Normen
AVG §10 Abs2;
AVG §61 Abs1;
AVG §61 Abs2;
AVG §61 Abs3;
AVG §71 Abs1 Z2;
B-VG Art132;
B-VG Art18 Abs1;
GdO NÖ 1973 §61 Abs1;
VwGG §27;
VwGG §36 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §61 Abs1;
AVG §61 Abs2;
AVG §61 Abs3;
AVG §71 Abs1 Z2;
B-VG Art132;
B-VG Art18 Abs1;
GdO NÖ 1973 §61 Abs1;
VwGG §27;
VwGG §36 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und dem Erstmitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 15. Juni 1982 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde auf Antrag des Erstmitbeteiligten die Baubewilligung zur Errichtung eines Schweinestalles mit Futterküche, eines Lagerraumes, eines Schlachthauses im Erdgeschoß, eines Geräteschuppens im Obergeschoß des Schweinestalles und einer Düngerstätte mit Jauchegrube auf dem Grundstück Nr. 99. Der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführer gab der Gemeinderat mit Bescheid vom 28. Oktober 1982 keine Folge. Die belangte Behörde hob mit Bescheid vom 12. August 1983 den Berufungsbescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde zurück.
Da der Gemeinderat in der Folge über die gegenständliche Bausache nicht entschied, erhoben die Beschwerdeführer, erstmals vertreten durch Rechtsanwalt Dr. W., Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (Zl. 91/05/0230). Mit hg. Verfügung vom 19. Dezember 1991 wurde dem Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde u.a. der Auftrag erteilt, gemäß § 36 Abs. 2 VwGG innerhalb der Frist von drei Monaten den versäumten Bescheid nachzuholen. Mit Bescheid vom 9. April 1992 gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde der Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom 15. Juni 1982 abermals keine Folge; allerdings wurden Auflagen neu gefaßt. Der Bescheid enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung: "Gegen diesen Bescheid ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht mehr zulässig. Auf die Bestimmung des § 61 NÖ.-Gemeindeordnung wird hingewiesen." Dem Bescheid ist als Zustellverfügung die Klausel angefügt: "Bescheid ergeht gleichlautend an: K und AS, B-Gasse 9 in M". Die Zustellung dieses Bescheides an die Beschwerdeführer erfolgte am 11. April 1992. Der Rückschein nennt als Empfänger "K und AS". Beide Beschwerdeführer unterfertigten als Empfänger den Rückschein.
Mit Beschluß vom 28. April 1992 stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren über die Säumnisbeschwerde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG ein.
Am 18. Mai 1992 beantragten die durch Rechtsanwalt Dr. W. vertretenen Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung gegen den Bescheid vom 9. April 1992 und holten unter einem die Vorstellung nach. Zur Bescheinigung des Wiedereinsetzungsvorbringens wurden eidesstattliche Erklärungen des Rechtsanwaltes Dr. W. und seiner Kanzleileiterin N. angeschlossen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Antrag auf Wiedereinsetzung keine Folge und wies die Vorstellung als verspätet zurück. Sie ging dabei von folgendem (unstrittigen) Sachverhalt aus:
"Nach Zustellung des Bescheides am 11. April 1992 hat sich Herr KS daraufhin am 21. April 1992 (Dienstag nach Ostern) an die Kanzlei seines Rechtsanwaltes, der die Säumnisbeschwerde gegen den Gemeinderat der Gemeinde X beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht hatte, (telefonisch) gewandt und den Auftrag erteilt, gegen den Bescheid des Gemeinderates eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zu erheben. Die Kanzleileiterin des Rechtsvertreters der Vorstellungswerber hat Herrn KS aufgetragen, den Bescheid so rechtzeitig der Kanzlei des Rechtsanwaltes zu übermitteln, daß die Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gewahrt werden könne, und kalendierte diese Frist mit sechs Wochen. Diese Kalendierung soll am selben Tag nach Büroschluß noch kontrolliert worden sein, eine Vormerkung zur Besprechung dieser Angelegenheit bei der nächsten Postsitzung am darauffolgenden Tag ist aber in Verstoß geraten, sodaß diese Angelegenheit bei der Postsitzung am 22. April 1992 mit dem Rechtsvertreter der Vorstellungswerber S nicht weiter besprochen wurde. Erst beim Einlangen des Bescheides des Gemeinderates in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Vorstellungswerber am 4. Mai 1992 erkannte dieser, daß gegen den Bescheid des Gemeinderates nicht eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, sondern eine Vorstellung gemäß § 61 der NÖ Gemeindeordnung 1973 zu erheben sei. Am 18. Mai 1992 wurde sodann der vorliegende Wiedereinsetzungsantrag samt Vorstellung zur Post gegeben."
Rechtlich beurteilte die Vorstellungsbehörde diesen Sachverhalt dahingehend, daß mangelnde Rechtskenntnis oder Rechtsirrtum kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis seien, welches die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bilden könne. Die Beschwerdeführer hätten sich vorsorglich bei einem Rechtskundigen informieren müssen; die Kontaktaufnahme bloß mit der Kanzleileiterin ihres Rechtsvertreters sei nicht ausreichend gewesen. Damit sei die Vorstellung verspätet erhoben worden und deshalb gemäß § 61 Abs. 2 lit. b der NÖ Gemeindeordnung 1973 als verspätet zurückzuweisen.
Über die dagegen erhobene Beschwerde, die von der belangten Behörde unter Vorlage der Bauakten erstattete Gegenschrift, die Gegenschrift des Erstmitbeteiligten und die Replik der Beschwerdeführer hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
1. Zur Zurückweisung der Vorstellung:
Soweit zunächst gerügt wird, es sei offensichtlich der Bescheid des Gemeinderates nicht an beide Berufungswerber zugestellt worden, sei auf den Rückschein verwiesen, der die Unterschriften beider Berufungswerber als Empfänger enthält. Der Wiedereinsetzungsantrag und die nachgeholte Vorstellung stammen von beiden Beschwerdeführern, ohne daß nur angedeutet worden wäre, einer von ihnen hätte eine Ausfertigung des Berufungsbescheides nicht erhalten. Die erst in der Replik zu den Gegenschriften präzisierte Behauptung, es sei keine gesonderte Zustellung erfolgt, ist neu, sodaß die belangte Behörde die Rechtzeitigkeit der Vorstellung beider Beschwerdeführer nur an Hand der bisher aufgestellten Behauptungen prüfen konnte. Daher bestand für die belangte Behörde kein Anlaß zur Erhebung darüber, ob sich im Kuvert zwei Ausfertigungen befunden hätten; auch der Verwaltungsgerichtshof kann die nunmehr aufgestellten Behauptungen gemäß § 41 Abs. 1 VwGG nicht berücksichtigen.
Aber auch die Auffassung der Beschwerdeführer, die Vorstellungsfrist habe erst mit der Übermittlung des Berufungsbescheides an den Rechtsanwalt (4. Mai 1992) begonnen, kann nicht geteilt werden. Die säumige Behörde wird vom Verwaltungsgerichtshof weder beauftragt noch delegiert, an seiner Stelle die Entscheidung zu treffen. Gemäß § 36 Abs. 2 VwGG ist es vielmehr bei Säumnisbeschwerden der belangten Behörde nur freizustellen, statt der Einbringung einer Gegenschrift innerhalb der hierfür bestimmten Frist den Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen. Bei dieser Rechtslage kann von einer Verfahrenseinheit, wie die Beschwerdeführer vermeinen, nicht gesprochen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1981, Zl. 03/1694/79). Die belangte Behörde bleibt während der ihr gemäß § 36 Abs. 2 VwGG zur Nachholung des versäumten Bescheides gesetzten Frist zuständig (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 25. April 1990, Zl. 89/01/0426 mwN). Die richterliche Frist des § 36 Abs. 2 VwGG ist nicht dafür entscheidend, ob der Bescheid als im Rahmen der GESETZLICHEN Entscheidungspflicht erlassen anzusehen ist, sie setzt vielmehr nur einen zeitlichen Schlußpunkt für die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Bescheiderlassung (siehe die bei Dolp,
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 534, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Die dem Verwaltungsgerichtshof in einem Säumnisbeschwerdeverfahren nachgewiesene Bevollmächtigung des Vertreters des Beschwerdeführers hat nicht zur Folge, daß die säumige Behörde ihren Bescheid dem Beschwerdevertreter zustellen muß. Diese Verpflichtung besteht nur dann, wenn der Beschwerdevertreter bereits im VORANGEGANGENEN Verwaltungsverfahren gegenüber der Behörde ausgewiesen war (siehe die bei Dolp, aaO, 535, wiedergegebene hg. Judikatur).
Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, daß der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde zur Entscheidung über die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde zuständig war, sodaß die Erlassung des Bescheides vom 9. April im VERWALTUNGSVERFAHREN erfolgte. In diesem Verfahren bestand weder Anwaltspflicht noch die Verpflichtung, Schriftsätze mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes zu versehen und waren die Beschwerdeführer auch nicht, wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, anwaltlich vertreten. Die belangte Behörde ging daher zu Recht davon aus, daß die Vorstellung verspätet erhoben wurde.
2. Zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages:
Gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1991 ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9.024/A, ausgesprochen, daß nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein Irrtum ein "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG sein kann. Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, daß die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (seit der AVG-Novelle 1990 BGBl. Nr. 357; beruhend auf § 146 Abs. 1 ZPO in der Fassung des Art. IV Z. 24 der Zivilverfahrensnovelle 1983) unterläuft (siehe das hg. Erkenntnis vom 26. November 1992, Zl. 92/06/0222). Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten (und Behörden) und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an beruflich rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (Fasching, Zivilprozessrecht2, Rz. 580).
Die den Beschwerdeführern im vorliegenden Falle erteilte Rechtsmittelbelehrung auf der Berufungsentscheidung des Gemeinderates enthielt keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde; vielmehr wurde die die Erhebung der Vorstellung regelnde Gesetzesbestimmung durch Zitierung eines Paragraphen genannt. Der Verwaltungsgerichtshof hat immer wieder betont, daß die rein subjektive Beurteilung einer bestimmten Rechtslage - hier die Annahme, es sei eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zu erheben - den Wiedereinsetzungswerber niemals hindern könne, sich über die Wirkung eines Bescheides vorsorglich bei Rechtskundigen zu informieren (vgl. hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1992, Zl. 91/10/0251, mwN). Die Beschwerdeführer haben es aber unterlassen, irgendwelche Erkundigungen in diesem Sinne einzuholen. Der Zweitbeschwerdeführer wandte sich ja nicht mit der Frage an die Kanzlei Dr. W., welches Rechtsmittel zu ergreifen sei oder was denn der Hinweis auf § 61
NÖ Gemeindeordnung bedeute, sondern erklärte ausdrücklich, es sei eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zu erheben.
Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, daß eine deutlichere, dem rechtsstaatlichen Prinzip besser entsprechende Rechtsmittelbelehrung im Sinne der Anordnung des letzten Satzes des § 61 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung (vgl. dazu § 61 Abs. 1 AVG) einen derartigen Irrtum auf Seiten der Beschwerdeführer gar nicht hätte entstehen lassen. Allerdings ergibt sich aus den Abs. 2 und 3 des § 61 AVG, daß selbst eine fehlende oder falsche Rechtsmittelbelehrung eine Fristverlängerung nicht herbeiführen kann. § 71 Abs. 1 zweiter Fall AVG räumt die Wiedereinsetzung nur für den Fall ein, daß die Berufung fälschlich die Rechtsmittelbelehrung enthält, es sei KEINE Berufung zulässig.
Den Beschwerdeführern wäre es zuzumuten gewesen, sich über den Inhalt der genannten Bestimmung des § 61 NÖ Gemeindeordnung zu informieren bzw. taugliche Erkundigungen über ihre Rechtsmittelmöglichkeiten einzuholen. Diese Sorglosigkeit, die zur Fristversäumung führte, erlaubt die Annahme eines bloß minderen Grades des Versehens nicht. Der Umstand, daß die Beschwerdeführer schon Erfahrungen bei der Erhebung von Vorstellungen besaßen, mußte sie umso mehr veranlassen, sich ausreichend über das zu ergreifende Rechtsmittel zu informieren.
Da schon dieses Verhalten der Beschwerdeführer für die Fristversäumung kausal war, bedurfte es eines Eingehens auf die Vorgänge in der Kanzlei Dr. W. nicht. Die belangte Behörde hat somit zu Recht auch den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen.
Die Beschwerde erwies sich daher insgesamt als unbegründet, so daß sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
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