VwGH 95/19/0214

VwGH95/19/021417.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerden 1.) der ZM, und 2.) der SM, beide in W, die Zweitbeschwerdeführerin vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, diese vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 24. April 1995, 1.) Zl. 300.949/2-III/11/95, und

2.) 300.949/3-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs1;
MeldeG 1991 §1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs1;
MeldeG 1991 §1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 11.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird jeweils abgewiesen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 24. April 1995 wurden die Anträge der Beschwerdeführer vom 22. Dezember 1994 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufG) abgewiesen.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidungen gleichlautend damit, daß die Erstbehörde die Anträge mangels ortsüblicher Unterkunft abgewiesen habe, weil die zur Verfügung stehende Wohnung im Ausmaß von 51 m2 für den dauernden Aufenthalt von zehn Personen nicht ausreiche. In der Berufung sei eingewendet worden, daß die Erstbeschwerdeführerin vier Personen von der Anschrift W, S-Straße 55/6, abgemeldet habe. Die belangte Behörde habe eine neuerliche Überprüfung über das Meldeamt Leopoldstadt durchgeführt. Diese habe ergeben, daß an der genannten Anschrift ACHT PERSONEN polizeilich gemeldet und aufhältig seien. Im Hinblick auf eine derartige Beengtheit liege jedenfalls keine für Inländer ortsübliche Unterkunft vor, weshalb gemäß § 5 Abs. 1 AufG Bewilligungen nicht erteilt werden dürften.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Verbindung der Beschwerden aufgrund ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, vom 28. Juni 1988, Zl. 87/11/0066, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722). Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als diesem nicht entnommen werden kann, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß die an der Anschrift W,

S-Straße 55/6, polizeilich gemeldeten acht Personen (siehe Aktenvermerk vom 21. April 1995) auch tatsächlich an dieser Adresse aufhältig sind. Aus dem alleinigen Umstand der polizeilichen Meldung ist kein zwingender Schluß auf den tatsächlichen Aufenthalt der gemeldeten Personen in dieser Unterkunft zulässig. Die Beschwerdeführer haben in der Beschwerde auch auf diesen Umstand hingewiesen und vorgebracht, daß nur sechs Personen in der genannten Wohnung aufhältig seien. Hiebei handle es sich um eine erwachsene Person und fünf Personen im Alter zwischen drei Monaten und 15 Jahren.

Ginge man von der von den Beschwerdeführern genannten Personenzahl aus, so verblieben pro Person 8,5 m2. Da kein Erfahrungssatz des Inhaltes bekannt ist, daß eine ortsübliche Unterkunft nur dann anzunehmen ist, wenn - ohne Hinzutreten weiterer Umstände - jeder der in der Wohnung lebenden Person nur die genannte Quadratmeteranzahl zur Verfügung stünde, kann das Nichtvorliegen einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG nicht von vornherein angenommen werden. Denn die belangte Behörde hat außer der Zahl der gemeldeten - und ihrer Ansicht nach auch aufhältigen - Personen und der Quadratmeteranzahl keine weiteren Umstände, wie etwa den Mangel eines abgesonderten Schlafraumes für die Kleinkinder, zur Begründung ihrer Ansicht herangezogen.

Darüber hinaus erweisen sich die angefochtenen Bescheide aber auch mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 16. März 1995, B 2259/94, und vom 12. Juni 1995, B 1599/94, dargetan hat, ist die Behörde bei Heranziehung des in § 5 Abs. 1 AufG enthaltenen Versagungstatbestandes der für die Dauer der Bewilligung nicht ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art. 8 MRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens und des Familienlebens eingegriffen würde, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die privaten und familiären Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. September 1995, Zl. 95/18/0936).

Im gegenständlichen Fall hat die Erstbeschwerdeführerin dargelegt, seit ungefähr 20 Jahren in Österreich zu leben und sozial integriert zu sein. Aus dem Akt sind Wiedereinreisesichtvermerke, zuletzt mit Gültigkeit bis 22. Jänner 1995, ersichtlich. Die Zweitbeschwerdeführerin lebe seit ihrer Geburt in Österreich und sei sozial integriert. Aus dem Verwaltungsakt ist die Tatsache der Geburt in Österreich, die beantragte Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit der Erstbeschwerdeführerin und ein Wiedereinreisesichtvermerk, gültig bis 22. Jänner 1995, ersichtlich.

Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK eine Interessenabwägung zwischen den privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführer und den öffentlichen Interessen an der Versagung einer Bewilligung vorzunehmen. Indem sie dies unterließ, hat sie ihre Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, welche der Wahrnehmung der Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, sodaß die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Umfang des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Vorlage der angefochtenen Bescheide jeweils nur in einfacher Ausfertigung notwendig gewesen wäre.

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