VwGH 97/20/0230

VwGH97/20/023018.9.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des H in Waidhofen an der Ybbs, vertreten durch Dr. Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien I, Riemergasse 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. März 1997, Zl. 4.291.170/14-III/13/97, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 25. Dezember 1989 in das Bundesgebiet ein. Am 27. Dezember 1989 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 13. September 1993 wurde dieser Asylantrag infolge Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 3. November 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Mit Erkenntnis vom 29. November 1994, Zl. 94/20/0065, hob der Verwaltungsgerichtshof auf Grund der gegen den Bescheid der belangten Behörde gerichteten Beschwerde den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts (infolge Anwendung der Rechtslage nach dem Asylgesetz 1991 anstelle des Asylgesetzes ä1968ü) auf. Mit (erstem Ersatz-)Bescheid vom 21. August 1995 stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes. Infolge der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid mit seinem Erkenntnis vom 18. Dezember 1996, Zl. 95/20/0611, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (neuerlich) auf, wodurch das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde. Im Zuge des fortgesetzten Berufungsverfahrens wurde der Beschwerdeführer über Anordnung der belangten Behörde am 12. März 1997 durch das Bundesasylamt neuerlich einer Vernehmung unterzogen, anläßlich derer ihm vorgehalten wurde, daß er sich bei der türkischen Botschaft in Wien am 8. Dezember 1993 ein Reisedokument habe ausstellen und dieses mehrmals verlängern lassen, womit eine Unterschutzstellung im Sinne des Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention gegeben sei. Auf diesen Vorhalt antwortete der Beschwerdeführer, er habe sich den Reisepaß verlängern lassen, weil dies für seinen Verbleib in Österreich erforderlich gewesen sei. Die Bezirkshauptmannschaft Amstetten habe ihn aufgefordert, seinen Reisepaß verlängern zu lassen. Dazu legte der Beschwerdeführer zwei Schriftstücke der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vor, ohne damit die Erforderlichkeit der Gültigkeitsverlängerung seines Reisepasses zu dokumentieren, da es sich dabei lediglich um eine Ladung vom 2. Dezember 1993 mit der Aufforderung, "den Reisepaß, Lichtbild, 380,--, Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung sowie Beschäftigungsbewilligung" mitzubringen und um eine Bestätigung nach dem Aufenthaltsgesetz vom 7. Dezember 1993 ohne Bezugnahme auf ein Reisedokument handelte. Ergänzend dazu gab er an, er habe sich am 8. Dezember 1993 zur türkischen Botschaft begeben, sich jedoch nicht hineingetraut, weil er befürchtet habe, dort festgenommen zu werden. Vor dem Botschaftsgebäude habe er einen Türken kennengelernt, der sich bereit erklärt habe, für ihn die Verlängerung der Gültigkeit seines Reisepasses zu beantragen. Diesem habe er die erforderliche Geldsumme, die zur Verlängerung des Reisepasses notwendig gewesen sei, nämlich etwa 600 S, übergeben. Nach Durchführung der Verlängerung habe der Türke ihm erzählt, daß man ihn gefragt habe, weshalb nicht der Beschwerdeführer selbst gekommen sei. Daraufhin habe der Türke lediglich geantwortet, daß dieser (der Beschwerdeführer) "weit weg wohnen würde". Bei der zweiten Reisepaßverlängerung sei es ähnlich abgelaufen. Er habe einen befreundeten Türken damit beauftragt, seinen Reisepaß bei der türkischen Botschaft verlängern zu lassen. Dessen Name habe er nicht mehr in Erinnerung.

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde (neuerlich) aus, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968). Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe seinen Reisepaß am 8. Dezember 1993 sowie am 15. April 1996 verlängern lassen und habe damit den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention verwirklicht. Die Verlängerung der Gültigkeitsdauer eines Reisepasses sei eine der Formen, in denen ein souveräner Staat seinen im Ausland weilenden Bürgern seinen Schutz angedeihen lasse, werde doch durch die Innehabung eines zeitlich gültigen Passes dokumentiert, daß es sich bei der betreffenden Person nicht um einen Staatenlosen handle, sondern um eine solche, hinter der ein Völkerrechtssubjekt stehe, welches ihr "in casu" konsularischen Schutz angedeihen lassen könne und werde. Es könne somit durchaus davon gesprochen werden, daß die Verlängerung eines Reisepasses eine der Formen sei, in denen sich staatlicher Schutz manifestiere. Durch die zweimalige Antragstellung seit seiner Einreise in das Bundesgebiet habe der Beschwerdeführer diesen Schutz begehrt und durch die Verlängerung seines nationalen Reisepasses auch tatsächlich erhalten. Es fehle jeglicher Hinweis dafür, daß seine damaligen Antragstellungen nicht freiwillig erfolgt sein könnten. Auch anläßlich seiner Befragung am 12. März 1997 zur Wahrung des rechtlichen Gehöres habe er dem nichts entgegenzusetzen gehabt, ein Sichtvermerk könne auch in Bescheidform erteilt werden, ein Reisepaß sei somit für die Aufenthaltsberechtigung nicht notwendig gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Insoweit der Beschwerdeführer zunächst unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit geltend macht, die belangte Behörde hätte bei Überprüfung der Rechtmäßigkeit des bekämpften Bescheides zu Unrecht die Anträge des Beschwerdeführers auf Verlängerung seines Reisepasses verwertet, sie wäre dazu "auf Grund der Neuerungserlaubnis" nur dann berechtigt gewesen, wenn sie eine Abwägung mit den Argumenten des Beschwerdeführers (unter Wahrung des rechtlichen Gehörs) vorgenommen hätte, so ist ihr zunächst entgegenzuhalten, daß der belangten Behörde als Berufungsbehörde im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG grundsätzlich die Entscheidung in der Sache selbst (meritorisch) zusteht und sie berechtigt ist, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Dabei ist die belangte Berufungsbehörde berechtigt, auch auf neue, erst nach dem erstinstanzlichen Bescheid eingetretene Umstände Bedacht zu nehmen. Daß die belangte Behörde dabei den Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehöres zu Lasten des Beschwerdeführers nicht beachtet hätte, entspricht nicht der Aktenlage, da dem Beschwerdeführer vielmehr zur Frage der "Unterschutzstellung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention am 12. März 1997 im Beisein seines Rechtsvertreters explizit die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt worden ist.

Im übrigen vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, der Umstand, daß er die Reisepaßverlängerung nicht selbst durchführen habe lassen, sondern diese über eine dritte Person gegen Zahlung einer Geldsumme beantragt habe, lasse die Annahme der belangten Behörde als nicht schlüssig erscheinen, er habe sich wieder unter den Schutz seines Heimatstaates stellen wollen. Dabei zitiert der Beschwerdeführer ausnahmslos Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes, die die Frage der Indizwirkung einer durch das Heimatland des Asylwerbers erfolgten Paßausstellung vor der Flucht des Betreffenden und damit der legalen Ausreise aus dem Heimatland in bezug auf die dennoch gegebene Flüchtlingseigenschaft zum Gegenstand hatten, nicht aber die Frage des Asylausschließungstatbestandes des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (bzw. des § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991, welcher im vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist), infolge nach erfolgter Flucht durch Paßantragstellung vermuteter Unterschutzstellung. Im vorliegenden Fall geht es daher nicht darum, ob dem Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Flucht die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Konvention zukam oder nicht, sondern ausschließlich darum, ob diese im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde im Sinne der Bestimmungen der Genfer Konvention als gegeben anzusehen ist. Ist der Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention als gegeben zu erachten, bedarf es einer Prüfung der (ursprünglichen) Fluchtgründe des Betreffenden nicht mehr. Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention setzt die Flüchtlingseigenschaft u. a. voraus, daß der Betroffene nicht in der Lage oder im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen. Nicht nur der Wegfall der wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr, sondern schon der Wegfall der mangelnden Fähigkeit oder Bereitschaft, wegen der im Heimatland drohenden Verfolgung auch bloß außerhalb dieses Landes dessen Schutz in Anspruch zu nehmen, läßt die Flüchtlingseigenschaft in der im Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention geregelten Weise erlöschen. Die erfolgreiche Beantragung eines Passes ist eine typische Form der Unterschutzstellung im Sinne dieser Bestimmung und grundsätzlich ausreichend, um ihren Tatbestand zu erfüllen. Wenn ein Flüchtling einen Paß seines Heimatlandes "oder auch lediglich die Erneuerung des Passes beantragt und erhält, so läßt dies darauf schließen, daß er die Absicht hat, erneut den Schutz des Landes seiner Staatsangehörigkeit in Anspruch zu nehmen, es sei denn, er kann Beweise vorbringen, die diese Annahme widerlegen" (UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rz 120-124, und hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1996, Zl. 96/20/0587). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt daher in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt, wenn nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird (vgl. auch das zuletzt zitierte Erkenntnis vom 24. Oktober 1996, Zl. 96/20/0587, und die dort wiedergegebene Judikatur). Ist die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses eine der Formen, in denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewährt, so bedarf es keiner Absicht des Betroffenen, den Schutz seines Heimatlandes auch noch auf andere Art - etwa durch Rückkehr - in Anspruch zu nehmen. Das Fehlen einer solchen Absicht ist ebenso unmaßgeblich wie ein Fortbestand der Fluchtgründe als solcher, wenn die darauf gegründete Furcht den Betroffenen nicht mehr davon abhält, den Schutz seines Heimatlandes in der erwähnten Weise in Anspruch zu nehmen. Was im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis führen kann, sind vor allem Umstände, die die Freiwilligkeit des zu beurteilenden Verhaltens in Frage stellen. Derartige Umstände haben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers und den von ihm vorgelegten Urkunden jedenfalls nicht ergeben, insbesonders nicht, er sei zur Verlängerung seines Reisepasses ausdrücklich aufgefordert worden. Solches wird auch in der Beschwerde nicht mehr releviert. Darüberhinaus ist zu bemerken, daß die bloße Beauftragung eines Dritten mit der Beschaffung der Verlängerung des Reisepasses und allenfalls subjektiv empfundene Furcht, in unmittelbaren Kontakt zu den Vertretungsbehörden seines Heimatlandes zu treten, kein Indiz gegen die Freiwilligkeit der erforderlichen Antragstellung beinhaltet und daß weder aus den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner diesbezüglichen Einvernahme noch aus den von ihm vorgelegten Urkunden noch auch nunmehr aus der Beschwerde ersichtlich ist, zu welchem Zweck er einen mit verlängerter Gültigkeit versehenen Reisepaß seines Heimatlandes benötigt hätte. Auf den diesbezüglichen Einwand der belangten Behörde, ein Sichtvermerk könne auch in Bescheidform erteilt werden, ein Reisepaß sei somit für die Aufenthaltsberechtigung nicht erforderlich gewesen, geht der Beschwerdeführer in der Beschwerde mit keinem Wort ein. Wenn die belangte Behörde davon ausgehend den angefochtenen Bescheid damit begründete, daß sich der Beschwerdeführer durch die Erwirkung der Verlängerung der Gültigkeitsdauer seines türkischen Reisepasses durch die Botschaft seines Heimatlandes freiwillig wieder unter den Schutz desselben gestellt hat und daher die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention als erfüllt ansah, kann darin keine Rechtswidrigkeit erkannt werden. Die Beschwerde war daher als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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