VwGH 97/06/0148

VwGH97/06/014818.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Schrefler-König, über die Beschwerde des H in N, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, Anichstraße 3/III, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 24. April 1997, Zl. IIb1-L-2005/27-1997, betreffend Enteignung nach dem Tiroler Straßengesetz (mitbeteiligte Partei: Land Tirol, Landesstraßenverwaltung, Landesbaudirektion - Abteilung VIb1, 6020 Innsbruck, Herrengasse 1),

Normen

AVG §62 Abs4;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art10 Abs1 Z9;
B-VG Art15 Abs1;
B-VG Art18 Abs1;
B-VG Art94;
LStG Tir 1989 §1 Abs3;
LStG Tir 1989 §44;
LStG Tir 1989 §61;
LStG Tir 1989 §62;
LStG Tir 1989 §74 Abs2;
StGG Art5;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
AVG §62 Abs4;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art10 Abs1 Z9;
B-VG Art15 Abs1;
B-VG Art18 Abs1;
B-VG Art94;
LStG Tir 1989 §1 Abs3;
LStG Tir 1989 §44;
LStG Tir 1989 §61;
LStG Tir 1989 §62;
LStG Tir 1989 §74 Abs2;
StGG Art5;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

1. den Beschluß gefaßt:

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Festsetzung der Enteignungsentschädigung richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im übrigen wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 24. April 1997 wurde im Zusammenhang mit dem Straßenbauvorhaben der mitbeteiligten Partei L 232 Ranalterstraße, km 0,075 bis km 0,225, Ortsdurchfahrt Neustift, über die Notwendigkeit, den Gegenstand und den Umfang der Enteignung bestimmter, im Grundeinlösungsplan dargestellter Grundflächen abgesprochen und die Festsetzung der zu leistenden Entschädigungen vorgenommen. Mit dem genannten Straßenbauvorhaben ist auch ein Bauvorhaben betreffend eine Gemeindestraße verbunden, die von der B 183, Stubaital Straße, km 13.020, zur Ranalter Straße führt (und in Zukunft offenbar zur Landesstraße erklärt werden soll). Das von dem Bauvorhaben bezüglich der Gemeindestraße betroffene Grundstück des Beschwerdeführers liegt sowohl an der Bundesstraße als auch an der Gemeinde- (in Zukunft: Landes)straße. Im Bereich der Abzweigung von der Bundesstraße in die zukünftige Landesstraße sieht das Projekt die Errichtung einer Einfahrt zu einem Lebensmittelgroßmarkt (nach Süden) vor.

Die Straßenbaubewilligung für das Projekt wurde unter Bezugnahme auf die vorgelegten Pläne, die mit dem entsprechenden Vermerk als diesem Bescheid zugrundeliegend versehen wurden, mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. Jänner 1997 erteilt.

In der Ausschreibung der nach Erteilung der straßenrechtlichen Bewilligung anberaumten Grundeinlösungsverhandlung nach dem Tiroler Straßengesetz wurde hinsichtlich des Beschwerdeführers (ohne nähere Erläuterung) bezüglich des Grundstücks Nr. 217 ein Grundbedarf von 55 m2 und 85 m2 angegeben.

In der Verhandlungsschrift über diese Verhandlung (in der der Beschwerdeführer anwesend war) wurden zu den einzelnen Grundstücksnummern und Flächenangaben betreffend die zu enteignenden Eigentümer handschriftliche Eintragungen vorgenommen. Diese Eintragungen enthalten einerseits Angaben wie "f. Gehsteig" oder "f. Straße", andererseits Schillingbeträge für die Entschädigung. Der Angabe "85 m2" beim Grundstück Nr. 217 des Beschwerdeführers ist durch einen Pfeil der Hinweis "Die Fläche für die 3. Spur wird zur Verfügung gestellt" zugeordnet. Unter diesem Satz, in unklarer Zuordnung entweder zu der Angabe "55 m2" oder "85 m2" (zwischen den beiden Zitaten) wurde angefügt "f. Gehsteig".

Im angefochtenen Bescheid wurde der erwähnte Zusatz

"f. Gehsteig" der Angabe "85 m2" beigefügt und der Satz betreffend die Zurverfügungstellung der Fläche für die 3. Spur unter den Quadratmeterangaben angefügt.

Mit dem zur hg. Zl. 97/06/0189 angefochtenen Bescheid vom 7. August 1997 wurde dieser Bescheid hinsichtlich des den Beschwerdeführer betreffenden Ausspruches im Zusammenhang mit dem Grundstück Nr. 217 gemäß § 62 Abs. 4 AVG wie folgt berichtigt:

Anstelle der im Bescheid vom 24. April 1997 unter den Überschriften:

Einlagezahl Beanspruchtes Bewertungs- Entschädigung

Grundstücks-Nr. Ausmaß grundlage je m2

enthaltenen Formulierung:

"GSt.Nr. 217 55 m2

85 m2 f.Gehsteig 1.750,--"

habe es zu lauten:

"GSt.Nr. 217 55 m2 f.Gehsteig 1.750,--

85 m2 Diese Fläche wird laut Gestattung

kostenlos zur Verfügung gestellt

(Linksabbiegespur)."

Begründet ist dieser Bescheid mit dem Hinweis auf bei der Ausfertigung des Bescheides erfolgte - offenkundige - Unrichtigkeiten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer die zur hg. Zl. 97/06/0189 protokollierte Beschwerde.

Mit der vorliegenden Beschwerde gegen den Enteignungsbescheid macht der Beschwerdeführer die Verletzung in seinen Rechten dadurch geltend, daß "die belangte Behörde über den Gegenstand der Enteignung und die zu leistende Vergütung nicht oder in nicht nachvollziehbarer Weise abgesprochen hat, sodaß unklar bleibt, welche Grundflächen des Beschwerdeführers von der Enteignung betroffen sind und welche Vergütung zu leisten ist".

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Auch das mitbeteiligte Land Tirol - Landesstraßenverwaltung hat eine Gegenschrift erstattet, ohne darin einen Antrag zu stellen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat, bildet ein Berichtigungsbescheid gemäß § 62 Abs. 4 AVG mit dem von ihm berichtigten Bescheid eine Einheit (vgl. z.B. VwSlg. Nr. 5253/A und 9691/A). Der Berichtigungsbescheid bewirkt, daß der berichtigte Bescheid rückwirkend auf den Zeitpunkt seiner Erlassung geändert wird (vgl. die

hg. Erkenntnisse vom 19. März 1991, Zl. 85/08/0042, vom 13. September 1991, Zl. 90/18/0248, und vom 30. Oktober 1991, Zl. 91/09/0047). Dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren betreffend den berichtigten Bescheid ist der angefochtene Bescheid in seiner berichtigten Fassung zugrundezulegen (vgl. z. B. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Zl. 86/11/0007).

Im Beschwerdefall ist daher von der berichtigten Fassung

des angefochtenen Bescheides auszugehen.

2. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen den angefochtenen Bescheid im Hinblick darauf wendet, daß durch die Nichtfestsetzung einer Vergütung für einen Teil der Enteignung (hinsichtlich seines Grundstückes Nr. 217) eine entschädigungslose Enteignung ausgesprochen worden sei, wendet sich die Beschwerde gegen die Festsetzung der Enteignungsentschädigung.

Gemäß § 74 Abs. 1 Tiroler Straßengesetz kann der Enteignete binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Bescheides, mit dem die Vergütung festgesetzt wird, deren Neufestsetzung beim örtlich zuständigen Bezirksgericht beantragen. Gemäß § 74 Abs. 2 Tiroler Straßengesetz tritt der Bescheid mit Anrufung des Bezirksgerichtes hinsichtlich des Ausspruches über die Vergütung außer Kraft. Aufgrund dieser damit eingeräumten Möglichkeit, im Wege der sogenannten sukzessiven Kompetenz eine Entscheidung des Gerichtes über die Entschädigung zu erlangen, ist der Beschwerdeführer nicht legitimiert, hinsichtlich der Entschädigungsfrage eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. September 1995, Zl. 93/06/0203, m.w.N., oder das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1996, Zl. 95/06/0245).

Dies gilt - entgegen den Ausführungen in der Beschwerde - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch in jenen Fällen, in denen der Enteignungsbescheid keine Festsetzung der Entschädigung enthält (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 23. Oktober 1991, Zl. 91/06/0170, oder vom 26. März 1996, Zlen. 96/05/0040, 0041).

Auch wenn das Beschwerdevorbringen betreffend die entschädigungslose Enteignung von 55 m2 aus dem Grundstück 217 des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Berichtigung des angefochtenen Bescheides sinngemäß auf die Enteignung von 85 m2 für die Abbiegespur (nach dem Berichtigungsbescheid wird für die Inanspruchnahme der 85 m2 keine Entschädigung festgesetzt) bezogen werden kann, war die Beschwerde insoweit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

3. Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auch dahingehend, daß der Ausspruch "Die Fläche für die 3. Spur wird zur Verfügung gestellt" unklar sei. Es werde damit offenbar auf eine Erklärung vom 3. Oktober 1989 des Beschwerdeführers Bezug genommen, in welcher sich dieser verpflichtet habe, "der Gemeinde Neustift den unbedingt erforderlichen Grund für eine entsprechende Straßenverbreiterung samt Gehsteig" abzutreten. In dieser Erklärung sei keine Rede davon, daß die Abtretung unentgeltlich erfolgen solle. Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid insofern in seinen Rechten verletzt, als über den Gegenstand der Enteignung nicht oder in nicht nachvollziehbarer Weise abgesprochen worden sei, sodaß unklar bleibe, welche Grundflächen des Beschwerdeführers von der Enteignung betroffen seien.

4. Im Beschwerdefall ist auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Unklarheit des angefochtenen Bescheides (auch in der berichtigten Fassung) insoferne nicht weiter einzugehen, als der Bescheid schon aus den folgenden - vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen des Beschwerdepunktes von Amts wegen wahrzunehmenden - Gründen eine Verletzung der subjektiven Rechte des Beschwerdeführers bewirkt (vgl. zur amtswegigen Wahrnehmung aller Gründe, aus denen eine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers gegeben sein kann, innerhalb der Beschwerdepunkte das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. Nr. 11.525/A):

Die "ca. 140 m lange Teilstrecke" der derzeitigen Gemeindestraße, die zukünftig zur Landesstraße werden soll, soll die verkehrsmäßige Verbindung zwischen der Bundesstraße und der bereits bestehenden L 232 Ranalter Straße darstellen. Die Linksabbiegespur, für deren Errichtung Teile des Grundstückes Nr. 217 des Beschwerdeführers benötigt werden, stellt die Linksabbiegespur der Bundesstraße vor der Einmündung in die (derzeitige) Gemeindestraße dar. Auch der Gehsteig, für welchen mit dem angefochtenen Bescheid 55 m2 des Grundstückes Nr. 217 enteignet wurden, stellt nicht den Gehsteig der (zukünftigen) Landesstraße dar, sondern den Gehsteig der Bundesstraße.

Gemäß Art. 5 StGG ist das Eigentum unverletzlich; das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums steht jedoch gemäß Art. 5 zweiter Satz StGG unter einem Gesetzesvorbehalt; demnach kann der zuständige Gesetzgeber (Adhäsionsprinzip) Enteignungen entweder unmittelbar vornehmen oder durch Verwaltungsakt vorsehen (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 2680, 3118 und 9911, sowie Mayer, B-VG2, Anmerkung III.1. zu Art. 5 StGG).

Der zuständige Gesetzgeber muß bei der Erlassung der Enteignungsbestimmungen die Kompetenzgrenzen beachten. Ebenso hat die Verwaltungsbehörde bei der Vollziehung der Enteignungsbestimmungen sich an den sachlichen Geltungsbereich des Gesetzes zu halten bzw. im Zweifelsfalle aufgrund verfassungskonformer Interpretation die Kompetenzgrenzen des jeweiligen Kompetenztatbestandes, aufgrund dessen eine Enteignungsbestimmung erlassen wurde, zu beachten (vgl. z.B. zur Enteignung nach dem BStG 1971 das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13.369/1993).

Gemäß § 1 Abs. 3 Tiroler Straßengesetz gilt dieses Gesetz insbesondere nicht für Bundesstraßen. Die Enteignungsbestimmungen in den §§ 61 f des Tiroler Straßengesetzes sind nur für Straßen, die dem Geltungsbereich des Gesetzes unterliegen, anwendbar.

Es ist daher von vornherein ausgeschlossen, für die Anlage einer Linksabbiegespur einer Bundesstraße und für die Anlage des Gehsteiges im Bereich der Bundesstraße die Enteignungsbestimmungen des Landesstraßengesetzes heranzuziehen. Daran ändert auch nichts, daß offenbar die von der belangten Behörde genannte rechtskräftige straßenrechtliche Bewilligung für das Straßenprojekt auch die hier beschwerdegegenständlichen Projektteile (Verbreiterung für die Anlegung einer Linksabbiegespur auf der Bundesstraße und Gehweg an der Bundesstraße) enthält. Eine kompetenzwidrige verwaltungsrechtliche Bewilligung vermag nicht das "öffentliche Interesse" an einer Enteignung im Sinne des Art. 5 StGG nachzuweisen. Die Rechtskraft dieser Bewilligung bewirkt somit nicht in jedem Fall die verfassungsrechtliche Deckung einer in Umsetzung dieser Bewilligung angestrebten Enteignung. Die rechtswidrige Einbeziehung von Teilen einer Bundesstraße in ein landesrechtliches Straßenbaubewilligungsverfahren macht die betroffenen Teile nicht zu Teilen einer Landesstraße. Entsprechend der ungefähren Längenangabe in der Projektbeschreibung zählt der fragliche Bereich auch nach der Projektbeschreibung in Verbindung mit den vorgelegten Plänen nicht mehr zu der zukünftigen Landesstraße.

5. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grunde - soweit die Beschwerde nicht zurückzuweisen war - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Es ist daher im Beschwerdefall nicht näher darauf einzugehen, ob allenfalls die Erwähnung der für die Linksabbiegespur erforderlichen 85 m2 nur deklarativ erfolgt sei. Die belangte Behörde wird jedoch bei Erlassung eines allfälligen Ersatzbescheides darauf zu achten haben, daß der diesbezügliche Bescheidwille deutlich zum Ausdruck kommt. Bei der Rechtstechnik der belangten Behörde (bloße Aufzählung von bestimmten Grundstücken und Hinzufügen von Quadratmeterangaben) ist nicht ersichtlich, daß einzelne dieser Grundstücksteile enteignet werden sollen, andere hingegen nicht. Ebensowenig ist im vorliegenden Beschwerdefall darauf einzugehen, ob die für die "Linksabbiegespur" benötigte Grundfläche allenfalls ab einer bestimmten Grenze bereits zur Landesstraße zu zählen ist.

6. Die Kostenentscheidung stützt sich im Rahmen der gestellten Anträge auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft zuviel verzeichneten Stempelaufwand.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte