VwGH 92/18/0461

VwGH92/18/046124.3.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 24. September 1992, Zl. 5-212 Do 27/7-92, betreffend Übertretung der Bauarbeiterschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: J in O), zu Recht erkannt:

Normen

BArbSchV §44 Abs2;
VStG §21 Abs1;
VStG §5 Abs1;
BArbSchV §44 Abs2;
VStG §21 Abs1;
VStG §5 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1.1. Mit Strafantrag vom 19. September 1990 begehrte das Arbeitsinspektorat die Bestrafung des Mitbeteiligten wegen einer Übertretung des § 44 Abs. 2 erster Satz der Bauarbeiterschutzverordnung. Bei einer am 12. September 1990 erfolgten Überprüfung einer näher bezeichneten Baustelle sei festgestellt worden, daß von drei Arbeitnehmern des Mitbeteiligten Dacheindeckungsarbeiten durchgeführt worden seien, obwohl keine Schutzblenden (Scheuchen) vorhanden gewesen seien.

In diesem Schriftsatz wies das Arbeitsinspektorat darauf hin, daß schon bei einer am 28. August 1990 auf dieser Baustelle durchgeführten Inspektion festgestellt worden sei, daß die Scheuchen fehlten. Diesbezüglich sei damals auch Anzeige erstattet worden.

1.2. In seiner Stellungnahme vom 24. April 1991 wies das Arbeitsinspektorat darauf hin, daß es sich um einen Wiederholungsfall handle, und legte eine Ablichtung eines Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur vom 15. Jänner 1991 vor, nach dessen Inhalt die Anzeige betreffend die Feststellungen vom 28. August 1990 zu einer Bestrafung des Mitbeteiligten wegen einer Übertretung des § 44 Abs. 2 erster Satz Bauarbeiterschutzverordnung geführt hat.

2. Mit Bescheid vom 30. März 1992 stellte die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur das auf Grund des Strafantrages vom 19. September 1990 gegen den Mitbeteiligten geführte Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. b VStG 1950 ein.

3. Mit Bescheid vom 24. September 1992 gab der Landeshauptmann von Steiermark (die belangte Behörde) der Berufung des Arbeitsinspektorates gegen den erstinstanzlichen Bescheid Folge, sah jedoch gemäß § 21 Abs. 1 VStG "wegen Überwiegen rücksichtswürdiger Umstände" von der Verhängung einer Strafe ab und sprach eine Ermahnung "hinsichtlich der dem Beschuldigten zur Last gelegten Verwaltungsübertretung gem. § 44 Abs. 2 1. Satz Bauarbeiterschutzverordnung i.V.m. § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz" aus.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Mitbeteiligte müsse sich zumindest den Vorwurf der Fahrlässigkeit gefallen lassen, weil er nicht einmal behauptet habe, eine geeignete Aufsichtsperson zur Kontrolle der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen auf der Baustelle bestellt zu haben oder durch organisatorische Maßnahmen ein lückenloses Kontrollsystem betreffend die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften aufgebaut zu haben. Die Verantwortung des Mitbeteiligten, die Schutzbleche hätten wegen der Erneuerung der Dachrinne entfernt werden müssen, sei durch die Gegendarstellung des Arbeitsinspektorates und die von diesem vorgelegten Zeichnungen widerlegt.

Nach Wiedergabe der Bestimmungen des § 19 Abs. 1 und 2 VStG äußerte die belangte Behörde die Ansicht, daß das Verschulden des Mitbeteiligten gering sei, weil die Scheuchen offensichtlich aus Unwissenheit nur kurzfristig entfernt worden seien, daß die Tat keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen habe, daß zur Zeit der Tat keine einschlägigen rechtskräftigen Vorstrafen vorgelegen seien und daß die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Mitbeteiligten "dermaßen angespannt sind, daß die Verhängung einer Geldstrafe für den Beschuldigten eine unzumutbare Belastung darstellen würde". Da die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 VStG auf den Mitbeteiligten zuträfen, sei spruchgemäß zu entscheiden.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gemäß § 9 Abs. 2 ArbIG 1974.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen

Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

II.

1. Gemäß § 21 Abs. 1 erster Satz VStG kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Ist eines der beiden Kriterien nicht erfüllt, so kommt eine Anwendung dieser Gesetzesstelle nicht in Betracht (siehe das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1993, Zl. 92/18/0343, mwN).

2. Der Beschwerdeführer wendet sich mit Recht gegen die Anwendung des § 21 Abs. 1 VStG. Die belangte Behörde hat zur Frage, ob den Mitbeteiligten an der Verwaltungsübertretung Verschulden treffe, ausgeführt, er habe die Bestellung einer geeigneten Aufsichtsperson oder die Einrichtung eines entsprechenden Maßnahmen- und Kontrollsystems betreffend die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht einmal behauptet. In Fällen, in denen ein geeignetes Maßnahmen- und Kontrollsystem nicht eingerichtet wurde, kann aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einem geringfügigen Verschulden nicht mehr gesprochen werden (siehe die hg. Erkenntnisse vom 28. Oktober 1991, Zl. 91/19/0225, vom 12. Juni 1992, Zl. 90/19/0499, und vom 22. Oktober 1992, Zl. 92/18/0342). Schon aus diesem Grunde kommt die Anwendung des § 21 Abs. 1 VStG im Beschwerdefall nicht in Betracht. Da die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannt hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

3. Der angefochtene Bescheid war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen, insbesondere betreffend die Unbeachtlichkeit der "relativen Unbescholtenheit" (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 23. Mai 1991, Zl. 90/19/0584, und vom 28. Oktober 1991, Zl. 91/19/0225) und die Tatsache, daß es sich bei der gegenständlichen Übertretung nach der Aktenlage nicht um das erste einschlägige Fehlverhalten gehandelt hat, im einzelnen eingegangen zu werden brauchte.

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