Normen
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
StVO 1960 §29b Abs1;
StVO 1960 §29b Abs2;
StVO 1960 §29b Abs4;
StVO 1960 §45 Abs2;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
StVO 1960 §29b Abs1;
StVO 1960 §29b Abs2;
StVO 1960 §29b Abs4;
StVO 1960 §45 Abs2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 11.390 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Ausweises für dauernd stark gehbehinderte Personen gemäß § 29b StVO 1960 abgewiesen. Aufgrund des Gutachtens des medizinischen Amtssachverständigen, aus welchem sich ergebe, daß der Gang des Beschwerdeführers völlig normal und uneingeschränkt sei, gehe die Behörde davon aus, daß eine dauernde starke Gehbehinderung nicht vorliege. Daß sich ein Antragsteller auf Grund einer anderen Behinderung in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht anhalten könne, rechtfertige die Ausstellung eines Gehbehindertenausweises nicht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 29b Abs. 4 StVO 1960 hat die Behörde Personen, die stark gehbehindert sind, auf deren Ansuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Auslegung des Gesetzesbegriffes der starken Gehbehinderung im Sinne des § 29b Abs. 4 StVO 1960 darauf abzustellen, ob eine Person in einer als Gehen zu qualifizierenden Weise ohne Aufwendung überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen eine bestimmte Wegstrecke zurücklegen kann; ist sie dazu in der Lage, so wird eine festgestellte Gehbehinderung nicht als schwer im Sinne des Gesetzes anzusehen sein (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. August 1994, Zl. 94/02/0207). Eine Behinderung nach § 29b StVO 1960 muß dauernd sein, es darf sich also nicht um eine bloß vorübergehende Behinderung handeln.
Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fach der inneren Medizin beantragt, und zwar zum Beweisthema, daß er aufgrund der Behinderung an Händen und Armen öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen könne, weil er sich nicht an den Haltegriffen festhalten könne, und daß er größere Lasten, wie etwa Bücher, nicht tragen könne. Er rügt als Verletzung von Verfahrensvorschriften, daß die belangte Behörde diesem Antrag nicht entsprochen habe. Dem ist zu entgegnen, daß
§ 29b StVO 1960 ausschließlich auf die dauernde starke Gehbehinderung abstellt, nicht aber - wie im folgenden noch ausgeführt wird - darauf, ob öffentliche Verkehrsmittel benutzt oder Lasten getragen werden können. Es bedurfte daher der genannten Sachverhaltsfeststellungen nicht.
Zur Rechtsfrage trägt der Beschwerdeführer vor, eine teleologische und verfassungskonforme Interpretation des § 29b StVO 1960 führe zu dem Ergebnis, daß diese Ausnahmebestimmung nicht nur auf stark gehbehinderte Personen, sondern auch auf solche, die öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen oder die zur Berufsausübung erforderlichen Lasten (Bücher eines Studenten) nicht tragen könnten, anzuwenden sei.
Wie der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis vom 13. Oktober 1993, Zl. 93/02/0134, zum Ausdruck gebracht hat, besteht der Zweck der Regelung des § 29b Abs. 1, 2 und 4 StVO 1960 darin, bestimmten behinderten Personen die nähere Zufahrt zu ihrem Ziel zu ermöglichen, als dies allgemein rechtlich zulässig wäre. Anspruch auf Ausstellung eines Ausweises im Sinne des § 29b Abs. 4 StVO 1960 haben daher Personen, denen es aus Gründen ihrer Behinderung unmöglich oder unzumutbar ist, eine Strecke zurückzulegen, wie sie der gewöhnlichen Entfernung von einem (erlaubten) Abstellplatz für das Kfz bis zu einem unter gewöhnlichen Bedingungen erreichbaren Ziel entspricht; beim Gehen auf eine Begleitperson angewiesen zu sein, vermittelt für sich hingegen nicht diesen Anspruch. Der Umstand, daß eine Person aufgrund ihrer Behinderung ein öffentliches Verkehrsmittel nicht bzw. nicht ohne Begleitperson benutzen kann, vermittelt daher für sich nicht den Anspruch auf Ausstellung eines Ausweises im Sinne des § 29b Abs. 4 StVO 1960. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers erscheint es auch aus der Sicht des Gleichheitsgrundsatzes unbedenklich, daß der Anspruch nur jenen Personen eingeräumt ist, die - aufgrund einer Behinderung - bestimmte Wegstrecken nicht zu Fuß zurücklegen können.
Was den für den Beschwerdeführer als Studenten erforderlichen Transport von Büchern, Papier, etc. zur Universität in Graz betrifft, so kann sich daraus ein erhebliches persönliches oder wirtschaftliches Interesse ergeben, welchem durch eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 StVO 1960 entsprochen werden könnte. Die undifferenziert für das ganze Bundesgebiet geltende Ausnahme von Halte- und Parkverboten nach § 29b StVO 1960 kann aber nicht auf diesen Transportbedarf gestützt werden.
Die Beschwerde führt jedoch aus einem anderen Grund zum Erfolg: Aus dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Amtsarztes Dr. M ergibt sich, daß beim Beschwerdeführer aufgrund eines Beckenschiefstandes, bedingt durch eine Beinlängendifferenz von 2 cm bei abnorm steil stehenden Schenkelhälsen, nach einer Gehstrecke von 500 - 1000 Metern vor allem im linken Bein Schmerzen auftreten würden. In der Berufung wurde vorgebracht, der Beschwerdeführer könne Wegstrecken von mehr als 300 Metern nicht ohne Auftreten starker Schmerzen zurücklegen. Dem von der belangten Behörde beigezogenen medizinischen Sachverständigen Dr. G teilte der Beschwerdeführer mit, am linken Bein würden nach Entfernung des Wadenbeins zum Ersatz der Elle nach einer Tumorerkrankung bei Gehbelastung hin und wieder stechende Schmerzen im Narbenbereich auftreten. In seinem Gutachten brachte dieser Sachverständige zum Ausdruck, verletzungsbedingte Operationen am rechten Unterschenkel hätten die Entwicklung eines sogenannten Triggerpunktes zur Folge gehabt. Am linken Unterschenkel bestehe ein Zustand nach Wadenbeinresektion und bestünden diesbezüglich keine Einschränkungen. Die gelenkigen Verbindungen der unteren Gliedmaßen seien funktionell normal. Es bestehe somit seitens der unteren Extremitäten keine Behinderung, "welche nicht durch zielführende Behandlung (z.B. Triggerpunkt) erfolgreich zu beeinflussen wäre". Des weiteren führt der Sachverständige noch aus, der Gang selbst sei normal unter symmetrischer Belastung beider Beine und normaler körpergrößenentsprechender Schrittlänge. Das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten gibt somit keinen Aufschluß über die dem Beschwerdeführer durch das Gehen verursachten Schmerzen, auf die er sich in seiner Berufung stützte. Im übrigen ergibt sich aus dem Gutachten, daß eine - behandelbare - Behinderung der unteren Extremitäten vorliege ("welche ... erfolgreich zu beeinflussen wäre"). Das Gutachten gibt aber keinen Aufschluß über die Auswirkung dieser Behinderung auf die Schmerzsituation und auf die Dauer ihrer Behandlung. Im angefochtenen Bescheid trifft die belangte Behörde keinerlei Feststellungen über die durch das Gehen verursachten Schmerzen, sondern stellt ausschließlich darauf ab, daß nach dem Gutachten das Gangbild des Beschwerdeführers völlig normal und uneingeschränkt sei. Somit bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt, nämlich in der Frage der durch das Gehen hervorgerufen Schmerzen, der Ergänzung.
Mit der im angefochtenen Bescheid enthaltenen - im übrigen aktenwidrigen - Feststellung, das Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen, daß beim Beschwerdeführer eine dauernd starke Gehbehinderung nicht vorliege, verkennt die belangte Behörde, daß die Subsumtion nicht Aufgabe des Sachverständigen ist.
Der angefochtene Bescheid war somit, weil der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzugeben.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Ersatz an Stempelgebühren konnte nur für zwei Ausfertigungen der Beschwerde und die Ablichtung des angefochtenen Bescheides zugesprochen werden.
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