu durchgehend Inhaberin von arbeitsrechtlichen Bewilligungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gewesen sei. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin sei bereits im Mai 1993 aus der Bundesbetreuung entlassen und in diese nicht wieder aufgenommen worden. Das Überleben der Familie danach sei aufgrund der restriktiven Sozialhilfe-Gesetzgebung alleine durch die zeitweilige Unterstützung der Caritas oder aber - nach der bis Ende 1994 geltenden Rechtslage - durch Aufnahme einer Beschäftigung auf Grundlage ihrer asylrechtlichen Aufenthaltsbewilligung noch möglich gewesen. Es sei nach wie vor ständige Praxis der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice, arbeitsrechtliche Bewilligungen ausschließlich bei Vorlage eines gültigen Reisedokumentes sowie bei Nachweis einer bestehenden Aufenthaltsberechtigung (seit 1. Jänner 1995 nur mehr einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz) zu erteilen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe es letztlich nur dem ihr am 5. Dezember 1994 von der Botschaft ausgestellten jugoslawischen Reisepaß zu verdanken, daß sie seit dem Jahr 1994 und auch noch bis zum heutigen Tag ihre Familie aufgrund aufrechter arbeitsrechtlicher Bewilligungen versorgen könne.

Die Zweitbeschwerdeführerin zieht unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1996, Zl. 95/20/0628, daraus den Schluß, daß die Beantragung des Reisepasses nicht freiwillig erfolgt sei.

Abgesehen davon, daß die Zweitbeschwerdeführerin in der ausführlichen niederschriftlichen Einvernahme vom 14. März 1997 weder den Namen der "Dame der Hilfsorganisation Caritas" genannt hat, welche sie um die Beantragung eines neuen Reisepasses ersucht habe, noch die nunmehr in der Beschwerde genannten Gründe angedeutet hat, weshalb das nunmehrige Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde (inklusive der erstmaligen Bekanntgabe des Namens der Bediensteten der Caritas) dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot unterliegt, führte das Beschwerdevorbringen jedoch selbst im Falle, daß es zu berücksichtigen wäre, die Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn in dem von der Zweitbeschwerdeführerin zitierten Erkenntnis vom 18. Dezember 1996 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt:

"Der belangten Behörde ist im weiteren auch zuzugeben, daß der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertritt, daß die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses den Tatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991 (damit inhaltlich ident mit Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, die im vorliegenden Fall direkt Anwendung zu finden hat) erfüllt, wenn nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 12. September 1996, Zl. 96/20/0531, und vom 24. Oktober 1996, Zl. 96/20/0587, jeweils mit der dort wiedergegebenen Lehre und Rechtsprechung).

Es wurde bereits in den zuvor genannen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. September bzw. 24. Oktober 1996 dargelegt, daß im Einzelfall ein anderes Ergebnis (als die Annahme der Unterschutzstellung) gewonnen werden kann, wenn Umstände vorgetragen werden, die die Freiwilligkeit des zu beurteilenden Verhaltens in Frage stellen. Die Freiwilligkeit in diesem Sinne wird nach Lehre und Rechtsprechung nicht ausgeschlossen durch den Wunsch, Rechtsvorteile des schutzgewährenden Staates zu erlangen, die dieser an die nationale Zugehörigkeit des Betroffenen knüpft. Dort jedoch, wo die Behörden des Schutzstaates selbst die Vorlage von Identitätspapieren für nötig erachten, wurde auch bereits vom Verwaltungsgerichtshof die "Freiwilligkeit" der Unterschutzstellung verneint (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0838; Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law, Band 1, Seite 387)."

Im gegenständlichen Fall zeigt das Beschwerdevorbringen den Wunsch der Zweitbeschwerdeführerin auf, Rechtsvorteile des Schutz gewährenden Staates durch die Beantragung der Ausstellung eines Reisepasses ihres Heimatstaates erlangen zu wollen (arbeitsmarktrechtliche Bewilligungen). Daß die Behörden des Schutzstaates für die Erteilung des gewünschten Rechtsvorteiles die Vorlage eines Ausweises für nötig erachten, ist nicht mit dem Fall zu vergleichen, in dem die Behörden des Schutzstaates von sich aus die Vorlage von Identitätspapieren verlangen (etwa wie im Erkenntnis vom 18. Dezember 1996 zur Erfüllung der Meldepflicht; vgl. hiezu insbesondere das die Verlängerung eines Reisepasses zum Zweck der "Erlangung einer Arbeitserlaubnis" und "Vorlage an der Universität Wien zum Zwecke der Inskription als ordentlicher Hörer" betreffende hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1996, Zl. 96/20/0587).

Es ist daher nicht rechtswidrig, daß die belangte Behörde annahm, die Zweitbeschwerdeführerin habe sich durch Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses ihres Heimatlandes durch dessen Botschaft in Wien im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt, weshalb durch diesen Ausschließungsgrund gemäß § 1 Asylgesetz (1968) die Flüchtlingseigenschaft der Zweitbeschwerdeführerin nicht gegeben sei.

Einer Prüfung der Fluchtgründe der Zweitbeschwerdeführerin bedarf es unter diesen Umständen nicht mehr.

Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich in beiden Fällen auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte