VwGH 95/04/0030

VwGH95/04/003010.12.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des Ing. H in S, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 23. Dezember 1994, Zl. 91.505/111-III/7/94, betreffend Standesbezeichnung "Diplom-HTL-Ingenieur" zu Recht erkannt:

Normen

IngG 1990 §16 Abs1 Z3;
IngG 1990 §16 Abs1 Z4;
IngG 1990 §18 Abs1;
IngG 1990 §18 Abs4;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §38 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
IngG 1990 §16 Abs1 Z3;
IngG 1990 §16 Abs1 Z4;
IngG 1990 §18 Abs1;
IngG 1990 §18 Abs4;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §38 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Ansuchen des Beschwerdeführers, ihm die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Diplom-HTL-Ingenieur" zu verleihen, "mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Z. 2 und 3 des Ingenieurgesetzes 1990, BGBl. Nr. 461 in der Fassung BGBl. Nr. 512/1994, nicht stattgegeben".

Zur Begründung wurde im wesentlichen (nach Darlegung der Rechtslage) ausgeführt, daß der Beschwerdeführer am 25. Juni 1962 die Reifeprüfung an der Höheren Abteilung für Elektrotechnik abgelegt habe. Der Beschwerdeführer sei seit 1. Oktober 1968 bei der Firma N-AG als Systemsoftware-Entwickler mit der Entwicklung von Test- und Diagnoseprogrammen für lokale Peripherien beschäftigt. Die vom Beschwerdeführer vorgelegte schriftliche Arbeit befasse sich mit einer Prüfsoftware, einem von ihm entwickelten Test- und Diagnoseprogramm zur Überprüfung von Software und zum Nachweis des unbeeinträchtigten Funktionierens von Plattenspeicher-Geräten. Diese Tätigkeit setze die an der höheren technischen Lehranstalt für Elektrotechnik erworbenen wesentlichen Kenntnisse nicht voraus; die schriftliche Arbeit des Beschwerdeführers sei, da sie auf dem gleichen Gebiet gelegen sei, wie seine Berufspraxis, nicht geeignet, eingehende und umfassende Kenntnisse auf dem Gebiet der Elektrotechnik nachzuweisen. Die Schwerpunkte der vom Beschwerdeführer absolvierten Ausbildung lägen, wie sich den Angaben über die wöchentlichen Stundenzahlen der einzelnen Unterrichtsgegenstände im Reifeprüfungszeugnis entnehmen lasse, auf den Gebieten Mechanik, Maschinenkunde, elektrische Maschinen und Geräte, elektrische Anlagen und Hochspannungstechnik, Fernmelde- und Radiotechnik und mechanischer Technologie. Ein Unterricht auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung sei, dem damaligen Stand der Technik entsprechend, im damals geltenden Lehrplan der Höheren Abteilung für Elektrotechnik überhaupt nicht vorgesehen gewesen. Die Tätigkeit und die schriftliche Arbeit des Beschwerdeführers hingegen würden Kenntnisse voraussetzen, wie sie an der höheren technischen Lehranstalt für EDV und Organisation vermittelt werden. Es könne daher nicht berücksichtigt werden, wenn der Antragsteller sich autodidaktisch auf einem anderen Fachgebiet als dem, in welchem die Reifeprüfung abgelegt worden sei, Kenntnisse angeeignet habe und auf diesem Gebiet - mag es auch sehr erfolgreich sein - tätig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende

Beschwerde.

Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Februar 1995 wurde über die Beschwerde das Vorverfahren eingeleitet. Diese Verfügung enthält unter anderem (auch) den Hinweis auf § 38 Abs. 2 VwGG, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Falle des Unterbleibens einer fristgerechten Aktenvorlage berechtigt ist, allein auf Grund der Beschwerdebehauptungen zu erkennen.

Die belangte Behörde teilte mit Schriftsatz vom 4. Mai 1995 mit, daß der Verwaltungsakt "bedauerlicherweise in Verstoß geraten ist" und daher nicht vorgelegt werden könne. Die Behörde erstattete dennoch eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Seinem gesamten Vorbringen zufolge erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht, auf Verleihung der Berechtigung zur Führung der Bezeichnung "Diplom-HTL-Ingenieur" verletzt. Er bringt hiezu im wesentlichen vor, der angefochtene Bescheid überprüfe in unzulässiger Weise die Qualifikation seiner Tätigkeit und seiner schriftlichen Arbeit dahingehend, ob diese geeignet seien, die erforderlichen Kenntnisse des Antragstellers nachzuweisen. Die belangte Behörde hätte feststellen müssen, daß die Entwicklung von Test- und Diagnoseprogrammen entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Ansicht keine Tätigkeit darstelle, die überlicherweise einem Informatiker zukomme, sondern daß es sich vielmehr um Tätigkeiten handle, welche regelmäßig von Elektrotechnikern ausgeübt würden. Diese Tätigkeit habe ohne Zweifel umfassende Kenntnisse vorausgesetzt, wie sie an einer höheren technischen Lehranstalt für Elektrotechnik vermittelt würden. Hätte die belangte Behörde ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchgeführt, wäre auch zutage getreten, daß der Antragsteller im Rahmen seiner praktischen Berufsausübung entsprechend der internen Gliederung der Firma N-AG nicht in der Abteilung "Anwender oder Systemprogrammierung" tätig gewesen sei, sondern in Abteilungen wie etwa der Abteilung "Prüf- und Wartungsvorbereitung", in welcher Tätigkeiten ausgeübt würden, die fundierte elektrotechnische Kenntnisse unumgänglich machten. Eine Verletzung des Parteiengehörs sei darin zu erblicken, daß ihm insbesondere eine Äußerung zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht eingeräumt worden sei. Die belangte Behörde vermeine auch zu Unrecht, daß seine Tätigkeit und seine schriftliche Arbeit nur solche Kenntnisse erfordern würden, wie sie an höheren technischen Lehranstalten für EDV und Organisation vermittelt würden. Sie verkenne dabei, daß seine praktische Tätigkeit und seine schriftliche Arbeit geradezu darin bestanden hätten, umfassendes elektrotechnischen Spezialwissen über den Weg der Programmierung in eine anwendungsfähige Form zu bringen. Dabei liege jedoch das tatsächliche Schwergewicht in der Kenntnis der elektrischen Maschinen und elektrischen Anlagen, als deren Bestandteile die entwickelte Software zu betrachten sei. Es sei offenkundig, daß auf Grund der technologischen Entwicklung nahezu jede komplexere elektrotechnische Anlage computerunterstützt in weitester Form arbeiten würde. Gerade die von ihm ausgeübte Tätigkeit erfordere eingehende und umfassende Kenntnisse der jeweiligen Anlage und sohin vertieftes technisches Wissen auf elektrotechnischem Gebiet. Seine schriftliche Arbeit diene dem Nachweis einer einwandfreien Gerätefunktion. Die Programmierung der diesbezüglichen Software sei dabei nur als Formalsache zu betrachten gewesen, und sei vorweg eine umfassende Kenntnis der Gerätefunktion von Bedeutung gewesen, welche umfassende und eingehende Kenntnis auf dem Gebiet der Elektrotechnik erforderte. Bei den hierfür erforderlichen Kenntnissen handle es sich geradezu um klassisches Wissen aus dem Gebiet der Elektrotechnik. Die belangte Behörde gehe sohin offensichtlich - und dies sei in der rasch fortschreitenden Technologie begründet - hinsichtlich der von ihm ausgeübten Tätigkeiten und der für seine vorgelegte schriftliche Arbeit erforderlichen Kenntnisse von falschen Voraussetzungen aus. Dieser Umstand zeige sich ganz deutlich darin, daß in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt werde, daß entsprechend dem Stand der Technik zu der Zeit, als er die höhere technische Lehranstalt für Elektrotechnik absolviert habe, ein Unterricht auf dem Gebiet der elektrotechnischen Datenverarbeitung nicht vorgesehen gewesen sei.

Die Beschwerde ist schon auf Grund folgender Erwägungen berechtigt:

Gemäß § 16 Abs. 1 Ingenieurgesetz 1990 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 512/1994 ist die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung "Diplom-HTL-Ingenieur" vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten über Antrag zu verleihen, wenn der Antragsteller

1. die Reifeprüfung nach dem Lehrplan einer inländischen höheren technischen Lehranstalt erfolgreich abgelegt hat,

2. nach der Reifeprüfung eine mindestens sechsjährige Berufspraxis, bei der die an der höheren technischen Lehranstalt erworbenen, für das Fachgebiet wesentlichen technischen Kenntnisse anzuwenden waren, zurückgelegt hat,

3. durch die Vorlage einer schriftlichen Arbeit auf seinem Fachgebiet eingehende und umfassende Kenntnisse nachweist und

4. eine fachliche Prüfung vor Sachverständigen erfolgreich abgelegt hat.

Gemäß § 18 Abs. 4 leg.cit. hat sich die Prüfung umfassend auf Fragen des Fachgebietes des Antragstellers und auf die schriftliche Arbeit (§ 16 Abs. 1 Z 3 bzw. § 16 Abs. 2 Z 3) zu erstrecken. Die Beurteilung der schriftlichen Arbeit und der Prüfung hat nur dann mit "bestanden" zu erfolgen, wenn das Sachverständigenkollegium mit Stimmeneinhelligkeit zu diesem Kalkül gelangt.

Nach § 38 Abs. 2 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof, wenn die Behörde die Akten nicht vorgelegt hat und auf diese Säumnisfolge vorher ausdrücklich hingewiesen wurde, auf Grund der Behauptung des Beschwerdeführers erkennen. Die belangte Behörde wurde auf diese Säumnisfolge (in der hg. Verfügung vom 16. Februar 1995) ausdrücklich hingewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof kann den vorliegenden Beschwerdefall daher auf der Grundlage der mit der Beschwerde vorgelegten Aktenbestandteile und der Sachverhaltsangaben der Beschwerde entscheiden; dabei ist vom Grundsatz auszugehen, daß eine Unvollständigkeit der Akten bzw. Zweifel über deren Inhalt sich nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirken dürfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1995, Zl. 95/10/0048). Entscheidet der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 38 Abs. 2 VwGG auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers, so hat er deren Richtigkeit nicht zu prüfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 1984, Zl. 84/10/0002).

Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid zunächst mit dem Vorbringen, daß die belangte Behörde den Sachverhalt nicht gehörig ermittelt und festgestellt habe. Sie habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob für die von ihm ausgeübte Tätigkeit jene Kenntnisse, die er an der HTL für Elektrotechnik erworben hatte, erforderlich gewesen seien. Da dem Verwaltungsgerichtshof auf Grund der fehlenden Verwaltunsakten eine Prüfung in dieser Hinsicht nicht möglich war, ist vor dem Hitergrund der Bestimmung des § 38 Abs. 2 VwGG von der Richtigkeit dieser Beschwerdebehauptung auszugehen.

Der Beschwerdeführer ist daher schon damit im Recht, daß die (auch) als Versagungsgrund herangezogene Voraussetzung der Z. 2 des § 16 Abs. 1 Ingenieurgesetz 1990, als eine der kumulativ erforderlichen Verleihungsvoraussetzungen des § 16 Abs. 1 leg. cit., von der belangten Behörde aufgrund eines mangelhaften (ergänzungsbedürftigen) Verfahrens verneint wurde, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei vollständiger Ermittlung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Schon aus diesem Grund belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel.

Für das fortgesetzte Verfahren ist hinsichtlich der weiteren kumulativen Voraussetzung der Z. 3 des § 16 Abs. 1 leg. cit., darauf zu verweisen, daß eine inhaltliche Beurteilung der schriftlichen Arbeit soweit - nicht die Frage der formalen Voraussetzung des Vorliegens einer schriftlichen Arbeit zu beantworten ist, und zwar etwa auch dahin, daß die "schriftliche Arbeit" ausschließlich ein für die Verleihung unmaßgebliches Fachgebiet behandelt - gemäß § 18 Abs. 4 zweiter Satz leg. cit. dem Sachverständigenkollegium und nicht dem Bundesminister für wirtschafltiche Angelegenheiten zusteht (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 95/04/0026, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte