VwGH 92/06/0084

VwGH92/06/008423.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf, den Vizepräsidenten

Dr. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, in der Beschwerdesache des Dr. AF, Rechtsanwalt in W, gegen den Gemeinderat der Stadtgemeinde Kitzbühel wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Einwendungen gegen eine Baubewilligung), den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §73 Abs2;
BauRallg;
B-VG Art132;
GdO Tir 1966 §46;
GdO Tir 1966 §50;
VwGG §27;
VwGG §28 Abs3;
VwRallg;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §73 Abs2;
BauRallg;
B-VG Art132;
GdO Tir 1966 §46;
GdO Tir 1966 §50;
VwGG §27;
VwGG §28 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Stadtgemeinde Kitzbühel Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem Bescheid vom 20. September 1991 hat der Bürgermeister der Stadtgemeinde Kitzbühel die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses auf Gst n/18, KG Kitzbühel-Land, erteilt. Dagegen hat der Beschwerdeführer als Vertreter für den "Einschreiter: Dr. G.T." Berufung erhoben. Mit Schreiben vom 7. Oktober 1991 hat der Beschwerdeführer gebeten "zu berichtigen, dass es auf der

1. Seite statt Einschreiter zu heissen hat "Bauwerber" und statt vertreten durch "Einschreiter". Am Ende der Berufung hat die Unterschrift nicht Dr. G.T., sondern Dr. A zu lauten." Im Schreiben vom 7. Oktober 1991 ist ausdrücklich festgehalten, daß im "übrigen die Berufung unverändert (bleibt)." Nach der Aktenlage wurde das Ansuchen um Erteilung der erwähnten Baubewilligung am 1. April 1992 zurückgezogen. Über die an den Gemeinderat der Stadtgemeinde Kitzbühel gerichtete Berufung ist eine Entscheidung bisher nicht ergangen. Der Beschwerdeführer bestand in der Folge gegenüber dem Gemeinderat nicht darauf, daß dieser über seine Berufung selbst entscheide.

Mit der vorliegenden, am 24. April 1992 zur Post gegebenen Säumnisbeschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde mangels Entscheidung über seine Berufung geltend. Der Beschwerdeführer beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge in Stattgebung seiner Säumnisbeschwerde gemäß § 42 Abs. 5 VwGG in der Sache selbst entscheiden und gegen Ersatz der Kosten den Bescheid vom 20. September 1991 dahingehend abändern, daß das Bauansuchen zur Gänze abgewiesen werde.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde das Vorverfahren eingeleitet. Die belangte Behörde hat innerhalb der erteilten Frist die Erlassung des versäumten Bescheides nicht nachgeholt, sondern die Akten mit einer Gegenschrift vorgelegt und beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge die vorliegende Säumnisbeschwerde zurückweisen bzw. die Beschwerde als gegenstandslos erklären und das Verfahren kostenpflichtig einstellen.

II.

1. Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht (...) angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht innerhalb von sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der zur Entscheidung verpflichteten Behörde eingelangt ist. Die Frist ist im vorliegenden Fall verstrichen: Die Berufung des Beschwerdeführers ist nach der Aktenlage am 4. Oktober 1991, freilich mit einer offensichtlich unrichtigen Bezeichnung des Berufungswerbers (anstelle des Beschwerdeführers war in der Berufung der Bauwerber als Berufungswerber bezeichnet) beim Stadtamt Kitzbühel eingelangt. Noch innerhalb der Berufungsfrist hat der Beschwerdeführer aber mit Schreiben vom 7. Oktober 1991, das nach Ausweis der Akten am 8. Oktober 1991 beim Stadtamt Kitzbühel eingelangt ist, diese offenkundige Fehlbezeichnung berichtigt. Es ist daher - entgegen der Auffassung, die die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vertritt - davon auszugehen, daß innerhalb der Berufungsfrist spätestens am 8. Oktober 1991 eine dem Beschwerdeführer zurechenbare Berufung eingebracht worden ist. Die Säumnisbeschwerde ist am 24. April 1992 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt.

2. Im Beschwerdefall hat der Verwaltungsgerichtshof § 46 der Tiroler Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 4/1966, zuletzt geändert durch die Novelle LGBl. Nr. 98/1991, anzuwenden. § 46 leg. cit. hat folgenden Wortlaut:

"Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, ist der Bürgermeister zur Erlassung der Bescheide in allen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches zuständig. Über Berufungen hat der Gemeindevorstand (Stadtrat) zu entscheiden. Die letztinstanzlichen Entscheidungen haben eine Belehrung über die Bestimmungen des § 112 Abs. 1 und 2 (Vorstellungsbelehrung) zu enthalten. Die in den verfahrensgesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen oberbehördlichen Befugnisse übt in allen Fällen der Gemeinderat aus."

Nach dieser Bestimmung ist - wie auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ausführt - nicht der Gemeinderat zuständig, über eine Berufung gegen einen Bescheid des Bürgermeisters in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches zu entscheiden, sondern der Gemeindevorstand.

Zwar hat der Beschwerdeführer in der Berufung

- offensichtlich irrtümlich - den Gemeinderat als Berufungsbehörde bezeichnet, ohne aber - wie erwähnt - gegenüber dem Gemeinderat (und zwar unabhängig von der Säumnisbeschwerde) auf einer Entscheidung über seine Berufung durch den Gemeinderat zu bestehen. Die (beim sowohl für den Gemeinderat als auch für den Gemeindevorstand als Einbringungsstelle zuständigen Stadtamt eingebrachte) Berufung ist demnach als an die zuständige Behörde, d.i. der Gemeindevorstand, gerichtet anzusehen, kommt doch im Falle einer gemeinsamen Einbringungsstelle von vorneherein eine Weiterleitung nach § 6 AVG nicht in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 1976, Zl. 849/76). Für die Entscheidung über die Berufung ist daher (weiterhin) der Gemeindevorstand zuständig; der Gemeinderat als oberste Gemeindebehörde wäre erst ab Einbringung eines Devolutionsantrages durch den Beschwerdeführer (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 19. August 1993, Zl. 93/06/0136) bzw. ab dem Zeitpunkt zur Entscheidung berufen, ab dem der Beschwerdeführer auf einer Entscheidung des Gemeinderates über die Berufung besteht, was aber nach dem Beschwerdevorbringen jeweils nicht der Fall war. Die unmittelbar gegen den Gemeinderat erhobene Säumnisbeschwerde erweist sich demnach als unzulässig, weil den Gemeinderat im Beschwerdefall mangels Zuständigkeit noch keine Entscheidungspflicht traf. Selbst wenn man annähme, der Beschwerdeführer habe auch im Säumnisbeschwerdeverfahren den Gemeindevorstand gemeint (was aber sachverhaltsbezogen auszuschließen ist, im übrigen ist eine falsche Bezeichnung der belangten Behörde - wie sich aus dem hg. Beschluß vom 24. September 1991, 91/05/0131, ergibt - im Säumnisbeschwerdeverfahren nicht einmal verbesserungsfähig ist), müßte dies ebenso zur Zurückweisung der Säumnisbeschwerde führen, weil eine Säumnisbeschwerde nur gegen die oberste Behörde zulässig ist. Die Tatsache, daß der Antrag auf Erteilung der Baubewilligung vom Bauwerber wenige Tage vor Einbringung der Säumnisbeschwerde durch den Beschwerdeführer zurückgezogen worden ist, ist im Beschwerdefall nicht von Bedeutung, weil auch dann, wenn ein Nachbar gegen einen unterinstanzlichen Baubewilligungsbescheid das Rechtsmittel der Berufung erhoben hat, die Berufungsbehörde über die Berufung auch dann zu entscheiden hat, wenn der Bauwerber während des Berufungsverfahrens seinen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung zurückzieht. In einem solchen Fall hat die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos aufzuheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 1987, SlgNF Nr. 12.599/A).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der belangten Behörde war abzuweisen, weil ihr gemäß Art. I B Z.4 und 5 der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994 nur der dort vorgesehene Vorlage- bzw. Schriftsatzaufwand zusteht.

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