VwGH 94/09/0149

VwGH94/09/014929.8.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Höß, Dr. Fuchs, Dr. Blaschek und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der A in A, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Kärnten vom 1. April 1994, Zl. OB 710-009198-009, betreffend Kriegsopferversorgung (Nichtanerkennung einer Gesundheitsschädigung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §90;
VwGG §41 Abs1;
AVG §37;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §90;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich folgende Vorgeschichte des nunmehrigen Beschwerdefalles:

Der im Jahr 1920 geborene und am 31. Oktober 1993 verstorbene Ehegatte der Beschwerdeführerin bezog bis zu seinem Tod aufgrund des rechtskräftigen Bescheides vom 8. November 1956 wegen der als Dienstbeschädigung anerkannten Gesundheitsschädigung "chronischer Rheumatismus" eine nach den §§ 7 und 8 KOVG bemessene Beschädigtengrundrente aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H.

Mit Berufungsbescheid vom 25. April 1990 wurde ein Antrag des Ehegatten der Beschwerdeführerin auf Neubemessung der Beschädigtenrente abgewiesen und ein geltend gemachter "chronisch rezidivierender Harnwegsinfekt" nicht als weitere Dienstbeschädigung anerkannt.

Mit Schreiben vom 3. Juli 1990 beantragte der Ehegatte der Beschwerdeführerin die Anerkennung eines "Blasenkarzinoms" als weitere Dienstbeschädigung.

Mit Bescheid vom 14. März 1991 wies das Landesinvalidenamt für Kärnten diesen Antrag unter Hinweis auf das "Ergebnis des sehr ausführlichen Ermittlungsverfahrens, insbesondere auch nach den Ausführungen des leitenden Arztes des Landesinvalidenamtes für Kärnten" ab. Demnach könne ein Zusammenhang des (nunmehr operierten) Blasenkarzinoms mit dem Wehrdienst bzw. mit den der Kriegsgefangenschaft eigentümlichen Verhältnissen nicht mit der vom Gesetz geforderten Wahrscheinlichkeit hergestellt werden. Es würden einerseits alle Nachweise darüber fehlen, mit welchen chemischen Stoffen während der Gefangenschaft gearbeitet worden sei. Auch würden die Zeugenaussagen darüber, ob es sich um eine Chemiefabrik, ein chemisches Labor oder einen chemischen Betrieb usw. gehandelt habe, auseinandergehen. Weiters wurde ausgeführt, daß außer der endogenen Entstehung praktisch nur aromatische Amine zu Blasenkrebs führten und hiebei eine lange und intensive Einwirkung (bei A1-Stoffen mindestens einjährig, bei A2-Stoffen mindestens dreijährig) erforderlich sei. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche die doch relativ kurze Einwirkungszeit und die lange Latenzzeit sowie das praktische Fehlen von Brückensymptomen. Befunderhebungen in den Jahren 1956 als auch 1966 hätten einen unauffälligen Blasenbefund ergeben. Eine höhere Wahrscheinlichkeit als der Einwirkung chemischer Substanzen während der Gefangenschaft komme (wie der urologische Sachverständige in seinem Gutachten bemerkt habe) dem Nikotinabusus zu. Daher könne der kausale Zusammenhang mit dem Wehrdienst bzw. der Kriegsgefangenschaft nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit hergestellt werden und sei daher die erörterte Gesundheitsschädigung nicht als weitere Dienstbeschädigung anzuerkennen gewesen.

Die gegen diese Entscheidung eingebrachte Berufung bringt vor, daß die Feststellung des ursächlichen Zusammenhanges und seiner Wahrscheinlichkeit als Rechtsfrage der Kompetenz der Verwaltungsbehörde zufalle und nicht von dem von der ersten Instanz befaßten leitenden Arzt beantwortet werden könne. Es würden sehr wohl Brückensymptome vorliegen, zumal chronisch rezidivierende Harnwegsinfekte bestanden hätten. Es lägen auch Zeugenaussagen darüber vor, daß der Ehegatte der nunmehrigen Beschwerdeführerin während seiner Gefangenschaft in einer Chemiefabrik ca. zwei Jahre habe arbeiten müssen. Weiters erhebe sich die Frage, ab welcher Stückzahl an Zigaretten man überhaupt von einem "Nikotinabusus" sprechen könne und inwieweit eine Beeinflussung der Karzinombildung bei einem täglichen Zigarettenkonsum seit 1971 von fünf bis zehn Stück gegeben sei.

Zur Frage der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Kausalität des Blasenkarzinoms mit den Verhältnissen während der Kriegsgefangenschaft holte die belangte Behörde ein Gutachten des urologischen Sachverständigen Primarius Dr. U ein. In diesem Gutachten vom 11. Februar 1992 wird zur Frage des Nikotinabusus Stellung genommen (neben einer Dosis-Wirkung-Beziehung erhöhe sich das Tumorrisiko etwa ab einer ununterbrochenen Rauchdauer von 16 Jahren signifikant), ausgeführt, daß im gegebenen Fall die Karzinombildung durch den nicht nachweisbaren chronischen Harnwegsinfekt auszuschließen sei und festgestellt, daß bei Annahme des unbewiesenen Sachverhaltes, wonach während der Kriegsgefangenschaft mindestens zwei Jahre mit Karzinogenen gearbeitet worden sei, und bei dem dann gegebenen Risiko von 7 % nicht von einer wahrscheinlichen kausalen Ursache gesprochen werden könne.

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin machte von der ihm gebotenen Gelegenheit zur Stellungnahme zum Sachverständigengutachten Gebrauch, die belangte Behörde holte dazu verschiedene Ergänzungen des Gutachtens ein und gab letztlich mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Berufung (in Stattgebung des von der Beschwerdeführerin gestellten Fortsetzungsantrages gemäß § 48a KOVG) keine Folge. In der Begründung wird ausgeführt, daß vom Ehegatten der Beschwerdeführerin der Antrag eingebracht worden sei, ein bestehendes "Blasenkarzinom" als Dienstbeschädigung anzuerkennen. Diesbezüglich werde behauptet, daß der Versorgungswerber während seiner Gefangenschaft zumindest über einen Zeitraum von zwei Jahren in einer Chemiefabrik habe arbeiten müssen. Dies werde auch von Zeugen belegt, von allen Zeugen bzw. auch vom Ehegatten der Beschwerdeführerin habe allerdings nicht gesagt werden können, mit welchen chemischen Stoffen gearbeitet worden sei. Zu bemerken sei auch, daß das Arbeiten in einer chemischen Fabrik seinerzeit im Jahr 1956 weder vom Ehegatten der Beschwerdeführerin noch von einem einvernommenen Zeugen angeführt worden sei (auch in der Anamnese zum Gutachten vom 9. Oktober 1956 sei ein derartiger Hinweis nicht enthalten). In dem im letzten Berufungsverfahren (das ist nach der Aktenlage das mit Berufungsbescheid vom 25. April 1990 abgeschlossene) eingeholten Sachverständigengutachten des Primarius Dr. U vom 23. November 1989 führe der Ehegatte der Beschwerdeführerin dann "anamnestisch" an, daß er zwei Jahre hindurch in einer Chemiefabrik als Gefangener habe arbeiten müssen, er jedoch nicht sagen könne, um welche Chemikalien es sich dabei gehandelt habe. Seiner Erinnerung nach (Geruchseindruck) habe es sich um Phosphorprodukte gehandelt. Schon in diesem Gutachten werde festgehalten, daß ein während der Gefangenschaft erlittener Blasenkatarrh nicht für das spätere Auftreten rezidivierender Harnwegsinfekte verantwortlich gemacht werden könne und daher ein diesbezüglicher Kausalzusammenhang nicht bestehe. Zur Frage der Kausalität des "Blasenkarzinoms" sei vom Sachverständigen festgestellt worden, daß ein chronischer Harnwegsinfekt in einer typischen Art und Weise nicht bestehe, welcher einen Einfluß auf die spätere Entwicklung eines Karzinoms hätte haben können. Aus dieser während der Kriegsgefangenschaft erlittenen Erkrankung könne sich das nunmehr geltend gemachte Leiden nicht entwickelt haben. Die Arbeit in einer chemischen Fabrik berge nur dann ein Risiko in sich, wenn jemand zumindest über einen Zeitraum von zwei Jahren mit Karzinogenen gearbeitet habe, wobei die Latenzzeit bis zur Entstehung des Karzinoms zwischen 18 und 45 Jahre betrage. Der Risikofaktor werde bei Zutreffen aller dieser Voraussetzungen vom Sachverständigen mit 7 % angegeben. Dazu sei zu bemerken, daß es nicht mehr nachweisbar sei und auch nicht habe bestätigt werden können, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin tatsächlich mit Karzinogenen gearbeitet habe. Diesbezüglich könne daher auch keine Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Selbst wenn es sich um Karzinogene gehandelt hätte, betrage der Risikofaktor 7 % und könne auch aus dieser Sicht in weiterer Folge nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß ein Kausalzusammenhang bestehe. Die Frage des Gutachters, mit welchen Schadstoffen seinerzeit gearbeitet worden sei, sei dahingehend beantwortet worden, daß es sich hiebei um Schwefelprodukte gehandelt habe, welche jedoch, wie dem Gutachten weiter zu entnehmen sei, nicht zu den Karzinogenen gehörten. Wenn in einer ergänzender Stellungnahme Dris. U vom 6. Juli 1992 von einer 100 %igen Risikoquote die Rede sei, stütze sich dies nur auf die fiktive Annahme, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin einerseits mit Karzinogenen tatsächlich gearbeitet habe und zweitens einer jener Patienten sei, der genau unter den 7 % Risikoanteil falle. Diese Kette von Fiktionen könne aber nicht dazu angetan sein, von der ärztlicherseits immer wieder abgelehnten Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhanges auszugehen. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin sei offenbar schon im Jahr 1956 Raucher gewesen, und es werde auch im Sachverständigengutachten auf eine signifikante Assoziation zwischen Rauchen und Blasenkrebs hingewiesen. Auch seien keine Brückensymptome, die für ein Karzinom typisch wären, vorhanden gewesen, der Blasenbefund sowohl 1956 als auch 1966 habe keine Besonderheiten aufgewiesen und es sei die Wahrscheinlichkeit, daß der aktenkundige Nikotinabusus als Entstehungsursache in Frage komme, viel größer.

In der Beschwerde wird beantragt, den angefochtenen Bescheid "wegen Rechtswidrigkeit im Verfahren" zu beheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 1 KOVG 1957 ist eine Gesundheitsschädigung i. S.d. § 1 Abs. 1 KOVG 1957 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist. Für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. November 1992, 92/09/0092, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Während der ursächliche Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit dem schädigenden Vorgang nur wahrscheinlich zu sein braucht, müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen (schädigender Vorgang, gesundheitliche Schädigung) selbst bewiesen werden, d.h. es muß eine so hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, daß darauf die Überzeugung von der Wahrheit und nicht der bloßen Wahrscheinlichkeit gegründet werden kann (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1988, 88/09/0135). Die Beweiswürdigung der belangten Behörde ist dabei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des Nichtfestgestelltseins einer Tatsache sind - auch bei amtswegiger Ermittlungspflicht - von dem zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will (siehe nochmals das Erkenntnis vom 1. Dezember 1988).

Die belangte Behörde gelangte in ihrer Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, daß aufgrund des Ermittlungsverfahrens das geltend gemachte schädigende Ereignis (Arbeiten mit Karzinogenen während der Kriegsgefangenschaft) nicht als erwiesen anzunehmen sei. Sie verwies dazu auf die eigenen Angaben des Ehegatten der Beschwerdeführerin und auf die Aussagen der von diesem beantragten Zeugen. Die Beschwerdeführerin weist zwar in der Beschwerde darauf hin, die belangte Behörde hätte zur Verifizierung des Sachverhaltes bezüglich Arbeiten mit Karzinogenen "geeignete Ermittlungen noch in die Wege zu leiten" gehabt, läßt dazu aber offen, welcher Art diese hätten sein können (in einer Stellungnahme des Ehegatten der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren vom 1. April 1992 ist im übrigen auch von einem "Beweisnotstand" seinerseits die Rede). Der Beschwerdeführerin gelingt es daher nicht, das durchgeführte Ermittlungsverfahren in einem wesentlichen Punkt als unvollständig bzw. die darauf beruhende behördliche Beweiswürdigung als unschlüssig zu erweisen. Der Verwaltungsgerichtshof vermag die im angefochtenen Bescheid dargelegte Beweiswürdigung somit nicht als rechtswidrig zu erkennen. Ging die belangte Behörde aber zulässigerweise vom Nichtvorliegen des geltend gemachten schädigenden Ereignisses aus, dann können die auf der fiktiven Annahme eines solchen Ereignisses beruhenden Wahrscheinlichkeitsüberlegungen (und die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen) ebenso dahingestellt bleiben wie allfällige Beeinflussungsmöglichkeiten des als Gesundheitsschädigung behaupteten "Blasenkarzinoms" durch einen Nikotinabusus.

Wenn in der Beschwerde abschließend geltend gemacht wird, die belangte Behörde habe einem im Berufungsverfahren im Rahmen des Parteiengehörs am 9. August 1993 (erstmals) gestellten Antrag auf zusätzliche Anerkennung eines "Nierenbeckenkarzinoms" als Dienstbeschädigung nicht Rechnung getragen, genügt es darauf hinzuweisen, daß Sache des Berufungsverfahrens (§ 66 Abs. 4 AVG) die in erster Instanz erfolgte Ablehnung der Anerkennung der dort geltend gemachten Gesundheitsschädigung "Blasenkarzinom" als weitere Dienstbeschädigung war und die Anerkennung einer erstmals geltend gemachten Gesundheitsschädigung gemäß § 78 KOVG 1957 der Behörde erster Instanz obliegt (vgl. dazu beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. März 1991, 89/09/0008, mit Hinweisen auf Vorjudikatur).

Da der angefochtene Bescheid somit aus den dargelegten Gründen nicht als rechtswidrig zu erkennen ist, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff (insbesondere § 59 Abs. 1) VwGG i.V.m. der gemäß ihrem Art. III Abs. 2 anzuwendenden Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

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