VwGH 92/01/0761

VwGH92/01/076120.1.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerden 1. des A in L, 2. der B in L, beide vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in L, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 15. Juli 1992, Zl. 4.311.402/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z3;
AsylG 1991 §1;
AsylG 1991 §25 Abs2;
AsylG 1991 §3;
AsylG 1991 §4;
AVG §37;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs3;
AsylG 1991 §1 Z3;
AsylG 1991 §1;
AsylG 1991 §25 Abs2;
AsylG 1991 §3;
AsylG 1991 §4;
AVG §37;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs3;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 15. Juli 1992 wurde ausgesprochen, daß Österreich den Beschwerdeführern - einem Ehepaar albanischer Staatsangehörigkeit, das am 10. März 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist - kein Asyl gewähre.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, in Ansehung des jeweils sie betreffenden Bescheides vom Erstbeschwerdeführer (zur hg. Zl. 92/01/0761) und von der Zweitbeschwerdeführerin (zur hg. Zl. 92/01/0762) erhobenen Beschwerden. Der Verwaltungsgerichtshof hat wegen des sachlichen Zusammenhanges die Verbindung dieser Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung beschlossen und darüber erwogen:

Die belangte Behörde hat in den gleichlautenden Begründungen der angefochtenen Bescheide die Angaben der beiden Beschwerdeführer im Asylverfahren hinsichtlich der Gründe, die sie zum Verlassen ihres Heimatlandes bewogen haben, auch nicht teilweise wiedergegeben und sich damit überhaupt nicht auseinandergesetzt. Sie hat damit offengelassen, ob diese Gründe, die im Zusammenhang mit der Teilnahme der Beschwerdeführer an Demonstrationen in ihrem Heimatland gegen das kommunistische Regime (zuletzt am 20. Februar 1991 bzw. am 9. März 1991) stehen und aus denen ihrer Behauptung nach, zumindest was den Erstbeschwerdeführer anlangt, auf Grund der drohenden Maßnahmen im Zeitpunkt ihrer Ausreise abgeleitet werden könnte, daß für sie ein weiterer Verbleib in ihrem Heimatland unerträglich gewesen wäre, ohne Hinzukommen der von ihr ausschließlich angeführten Umstände zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an die Beschwerdeführer geführt hätten. Dieser von den Beschwerdeführern gerügte Mangel wäre nur dann nicht wesentlich, wenn die von der belangten Behörde gegebene Begründung - ungeachtet der durch sie unterbliebenen Würdigung des Vorbringens der Beschwerdeführer - einer Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit standhalten würde, ansonsten dem Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit einer solchen abschließenden Überprüfung genommen wäre. Letzteres trifft allerdings im vorliegenden Beschwerdefall zu.

Der belangten Behörde ist - auf dem Boden des § 3 in Verbindung mit § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991, welches gemäß § 25 Abs. 2 leg. cit. hier bereits anzuwenden war - im Ergebnis darin beizupflichten, daß sie eine Prognose bezüglich des Bestehens einer Verfolgungsgefahr zu stellen hatte und auch in der Vergangenheit liegende Verfolgungshandlungen, ebenso wie eine im Zeitpunkt der Ausreise drohende Verfolgung noch nicht den Schluß zuließen, daß weiterhin mit einer Verfolgung der Beschwerdeführer zu rechnen sei. Die belangte Behörde hatte zwar grundsätzlich gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen; sie hatte jedoch gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen unter anderem eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat. Die belangte Behörde hat in diesem Sinne - nachdem die beiden erstinstanzlichen Bescheide bereits im April 1991 erlassen worden waren - ausgeführt, daß sich alles, was die Beschwerdeführer im Asylverfahren vorzubringen vermocht hätten, auf die Situation in ihrem Heimatland zur Zeit des stalinistischen Regimes und vor allem während der Umbruchszeit 1991/92 bezogen habe. In der Zwischenzeit habe sich jedoch die Lage in Albanien in geradezu spektakulärer und dramatischer Weise geändert. Die derzeit auch effektiv in Kraft stehende Verfassung vom 29. April 1992 gewähre die liberalen Grundrechte wie Glaubens-, Presse- und Versammlungsfreiheit, das Streikrecht, Freizügigkeit und Privateigentum und sichere deren Beachtung durch Institutionen der gewaltenteilenden parlamentarisch-pluralistischen Demokratie. Es seien im Laufe des Jahres 1991 sämtliche politischen Häftlinge freigelassen worden und keine Fälle staatlicher Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sonstigen sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung mehr bekannt geworden. Nicht geleugnet werden könne die triste wirtschaftliche Lage, ebenso die hohe Kriminalitätsrate im Heimatland der Beschwerdeführer; nur stellten diese sicherlich bedauerlichen Mißstände keine "Verfolgung" durch staatliche Organe im Sinne des § 1 Asylgesetz 1991 dar.

Die Beschwerdeführer machen geltend, daß in Albanien nach wie vor dieselben Personen wie früher an der Macht seien, die von der belangten Behörde genannten Ereignisse lediglich den Schein einer Beruhigung der Verhältnisse ergeben hätten, eine Änderung der tatsächlichen Situation aber nicht eingetreten sei, sich dies bei Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens herausgestellt hätte und sie demnach nach wie vor einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt seien. Dabei handelt es sich um kein gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG verstoßendes Vorbringen, wurde doch den Beschwerdeführern, wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, entgegen der Bestimmung des § 37 AVG im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit gegeben, zu dem von der belangten Behörde herangezogenen Sachverhalt Stellung zu nehmen. Die von ihr für die Ablehnung der Asylanträge maßgebende Argumentation, insbesondere hinsichtlich der geänderten Verfassungsrechtslage im Heimatland der Beschwerdeführer (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Mai 1992, Zl. 92/01/0306), aber auch der Freilassung politischer Gefangener, schließt die Richtigkeit der Behauptung der Beschwerdeführer, es bestehe auf Grund der faktischen politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland für sie weiterhin eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer politischen Gesinnung, noch nicht aus.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war. Bemerkt sei aber, daß die Rechtsansicht der Beschwerdeführer, es hätte jeweils im Hinblick auf das Vorliegen eines tauglichen Verfolgungsgrundes auf seiten ihres Ehegatten § 4 Asylgesetz 1991 Anwendung finden müssen, unter anderem deshalb verfehlt ist, weil sie einen (vom Asylantrag nach § 3 leg. cit. zu unterscheidenden) Ausdehnungsantrag nach dieser Gesetzesstelle nicht gestellt haben und mangels Asylgewährung diese auch nicht hätte ausgedehnt werden können (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0773).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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