VwGH 90/07/0019

VwGH90/07/001912.10.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kratschmer, Dr. Hargassner, Dr. Bumberger und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde der C in S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in O, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 13. Juni 1989, Zl. 03-30 T 116-88/1, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde X), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §41 Abs1;
AVG §42 Abs1;
AVG §8;
WRG 1959 §102 Abs1;
WRG 1959 §102;
WRG 1959 §107 Abs2;
AVG §41 Abs1;
AVG §42 Abs1;
AVG §8;
WRG 1959 §102 Abs1;
WRG 1959 §102;
WRG 1959 §107 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin (BF) beantragte mit Eingabe vom 22. Juli 1987 - bei der Wasserrechtsbehörde erster Instanz eingelangt am 29. Juli 1987 - die wasserrechtliche Bewilligung für die Herstellung einer Schüttung auf der Parzelle 386 KG A. In dem diesem Antrag angeschlossenen Anrainerverzeichnis war die mitbeteiligte Partei (MP) nicht enthalten. Zu der für 7. September 1987 "im Sinne" der §§ 40 bis 44 AVG und §§ 39, 98, 101 Abs. 3 und 107 Wasserrechtsgesetz 1959, BGBl. Nr. 215, idF des BGBl. Nr. 238/1985, mit Kundmachung der Bezirkshauptmannschaft X (BH) vom 19. August 1987 anberaumten mündlichen Verhandlung wurde die MP nicht persönlich geladen. Ob und bejahendenfalls an welchen Orten die Anberaumung der mündlichen Verhandlung durch Anschlag öffentlich bekannt gemacht worden ist, kann den Verwaltungsakten nicht entnommen werden (der Durchschlag der Kundmachung im Akt der Wasserrechtsbehörde erster Instanz, Aktenseite 25 enthält nur den Vermerk: "Anschlag: 24. 8.1987, Abnahme: 8.9.1987"). Zur wasserrechtlichen Bewilligungsverhandlung am 7. September 1987 ist seitens der MP niemand erschienen.

Mit Bescheid vom 8. September 1987 erteilte die BH der BF gemäß §§ 38, 98 Abs. 1, 105, 107 und 112 Abs. 1 Wasserrechtsgesetz, idF BGBl. Nr. 238/1985, die wasserrechtliche Bewilligung für die Schüttung auf dem Grundstück Nr. 386 KG A, Gemeinde A, mit Anhebung dieses Geländes um ca. 0,85 m in einem Flächenausmaß von 2,2 ha unter Vorschreibung von bis längstens 31. Dezember 1988 zu erfüllenden Auflagen (die letztgenannte Frist wurde mit Bescheid der BH vom 16. September 1989 auf Grund des Ansuchens der BF bis zum 31. Dezember 1989 erstreckt). Dieser Bewilligungsbescheid wurde der MP nicht zugestellt.

Am 6. Mai 1988 richtete die MP an die Wasserrechtsbehörde erster Instanz ein Schreiben folgenden Inhalts:

"Das Stadtbauamt X ersucht Sie höflichst um Übersendung einer Kundmachung, einer Abschrift der betreffenden Niederschrift, bzw. der Bescheidausfertigung bezüglich der wasserrechtlichen Bewilligung für die Schüttung auf dem Grundstück mit der Abfindungsnummer 172/a-b der KG A. Das beschriebene Grundstück raint an die Gemeindegrenze der KG X an. Als Bewilligungsbewerber dürfte die Firma Baubedarf T., bzw. die Firma I. GesmbH aufscheinen."

Auf diesem Schreiben ist ein Aktenvermerk folgenden Inhalts

ersichtlich:

"V.: X, am 5.5.1988

Der Bescheid vom 8.9.1987, GZ.: 3.0 T 43 87/3 wurde an die Stadtgemeinde X bereits übermittelt" Unterschrift: unleserliche Paraphe.

In ihrem am 20. Mai 1988 bei der Wasserrechtsbehörde erster Instanz eingelangten Schreiben führt die MP aus:

"Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 8.9.1987, GZ. 3.0 T 43-87/3 wurde die wasserrechtliche Bewilligung für die Schüttung auf dem Grundstück Nr. 386, KG A bei X von der Bezirkshauptmannschaft X als Wasserrechtsbehörde bewilligt.

Von dieser wasserrechtlichen Bewilligung erlangte die Stadtgemeinde X erst am 9. Mai 1988 durch die Einsichtnahme in den gegenständlichen Bescheid Kenntnis. Von der Wasserrechtsbehörde wurde der Stadtgemeinde X keine Parteistellung eingeräumt...

...Die Interessen der Stadtgemeinde X als Mitgliedsgemeinde im Wasserverband L sind durch die Einleitung des H-baches in die L unmittelbar durch die gegenständliche wasserrechtliche Schüttung betroffen.

Die Stadtgemeinde X als Inhaber des Wasserrechtes bei der ehemaligen Wehranlage K sowie als Betreiber des Freibades X, dessen Betrieb teilweise mit der Nutzung des Grundwassers verbunden ist, ist durch jegliche wasserrechtliche Bewilligung im gegenständlichen Bereich betroffen.

Die Stadtgemeinde X ist für die Wahrung der Sicherheit des Lebens und des Schutzes von Vermögenswerten der Bevölkerung der Stadtgemeinde X verantwortlich. Aus diesem Grunde ist die Stadtgemeinde X durch jede Veränderung der Abflußverhältnisse des H-baches und der F betroffen.

...

Der gegenständliche Bescheid ist nicht nur durch die Nichtzuerkennung der Parteistellung für die Stadtgemeinde X von offensichtlicher Rechtswidrigkeit betroffen. Der gegenständliche Bescheid weist auch eine offensichtliche Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Rechtswidrigkeit des Inhalts und unrichtige rechtliche Beurteilung auf. Diese Punkte werden im Zuge eines Berufungsverfahrens aufzuzeigen sein.

Die Stadtgemeinde X stellt daher den Antrag

auf Zuerkennung der Parteistellung im wasserrechtlichen

Verfahren in der Angelegenheit C, A, Schüttung auf dem Grundstück Nr. 386, KG A.

Für die Stadtgemeinde X:

Der Stadtamtsdirektor:

Dr. U."

Im Schreiben vom 14. Juni 1988, gerichtet an das Stadtamt X, wies die Wasserrechtsbehörde erster Instanz darauf hin, daß das gegenständliche Verfahren rechtskräftig mit Bescheid abgeschlossen worden und derzeit ein Wasserrechtsverfahren nicht anhängig sei. Die nachträgliche Zuerkennung der Parteistellung in einem abgeschlossenen Verfahren sei im AVG nicht vorgesehen, weshalb dem Antrag der MP nicht näher getreten werden könne. Im Schreiben vom 20. Juni 1988, bei der Wasserrechtsbehörde erster Instanz am 24. Juni 1988 eingelangt, hielt die MP ihren Antrag auf Feststellung ihrer Parteistellung im gegenständlichen Wasserrechtsverfahren aufrecht, beantragte gleichzeitig die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG und führte aus:

"...Obwohl von der Wasserrechtsbehörde im Bescheid vom 8.9.1987, von dem die Stadtgemeinde X nicht durch die Wasserrechtsbehörde, sondern durch ein Amtsorgan der Stadtgemeinde X nachträglich Kenntnis erlangt hat, die Beeinträchtigung der Abflußverhältnisse des H-baches und der F laut Gutachten von Dipl.-Ing. D. festgestellt wurde, ist darüber eine Absprache durch die Wasserrechtsbehörde zu den gutachtlichen Feststellungen nicht erfolgt. Die Interessen der Stadtgemeinde X als Mitgliedsgemeinde im Wasserverband L sowie als Inhaber des Wasserrechtes bei der ehemaligen K sowie als Betreiber des Freibades X sowie Auswirkungen auf die Wahrung der Sicherheit des Lebens und des Schutzes von Vermögenswerten der Bevölkerung der Stadtgemeinde X in der L-Gasse wurden bei der gegenständlichen Entscheidung nicht berücksichtigt."

Auch dieses Schreiben wurde für die MP vom Stadtamtsdirektor unterfertigt.

Auf diesem Schreiben ist der Vermerk der Wasserrechtsbehörde erster Instanz enthalten:

"Der Empfang des Bescheides der BH X vom 8.9.1987, GZ.: 3.0 T 43/87/3 wird bestätigt. Der o.a. Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird zurückgezogen. 29.7.1988. Unleserliche Unterschrift.

Mit der am 11. August 1988 bei der Wasserrechtsbehörde erster Instanz von der MP, vertreten durch den Bürgermeister eingebrachten Berufung wird die ersatzlose Behebung des Bescheides der BH vom 8. September 1987 und die Zurückweisung (gemeint wohl: Zurückverweisung der Wasserrechtsangelegenheit) an die erste Instanz "zur neuerlichen Erhebung" beantragt. Zur Begründung ihres Antrages führt die MP in ihrer Berufung aus, sie sei von der BH als Partei dem Verfahren nicht beigezogen worden; der bekämpfte Bescheid sei ihr am 29. Juli 1988 zugestellt worden; damit habe die Wasserrechtsbehörde erster Instanz ihre Parteistellung anerkannt. In dem dem erstinstanzlichen Bescheid zugrundeliegenden Gutachten des Sachverständigen Dipl.Ing. Dieter D werde bereits ausgeführt, daß die derzeitigen Abflußverhältnisse (Hü, Fe) "nur so geringfügig beeinflußt" werden, daß sie als vernachlässigbar angesehen werden könnten. Auf die Bestandsituation, wie sie sich für die MP als Betreiber des Freibades sowie der Wehranlage als Unterlieger ergäbe, werde jedoch nicht eingegangen. Warum sich die Wasserrechtsbehörde erster Instanz den Ausführungen des Amtssachverständigen angeschlossen und als vertretbar angesehen habe, die wasserrechtliche Bewilligung unter den im Spruch erwähnten Bedingungen zu erteilen, sei unbegründet geblieben. Bei Feststellung einer möglichen Beeinträchtigung der Unterlieger durch die angestrebte Schüttung könne die Wasserrechtsbehörde ohne klare Begründung nicht davon ausgehen, daß gegen die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung keine Bedenken bestünden. Vielmehr seien durch die vorgesehene Schüttung Veränderungen des Wasserflusses in Beziehung auf das Freibad, die Wehranlage und in der L-Gasse der MP Auswirkungen nicht absehbar. Eine Klärung könne nur eine neuerliche Erhebung und exakte gutachtliche Feststellung bringen.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der MP gemäß § 66 Abs. 2 AVG Folge gegeben, den angefochtenen Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen. In der Begründung führt die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß auf Grund der eingeholten gutachterlichen Äußerung des wasserbautechnischen Amtssachverständigen der Fachabteilung Ia des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung eine schlüssige und nachvollziehbare Betrachtung der gesamten Hochwassersituation mit Berücksichtigung der Einwände der MP weder auf Grundlage des Bescheides der BH noch auf Grundlage des Gutachtens des Amtssachverständigen möglich sei. Es müsse die Situation an Ort und Stelle betrachtet und gegebenfalls durch zusätzliche Unterlagen belegt werden. Die Wiederholung einer mündlichen Verhandlung erscheine unvermeidlich.

Der Berufungsbescheid wird mit der vorliegenden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft. Die BF erachtet sich durch diesen Bescheid in ihrem Recht verletzt, "daß bei Erlassung des in Beschwerde gezogenen Bescheides Verfahrensvorschriften, nämlich Erhebungen der Behörde erster und zweiter Instanz, ob Präklusion nach § 107 Abs. 2 WRG 1959 eingetreten ist, nicht vorgenommen wurden". In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes führt die BF aus, daß die Wasserrechtsbehörden vor Zulassung der Parteistellung der MP den Nachweis der Eintragung derselben als Wassernutzungsberechtigte ins Wasserbuch verlangen hätten müssen, weshalb sie in ihrem Recht auf fehlerfreie Anwendung der Verwaltungsvorschriften verletzt worden sei. Es gehe aus dem bekämpften Bescheid nicht hervor, daß die Wasserrechtsbehörden überprüft hätten, wann der "übergangenen Partei" ihre Übergehung bekannt geworden sei, und ob der in § 102 Abs. 2 WRG 1959 vorgesehene Nachweis der Eintragung ins Wasserbuch gegeben sei. Die belangte Behörde wäre bei gesetzmäßiger Beachtung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Entscheidungsergebnis, nämlich der Ablehnung der Parteistellung der MP infolge eingetretener Präklusion bzw. mangelnden Nachweises der Stellung einer Wassernutzungsberechtigten, gekommen. Ab allseitiger Rechtskraft des Bescheides sei die übergangene Partei präkludiert.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 107 Abs. 2 WRG 1959 in der hier anzuwendenden Fassung vor der Wasserrechtsgesetznovelle 1990, BGBl. Nr. 252, kann eine Partei (§ 102 Abs. 1), die eine mündliche Verhandlung versäumt hat, weil sie persönlich nicht verständigt worden war, selbst dann, wenn die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung öffentlich bekanntgemacht worden ist (§ 41 Abs. 2 AVG 1950), ihre Einwendungen auch nach Abschluß der mündlichen Verhandlung und bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Angelegenheit vorbringen. Solche Einwendungen sind binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt, in dem die Partei nachweislich davon Kenntnis erhalten hat, daß ihre Rechte durch das Bauvorhaben berührt werden, bei der Behörde einzubringen, die die mündliche Verhandlung anberaumt hat, und von dieser oder von der Berufungsbehörde in gleicher Weise zu berücksichtigen, als wären sie in der mündlichen Verhandlung erhoben worden.

Die in dieser Vorschrift abweichend vom AVG geregelte "erweiterte" Rechtskraftwirkung gegenüber einer übergangenen Partei tritt also nur ein, wenn die Anberaumung der mündlichen Verhandlung öffentlich bekanntgemacht wurde (vgl. dazu die ausführliche Begründung im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. Oktober 1979, Slg. 8661; sowie das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1988, Zl. 87/07/0197). Die darin geforderte - nicht näher definierte - öffentliche Bekanntmachung ist als "Ediktalladung" im Sinne des § 41 Abs. 1 AVG zu verstehen; nach dieser Bestimmung ist bei Bedarf die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung durch Anschlag in der Gemeinde oder durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung bekanntzumachen. Nur unter diesen Voraussetzungen treten auch die Präklusionsfolgen des § 42 Abs. 1 AVG ein. Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist für eine übergangene Partei die Möglichkeit zu nachträglichen Einwendungen offen geblieben (siehe das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1988, Zl. 87/07/0197, mit weiteren Nachweisen). Den vorgelegten Verwaltungsakten kann nicht entnommen werden, ob die von der Wasserrechtsbehörde erster Instanz durchgeführte mündliche wasserrechtliche Bewilligungsverhandlung im Sinne des § 41 Abs. 2 AVG öffentlich bekanntgemacht worden ist, weshalb dem angefochtenen Bescheid aus diesem Grunde eine inhaltliche Rechtswidrigkeit anhaftet.

Ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, die MP habe im vorliegenden Verfahren durch Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides Parteistellung erlangt, hat die belangte Behörde überdies verabsäumt, zu überprüfen, ob der MP überhaupt Parteistellung im Sinne des § 102 WRG 1959 zukommt (siehe bezüglich der Vorgangsweise einer übergangenen Partei zur Erlangung der Parteistellung in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Aufl., S. 224 f und 239 ff).

Da die belangte Behörde - wie oben angeführt - die Rechtslage verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. Nr. 104/1991, insbesonders deren Art. III Abs. 2.

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