VwGH 94/20/0892

VwGH94/20/089220.9.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerden 1. des B A und 2. des D A, beide in W, beide vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres, jeweils vom 12. Dezember 1994, Zl. 4.323.189/14-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres, jeweils vom 12. Dezember 1994, wurden die Berufungen der Beschwerdeführer (türkische Staatsangehörige) gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 19. Oktober 1991 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) bzw. der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Februar 1992 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer), mit denen jeweils festgestellt worden war, daß die Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, nicht erfüllten, abgewiesen, und ausgesprochen, daß Österreich den Beschwerdeführern kein Asyl gewähre.

Die belangte Behörde ist in der Begründung der angefochtenen, insoweit wortgleichen Bescheide abschließend zu dem Ergebnis gelangt, daß den Beschwerdeführern kein Asyl habe gewährt werden können, weil die Beschwerdeführer sich vor ihrer Einreise nach Österreich in Ungarn aufgehalten und damit dort bereits Verfolgungssicherheit erlangt hätten, sodaß eine Asylgewährung gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 ausgeschlossen sei. Die belangte Behörde hatte vor Erlassung der nunmehr angefochtenen Bescheide ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt, in welchem beiden Beschwerdeführern zu dem von der Behörde als Beweismittel herangezogenen Gutachten des UNHCR für das deutsche Bundesverfassungsgericht vom 4. Juli 1994 betreffend die faktische Situation außereuropäischer Asylwerber in Ungarn Parteiengehör eingeräumt wurde. Aus diesem Gutachten ergebe sich, daß Ungarn die Genfer Flüchtlingskonvention zwar mit dem zulässigen Vorbehalt ratifiziert habe, daß sie formalrechtlich nur auf europäische Asylwerber anzuwenden sei, es bestünde jedoch eine "informelle Vereinbarung" zwischen dem UNHCR und der ungarischen Regierung über die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft von nichteuropäischen Asylwerbern, welche aber "keinerlei Bindungswirkung" entfalte. Gemäß dieser informellen Vereinbarung führe, der UNHCR selbst in Ungarn Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft außereuropäischer Personen durch, wenn diese den ungarischen Behörden gegenüber ein derartiges Begehren äußern. In diesem Falle würden solche Personen an den UNHCR weitergeleitet. Alle nichteuropäischen Asylwerber, deren Flüchtlingseigenschaft Feststellungsverfahren beim UNHCR anhängig seien, dürften grundsätzlich solange in Ungarn verbleiben, bis eine endgültige Entscheidung durch den UNHCR getroffen werde. Ein einziger der UNHCR-Vertretung bekannter Fall einer dennoch erfolgten Abschiebung sei von den ungarischen Behörde als "tragisches Mißverständnis" qualifiziert und dazu sei erklärt worden, Maßnahmen zu ergreifen, um ähnliche Probleme künftig zu vermeiden. In den Fällen, in denen der UNHCR die Mandatsflüchtlingseigenschaft bejahe, würde auf seine Veranlassung ein befristetes Aufenthaltsrecht seitens der ungarischen Behörden eingeräumt, um ein Weiterwanderungsland zu finden. Ein Rechtsanspruch auf einen solchen Aufenthaltstitel bestünde zwar nicht, gleichzeitig sei bisher insoweit eine großzügige Praxis feststellbar. Dies gelte auch im Hinblick auf die Verlängerung des Aufenthaltstitels in den Fällen, in denen in Ermangelung aufnahmebereiter Drittstaaten eine Ausreise aus Ungarn realistischerweise nicht erwartet werden könne, was praktisch immer der Fall sei.

Gegen die beiden eingangs genannten Bescheide der belangten Behörde richten sich die vorliegenden, vom jeweiligen Beschwerdeführer in Ansehung des ihn betreffenden Bescheides erhobenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges erwogen hat:

Der Erstbeschwerdeführer hat der Begründung des von ihm angefochtenen Bescheides lediglich entgegengehalten, es sei ihm zum damaligen Zeitpunkt nicht bewußt gewesen, daß er im ersten Staat, in dem er vor Verfolgung durch sein Heimatland sicher gewesen sei, bzw. in dem er ein ordentliches Verfahren hätte erwarten können, hätte um Asyl ansuchen müssen. Er sei in Österreich bereits eingelebt und integriert, besuche seit 1991 hier die Schule und sei der deutschen Sprache mächtig. Auch der Zweitbeschwerdeführer verwies lediglich darauf, er habe nicht gewußt, daß man auch in Ungarn um Asyl ansuchen könne. Außerdem habe er kein Vertrauen zu ehemaligen "Ostblockländern". Es sei überdies mit dem Buslenker ausgemacht gewesen, daß er den Beschwerdeführer nach Österreich bringe. Er habe auch keine Möglichkeit gehabt, bei den ungarischen Behörden um Asyl anzusuchen, da der Bus nirgends angehalten habe und er sich überdies lediglich in den Nachtstunden in Ungarn aufgehalten habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, dargelegt, daß es für die Annahme der Verfolgungssicherheit genüge, daß der Asylwerber im Drittstaat keiner Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt war und auch wirksamen Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat hatte, dies unter Bezugnahme auf die entsprechenden Gesetzesmaterialien (Regierungsvorlage 270, Blg.Nr. XVIII GP), und von einer Verfolgungssicherheit nicht erst dann gesprochen werden kann, wenn der Aufenthalt des Asylwerbers den Behörden des betreffenden Staates bekannt war und von ihnen geduldet oder gebilligt wurde. Darauf aufbauend hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl 93/01/0357, eingehend weitere Rechtsausführungen zur Frage der Verfolgungssicherheit gemacht, insbesondere ausdrücklich darauf abgestellt, daß ein Anspruch auf Asylgewährung besteht, wenn ein entsprechendes Sicherheitsbedürfnis gegeben ist, dieses aber dann weggefallen ist, wenn der Asylwerber nach Verlassen seines Heimatlandes, in dem er verfolgt zu werden behauptet, sich in einem anderen Staat - selbst nur im Zuge der Durchreise - befunden hat und diese Sicherheit bereits dort hätte in Anspruch nehmen können. Dabei kommt es auch nicht auf den Ort der tatsächlichen Fluchtbeendigung, sondern lediglich darauf an, daß der Flüchtende unter Bedachtnahme auf das (auf die Vermeidung weiterer Verfolgung ausgerichtete) Sicherheitsbedürfnis seinen "Fluchtweg" schon vor der Einreise nach Österreich hätte abbrechen können, was auch dann der Fall ist, wenn die "Verweildauer" im Drittland nur kurz bemessen war und dort kein "stationärer Aufenthalt" genommen wurde. Das Vorliegen der Verfolgungssicherheit ist nach objektiven Kriterien zu prüfen, unabhängig vom jeweiligen subjektiven Wollen und Wissen des Flüchtenden sowie unabhängig auch davon, ob der Flüchtende die ihm objektiv gebotene Sicherheit auch tatsächlich in Anspruch genommen hat (vgl. hg. Erkenntnis vom 6. September 1995, 95/01/0030).

Der von den Beschwerdeführern erkennbar vertretenen Ansicht, ein Asylwerber habe in einem anderen Staat Verfolgungssicherheit erst erlangt, wenn er dort die Gewißheit haben konnte, vor den Verfolgungsgefahren, deretwegen er sein Heimatland verlassen hat, geschützt zu sein, ist entgegenzuhalten, daß eine derartige völlige Gewähr überhaupt erst im Falle einer tatsächlich erfolgten Asylgewährung gegeben wäre, der österreichische Gesetzgeber jedoch nicht zum Ausdruck gebracht hat, daß erst in diesem Falle von Verfolgungssicherheit die Rede sein könne (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1994, Zl. 94/01/0026). Vielmehr kann es auch bei bloß erteilter Aufenthaltsgenehmigung ohne Asylantragstellung (bzw. der Möglichkeit hiezu) Verfolgungssicherheit geben (vgl. u.a. auch das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1994, Zl. 93/01/1290, und die dort angeführte Judikatur). Selbst ohne eine solche Genehmigung wäre die Annahme der Verfolgungssicherheit nicht ausgeschlossen, setzt doch diese - wie oben bereits ausgeführt - nicht einmal die Kenntnis der Behörden dieses Staates vom Aufenthalt des Betreffenden voraus.

Insoweit die Beschwerdeführer zum Ausdruck bringen, ein lediglich befristetes Aufenthaltsrecht biete keinen (andauernden und nicht nur vorübergehenden) Verfolgungsschutz, so wird auf das von der belangten Behörde herangezogene Gutachten des UNHCR vom 4. Juli 1994 verwiesen, wonach in jenen Fällen, in denen in Ermangelung aufnahmebereiter Drittstaaten eine Ausreise aus Ungarn realistischerweise nicht erwartet werden könne, was praktisch immer der Fall sei, eine großzügige Praxis auch im Hinblick auf die Verlängerung des Aufenthaltstitels festgestellt werden könne. Die Beschwerdeführer haben aber keine konkreten Umstände behauptet, aus denen sich hätte ergeben können, daß in ihrem Falle diese Praxis durch die ungarischen Behörden nicht eingehalten worden wäre. Ebensowenig haben die Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren, noch auch in den Beschwerden Behauptungen dahingehend aufgestellt, diese sich aus dem Gutachten des UNHCR ergebende Vorgangsweise der ungarischen Behörden habe seit dem Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in Ungarn eine Veränderung erfahren. Auch die von den Beschwerdeführern ins Treffen geführten subjektiven Einschätzungen erweisen sich als nicht geeignet, die Annahme ihrer Verfolgungssicherheit zu entkräften. In der auf den Ermittlungsergebnissen des Verwaltungsverfahrens basierenden rechtlichen Überlegungen der belangten Behörde erweisen sich daher als frei von Rechtsirrtum und mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Einklang stehend.

Insoweit die Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machen, ist ihnen ebenfalls nicht zu folgen. Worin eine Verletzung des Parteiengehörs gelegen sein soll, ist im Hinblick auf die ergänzenden Vernehmungen beider Beschwerdeführer im Zuge des Berufungsverfahrens unverständlich. Auch der Vorwurf, die belangte Behörde habe das von ihr herangezogene Gutachten des UNHCR vom 4. Juli 1994 "nachweislich falsch", sinnwidrig und lückenhaft zitiert, dieses Gutachten sei auch nicht aktenkundig, ist unberechtigt, da dieses - im übrigen mit den von den Beschwerdeführern vorgelegten Ausfertigungen mit Ausnahme des ersten Halbabsatzes ident - nicht nur im Akt aufscheint, sondern in dieser Form auch den Beschwerdeführern zur Gänze vorgehalten worden war.

Insofern die Beschwerdeführer schlußendlich meinen, die belangte Behörde hätte sich nicht nur mit dem Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991, sondern auch mit der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführer im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 auseinanderzusetzen gehabt, wird darauf verwiesen, daß es bei Bejahung des Vorliegens eines der Asylausschließungsgründe des § 2 AsylG 1991 auf die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr ankommt, weil sich auch bei Vorliegen derselben am Ergebnis nichts mehr ändern könnte (vgl. als Beispiel für viele das hg. Erkenntnis vom 23. März 1994, Zlen. 94/01/0161 und 0162).

Insgesamt erweisen sich daher die vorliegenden Beschwerden als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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