VwGH 94/18/0764

VwGH94/18/076423.2.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in S, gegen 1) den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 1. September 1994, Zl. 11-F/94, betreffend Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes (hg. Zl. 94/18/0764), und 2) den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 28. September 1994, Zl. Fr 2851/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes (hg. Zl. 94/18/0815), zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
StVO 1960 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
StVO 1960 §5 Abs1;

 

Spruch:

1) Zu Zl. 94/18/0764:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

2) Zu Zl. 94/18/0815:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom 1. September 1994 erklärte die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten den am 31. März 1989 dem Beschwerdeführer, einem jugoslawischen Staatsangehörigen, erteilten unbefristeten Sichtvermerk gemäß § 11 Abs. 1 des Fremdengesetzes (FrG) für ungültig.

In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei wiederholt wegen Verwaltungsübertretungen, darunter wegen der Übertretung des § 99 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 1 lit. c StVO, der Übertretung des § 99 Abs. 3 lit. b in Verbindung mit § 4 Abs. 5 StVO und zweimal wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO, bestraft und am 21. März 1994 vom Bezirksgericht St. Pölten wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG liege ein Sichtvermerksversagungsgrund vor, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Bei den vom Beschwerdeführer begangenen Alkohol- und Fahrerfluchtdelikten handle es sich um schwerwiegende Verwaltungsübertretungen, sodaß davon auszugehen sei, daß durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit erfolge.

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich mit Bescheid vom 28. September 1994 als unzulässig zurück und begründete dies mit dem Hinweis auf § 70 Abs. 2 FrG.

3. Gegen die unter 1. und 2. genannten Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Soweit sich die Beschwerde auf den unter 1. genannten Bescheid bezieht, wurde das Vorverfahren durchgeführt. Die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde und den Zuspruch von Aufwandersatz beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1) Zu Zl. 94/18/0764:

Der belangten Behörde ist einzuräumen, daß die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten, insbesondere die Übertretungen des § 5 Abs. 1 StVO geeignet sind, die Annahme zu rechtfertigen, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Sicherheit gefährden würde (§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG). Unbeschadet dessen ist jedoch der Beschwerde Erfolg beschieden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, und zwar derart, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 29. September 1994, Zl. 94/18/0234, m. w.N.). Diesem Gebot hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall nicht entsprochen. Obwohl ihr - wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt - bekannt war, daß der Beschwerdeführer seit seiner Geburt mit seinen Eltern in Österreich lebt und hier eine Beschäftigung ausübt, hat sie es unterlassen, diese Umstände bei ihrer Entscheidung mitzuberücksichtigen. Ihre Ausführungen in der Gegenschrift machen deutlich, daß diese Unterlassung auf ihre Rechtsansicht zurückzuführen ist, der durch die Ungültigerklärung des Sichtvermerkes bewirkte Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei im Hinblick auf die durch die §§ 10 und 11 Abs. 1 FrG geschaffene Rechtslage nicht zu berücksichtigen.

Da die belangte Behörde nach dem Gesagten die Rechtslage verkannt hat, leidet der angefochtene Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz an den Beschwerdeführer gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff, insbesondere § 52 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens an Stempelgebührenersatz beruht darauf, daß unter diesem Titel nur S 540,-- (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde,

S 120,-- für Vollmachtsstempel und S 60,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zugesprochen werden konnten.

2) Zu Zl. 94/18/0815:

Gemäß § 70 Abs. 2 FrG ist gegen die Versagung oder die Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes eine Berufung nicht zulässig.

Auf Grund dieser Bestimmung hat die belangte Behörde die Berufung zutreffend als unzulässig erkannt und sie daher zurückgewiesen.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde, soweit sie sich auf den oben unter I.2. genannten Bescheid bezieht, erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde insoweit gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

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