VwGH 95/01/0053

VwGH95/01/005317.5.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über den Antrag des F in M, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in M, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Mai 1994, Zl. 4.344.090/1-III/13/94, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben.

Die mit diesem Antrag verbundene Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Beschluß vom 18. Jänner 1995, Zl. 94/01/0785, wurde die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Mai 1994 wegen verspäteter Einbringung zurückgewiesen. Nach den Ausführungen im Antrag sei dieser Beschluß dem Vertreter des Beschwerdeführers am 1. März 1995 zugestellt worden. Zu der verspäteten Einbringung der Beschwerde sei es aus folgenden Gründen gekommen:

In der Kanzlei des Beschwerdevertreters würden alle einlangenden Poststücke vom Beschwerdevertreter persönlich gesichtet. Eingaben, die den Lauf von Fristen auslösten, würden nach persönlicher Anordnung des Beschwerdevertreters von seiner Kanzleileiterin, die bereits eine langjährige (nämlich zehnjährige) Berufspraxis in verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien habe, im Fristenbuch vorgemerkt. Im täglichen Kanzleibetrieb werde vom Beschwerdevertreter eine Kontrolle anhand des Fristenbuches und der Handakten vorgenommen, ob Fristvormerke richtig eingetragen und eingehalten worden seien. Besonderes Augenmerk gelte in diesem Zusammenhang der Eintragung und Wahrung von Rechtsmittelfristen. Hinsichtlich des Postausganges erfolge eine Kontrolle dahingehend, ob die Erledigungen fristgemäß vorgenommen worden seien, wobei es in der Kanzlei üblich sei, daß bei erledigten Fristsachen die entsprechende Frist im Fristenbuch "ausgestrichen" werde. Diese Kontrollen erfolgten jeweils am späten Nachmittag um ca. 17.00 Uhr, sodaß eventuell noch notwendige und unverzügliche Postaufgaben noch am selben Tag beim nahe gelegenen Postamt (Hauptpostamt M) vorgenommen werden könnten. Die Arbeitsverwendung der Kanzleileiterin habe noch nie Anlaß für Beanstandungen gegeben. Im vorliegenden Fall sei die Frist richtig mit dem 5. Dezember 1994 im Fristenbuch ausgewiesen gewesen. Am Nachmittag des 5. Dezember 1994 habe sich der Beschwerdevertreter bei der Kanzleileiterin um ca. 16.00 Uhr erkundigt, ob die vorgesehene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde bereits fertiggestellt worden sei, was von der Kanzleileiterin bejaht worden sei. Der Beschwerdevertreter habe die Beschwerdeschrift um ca. 17.15 Uhr unterfertigt und seine Kanzleileiterin damit beauftragt, die zwei Ausfertigungen der Beschwerdeschrift noch am selben Tag zum Postamt M zwecks Postaufgabe zu bringen. Der Beschwerdevertreter habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Beschwerdeschrift bei sonstiger Fristversäumnis noch am 5. Dezember 1994 bei der Post aufgegeben werden müßte. Der Beschwerdevertreter habe sich unter diesen Umständen darauf verlassen können, daß die Beschwerde auftragsgemäß noch am 5. Dezember 1994 zur Post gebracht werde. Es sei im Kanzleibetrieb üblich, daß am letzten Tag der Frist von der Mitarbeiterin des Beschwerdevertreters Schriftstücke persönlich zur Post gebracht würden, wobei in seltenen Fällen die Post von der Mitarbeiterin oder vom Beschwerdevertreter selbst noch in der Nacht zum Postamt am Wiener Südbahnhof transportiert würden. Am Nachmittag des 5. Dezember 1994 habe es Vertragsbesprechungen gegeben, die sich über einen Zeitraum von mehreren Stunden erstreckt hätten.

Nach Erhalt der Zurückweisung der Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof habe der Beschwerdevertreter folgenden Sachverhalt herausfinden können:

Seine Kanzleileiterin, die die betreffenden Beschwerdeschriften am 5. Dezember 1994 selbst zum Postamt M habe bringen wollen, sei von der Tagespflegemutter ihrer Kinder angerufen worden, daß ihr Sohn gestürzt sei und sich verletzt habe. Sie sei aufgrund dieser Nachricht sehr aufgeregt gewesen und unverzüglich zu den Kindern gefahren. Davor habe sie den in der Kanzlei anwesenden Notarsubstituten Dr. R, der das Telefonat der Kanzleileiterin mit ihrer Tagespflegemutter mitverfolgt habe, ersucht, die beiden Beschwerdeschriftsätze noch am selben Tag beim Postamt Wien-Südbahnhof aufzugeben. Nachdem die Kanzleileiterin das Kuvert mit den Beschwerdeschriften dem Notarsubstituten übergeben habe, habe sie die Frist im Fristenbuch ausgestrichen. Der Notarsubstitut habe in der Folge das übergebene Kuvert am folgenden Tag persönlich beim Verwaltungsgerichtshof abgegeben. Er habe offensichtlich akustisch nicht ganz richtig zugehört und nicht in vollem Umfang erfaßt, daß die ihm übergebene Beschwerde bereits am 5. Dezember 1994 zur Post aufgegeben hätte werden müssen. Dem Wiedereinsetzungsantrag liegen eidesstattliche Erklärungen der Kanzleileiterin und des Notarsubstituten bei.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber den Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen u. a. dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Unbeachtlich ist es, wenn dem Rechtsanwalt nur ein minderer Grad des Versehens vorgeworfen werden kann. Der - aus der Zivilprozeßordnung in der Fassung der Zivilverfahrensnovelle 1983 übernommene - Begriff des minderen Grades des Versehens wird im Bereich der Zivilprozeßordnung, z. B. von Fasching im Lehrbuch des österreichischen Zivilprozesses, Rz. 580, als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfe also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer acht gelassen haben. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten seien diesen zuzurechnen und ermöglichten jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwaltes bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung gewesen seien (vgl. den hg. Beschluß vom 24. September 1986, Zlen. 86/11/0132, 0133, und die darin zitierte Vorjudikatur).

Im vorliegenden Fall ist sowohl die Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Beschwerdevertreters im Lichte der Ausführungen im Antrag über die von ihm gehandhabten Kontrollen in seiner Kanzlei als auch das Vorliegen eines bloß minderen Grades des Versehens des dem Vertreter zuzurechnenden Handelns der Kanzleiangestellten zu bejahen. Wenn die bisher verläßliche Mitarbeiterin des Beschwerdevertreters am späten Nachmittag des letzten Tages der Beschwerdefrist, von dem Sturz ihres Sohnes telefonisch informiert, der sich dabei verletzt hatte, überstürzt um ca. 18.00 die Kanzlei verließ und davor einen in der Kanzlei in diesem Zeitpunkt anwesenden Notarsubstituten ersuchte, die Beschwerde noch am selben Tage am Südbahnhof aufzugeben, der diesen Auftrag jedoch erst am folgenden Tag ausführte, handelt es sich um eine durch konkrete Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung der Kanzleiangestellten, die dem Beschwerdevertreter zuzurechnen ist (vgl. den zitierten hg. Beschluß).

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. e VwGG gebildeten Senat stattzugeben.

Bei diesem Ergebnis war die mit dem Antrag verbundene Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Mai 1994, Zl. 4.344.090/1-III/13/94, da das Beschwerderecht gemäß Art. 131 B-VG durch die Einbringung der ersten Beschwerde, deren Verfahren nunmehr aufgrund der Bewilligung der Wiedereinsetzung zur Zl. 95/01/0109 fortgesetzt wird, verbraucht ist, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zur neuerlichen Erhebung der Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

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