VwGH 93/03/0117

VwGH93/03/011716.2.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte DDr. Jakusch und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des A in G, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Kammer 2 des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 23. März 1993, Zl. 2/47-8/1992, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
VStG §19 Abs1;
VStG §25 Abs2;
VStG §45 Abs1 lita;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
VStG §19 Abs1;
VStG §25 Abs2;
VStG §45 Abs1 lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug schuldig erkannt, sich am 9. Oktober 1991 um

8.40 Uhr an einem näher bestimmten Ort in G gegenüber einem von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht geweigert zu haben, die Atemluft auf Alkoholgehalt überprüfen zu lassen, obwohl er am selben Tag um 3.15 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten PKW in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigen Zustand auf der Götzener Landesstraße Nr. 12 im Ortsgebiet von Axams gelenkt habe. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO iVm § 5 Abs. 2 leg. cit. begangen, weshalb eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ging der unabhängige Verwaltungssenat in Tirol davon aus, der Beschwerdeführer habe am 9. Oktober 1991 gegen 3.15 Uhr einen PKW von der Diskothek A. in Axams bis zum Haus Axams, Innsbrucker Straße 28a, wo das Fahrzeug auf einen stehenden Bagger aufgefahren sei, gelenkt. Diese Sachverhaltsannahme stützt sich auf die Aussagen der Zeugen K., E., und S., welche in unmittelbarer Nähe des Unfallsortes wohnten und aufgrund des Unfallsgeräusches aufgewacht seien. Die Zeugin K. habe sich innerhalb von Sekunden zum Fenster begeben und beobachtet, daß am Unfallsort nur eine Person, und zwar ein Mann, anwesend gewesen sei. Dieser habe mehrmals erfolglos versucht, den PKW vom Bagger, mit dem der PKW verkeilt war, wegzubringen. Er sei sodann von der Unfallsstelle weggelaufen. Die Zeugen E. und S. hätten den Vorfall erst einige Minuten nach dem Aufprall beobachtet und wahrgenommen, daß ausschließlich eine Person aus dem Fahrzeug ausgestiegen sei und sich sodann von der Unfallsstelle entfernt habe. Der Beschwerdeführer verantworte sich damit, seine Freundin S. habe den PKW gelenkt, während er auf dem Beifahrersitz gesessen sei. Unmittelbar nach dem Unfall habe S. das Auto verlassen und sei in den nachkommenden PKW, den die Schwester des Beschwerdeführers gelenkt habe, eingestiegen und mit dieser zwecks Meldung des Unfalles zum - zu dieser Zeit allerdings unbesetzten - Gendarmerieposten gefahren. Diese Verantwortung des Beschwerdeführers und die Aussagen der Zeugen S. sowie der Schwester des Beschwerdeführers J. seien unglaubwürdig. Der Beschwerdeführer habe nicht ausreichend erklären können, warum er nicht bis zum Eintreffen der Gendarmerie - diese war von K. vom Unfall und vom Weglaufen eines Mannes verständigt worden - am Unfallsort verblieben sei. Unglaubwürdig sei die Aussage von S., sie habe unmittelbar nach dem Unfall den Ort verlassen; es wäre nämlich zu erwarten, daß sich der Lenker ein Bild von den Unfallsfolgen mache. Ungewöhnlich sei auch, daß die Schwester des Beschwerdeführers nicht zum Unfallsauto gegangen und den Beschwerdeführer nach seinem Befinden befragt habe. J. habe im übrigen ausgesagt, sie habe sich bei S. erkundigt, wie es dem Bruder gehe, worauf diese mitgeteilt habe, der Beschwerdeführer habe den Unfallsort bereits verlassen. Diese Aussage stehe aber im Widerspruch zu dem vom Beschwerdeführer und von S. dargestellten zeitlichen Ablauf.

Die belangte Behörde ging weiters im Sachverhaltsbereich davon aus, der Beschwerdeführer habe auf der Fahrt von der Diskothek bis zum Haus Innsbrucker Straße Nr. 28 Straßen mit öffentlichem Verkehr benützen müssen. Es sei daher unerheblich, ob die Verkehrsfläche vor dem Haus Axams Innsbrucker Straße 28 aufgrund eines von der Behörde wegen Bauarbeiten verordneten Fahrverbotes die Qualifikation als Straße mit öffentlichem Verkehr verloren habe.

Um 8.40 Uhr habe der Gendarmeriebeamte S. den Beschwerdeführer, aus dessen Mund zu diesem Zeitpunkt Alkoholgeruch wahrnehmbar gewesen sei, in dessen Schlafzimmer im Haus in G dreimal zum Alkomattest aufgefordert. Der Beschwerdeführer habe dieser Aufforderung keine Folge geleistet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattet eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 5 Abs. 2 StVO sind unter anderem besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht berechtigt, die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken und in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen, wenn vermutet werden kann, daß sich diese Personen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden.

Der Beschwerdeführer rügt die Beweiswürdigung der belangten Behörde, wenn er vorbringt, sowohl aus seinen Angaben als auch aus den Aussagen der Zeugin S. und J. habe sich ergeben, daß nicht er, sondern S. den PKW gelenkt habe.

Dem Verwaltungsgerichtshof steht die Kontrolle der Beweiswürdigung nur insoweit zu, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen, nicht aber ob der Akt der Beweiswürdigung in dem Sinne richtig ist, daß z. B. eine den Beschwerdeführer belastende und nicht dessen Verantwortung entsprechende Sachverhaltsannahme den Tatsachen entspricht (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053). Wenn die belangte Behörde der übereinstimmenden Darstellung der unbeteiligten Zeugen K., E. und S. Glauben schenkte, die Darstellung des Beschwerdeführers sowie die zum Teil widersprüchlichen Aussagen seiner Freundin und seiner Schwester hingegen als unglaubwürdig beurteilte, verstieß sie dabei nicht gegen die Denkgesetze. Die belangte Behörde konnte auch aufzeigen, daß die Darstellung des Beschwerdeführers sowie der Zeugen S. und J. nicht mit der allgemeinen Lebenserfahrung übereinstimmen.

Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorbringt, daß der Grundsatz "in dubio pro reo" Platz zu greifen habe, so ist ihm zu entgegnen, daß dieser Grundsatz nur dann zur Anwendung zu gelangen hat, wenn nach dem Ergebnis der Beweiswürdigung noch Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten bleiben (vgl. hg. Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/02/0176). Im gegenständlichen Fall nahm die belangte Behörde nach dem Ergebnis der schlüssigen Beweiswürdigung das tatbildmäßige Verhalten des Beschwerdeführers als erwiesen an. Aktenwidrig ist die Behauptung des Beschwerdeführers, die belangte Behörde sei lediglich davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer vermutlich den PKW gelenkt habe. Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde das Lenken auf den Beschwerdeführer als erwiesen angenommen, die Vermutung bezieht sich lediglich auf den durch Alkohol beeinträchtigten Zustand.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, die Götzener Landestraße sei "insbesondere im Unfallbereich" infolge der Bauarbeiten für jeglichen öffentlichen Verkehr gesperrt gewesen und hätte somit keine Straße mit öffentlichem Verkehr dargestellt. Er rügt als Verletzung von Verfahrensvorschriften, daß die belangte Behörde seinem Antrag auf Einholung des Verordnungsaktes der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck nicht nachgekommen sei. Der Beschwerdeführer vermag damit aber keine Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuzeigen. Er tritt nämlich den Ausführungen der belangten Behörde, er habe die Straße auch außerhalb des an der Unfallsstelle verordneten Fahrverbotes benutzt, nicht konkret entgegen.

Dem Vorwurf des Beschwerdeführers, der Gendarmeriebeamte S. wäre unter Verletzung des Hausrechtes in die Wohnung eingedrungen, als er ihn zur Überprüfung des Alkoholgehaltes der Atemluft aufforderte, ist entgegenzuhalten, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sogar eine allfällige Rechtswidrigkeit des Eindringens des Gendarmeriebeamten in die Wohnung des KFZ-Lenkers diesen nicht berechtigt, die dort von ihm verlangte Atemluftprobe zu verweigern (vgl. hg. Erkenntnisse vom 11. September 1987, Zl. 87/18/0049, und vom 29. April 1987, Zl. 86/03/0240).

Was den zeitlichen Abstand zwischen dem Unfall und der Aufforderung zur Überprüfung der Atemluft betrifft, vermißt der Beschwerdeführer eine Begründung durch die belangte Behörde, warum trotz der verstrichenen langen Zeit noch ein verwertbares Ergebnis zur Frage der Alkoholisierung beim Lenken des Fahrzeuges zu erwarten sei. Bei einem großen Zeitabstand zwischen Beendigung des Lenkens und der Verweigerung der Überprüfung der Atemluft hat die Behörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu begründen, warum trotz der verstrichenen langen Zeit noch verwertbare Ergebnisse des Alkotests zu erwarten gewesen wären. Die belangte Behörde konnte jedoch im angefochtenen Bescheid darauf verweisen, daß vom einvernommenen medizinischen Sachverständigen im Berufungsverfahren angegeben wurde, daß die Alkomatmessung bis zu 6 Stunden nach Beendigung der Fahrt noch ein verwertbares Ergebnis bringen könne.

In der Beschwerde wird schließlich der Eintritt der Verfolgungsverjährung eingewendet, weil nicht innerhalb von 6 Monaten nach der Tat ein entsprechend konkreter Vorhalt ergangen sei. Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung vorgenommen worden ist. Verfolgungshandlung ist gemäß § 32 Abs. 2 VStG jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung und dergleichen). Innerhalb der Frist des § 31 Abs. 1 VStG wurde zwar von der Strafbehörde erster Instanz ein Ladungsbescheid an den Beschwerdeführer erlassen. Aus der in diesem Ladungsbescheid enthaltenen Tatbeschreibung ("Sie

lenkten ... in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten

Zustand den PKW ...") ergibt sich aber, daß er nicht hinsichtlich der Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b iVm § 5 Abs. 2 StVO eine Verfolgungshandlung darstellt. Auf der Rückseite einer Beilage zur Anzeige des Meldungslegers, die sich im Akt der Bezirkshauptmannschaft befindet, ist unterhalb des Aktenvermerkes über die Akteneinsichtnahme des Vertreters des Beschwerdeführers der nicht unterfertigte Vermerk "Stellungnahme binnen 3 Wochen" angebracht. Eine von der Behörde erster Instanz an den Beschwerdeführer gerichtete Aufforderung zur Rechtfertigung stellt zwar eine Verfolgungshandlung iSd. § 32 Abs. 2 VStG dar (vgl. Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens", Seite 882). Die belangte Behörde hat aber nicht ermittelt, ob tatsächlich eine AUFFORDERUNG zur Stellungnahme (hinsichtlich der Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b iVm § 5 Abs. 2 StVO) erfolgt ist. Sie hat damit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anders lautenden Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gem. § 42 Abs. 2 Z 3 lit c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die Umsatzsteuer sowie nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.

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