VwGH 96/09/0096

VwGH96/09/009620.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Höß, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerden des Disziplinaranwaltes gegen die Bescheide der Disziplinaroberkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung jeweils vom 5. Februar 1996,

Zlen. LAD-15.10-5/95 und LAD-15.10-6/95, jeweils betreffend Freispruch in einem Disziplinarverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. Erik H und 2. Renate T, beide in Leoben und vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, Hauptplatz 12/II), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3;
AVG §45 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Das Land Steiermark hat den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Beide Mitbeteiligte stehen als Regierungsrat (Dr. Erik H) bzw. als Oberkontrollor (Renate T) in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Steiermark.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen (nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof) erstangefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. Februar 1996 wurde der Berufung des mitbeteiligten Dr. Erik H Folge gegeben, das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung vom 19. April 1995 behoben, der beschuldigte mitbeteiligte Dr. Erik H von den Anschuldigungen, daß er

a) am 9.1.1995 in der Zeit zwischen 8.30 Uhr und 10.30 Uhr in dem Raum anwesend war, wo Karl W von Christian G im Zusammenwirken mit Renate T mit einer Sesselleiste bzw. einem Lineal geschlagen, mit einer Klammermaschine bedroht und dessen Kopf mit dem Kopiergerät kopiert worden sei, er sich darüber amüsierte und es unterlassen habe, die Vorgänge zu verhindern oder dem Vorgesetzten Meldung zu erstatten und

b) in Abwesenheit des Amtsvorstandes oder auch an Freitag-Nachmittagen regelmäßig mit Oberkontrollor Renate T, Christian G, Waltraud N und Karl W gefeiert zu haben und dabei viel Alkohol konsumiert zu haben,

freigesprochen und das Disziplinarverfahren eingestellt.

Zur Begründung dieses Freispruches führte die belangte Behörde im erstangefochtenen Bescheid im wesentlichen aus, das im Berufungsverfahren durchgeführte Ermittlungsverfahren habe - abgesehen vom Zeugen Edwin K - keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß Dr. H bei der ihm zur Last gelegten Tat am 9. Jänner 1995 anwesend gewesen sei. Auch die Disziplinarkommission erster Instanz sei bereits von einer Widersprüchlichkeit der Beweisergebnisse ausgegangen und habe ihren Schuldspruch ausschließlich mit dem "glaubhaften Eindruck des Zeugen Edwin K" begründet. Daß lediglich dieser Zeuge angegeben habe, der mitbeteiligte Dr. H sei in der Tür gestanden, reiche für einen Schuldspruch (hinsichtlich der ersten Anschuldigung) nicht aus. Der in diesem Zusammenhang als "Kronzeuge" zu betrachtende W habe weder eine aktive noch eine passive Teilnahme Dris. H bestätigen können. Hinsichtlich der zweiten Anschuldigung habe die Disziplinarkommission erster Instanz als erwiesen angenommen, daß diese Vorfälle "regelmäßig" erfolgt seien. Das von der belangten Behörde durchgeführte Beweisverfahren habe jedoch ergeben, daß Feiern nur zu bestimmten Anlässen (Beförderungen oder Geburtstage) und nach der Blockzeit stattgefunden hätten. Daß Erhebungen über konkrete Tatzeiten durchgeführt worden wären, könne die belangte Behörde nicht feststellen. Der Disziplinaranwalt habe den Sachverhalt nicht weiter erhellen können. Es fehle demnach (hinsichtlich der zweiten Anschuldigung) die erforderliche Präzisierung der Tatzeit.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen (nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof) zweitangefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. Februar 1996 wurde der Berufung der mitbeteiligten Renate T Folge gegeben, das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung vom 18. Mai 1995 behoben, die beschuldigte mitbeteiligte Renate T von den Anschuldigungen, daß sie als Beamtin der Agrarbezirksbehörde Leoben

a) zusammen mit Christian G ihren Kollegen Karl W insbesondere am 9.1.1995 in der Zeit zwischen 8.30 Uhr und 10.30 Uhr und am 17.1.1995 in der Zeit zwischen 10.30 Uhr und 12.30 Uhr mit einer Sesselleiste bzw. einem Lineal geschlagen habe, nachdem ihr dieser von seiner masochistischen Veranlagung erzählt und zusammen mit Christian G mit einer Klammermaschine auf Karl W losgegangen sei, um ihm "einen Ohrring" einzuziehen, wozu es aber letztlich nicht gekommen sei,

b) die Weisung des Amtsvorstandes, den neu hinzugekommenen Edwin K in der Kanzlei eingehend einzuschulen, nicht entsprochen und statt dessen die Schreibkraft Waltraud N und Karl W damit beauftragt habe,

c) in Abwesenheit des Amtsvorstandes oder auch an Freitag-Nachmittagen regelmäßig mit Regierungsrat Dr. Erik H, Christian G, Waltraud N und Karl W gefeiert habe und dabei viel Alkohol konsumiert worden sei,

d) wie Karin S beobachtete, am 9.1.1995 in der Zeit zwischen 12.15 Uhr und 12.30 Uhr mit Karl W herumgeschrien habe, weil er irgendwelche Arbeiten nicht gemacht hätte und

e) laut Aussage von Karin S diese ersuchte, für den Fall eines Disziplinar- oder Versetzungsverfahrens auszusagen, daß sie alle Mitarbeiter gut behandelt habe und alle aufgezeigten Vorfälle nur Späße gewesen seien,

freigesprochen und das Disziplinarverfahren eingestellt.

Zur Begründung dieses Freispruches führte die belangte Behörde im zweitangefochtenen Bescheid im wesentlichen aus, nach nochmaliger Befragung der Zeugen habe die Anschuldigung

a) nicht als erwiesen angenommen werden können; insoweit sei dem Antrag des Disziplinaranwaltes und der Verteidigung gefolgt worden. Hinsichtlich der Anschuldigung b) sei im Ermittlungsverfahren hervorgekommen, daß die mitbeteiligte T beauftragt worden sei, Edwin K persönlich einzuschulen. In der in Frage kommenden Zeit (vier Tage) seien überwiegend Frau N und Herr W mit der Einschulung betraut gewesen. Die mitbeteiligte T habe die Einschulung aber nicht gänzlich diesen genannten Kollegen überlassen. Durch die gewählte Vorgangsweise habe die Mitbeteiligte den ihr erteilten Auftrag zwar nicht völlig ordnungsgemäß erfüllt, sie sei aber in Ermangelung weiterer Beweisergebnisse nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" von dieser Anschuldigung freizusprechen gewesen. Hinsichtlich der Anschuldigung c) wurde von der belangten Behörde - übereinstimmend mit der im erstangefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung - das Fehlen einer konkretisierten Tatzeit angenommen. Das Ermittlungsverfahren habe hinsichtlich der Anschuldigung d) ergeben, daß die beschuldigte Beamtin mehrmals einen "schärferen Ton" gegenüber Kollegen oder Untergebenen angenommen habe. Die belangte Behörde habe sich aber auch ein Bild darüber machen können, mit "welch problematischen Bediensteten" sich die Mitbeteiligte bei ihrer damaligen Dienststelle habe auseinandersetzen müssen. Die belangte Behörde folge daher den Anträgen des Disziplinaranwaltes und der Verteidigung, wonach in diesem Punkt keine Dienstpflichtverletzung vorliege. Der von der Zeugin Karin S geschilderte Sachverhalt sei nicht als erwiesen anzunehmen. Aber selbst wenn dieser Sachverhalt erwiesen worden wäre, könnte die Anschuldigung e) nicht als Verletzung der Dienstpragmatik qualifziert werden.

Gegen diese Bescheide richten sich die mit einem Schriftsatz vom Disziplinaranwalt gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG im Zusammenhalt mit § 101a Abs. 2 der mit landesgesetzlichen Abweichungen im Land Steiermark als Landesgesetz in Geltung stehenden Dienstpragmatik 1914 (DP/Stmk) erhobenen (hinsichtlich des erstangefochtenen Bescheides zu

Zl. 96/09/0096, und hinsichtlich des zweitangefochtenen Bescheides zu Zl. 96/09/0170 protokollierten) Beschwerden.

Der Disziplinaranwalt beantragt, die beiden angefochtenen Bescheide "wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben".

Die belangte Behörde hat die Akten des Berufungsverfahrens vorgelegt (Akten über das erstinstanzliche Verfahren bzw. ein Verfahren der Dienstbehörde waren nicht angeschlossen) und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerden beantragt wird.

Die beiden Mitbeteiligten haben (mit einem Schriftsatz) eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerden wegen Verspätung und (für den Fall der Wahrung der Beschwerdefrist) die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

Zu der in der Gegenschrift der mitbeteiligten Parteien aufgeworfenen Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerden ist auszuführen, daß die vorliegenden Beschwerden innerhalb der (am 12. Februar 1996 durch Zustellung der angefochtenen Bescheide an den Disziplinaranwalt in Lauf gesetzten) Beschwerdefrist am 25. März 1996 zur Post gegeben und beim Verwaltungsgerichtshof am 26. März 1996 erstmals eingelangt sind. Der auf den Beschwerden zudem angebrachte, mit 28. Mai 1996 datierte Eingangsstempel betrifft nicht diese ursprüngliche Einbringung, sondern das Wiedereinlangen der Beschwerden beim Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens gemäß § 34 Abs. 2 VwGG. Die Beschwerdeerhebung erfolgte somit rechtzeitig unter Wahrung der sechswöchigen Frist nach § 26 Abs. 1 VwGG.

In den (über ausdrückliche Weisung erhobenen) Beschwerden wird im wesentlichen geltend gemacht, die Rechtsabteilung 1 des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung (Dienstbehörde) sei mit den vorliegenden Freisprüchen nicht einverstanden. Die Dienstbehörde habe die angeschlossenen Niederschriften mit Christian G und Waltraud N zur Verfügung gestellt; diese Niederschriften seien im Disziplinarverfahren nicht vorgelegen. Nach Ansicht der Dienstbehörde sei "für die Wahrheitsfindung offensichtlich doch zu wenig getan worden". Divergierende Zeugenaussagen seien "einfach hingenommen worden". Ein schwerer Verfahrensmangel sei darin gelegen, daß die belangte Behörde auf die Einvernahme "des eigentlichen Kronzeugen Edwin K" verzichtet habe. Von der Dienstbehörde werde "zur Rollenverteilung beim Vorfall am 9. Jänner 1995 festgestellt", daß W die Mißhandlungen provoziert habe, Renate T dabei Regie geführt und Christian G als ausführendes Organ fungiert habe. Dr. H habe sich dadurch mitschuldig gemacht, daß er sich daran amüsiert und keine geeigneten Schritte unternommen habe, um "die Vorfälle zu verhindern". Die "zahlreichen langdauernden Bürofeiern" könnten nicht als "Kavaliersdelikte oder womöglich als Spaß angesehen werden". Die Freisprüche seien geeignet, in der Kollegenschaft und in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, "beim Land könne einem eigentlich nichts passieren". Bei "Beachtung der aufgezeigten Mängel" hätte die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis gelangen müssen.

Dieses Vorbringen vermag den Beschwerden nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Wie auch in den Beschwerden ausdrücklich zugestanden wird, wurden die nunmehr angeschlossenen Niederschriften (mit Christian G und Waltraud N) im Disziplinarverfahren (weder von der Dienstbehörde selbst noch im Wege des Disziplinaranwaltes) nicht vorgelegt. Auf diese erstmals im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof neu angebotenen Nachweise (die von der belangten Behörde im Zeitpunkt ihrer Bescheiderlassung zwangsläufig noch nicht berücksichtigt werden konnten) war im Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) nicht einzugehen (vgl. insoweit auch das hg. Erkenntnis vom 19. März 1996, Zl. 94/04/0225, und die darin angegebene Vorjudikatur).

Insoweit in den Beschwerden die Unterlassung der Einvernahme des Zeugen Edwin K als Verfahrensmangel gerügt wird, ist zu erwidern, daß nach dem Inhalt des Protokolls vom 23. Jänner 1996 über den Verlauf der Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde keine der anwesenden Parteien einen Beweisantrag auf Einvernahme dieses Zeugen gestellt hat. Dem Protokoll der genannten Berufungsverhandlung ist auch zu entnehmen, daß der Disziplinaranwalt und der Verteidiger zuletzt (nach Wiederholung des Beweisverfahrens) in ihren Schlußanträgen darin übereinstimmten, daß die gegen die beiden Mitbeteiligten erhobenen Anschuldigungen nicht erwiesen worden bzw. nicht weiter aufrecht zu erhalten seien. Abgesehen davon, daß somit gar kein unerledigt gebliebener Beweisantrag vorlag, wird zudem auch die Relevanz des insoweit behaupteten Verfahrensmangels nicht dargelegt, ist doch den Beschwerden mit keinem Wort zu entnehmen, welcher konkrete Sachverhalt durch die Angaben des Zeugen Edwin K hätte nachgewiesen werden können.

Insoweit sich die Beschwerden gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung wenden, ist diesen Ausführungen entgegenzuhalten, daß die Beweiswürdigung der überprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes nur insofern unterliegt, als die Erwägungen dazu schlüssig dargelegt sind und auf einer Sachverhaltsgrundlage beruhen, die in einem mängelfreien Verfahren ausreichend erhoben wurde. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegen daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 549 ff abgedruckte hg. Judikatur). Das in dieser Hinsicht erstattete Beschwerdevorbringen ist im aufgezeigten Sinn aber nicht geeignet, Zweifel an der Nachvollziehbarkeit der von der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden dargelegten Erwägungen aufkommen zu lassen. Auf welche konkreten Beweisergebnisse die belangte Behörde den in den Beschwerden nur behautpeten (bzw. von der Dienstbehörde "festgestellten") Sachverhalt hätte stützen können, wird in den Beschwerden nicht aufgezeigt. Auch hinsichtlich der vorgeworfenen Bürofeiern sind den Beschwerden keine konkreten Tatzeiten zu entnehmen. Daß - wie im erstangefochtenen Bescheid ausgeführt wurde - hinsichtlich dieser Tatzeiten für die belangte Behörde auch (offenbar nach der Aktenlage) keine Erhebungen feststellbar waren, wird in den Beschwerden nicht bestritten.

Die Beschwerden gegen den erst- und den zweitangefochtenen Bescheid erweisen sich somit als unbegründet. Sie waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz der mitbeteiligten Parteien beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 Abs. 3, 48 Abs. 3 Z. 2, 49 Abs. 1 und 59 Abs. 3 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

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