VwGH 94/08/0271

VwGH94/08/02715.9.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde der I in W, vertreten durch Dr. C, RA, gegen den auf Grund des Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. Oktober 1994, Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 49 Abs. 2 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §49 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AlVG 1977 §49 Abs2;
AVG §45 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 20. April 1994 sprach das Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien aus, daß die Beschwerdeführerin für die Zeit vom 24. März 1994 bis 5. April 1994 gemäß § 49 Abs. 2 AlVG keine Notstandshilfe erhalte.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte die Beschwerdeführerin Nachstehendes ein: Sie habe am 16. März 1994, an dem sie einen Kontrolltermin beim Arbeitsamt Persönliche Dienste wahrzunehmen gehabt hätte, einen schweren Migräneanfall gehabt, sodaß ihre Ärztin einen Hausbesuch habe machen müssen. Ihre Tochter M habe noch am selben Tag vormittags beim Arbeitsamt angerufen und mitgeteilt, daß die Beschwerdeführerin mit schwerer Migräne zu Hause liege und den Termin nicht einhalten könne. Da die zuständige Bearbeiterin nicht anwesend gewesen sei, habe die Tochter der Beschwerdeführerin mit einer anderen Beamtin gesprochen. Diese habe ihrer Tochter auf deren Wunsch, einen neuen Termin zu vereinbaren, mitgeteilt, daß eine neue telefonische Terminvereinbarung nicht nötig sei, weil automatisch ein Brief mit einem neuen Termin an die Beschwerdeführerin geschickt werde. Trotz dieser Auskunft habe die Tochter der Beschwerdeführerin am 17. März 1994 nochmals beim Arbeitsamt angerufen; es sei jedoch die zuständige Bearbeiterin auch an diesem Tag nicht zu erreichen gewesen. Die Beschwerdeführerin habe aber in der Folge "keinen schriftlichen Termin vom Arbeitsamt", sondern erst am 1. April 1994 die Nachricht erhalten, daß die Zahlungen vom Arbeitsamt wegen Nichterscheinens der Beschwerdeführerin beim angeordneten Termin eingestellt würden. Sie habe jedoch keinen Kontrolltermin versäumt, sondern sei von ihrer Tochter mit einem triftigen Grund entschuldigt worden. Zum Beweis ihres Vorbringens legte sie zwei ärztliche Bestätigungen der praktischen Ärztin Dr. H vor, wonach die Beschwerdeführerin seit ca. 30 Jahren unter schwerer Migräne mit bis zu drei Anfällen pro Woche leide und sie am 16. März 1994 bei ihr wegen eines schweren Migräneanfalls in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Überdies beantragte die Beschwerdeführerin die Vernehmung ihrer Tochter M.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Bescheidbegründung wird nach Zitierung des § 49 AlVG sowie nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe bei ihrer Vorsprache (vor der Berufungsbehörde) erklärt, daß im Falle eines Migräneanfalls immer ihre Tochter von der Arbeit sofort nach Hause komme, um die drei Kinder, die noch im gemeinsamen Haushalt lebten, zu versorgen. In der Woche nach dem 16. März 1994 sei die Beschwerdeführerin nicht zum Arbeitsamt gefahren, weil sie keinen Brief mit einem neuen Termin zugeschickt bekommen habe. Die belangte Behörde sei zur Ansicht gelangt, daß im Hinblick auf die schon öfters versäumten Termine, die bisher aber immer entschuldigt worden seien, dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, den Brief (mit der Vorschreibung eines Kontrolltermins für den 24. März 1994) nicht erhalten zu haben, kein Glauben geschenkt werden könne und die Beschwerdeführerin weiters ein Interesse an Vorsprachen beim Arbeitsamt, die der Vermittlung dienen sollten, nicht nachgewiesen habe, zumal sie von sich aus erst nach der Einstellung der Geldleistung bei ihrer Beraterin wieder vorgesprochen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde einwendet, es könne von einem Desinteresse der Beschwerdeführerin bezüglich der Einholung eines Ersatztermines im Hinblick auf ihre Ausführungen in der Berufung sicherlich nicht gesprochen werden. Es ergebe sich aus dem gesamten Akteninhalt auch nicht der Nachweis, wann die (behauptete) Ladung für den 24. März 1994 abgefertigt worden und daß diese Ladung der Beschwerdeführerin tatsächlich zugegangen sei. Es könne auch von einer mangelnden Sorgfalt seitens der Beschwerdeführerin nicht gesprochen werden, wenn sie sogar an zwei Tagen hintereinander bei der zuständigen Stelle habe anrufen lassen, um nur ja keinen Termin zu versäumen. Es sei völlig denkunmöglich und nicht nachvollziehbar, daß die Beschwerdeführerin, eine Frau von 53 Jahren, die seit Jahren von der Notstandshilfe lebe - abgesehen davon, daß sie in ihrem Alter, wie ja allgemein bekannt sei, leider auch nicht mehr vermittelbar sei -, einen Kontrolltermin nicht wahrnehme bzw. unentschuldigt fern bleibe und sich damit dem Verlust der Notstandshilfe aussetze. Gerade der Umstand, den die belangte Behörde feststelle, wonach öfters Termine versäumt worden seien, die aber immer entschuldigt worden seien, lasse den Schluß zu, daß, hätte die Beschwerdeführerin eine Ladung erhalten, sie ihr auch Folge geleistet hätte.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie - zusätzlich zur Begründung des angefochtenen Bescheides - darauf verweist, die Beschwerdeführerin behaupte zwar, den Brief, mit welchem ihr ein neuer Termin vorgeschrieben worden sei, nicht erhalten zu haben, wohl aber die Mitteilung des Arbeitsamtes, mit welcher ihr Leistungsbezug eingestellt worden sei. Da die Beschwerdeführerin seit längerem Leistungsbezieherin sei, erschienen ihre Berufungsausführungen unglaubwürdig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit den oben wiedergegebenen Verfahrensrügen bekämpft die Beschwerdeführerin die Beweiswürdigung der belangten Behörde.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8619/A, vom 19. Oktober 1993, Zl. 92/08/0175, und vom 25. Jänner 1994, Zl. 92/08/0226) nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, daß - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen anderen, insbesondere keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie u.a. den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Unter Beachtung der nämlichen Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d.h. ihr mit der Begründung entgegenzutreten, daß auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre.

Bei einer Prüfung des angefochtenen Bescheides unter diesen Gesichtspunkten kommt den wiedergegebenen Beschwerdeeinwänden aus nachstehenden Gründen im Ergebnis Berechtigung zu:

Unschlüssig ist zunächst die Argumentation der belangten Behörde mit den schon bisher öfters versäumten, aber immer entschuldigten Terminen. Gerade weil die öfters versäumten Termine "immer entschuldigt" wurden (das heißt die von der Beschwerdeführerin für die Säumnis vorgebrachten Gründe vom Arbeitsamt - nach der gebotenen amtswegigen Überprüfung - immer als "triftige" anerkannt wurden), widerspricht es, wie die Beschwerdeführerin mit Recht in der Beschwerde ausführt, den Denkgesetzen anzunehmen, daß sie, hätte sie die neuerliche Vorschreibung eines Kontrolltermines erhalten, nicht entweder vorgesprochen oder sich wiederum (mit aus ihrer Sicht triftigen Gründen) entschuldigt hätte, um den Eintritt der ihr bekannten Rechtsfolge des § 49 Abs. 2 AlVG zu vermeiden. In diese Richtung weist auch eindeutig ihr mit Beweisanboten zu sehendes Berufungsvorbringen zum versäumten Kontrolltermin vom 16. März 1994.

Im Hinblick auf dieses Vorbringen ist aber auch das zweite Argument der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides unschlüssig. Wenn es nämlich zutreffen sollte, daß die Beamtin des Arbeitsamtes eine von der Tochter der Beschwerdeführerin gewünschte neue telefonische Terminvereinbarung mit der Begründung ablehnte, es werde ohnedies automatisch ein Brief mit einem neuen Termin an sie geschickt werden, sie aber diesen Brief, wie sie behauptet, nicht erhalten haben sollte, so ist der Schluß aus der Vorsprache beim Arbeitsamt erst nach Einstellung der Geldleistung auf ein mangelndes Interesse an Vorsprachen beim Arbeitsamt, die der Vermittlung dienen sollten, geschweige denn auf den Erhalt der Vorschreibung eines Kontrolltermines für den 24. März 1994 nicht nachvollziehbar. Inwiefern aber der zuletzt genannte Schluß aus dem fehlenden (unklar aus welchen Gründen erforderlichen) positiven Nachweis eines solchen Interesses gezogen werden könne, läßt sich der Bescheidbegründung nicht entnehmen.

Angesichts der Unschlüssigkeit der beiden in der Bescheidbegründung angeführten Argumente für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin für den Nichterhalt der Vorschreibung des neuen Kontrolltermines sind aber auch die beiden in der Gegenschrift nachgetragenen Umstände nicht geeignet, die Beweiswürdigung schlüssig erscheinen zu lassen. Aus der zugestandenen Zustellung eines Schreibens des Arbeitsamtes Versicherungdienste Wien läßt sich nicht in schlüssiger Weise die Unglaubwürdigkeit der Behauptung der Nichtzustellung des Schriftstückes eines anderen Arbeitsamtes ableiten. Auch ist den vorgelegten Verwaltungsakten zwischen dem Ausdruck des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger "Liste VZ-Bestandsprüfung", abgezeichnet mit 4. November 1993 (AS 256) und der mit dem Zahlungs- und Verrechnungsauftrag vom 28. März 1994 verfügten Bezugseinstellung (AS 257) kein Vorgang der von der belangten Behörde angenommenen Art zu entnehmen.

Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994, allerdings begrenzt durch das (den in dieser Verordnung festgelegten Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand unterschreitende) Begehren der Beschwerdeführerin.

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