VwGH 97/06/0038

VwGH97/06/00383.6.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des J in H, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 13. Jänner 1997, Zl. 13869/2a9-96, betreffend Wiedereinsetzung in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Partei: Agrargemeinschaft H, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in Z), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §32;
AVG §71 Abs1;
AVG §8;
BauO Tir 1989 §35;
VwRallg;
AVG §32;
AVG §71 Abs1;
AVG §8;
BauO Tir 1989 §35;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.130,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 2. März 1994 wurde der mitbeteiligten Partei die bau- und gewerbebehördliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Pension-Restaurants erteilt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers hat die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 15. September 1994 als unbegründet abgewiesen. Der Berufungsbescheid wurde sowohl dem Beschwerdeführer als auch der mitbeteiligten Partei am 19. September 1994 zugestellt. Eine Beschwerde des nunmehrigen Beschwerdeführers an den Verwaltungsgerichtshof hat dieser mit Erkenntnis vom 16. März 1995, Zl. 94/06/0236, abgewiesen. Mit Schriftsatz vom 25. November 1996 stellte die mitbeteiligte Partei den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und den Antrag auf Verlängerung der Wirksamkeit der Baubewilligung. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wurde im wesentlichen ausgeführt, es sei wohl die Baubewilligung mit Zustellung am 19. September 1994 rechtskräftig geworden, es sei aber noch das gewerbliche Betriebsanlagengenehmigungsverfahren wegen einer Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers anhängig gewesen. Der Rechtsvertreter der mitbeteiligten Partei habe einen Fixtermin (29. August 1996) vorgemerkt; da an diesem Tag das Betriebsanlagengenehmigungsverfahren noch immer nicht abgeschlossen worden sei, habe der Rechtsvertreter einen Antrag auf Verlängerung der Wirksamkeit der Baubewilligung gemäß § 35 TBO diktiert, wobei bereits im Diktat festgehalten worden sei, daß dieser Antrag "eingeschrieben" zur Post zu geben sei. Der Sekretär, M.P., habe diesen Antrag geschrieben, der Rechtsvertreter habe diesen Antrag noch am selben Tag geprüft und unterfertigt und M.P. ausdrücklich angewiesen, diesen Antrag noch am selben Tag zur Post zu bringen und "eingeschrieben" aufzugeben. M.P. habe in der Folge auch den Antrag kuvertiert, sei tatsächlich noch am 29. August 1996 zur Post gegangen und habe alle an diesem Tag aufzugebenden Postsendungen mitgenommen. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen scheine dieser Antrag aber nicht im Einschreibebuch auf. Nachträglich befragt, sei M.P. nicht mehr in der Lage gewesen, anzugeben, was er am 29. August 1996 auf dem Weg von der Kanzlei zur Post gemacht habe. Erst im Zuge eines Telefonates am 15. November 1996 mit dem zuständigen Sachbearbeiter sei der Rechtsfreund der Mitbeteiligten darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Antrag gemäß § 35 TBO bei der Behörde nicht eingelangt sei, woraufhin mit Schriftsatz vom 25. November 1996 der Antrag auf Wiedereinsetzung und der Antrag auf Verlängerung der Wirksamkeit der Baubewilligung eingebracht wurde.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 13. Jänner 1997 wurde der Mitbeteiligten unter I die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumnis der Frist auf Verlängerung der Baubewilligung gewährt. Unter II wurde der Antrag der Mitbeteiligten auf Verlängerung der Frist für die Wirksamkeit der Baubewilligung um ein Jahr bis zum 19. September 1997 bewilligt.

Gegen diesen Bescheid in seinem Spruchpunkt I richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist zum Vorbringen der mitbeteiligten Partei, wonach dem Beschwerdeführer keine Beschwerdelegitimation zukäme, da er schon im Verfahren gemäß § 35 TBO keine Parteistellung habe, festzustellen, daß die mitbeteiligte Partei damit verkennt, daß dem Nachbarn im Verfahren gemäß § 35 TBO (Wirksamkeit der Baubewilligung) sehr wohl Parteistellung zukommt, das diesbezügliche Mitspracherecht aber auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Verlängerung beschränkt ist (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 13. Dezember 1971, Slg.Nr. 8134/A, sowie vom 17. Juni 1986, Zl. 86/05/0224, BauSlg.Nr. 704).

Dem Beschwerdeführer steht demnach nicht nur ein Mitspracherecht in bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Verlängerung der Wirksamkeit der Baubewilligung zu, sondern auch ein Mitspracherecht in bezug auf einen diesbezüglichen Wiedereinsetzungsantrag.

§ 35 Abs. 1 und 2 TBO lauten wie folgt:

"(1) Die Baubewilligung verliert ihre Wirksamkeit, wenn die Ausführung des Bauvorhabens nicht binnen zwei Jahren nach dem Eintritt der Rechtskraft der Baubewilligung begonnen worden ist. Bei umfangreichen Bauvorhaben (z.B. bei einer Errichtung von Gebäuden für Krankenanstalten oder Schulen, bei Kraftwerks- oder Industriebauten und dergleichen) kann auf Antrag des Bauwerbers im Baubewilligungsbescheid für die Wirksamkeit der Baubewilligung eine längere Frist, höchstens aber eine Frist von fünf Jahren festgesetzt werden. Bezieht sich die Baubewilligung auf mehrere Bauabschnitte, so können für die einzelnen Abschnitte verschiedene Fristen festgelegt werden.

(2) Die Behörde hat auf schriftlichen Antrag des Bauwerbers die Frist für die Wirksamkeit der Baubwilligung jeweils um höchstens ein Jahr zu verlängern, wenn der Baubeginn ohne sein Verschulden verzögert wurde und wenn die für das Bauvorhaben maßgebenden Vorschriften dieses Gesetzes und der Verordnungen auf Grund dieses Gesetzes und Festlegungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes inzwischen nicht geändert wurden."

Strittig ist unter anderem, ob die aus § 35 TBO abzuleitende Frist, daß ein Verlängerungsantrag vor Ablauf der Wirksamkeit der Baubewilligung gemäß Abs. 1 zu stellen ist, eine Frist des materiellen Rechtes ist oder ob es sich dabei um eine prozessuale bzw. verfahrensrechtliche Frist handelt. Die Beantwortung der Frage ist deshalb entscheidungswesentlich, da die Bestimmung der Wiedereinsetzung gemäß § 71 AVG auf materiell-rechtliche Fristen - von gesetzlich besonders geregelten (hier nicht vorliegenden) Fällen abgesehen - nicht angewendet werden kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 31. Jänner 1962, Zl. 945/60, vom 27. September 1988, Zl. 88/11/0157, u.v.a.).

Eine Abgrenzung zwischen prozessualer und materieller Frist ist oft schwierig (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage, Rz. 612). In seinem Erkenntnis vom 25. Juni 1968, Slg. Nr. 7376/A, hat der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen ausgeführt, daß es im Einzelfall auf den Wortlaut ankommt, und insbesondere dort, wo ein Anspruch gegen eine Behörde geltend gemacht wird, eine materiell-rechtliche Frist vorliegt. In seinem Erkenntnis vom 24. Mai 1993, Zl. 93/06/0053, hat der Verwaltungsgerichtshof zur Bestimmung des § 34 Abs. 5 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1994, der regelt, daß der Antrag auf Entschädigung "bei sonstigem Anspruchsverlust" innerhalb eines Jahres einzubringen ist, ausgesprochen, daß es sich dabei um eine materiell-rechtliche Frist und zwar um eine Ausschlußfrist zur Geltendmachung des Anspruches handelt. Auch die Formulierung "die Baubewilligung verliert ihre Wirksamkeit" deutet darauf hin, daß es sich dabei nicht um eine verfahrensrechtliche Frist, sondern um eine materiell-rechtliche Frist handelt und auch ein allfälliger Gestaltungsanspruch auf Verlängerung dieser Frist nur innerhalb der Zweijahresfrist geltend gemacht werden kann und mit Ablauf dieser Frist erlischt, weshalb eine Wiedereinsetzung gemäß § 71 Abs. 1 AVG nicht zulässig ist. Vergleichbare Situationen sind im Verwaltungsrecht etwa bei der befristeten Erteilung einer Lenkerberechtigung, aber auch im Ausländerbeschäftigungsrecht und im Aufenthaltsrecht (§ 6 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz, BGBl. Nr. 466/1992) gegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Frist des § 6 Abs. 3 Aufenthaltsgesetzes wiederholt ausgesprochen, daß es sich hiebei um eine materiell-rechtliche Frist handelt, gegen deren Versäumung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1995, Zl. 95/18/0818).

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den Bescheid in seinem angefochtenen Umfang mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden; mit der Erledigung der Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos geworden.

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