VwGH 95/20/0034

VwGH95/20/003421.2.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über den Antrag der S in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Februar 1994, Zl. 4.331.999/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattgegeben.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 16. Februar 1994, der dem Verfahrenshelfer der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen des Iran, am 29. November 1994 zugestellt worden war, war ihr Asylantrag abgewiesen worden.

Die Beschwerdeführerin führte zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den angeführten Bescheid aus, die Kanzleileiterin ihres Rechtsvertreters habe sich am 10. Jänner 1995, dem letzten Tag der Beschwerdefrist, vergewissert, daß dessen Sekretärin die Beschwerde bereits geschrieben und dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorgelegt habe. Dieser habe die Beschwerde auch tatsächlich in zweifacher Ausfertigung unterschrieben und der seit Jahren bewährten und verläßlichen Sekretärin zur Abfertigung übergeben. Die abzufertigende Beschwerde sei aber unter mehreren im Sekretariat liegenden abzulegenden Akten verreiht und daher nicht zur Post gegeben worden. Erst beim Aufarbeiten dieser Akten am 16. Jänner 1995 sei das Versäumnis erkannt worden. Dieser Sachverhalt wurde von der Sekretärin des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin durch eidesstättige Unterschriftsleistung bestätigt.

In der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin bestehe ein seit vielen Jahren klaglos funktionierendes Kontrollsystem, in dem die Kanzleileiterin zusätzlich zur Eintragung im Fristenbuch die ablaufenden Fristen in Evidenz halte und diese dem Rechtsanwalt in Erinnerung rufe. Der Rechtsanwalt müsse aber darauf vertrauen können, daß die rein manipulative Tätigkeit der Übergabe von Schriftstücken an die Post durch seine Mitarbeiter tatsächlich durchgeführt werde. Das durch ein erst- und einmaliges Versehen bewirkte Unterbleiben der Aufgabe eines abzufertigenden Schriftstückes könne auch durch ein an und für sich funktionierendes Kontrollsystem nicht verhindert werden, weshalb weder den Rechtsanwalt noch die Kanzleileiterin ein Verschulden treffe. Aber auch das Verschulden der Sekretärin sei kein grobes, weil es auch im Fall eines sorgfältigen und verläßlichen Menschen geschehen könne, daß ein zur Post zu gebendes Schriftstück in einen Stoß Akten gerate.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Rechtsvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Wenn einem Angestellten des Rechtsvertreters im Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist ein Fehler unterläuft, hat das die Partei selbst nur dann nicht zu vertreten, wenn ihr Rechtsvertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten nachgekommen ist. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich nach der Übergabe der Poststücke an die Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung zu überzeugen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Februar 1993, Zl. 93/02/0004, und vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0019).

Nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt wurde im vorliegenden Fall die Beschwerdefrist richtig vorgemerkt und für die rechtzeitige Fertigstellung der Beschwerdeschrift gesorgt. In der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin wurde die Beschwerde einer zuverlässigen Kanzleikraft zur Postaufgabe rechtzeitig überlassen. Daß der Rechtsvertreter nicht auch noch die näheren Umstände der Postabfertigung überwachte, sodaß die versehentliche Einreihung der Beschwerde in abzulegende Akten zunächst unbemerkt blieb, vermag ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden nicht zu begründen.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung war somit stattzugeben.

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