VwGH 97/05/0098

VwGH97/05/009827.5.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerden 1. des Ing. R, , 2. der E, 3. des Prof. T sowie

4. des Ing. Dr. J, alle in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 1. Juli 1996, Zl. MD-Vfr-B XXIII-19-22/96, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Verein XY-Schule für seelenpflegebedürftige Kinder in W), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §42 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Wr §134a;
BauO Wr §6 Abs6;
BauO Wr §76 Abs8;
AVG §42 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Wr §134a;
BauO Wr §6 Abs6;
BauO Wr §76 Abs8;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von je 1.141,25 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem am 11. April 1995 bei der Behörde eingelangten Ansuchen vom 13. März 1995 beantragte die mitbeteiligte Partei die Erteilung der Baubewilligung für den Neubau eines Kindergartens gemäß beiliegenden Einreichplänen in Wien, E-Straße 99. Den Plänen ist zu entnehmen, daß auch der Abbruch der provisorischen Schulbaracke beantragt wurde. Das Ansuchen wurde von der MA 35 (Allgemeine baubehördliche Angelegenheiten) hinsichtlich des Brand-, Wärme- und Schallschutzes überprüft und positiv beurteilt. Mit Ladung vom 9. Mai 1995 wurde über dieses Ansuchen eine mündliche Verhandlung für 29. Mai 1995 anberaumt, zu der die Beschwerdeführer als Nachbarn unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 AVG nachweislich geladen wurden. In dieser Verhandlung gab der Viertbeschwerdeführer wörtlich an: "Grundsätzlich besteht kein Einwand, jedoch wäre die Errichtung einer 2,5 m hohen Lärmschutzwand entlang meiner gemeinsamen Grundgrenze (zu Lasten des Bauwerbers) Voraussetzung für meine Zustimmung, meine Zustimmung zu einer § 69-Bewilligung für die Errichtung der vollen Einfriedung erteile ich hiemit ausdrücklich". Die übrigen Beschwerdeführer brachten, soweit für das Beschwerdeverfahren noch relevant, vor, daß sie sich gegen das Bauvorhaben aussprächen. Die derzeitige Lärmbelästigung durch das markdurchdringende Schreien der außerordentlich bedauernswerten Kinder, gegen die auch die Betreuer machtlos seien, habe längst die Grenze des Zumutbaren bei weitem überschritten. Wenn nun durch diesen Neubau eine Erweiterung des Schul- und Kindergartenbetriebes erfolge, würde sich logischerweise auch die schon jetzt unzumutbare Lärmbelästigung der Anrainer wesentlich erhöhen und auch dadurch eine programmierte, noch weit stärkere nervliche und gesundheitliche Gefährdung der Nachbarschaft bewirken; weiters werde die geschlossene Bauweise nicht eingehalten.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, vom 28. Februar 1996 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 70 der Bauordnung für Wien und in Anwendung des Wiener Garagengesetzes die Bewilligung erteilt, nach den mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Plänen die betreffende Schulbaracke abzutragen und an ihrer Stelle in geschlossener Bauweise ein ebenerdiges, unterkellertes Kindergartengebäude mit ausgebautem Dachgeschoß, beinhaltend drei Gruppenräume, Bewegungsraum, Therapieräume, Verwaltungsräume sowie die erforderlichen Nebenräume zu errichten. Einwendungen der Zweit- und Viertbeschwerdeführer wurden teils als unzulässig zurück-, teils als unzulässig abgewiesen. Die Forderung nach Errichtung einer Lärmschutzwand wurde als im Gesetz nicht begründet abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung. Mit Bescheid vom 1. Juli 1996 wies die belangte Behörde die Berufung des Viertbeschwerdeführers als unzulässig zurück. Aufgrund der Berufungen der übrigen Beschwerdeführer wurde der Baubewilligungsbescheid geringfügig geändert, ansonsten wurden die Berufungen als unbegründet abgewiesen und der angefochtene erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 13. Dezember 1996, B 2770/96-7, B 2771/96-7, B 2772/96-7 und B 2769/96-7, abgelehnt, die Beschwerden wurden dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In den über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerden wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zunächst beschlossen, wegen des personellen und sachlichen Zusammenhanges die Beschwerden zu gemeinsamer Beratung und Beschlußfassung zu verbinden.

Über die Beschwerden selbst hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Zur Beschwerde des Viertbeschwerdeführers:

Gemäß § 134 Abs. 3 der Bauordnung für Wien (BO) sind die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben.

Voraussetzung für die Erlangung der Parteistellung ist somit, daß der Nachbar Einwendungen erhebt, mit denen er geltend macht, daß der geplante Bau und dessen Widmung in die in § 134a BO erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte eingreift. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, liegt eine dem § 42 AVG entsprechende Einwendung nur dann vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiven Rechtes geltend macht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. März 1957, Slg. Nr. 4298/A), wobei Einwendungen spezialisiert werden müssen. Dem Begriff der Einwendungen ist die Behauptung einer Rechtsverletzung in bezug auf ein bestimmtes Recht immanent. Die bloße Erklärung eines Beteiligten, nicht "zuzustimmen" oder die Zustimmung von bestimmten Bedingungen abhängig zu machen, kann dies nicht ersetzen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 1. Juli 1982, Zl. 82/06/0054, vom 18. Mai 1995, Zl. 94/06/0271, u.a.). Im Sinne dieser Rechtsprechung, von der abzugehen der Beschwerdefall keinen Anlaß bietet, hat der Viertbeschwerdeführer, der erklärte, nur "zuzustimmen, wenn eine bestimmte Bedingung (Errichtung einer Lärmschutzwand) errichtet werde" keine Einwendungen erhoben. Er hat somit, wie die belangte Behörde zutreffend erkannte, nicht Parteistellung im Sinne des § 134 Abs. 3 BO erlangt. Zu Recht hat daher die belangte Behörde seine Berufung mangels Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen.

2. Zu den übrigen Beschwerdeführern:

Aus den über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerden geht hervor, daß sich diese nicht gegen die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen und auch nicht gegen die Baubewilligung zum Abbruch des provisorischen Gebäudes richten. Beschwerdegegenständlich ist nur mehr die Interpretation des § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien (das zu bebauende Grundstück liegt nach dem anzuwendenden Flächenwidmungsplan, Plandokument Nr. 6548, im Wohngebiet) sowie die behauptete Nichteinhaltung der geschlossenen Bauweise.

§ 6 Abs. 6 BO lautet:

"In Wohngebieten dürfen nur Wohngebäude und Bauten, die religiösen, kulturellen oder sozialen Zwecken oder der öffentlichen Verwaltung dienen, errichtet werden. Die Errichtung von Gast-, Beherbergungs-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, von Büro- und Geschäftshäusern sowie die Unterbringung von Lagerräumen und Werkstätten kleineren Umfanges und von Büros und Geschäftsräumen in Wohngebäuden ist dann zulässig, wenn sichergestellt ist, daß sie nicht durch Rauch, Ruß, Staub, schädliche oder üble Dünste, Niederschläge aus Dämpfen oder Abgasen, Geräusche, Wärme, Erschütterungen oder sonstige Einwirkungen, Gefahren oder den Wohnzweck beeinträchtigende Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen geeignet sind".

In bezug auf die Lärmentwicklung bei Betrieb des gegenständlichen Gebäudes hat die belangte Behörde ausgeführt, daß die Einwendungen, welche mit der von der Nutzung des Gebäudes ausgehenden Lärmbelästigung begründet würden, subjektiv-öffentliche Nachbarrechte gemäß § 134a lit. e BO darstellten und zwar auch und gerade dort, wo eine übermäßige Lärmentwicklung zu befürchten sei. Der Gesetzgeber unterscheide in der Bestimmung des § 6 Abs. 6 BO einerseits Wohngebäude und Bauten, die religiösen, kulturellen oder sozialen Zwecken oder der öffentlichen Verwaltung dienten (erster Satz), die in den Wohngebieten nach der Widmung schlechthin zulässig seien, und andererseits gewerbliche Nutzungen, bei denen die Verträglichkeit mit der sonstigen Wohnnutzung zu prüfen sei. Die Begründung für diese Unterscheidung liege nicht nur darin, daß bei den Nutzungen im Sinne des ersten Satzes des § 6 Abs. 6 BO regelmäßig mit keinen unzumutbaren Belästigungen der Nachbarschaft zu rechnen sei, sondern auch im öffentlichen Interesse an Bauten für religiöse, kulturelle oder soziale Zwecke sowie solchen der öffentlichen Verwaltung. Das gegenständliche Bauvorhaben diene der Unterbringung eines Kindergartens für seelenpflegebedürftige Kinder, somit sozialen Zwecken, es sei daher gemäß § 6 Abs. 6 BO in Wohngebieten zulässig. Im übrigen sei durch die Stellungnahme der Magistratsabteilung 35 vom 14. März 1995 festgestellt worden, daß das Bauvorhaben den Anforderungen hinsichtlich des Schallschutzes entspreche. Damit seien die diesbezüglichen Einwendungen als unbegründet abzuweisen gewesen.

In den Beschwerden wird dazu dargelegt, die Auffassung der belangten Behörde, daß bei den in § 6 Abs. 6 erster Satz BO angeführten Nutzungen regelmäßig mit keinen unzumutbaren Belästigungen der Nachbarschaft zu rechnen sei, sei völlig unnachvollziehbar, zumal der Begriff "religiöse, kulturelle oder soziale Zwecke" extrem weit gefaßt sei. Es sei nicht einzusehen, weshalb etwa die von einer Gaststätte, die aus kommerziellen Gründen betrieben werde, keine ausgehenden Beeinträchtigungen der Wohnqualität zulässig sein sollten, falls diese Gaststätte jedoch als soziale Einrichtung für gewisse Randgruppen oder als kulturelle Einrichtung (Veranstaltung von Rockkonzerten) betrieben werde, seien solche Beeinträchtigungen zulässig. Im übrigen würde diese Interpretation des § 6 Abs. 6 BO zu dem absurden Ergebnis führen, daß die Regelungen für gemischte Baugebiete im Sinne des § 6 Abs. 8 BO strenger wären, als die Regelungen in reinen Wohngebieten.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt bezüglich der Auslegung des § 6 Abs. 6 erster Satz BO die Rechtsansicht der belangten Behörde, weil nur für die Zulässigkeit von Gebäuden im Sinne des § 6 Abs. 6 zweiter Satz BO eine Immissionsprüfung vorgesehen ist. Ein Gebäude im Sinne dieser Bestimmung liegt hier nicht vor, weshalb keine Immissionsprüfung erforderlich ist.

Es ist unbestritten, daß die Errichtung eines Kindergartens für seelenpflegebedürftige Kinder sozialen Zwecken dient. Eine rechtspolitische Begründung dafür, daß bei den gemäß § 6 Abs. 6 erster Satz BO zulässigen Nutzungen keine Immissionsprüfung stattfinden soll, erblickt der Verwaltungsgerichtshof darin, daß ein öffentliches Interesse an derartigen Einrichtungen besteht und diese im Hinblick auf ihre Zweckbestimmung nur in Wohngebieten errichtet werden sollten; die Errichtung derartiger Einrichtungen beispielsweise im gemischten Baugebiet (§ 6 Abs. 8 BO), in Betriebsbaugebieten (§ 6 Abs. 9 BO), in Geschäftsvierteln oder Industriegebieten (§ 6 Abs. 10 bzw. Abs. 11 BO) erscheint auch im Hinblick auf den Zweck derartiger Einrichtungen nicht geboten. Daß das Gebäude selbst den Anforderungen an die erforderliche Schalldämmung entspricht, hat die Magistratsabteilung 35 in ihrer Stellungnahme dargelegt, dies wird auch von den Beschwerdeführern nicht in Zweifel gezogen. Ein Mitspracherecht dahingehend, daß in den gemäß § 6 Abs. 6 erster Satz BO zulässigen Gebäuden nur Bewohner oder Pfleglinge untergebracht werden, die keinen Lärm durch Schreien, Lachen usw. hervorrufen, ist den Nachbarn nicht eingeräumt.

Zum Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, das Bauvorhaben entspreche nicht der geschlossenen Bauweise, ist auszuführen, daß der Erstbeschwerdeführer in seinen Einwendungen bei der mündlichen Verhandlung vom 29. Mai 1995 zutreffend dargelegt hat, daß die Baufluchtlinien nicht die gesamte Breite des Grundstückes an der E-Straße als bebaubar ausweisen. Gemäß § 76 Abs. 8 BO müssen die Gebäude an Baulinien oder Verkehrsfluchtlinien oder dort, wo gegen die Verkehrsflächen Baufluchtlinien festgesetzt sind, an diesen von der einen seitlichen Bauplatzgrenze zu der anderen durchgehend errichtet werden. Demnach kann nur innerhalb der festgesetzten Baufluchtlinien die gesamte bebaubare Fläche ausgenützt werden. Diese Bestimmung wird durch das Bauvorhaben eingehalten.

Da sich die Beschwerden somit als unbegründet erweisen, waren sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte