VwGH 94/19/0019

VwGH94/19/001925.8.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über den Antrag der A, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Oktober 1993, Zl. 4.339.980/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattgegeben.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 29. Oktober 1993, der der Beschwerdeführerin, einer ukrainischen Staatsangehörigen, ihren Angaben zufolge am 19. November 1993, zugestellt worden war, war ihr Asylantrag abgewiesen worden.

Die Beschwerdeführerin führte zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den angeführten Bescheid aus, im Kanzleikalender ihres Rechtsvertreters sei als letzter Tag der Postaufgabe der zu verfassenden Beschwerde der 29. Dezember 1993 vermerkt worden. In der Zeit vom 23. Dezember 1993 bis einschließlich 2. Jänner 1994 sei die Kanzlei ihres Rechtsvertreters geschlossen gewesen, wobei aber in der Zeit vom 27. Dezember bis 29. Dezember 1993 noch offene Beschwerden und Rechtsmittel hätten ausgefertigt werden sollen. Der beim Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin beschäftigte Rechtsanwaltsanwärter habe die Beschwerde am 27. Dezember 1993 diktiert und zum Schreiben gegeben. Der Rechtsvertreter selbst habe die Beschwerde am 28. Dezember 1993 gelesen und unterfertigt sowie der seit sechs Jahren bei ihm beschäftigten und ihm als außerordentlich zuverlässig bekannten Sekretärin J. W. den Auftrag gegeben, an einigen Stellen Korrekturen vorzunehmen und die bereits unterfertigte Beschwerde sodann zur Post zu geben. Danach habe sich der Rechtsvertreter bis einschließlich 3. Jänner 1994 auf Urlaub begeben. Der Rechtsanwaltsanwärter sei am 29. Dezember 1993 erkrankt und daher nicht in der Kanzlei erschienen, habe sich aber telefonisch bei J. W. sowohl am

29. als auch am 30. Dezember 1993 vergewissert, daß alle im Kanzleikalender verzeichneten Beschwerden und Rechtsmittel fristgerecht zur Post gegeben worden seien. In Wahrheit habe aber eine erst seit drei Wochen beim Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin tätige Schreibkraft, der J. W. den Auftrag gegeben habe, die Beschwerde mit anderen Schriftstücken versandfertig zu machen und zu frankieren - im Glauben, die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid müsse wegen des darauf angebrachten Diktatzeichens des Rechtsanwaltsanwärters von diesem nochmals kontrolliert werden - die Beschwerde auf den Schreibtisch des Rechtsanwaltsanwärters gelegt, wo sie erst am 3. Jänner 1994 entdeckt worden sei. Die nicht rechtzeitige Absendung der Beschwerde beruhe somit auf dem Irrtum einer erst vor wenigen Wochen eingestellten unerfahrenen Schreibkraft bzw. einem Irrtum einer ansonsten hochgradig zuverlässigen Sekretärin. Der Beschwerdeführerin bzw. ihrem Rechtsvertreter sei allenfalls lediglich ein minderer Grad des Versehens anzulasten, wobei seitens des bei letzterem beschäftigten Rechtsanwaltsanwärters die berufsgebotene Sorgfaltspflicht eingehalten worden sei, weil sich dieser wiederholt über die rechtzeitige Abfertigung erkundigt und er die Beschwerdefrist sicherheitshalber einen Tag zu früh eingetragen habe. Zur Bescheinigung ihres Vorbringens legte die Beschwerdeführerin eidesstattliche, dieses Vorbringen bestätigende Erklärungen des Rechtsanwaltsanwärters und von J. W. vor.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Rechtsvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Wenn einem Angestellten des Rechtsvertreters im Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist ein Fehler unterläuft, hat das die Partei selbst nur dann nicht zu vertreten, wenn ihr Rechtsvertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten nachgekommen ist. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich nach der Übergabe der Poststücke an die Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung zu überzeugen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1993, Zl. 93/02/0004).

Nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt wurde im vorliegenden Fall die Beschwerdefrist richtig vorgemerkt und für die rechtzeitige Fertigstellung der Beschwerdeschrift gesorgt. In der Kanzlei des Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wurde die Beschwerde einer zuverlässigen Kanzleikraft zur Postaufgabe rechtzeitig überlassen. Daß der Rechtsvertreter nicht auch noch die näheren Umstände der Postabfertigung überwachte, sodaß die irrtümliche Wiedervorlage an den Rechtsanwaltanwärter und damit das Zurückbleiben der Beschwerde auf dessen Schreibtisch - auch infolge dessen Erkrankung - unbemerkt blieb, vermag ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden nicht zu begründen. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung war somit stattzugeben.

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