Normen
AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;
Spruch:
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben.
Begründung
1.1. Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Juni 1995, Zl. 95/17/0125-5, wurde die beim Verfassungsgerichtshof verspätet erhobene, dessen ungeachtet jedoch dem Verwaltungsgerichtshof nach Ablehnung abgetretene Sukzessivbeschwerde wegen Versäumung der ursprünglichen Beschwerdefrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückgewiesen.
Diese Verfassungsgerichtshofbeschwerde war am 25. März 1994, dem letzten Tag der Beschwerdefrist, zur Post gegeben worden, das Kuvert war jedoch (ausschließlich) an den Verwaltungsgerichtshof adressiert gewesen; die Sendung war in dessen Einlaufstelle (die damals noch von der des Verfassungsgerichtshofes getrennt war) am 28. März 1994 eingelangt und am selben Tag vom Verwaltungsgerichtshof an den Verfassungsgerichtshof weitergeleitet worden.
Der Verwaltungsgerichtshof führte in seinem oben zitierten Beschluß vom 23. Juni 1995 aus, eine an die unzuständige Stelle adressierte Verfassungsgerichtshofbeschwerde, die erst von dieser Stelle an den Verfassungsgerichtshof weitergeleitet werde, gelte nicht am Tag der Postaufgabe, sondern erst am Tag des Einganges beim Verfassungsgerichtshof als eingebracht; die Sukzessivbeschwerde sei vom Verwaltungsgerichtshof wegen Versäumung der ursprünglichen Beschwerdefrist zurückzuweisen gewesen. Dieser Beschluß wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerin am 17. November 1995 zugestellt.
1.2. Mit der am 1. Dezember 1995 - also rechtzeitig - zur Post gegebenen Eingabe stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG und ergänzte gleichzeitig die an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde. Zur Begründung führte die Antragstellerin im wesentlichen aus, daß ihr Vertreter die ursprüngliche Beschwerde richtigerweise an den Verfassungsgerichtshof gerichtet und die Übertragung in Reinschrift durch die Kanzleiangestellte auch kontrolliert habe. Allerdings sei der Kanzleiangestellten ein Versehen unterlaufen, indem sie das Kuvert irrtümlich an den Verwaltungsgerichtshof adressiert habe. Weiters führte die Antragstellerin aus, daß die betreffende Kanzleikraft seit mehr als 16 Jahren in der Kanzlei des Vertreters der Antragstellerin beschäftigt und außergewöhnlich zuverlässig, genau, ja geradezu penibel sei. Ein Versehen dieser Kanzleikraft im Zusammenhang mit Fristen oder ein Fehler wie der, daß ein richtig diktierter und geschriebener Schriftsatz in ein Kuvert gesteckt worden wäre, das eine falsche Behörde bezeichnet habe, sei noch nie passiert. Zur Kontrolle des Kanzleibetriebes durch ihren Anwalt legte die Antragstellerin dar, daß die von ihrem Rechtsanwalt zu zeichnenden Schriftstücke allabendlich von der Kanzleikraft in der Unterschriftenmappe vorgelegt und vom Rechtsanwalt auch im Hinblick auf die Bezeichnung des Adressaten kontrolliert würden. In der Regel befände sich auch bereits das beschriftete Kuvert in der Mappe; dessen Adressierung werde stichprobenartig überprüft. Aufgrund der bisher fehlerlosen Tätigkeit dieser Kanzleiangestellten werde nicht jedes einzelne Kuvert nach dem Beschriften noch vom Rechtsanwalt geprüft, stelle doch das Beschriften des Kuverts eine Aufgabe dar, die ohne weiters einer erfahrenen und zuverlässigen Mitarbeiterin überlassen werden könne. Es handle sich um einen minderen Grad des Versehens der Kanzleiangestellten und sei die Kontrolle des Kanzleibetriebes durch den Rechtsanwalt ausreichend.
Dem Wiedereinsetzungsantrag wurde je eine "eidesstättige Erklärung" des Rechtsanwaltes und der Kanzleiangestellten beigegeben, deren Inhalt die Richtigkeit der obigen Angaben bestätigt.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. e VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
2.1. § 46 Abs. 1 VwGG in der Fassung BGBl. Nr. 564/1985 lautet:
"Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder undabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."
2.2. Die Wiedereinsetzung ist auch zu bewilligen, wenn eine Frist durch ein Verhalten von Angestellten des Bevollmächtigten der Partei versäumt wurde, es sei denn, es läge ein Verschulden der Partei vor (vgl. den hg. Beschluß vom 16. Dezember 1991, Zl. 91/10/0233 = ZfVB 1993/1/208, und die dort zitierte hg. Judikatur). Dem Verschulden der Partei selbst ist das Verschulden ihres Vertreters gleichzustellen (vgl. den hg. Beschluß vom 26. Juni 1992, Zl. 88/17/0207). Ein Versehen einer Kanzleibediensteten stellt für einen Rechtsanwalt und damit für die von diesem vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten hinreichend nachgekommen ist (vgl. den eben zitierten Beschluß vom 16. Dezember 1991). Zu prüfen ist also, ob ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des einschreitenden Rechtsanwaltes im Hinblick auf seine Aufsichts- und Kontrollpflichten vorliegt.
2.3. Der Verwaltungsgerichtshof geht von dem im Wiedereinsetzungsantrag in sich widerspruchsfrei dargestellten und in den wesentlichen Punkten mit den eidesstättigen Erklärungen übereinstimmenden Sachverhalt aus.
In seiner Rechtsprechung hat es der Verwaltungsgerichtshof nicht als zweckmäßige und zumutbare Kontrollmaßnahme angesehen, daß sich der Rechtsanwalt nach Übergabe sämtlicher Schriftstücke an die bisher bewährte Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung überzeugt (vgl. die hg. Beschlüsse vom 27. Jänner 1983, Zl. 82/08/0205 = ZfVB 1983/6/2792, vom 22. September 1987, Zl. 83/08/0108 = ZfVB 1984/3/1184, und vom 17. Februar 1992, Zl. 91/10/0171 = ZfVB 1992/5/2167). Die Überwachungspflicht des Parteienvertreters geht also nicht so weit, jede einzelne einfache Arbeitsverrichtung wie die Kuvertierung und Aufgabe von Postsendungen zu kontrollieren (vgl. die hg. Beschlüsse vom 15. März 1995, Zl. 94/13/0215, und vom 25. Jänner 1996, Zlen. 95/06/0233, 96/06/0019).
Einem manipulativen Vorgang dieser Art ist es gleichzuhalten, wenn der vom Anwalt kontrollierte Schriftsatz den richtigen Adressaten aufweist, jedoch der bislang verläßlichen Kanzleikraft ein Versehen bei der Beschriftung des Kuverts passiert (vgl. den hg. Beschluß vom 27. Juli 1994, Zl. 94/13/0131). Auch in einem solchen Fall liegt dem Rechtsanwalt - unter dem Gesichtspunkt einer rationellen und arbeitsteiligen, die Besorgung abgegrenzter Aufgabenbereiche delegierenden Betriebsführung - keine Verletzung der Sorgfaltspflicht dadurch zur Last, daß er nach Kontrolle des Schriftstückes und seiner Adressierung sich nicht in jedem Fall auch von der richtigen Adressierung auf dem Kuvert, etwa durch nochmalige Vorlage des Schriftsatzes mit dem Kuvert, überzeugt.
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher stattzugeben.
2.4. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 und 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
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