VwGH 95/20/0521

VwGH95/20/052110.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des C in G, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Juli 1995, Zl. 4.329.488/7-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §60;
AVG §66 Abs4;
VwGG §63 Abs1;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
VwGG §63 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, reiste am 26. September 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am 2. Oktober 1991 den schriftlichen Antrag, ihm Asyl zu gewähren.

Diesen Antrag begründete er wie folgt:

"Ich bin türkischer Staatsbürger kurdischer Nationalität.Ich mußte mich zu einer Flucht aus der Türkei entschließen,weil ich in meiner Heimat politischer Verfolgung ausgesetzt war.

Ich stamme aus dem Dorf A, Bezirk Haymana,welcher zu Ankara gehört.Unser Dorf ist ein Stützpunkt der PKK.

In Haymana leben ca.75 % Kurden.Aus diesem Grund legte das türkische Militär besonderes Augenmerk auf unseren Bezirk und natürlich die Dörfern.

Seit 3 Jahren kamen die Soldaten oft in unser Dorf.Wir Bewohner wurden auf den Dorfplatz getrieben.Dort wurden wir befragt, warum wir die PKK unterstützen etc.

Die Männer wurden von den Soldaten geschlagen und mit dem Umbringen bedroht.

Mein ganzes Leben kenne ich nur Angst und Gewalt.Wir müssen ständig auf der Hut sein vor dem Militär und vor der Gendarmerie.Zum einen werden wir von der PKK benutzt als Stützpunkt,zum anderen müssen wir jederzeit damit rechnen,ohne Grund von einem türkischen Soldaten getötet zu werden.

Seit ca.3 Jahren gibt es in den kurdischen Dörfern eine Unterteilung. Es wurden sogenannte "Dorfwächter" eingesetzt,die für die türkische Regierung arbeiten. Entweder man arbeitet mit ihnen zusammen, oder man gilt als Terrorist und ist damit der Willkür der türkischen Gendarmerie ausgesetzt.

Das oben erwähnte Ereignis gab den Ausschlag für mich,endgültig aus der Türkei - vor der Gewalt und der ständigen Angst um mein Leben und meine Sicherheit - zu fliehen."

Anläßlich seiner am 21. Oktober 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung verwies er auf die in seinem schriftlichen Antrag angeführten Fluchtgründe und ergänzte über ausdrückliche Befragung, er sei nie inhaftiert gewesen und nur einmal im Jahr 1989 von der Polizei verhört worden.

Mit formularmäßigem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 14. November 1991 wurde - ohne näheres Eingehen auf die individuellen Fluchtgründe des Beschwerdeführers - festgestellt, daß dieser die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, in der er die Unterlassung jeglicher Beweiswürdigung und die unrichtige Beurteilung seiner Fluchtgründe geltend machte, im Sachverhalt jedoch keine von seiner erstinstanzlichen abweichende Darstellung vorbrachte.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21. Juni 1994 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und ausgesprochen, Österreich gewähre dem Beschwerdeführer kein Asyl. Nach Wiedergabe der Angaben des Beschwerdeführers, Darstellung des Verfahrensganges und der in Anwendung gebrachten Rechtslage resümierte die belangte Behörde, mit diesem Vorbringen habe der Beschwerdeführer keine Umstände glaubhaft machen können, die objektiv die Annahme hätten rechtfertigen können, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde und nicht gewillt sei, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Die von ihm ins Treffen geführten Mißhandlungen der männlichen kurdischen Bevölkerung durch die türkischen Soldaten ließen noch nicht die Folgerung zu, auch er habe mit Grund gegen ihn gerichtete Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des AsylG 1991 zu fürchten gehabt. Die Übergriffe der militärischen Macht durch Soldaten, denen grundsätzlich die gesamte Zivilbevölkerung der betreffenden Region ausgesetzt sein könne, seien, wenn sie nicht durch in der Person des durch einen derartigen Übergriff Betroffenen gelegene Gründe im Sinne des AsylG 1991 motiviert seien, nicht als Verfolgung im Sinne dieses Gesetzes anzusehen. Der pauschalen Behauptung, der Beschwerdeführer sei in der Türkei politisch verfolgt worden, könne kein Glaube geschenkt werden, da es ihm im gesamten Verwaltungsverfahren nicht möglich gewesen sei, derartige konkrete Beeinträchtigungen darzulegen, die einem der im Asylgesetz 1991 taxativ aufgezählten Tatbestände entsprächen. Da der Beschwerdeführer im gesamten Asylverfahren keine konkreten, ausschließlich gegen seine Person gerichteten Verfolgungshandlungen zu relevieren vermocht habe, erscheine es auch nicht plausibel, daß er sich aus objektiver, wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde. Schließlich hätten sich auch keine Umstände ergeben, daß sich die von ihm geltend gemachten Umstände auf das gesamte Gebiet seines Heimatstaates bezögen, er also nicht Schutz vor etwaiger Verfolgung in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte finden können.

Aufgrund der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 29. November 1994, Zl. 94/20/0498, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, wodurch das Berufungsverfahren bei der belangten Behörde wiederum anhängig wurde.

Im fortgesetzten Berufungsverfahren wurde dem Beschwerdeführer mit Manuduktionsschreiben der belangten Behörde vom 28. April 1995 Gelegenheit gegeben, einfache Verfahrensmängel und sich daraus etwa ergebende Sachverhaltsänderungen geltend zu machen, ansonsten auf Grund des Ermittlungsergebnisses des Verfahrens erster Instanz sowie der bereits vorliegenden Berufung entschieden würde. Eine Reaktion des Beschwerdeführers hierauf erfolgte nicht.

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Sie begründete dies lediglich mit dem Hinweis auf die Begründung ihres Bescheides vom 21. Juni 1994, ergänzte, dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne auch nicht entnommen werden, daß er nicht Schutz vor etwaigen Fährnissen in einem anderen - befriedeten - Teil der Türkei hätte finden können bzw. nicht sogar schon während seines Aufenthaltes in Istanbul gefunden habe, und schloß mit dem Zusatz:

"Dies insbesondere deshalb, als Ihnen per Schreiben des Bundesministerium für Inneres vom 28.04.1995 die Möglichkeit geboten wurde, hiezu Stellung zu nehmen, wie auch Ihre Berufung zu ergänzen und Sie hievon nicht Gebrauch machten."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und unter sinngemäßer Wiederholung seiner Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, die Feststellung dahin, daß er in seinem Heimatland tatsächlich verfolgt worden sei, sei entgegen seinem Vorbringen und seiner niederschriftlichen Aussage nicht getroffen worden. Er habe bei dieser Einvernahme nur jene Angaben gemacht, die von ihm erfragt worden seien. Insoferne er zu konkreten Asylumständen nicht ausreichend befragt worden sei, werde die unzureichende Durchführung des Ermittlungsverfahrens im Sinne der Mangelhaftigkeit der Beweisführung gemäß § 58 Abs. 2 AVG geltend gemacht. Überdies unterliege sowohl der Bescheid der ersten Instanz als auch der nunmehr angefochtene Bescheid einem Begründungsmangel, da er "ohne Bezug auf meinen Fall gestaltet ist und lediglich mein Vorbringen fragmentweise wiederholt und sich sodann in Gesetzesdefinitionen erfüllt. Eine Beweiswürdigung wurde nicht vorgenommen." Auf sein konkretes Vorbringen im Asylantrag sowie in der niederschriftlichen Einvernahme sei nicht eingegangen worden.

Es ist dem Beschwerdeführer zwar zuzugestehen, daß der erstinstanzliche Bescheid mangels näheren Eingehens auf die von ihm geschilderte spezielle Situation an einem Begründungsmangel leidet. Dies stellt aber keine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers dar, weil die belangte Behörde im Rahmen des § 66 Abs. 4 AVG (§ 20 Abs. 1 AsylG 1991) in der Sache selbst zu entscheiden hat und dies auch getan hat. Damit tritt jedoch der Bescheid der belangten Behörde an die Stelle des bekämpften erstinstanzlichen Bescheides. Der Vorwurf, auch der Bescheid der belangten Behörde sei nicht ausreichend begründet, geht deshalb fehl, weil die Begründung des nunmehr bekämpften (Ersatz-)bescheides sich in der gänzlichen Übernahme jener des vorangegangenen Bescheides der belangten Behörde vom 21. Juni 1994 erschöpft, welche Vorgangsweise vom Verwaltungsgerichtshof nicht als rechtswidrig erkannt wurde (vgl. hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 95/20/0501). Auch daraus, daß die belangte Behörde auf eine "Beweiswürdigung" im engeren Sinne verzichtet hat, kann der Beschwerdeführer in keinem subjektiven Recht verletzt worden sein, weil aus der mit dem angefochtenen Bescheid übernommenen Begründung des Vorbescheides vom 21. Juni 1994 zweifelsfrei hervorgeht, daß Grundlage für die dort vorgenommene (und im vorliegenden Bescheid wiederholte) rechtliche Beurteilung das eigene Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem schriftlichen Asylantrag war. Insoweit der Beschwerdeführer ein Eingehen auf das Ergebnis seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Linz vermißt, übersieht er, daß seine damaligen Angaben sich im wesentlichen lediglich in dem Verweis auf seine schriftlich dargelegten Asylgründe erschöpften. Ausgehend von den im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 der rechtlichen Beurteilung zugrundezulegenden Angaben des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren

- Verfahrensmängel, die im Sinne des § 20 Abs. 2 leg. cit. die belangte Behörde zu einer Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens hätten veranlassen müssen, wurden in der Berufung nicht dargelegt - kann aber auch die von der belangten Behörde daran geknüpfte rechtliche Beurteilung nicht als rechtswidrig erkannt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reichen die die gesamte kurdische Bevölkerung betreffenden bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Heimatland des Beschwerdeführers allein nicht aus, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Es wäre vielmehr erforderlich gewesen, daß - vor diesem Hintergrund - auch eine ihn selbst konkret betreffende Bedrohung glaubhaft gemacht worden wäre.

Insoweit der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht, die belangte Behörde habe es unterlassen, "die Widersprüche zwischen meinen Angaben und (gemeint wohl: in) meinem niederschriftlichen Asylantrag und meiner niederschriftlichen Befragung vor der Bundespolizeidirektion Linz einer näheren Überprüfung und Klärung zuzuführen", ist ihm zu entgegnen, daß derartige Widersprüche dem Akt nicht zu entnehmen sind, da insbesondere die niederschriftliche Befragung des Beschwerdeführers - wie schon dargelegt - sich in einem Verweis auf die schriftliche Darstellung seiner Fluchtgründe beschränkt hat, damit also nicht in Widerspruch geraten konnte.

Insoweit die belangte Behörde als zusätzlichen Abweisungsgrund dem Beschwerdeführer entgegenhält, es sei ihm eine sogenannte "inländische Fluchtalternative" freigestanden, ist es zwar unzutreffend, wenn die belangte Behörde davon ausgeht, dies sei ihm in dem Manuduktionsschreiben vom 28. April 1995 bereits vorgehalten worden (diese Passage ist in dem im Akt verbliebenen Original durchgestrichen), doch ändert dies für den Beschwerdeführer nichts, weil er diesem Aspekt weder in der ersten Beschwerde, noch auch in der nunmehrigen begründet entgegentritt. Die bloße Behauptung, diese Annahme der belangten Behörde sei "nicht überzeugend" und werde "auch nicht entsprechend begründet" kann mangels näherer Begründung ebenfalls nicht überzeugen, zumal die Annahme einer "inländischen Fluchtalternative" nicht von vornherein als unrichtig erkannt werden kann (vgl. dazu als Beispiel für viele hg. Erkenntnis vom 5. Juni 1996, Zl. 95/20/0394).

Im übrigen wird der Beschwerdeführer auf die Bestimmung des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 verwiesen, deren Anwendbarkeit auch durch die Aufhebung des Wortes "offenkundig" im Abs. 2 leg. cit. durch den Verfassungsgerichtshof mit dem bereits vorerwähnten Erkenntnis keiner Einschränkung unterliegt.

Aus den dargelegten Gründen erweist sich die Beschwerde insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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