VwGH 92/18/0354

VwGH92/18/035422.10.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 22. Mai 1992, Zl. MA 63 - S 1/92/Str, betreffend Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:

Normen

ARG 1984 §1 Abs2 Z5;
AVG §45 Abs2;
AZG §1 Abs2 Z8;
AZG §12 Abs1;
Nachtarbeit der Frauen 1969 §2 Abs2 litf;
Nachtarbeit der Frauen 1969 §3 Abs1;
Nachtarbeit der Frauen 1969 §9 Abs1;
VStG §5 Abs1;
VStG §9;
VwRallg;
ARG 1984 §1 Abs2 Z5;
AVG §45 Abs2;
AZG §1 Abs2 Z8;
AZG §12 Abs1;
Nachtarbeit der Frauen 1969 §2 Abs2 litf;
Nachtarbeit der Frauen 1969 §3 Abs1;
Nachtarbeit der Frauen 1969 §9 Abs1;
VStG §5 Abs1;
VStG §9;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in Ansehung des Schuld-, Straf- und Kostenausspruches hinsichtlich der Verwaltungsübertretung nach § 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem mit der Beschwerde bekämpften Teil des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerdeführer als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer bestimmten, als Arbeitgeber fungierenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung und somit gemäß § 9 VStG als zu deren Vertretung nach außen Berufener wegen der Verwaltungsübertretungen nach § 12 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz und § 3 Abs. 1 (und 2) des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen bestraft, weil einer namentlich bezeichneten Arbeitnehmerin zu einer bestimmten Zeit nach Beendigung der Tagesarbeitszeit keine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden gewährt und sie während der Nacht beschäftigt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Im Beschwerdefall ist lediglich strittig, ob die angeführte Arbeitnehmerin unter die Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 2 Z. 8 Arbeitszeitgesetz bzw. § 2 Abs. 2 lit. f des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen fällt. Nach der erstgenannten Bestimmung sind "leitende Angestellte, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind," vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen, nach der zweitgenannten Bestimmung gilt das Bundesgesetz über die Nachtarbeit der Frauen nicht für "Dienstnehmerinnen, die verantwortliche Stellungen leitender und technischer Art innehaben."

Die belangte Behörde verneinte das Vorliegen der genannten Ausnahmetatbestände, weil die Arbeitnehmerin hauptsächlich mit Arbeiten befaßt sei, die von kaufmännischen Angestellten durchgeführt würden. Die ihr obliegende Operatortätigkeit für Bildschirme, Lohnverrechnung, Kunden- und Lieferantenbetreuung, Kreditabdeckung, Auftragsannahme, Einteilung der LKWs, Aufsicht über die Buchhaltung und Fakturenwesen stellten keine Leitungsfunktionen dar, sondern handle es sich hiebei um teilweise qualifizierte Arbeiten aus dem Bereich der kaufmännischen Angestellten. Als Leitungstätigkeiten wären ausschließlich die Aufteilung und Weiterleitung der Gewinne der Gesellschaft an die Gesellschafter sowie die eingeschränkte Personalhoheit (nach der Zeugenausage der Arbeitnehmerin habe sie die "Möglichkeit", Mitarbeiter zu entlassen bzw. zu kündigen, jedoch erfolge diese Entscheidung nach Rücksprache mit anderen Organen der Gesellschaft) zu qualifizieren. Damit ergebe sich jedoch ein Übergewicht an übrigen Tätigkeiten, sodaß die Ausnahmebestimmungen nicht zur Anwendung kämen.

Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, daß die aufgezeigten Tätigkeiten der Arbeitnehmerin wesentliche Teilbereiche des kaufmännischen Betriebes der Gesellschaft mit beschränkter Haftung umfaßten, die von ihr eigenverantwortlich geleitet würden und die auf den Bestand und die Entwicklung des gesamten Unternehmens bedeutsame Einflußwirkung hätten. Sie besitze die Personalhoheit über sechzehn Mitarbeiter, betreue Kunden und Lieferanten, sei sogar für die Kreditabdeckung des Unternehmens zuständig, ferner für die Auftragsannahme und Disposition der LKWs und nehme auch maßgebende Aufsichtsaufgaben über äußerst unternehmensentscheidende Bereiche, wie für Buchhaltung und Rechnungswesen, wahr. Die Gewichtigkeit der eigenverantwortlichen Leitung von "das Herz des Unternehmens bildenden Betriebsbereichen" werde auch in der mehr als überdurchschnittlichen Höhe der Entlohnung wiedergespiegelt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das zur wortgleichen Bestimmung des § 1 Abs. 2 Z. 5 Arbeitsruhegesetz ergangene Erkenntnis vom 22. Oktober 1990, Zl. 90/19/0318 und die dort zitierte Vorjudikatur) ist der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Z. 8 Arbeitszeitgesetz bereits dann erfüllt, wenn ein Arbeitnehmer wesentliche Teilbereiche eines Betriebes in der Weise eigenverantwortlich leitet, daß hiedurch auf Bestand und Entwicklung des gesamten Unternehmens Einfluß genommen wird, sodaß er sich auf Grund seiner einflußreichen Position aus der gesamten Angestelltenschaft heraushebt. Der betreffende Arbeitnehmer stelle - so heißt es in dem angeführten Erkenntnis - für diesen wesentlichen Teilbereich des Betriebes gleichsam den Unternehmensführer dar, der befugt sei, allen ihm in diesem Teilbereich unterstellten Arbeitnehmern Weisungen betreffend Inhalt und Organisation ihrer Tätigkeit sowohl genereller als auch individueller Art zu geben, wobei hier nicht bedeute, daß der betreffende Arbeitnehmer in diesem Bereich völlig weisungsfrei sei. Auch der leitende Angestellte sei Arbeitnehmer und daher Weisungen ausgesetzt. Die Eigenverantwortlichkeit sei daher an einem relativen Maßstab zu messen, dem leitenden Angestellten müsse ein erheblich größerer Entscheidungsspielraum als anderen Arbeitnehmern eingeräumt sein. Beim "leitenden Angestellten" handle es sich um einen Manager der "zweiten Ebene". Sei ein Arbeitnehmer nicht nur mit Leitungsfunktionen, sondern auch mit anderen Tätigkeiten befaßt, so hänge seine Einordnung davon ab, welche Tätigkeit das Schwergewicht bilde.

Ferner ist darauf hinzuweisen, daß es Sache des eines Verstoßes gegen das Arbeitszeitgesetz Beschuldigten ist, im Rahmen der ihn im Verwaltungsstrafverfahren treffenden Mitwirkungspflicht (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, 844 ff, angeführte Judikatur) konkrete, durch Beweisanbote untermauerte Behauptungen bezüglich des Vorliegens der für die Verwirklichung des in Rede stehenden Ausnahmetatbestandes maßgebenden Merkmale aufzustellen (vgl. auch das Übertretungen des Arbeitsruhegesetzes betreffende hg. Erkenntnis vom 23. März 1992, Zl. 91/19/0382).

Auf dem Boden dieser Rechtslage vermag der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde in bezug auf die Verneinung des Vorliegens des Ausnahmetatbestandes nach § 1 Abs. 2 Z. 8 Arbeitszeitgesetz nicht entgegenzutreten. Mögen die Tätigkeiten der Arbeitnehmerin auch wichtige Bereiche des Unternehmens betreffen, so kann aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes doch nicht gesagt werden, daß ihr Schwergewicht in der Ausübung von im Sinne der obigen Ausführungen qualifizierten Leitungsfunktionen liege. In der bloßen Aufsicht über mehrere Mitarbeiter kann keine "maßgebliche Führungsaufgabe" erblickt werden, handelt es sich doch hiebei um keine für das Unternehmen einflußreiche Position. Der Umstand, daß Kündigungen und Entlassungen von der in Rede stehenden Arbeitnehmerin nur nach Rücksprache mit anderen Organen der Gesellschaft ausgesprochen werden, zeigt, daß ihr im Rahmen der "Personalhoheit" nur ein beschränkter Spielraum für eigenverantwortliche Entscheidungen eingeräumt ist. Was die Kreditabdeckung, Auftragsannahme und Disposition über die LKWs betrifft, so läßt das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht konkret erkennen, inwieweit die Tätigkeiten der Arbeitnehmerin in diesen Bereichen als Erfüllung eigenverantwortlicher Leitungsfunktionen qualifiziert werden könnten. Daß wesentliche Teiltätigkeiten der Arbeitnehmerin, etwa die Operatortätigkeit oder die Lohnverrechnung, zu den "maßgeblichen Führungsaufgaben" im Sinne des § 1 Abs. 2 Z. 8 Arbeitszeitgesetz zu zählen seien, wird nicht einmal in der Beschwerde behauptet. Die Höhe der Entlohnung der Arbeitnehmerin schließlich ist für die hier entscheidenden Fragen nicht von maßgeblicher Bedeutung.

Die Beschwerde erweist sich somit in Ansehung der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der Verwaltungsübertretung nach § 12 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz als unbegründet und war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Hinsichtlich der Ausnahmebestimmung nach § 2 Abs. 2 lit. f des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen ging die belangte Behörde - wie sich aus einer anderen als der oben wiedergegebenen Stelle der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt - von einer Identität dieses Ausnahmetatbestandes mit dem des § 1 Abs. 2 Z. 8 Arbeitszeitgesetz aus. Damit verkannte sie die Rechtslage: Zum Unterschied vom letztgenannten Ausnahmetatbestand erfordert der des § 2 Abs. 2 lit. f des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen nicht die selbstverantwortliche Übertragung maßgebender Führungsaufgaben an leitende Angestellte; es genügt vielmehr, daß Dienstnehmerinnen "verantwortliche Stellungen leitender oder technischer Art innehaben". Die beiden Begriffe weichen somit - bewußt (vgl. 1463 Blg.NR 11. GP, 3) - insoweit voneinander ab, als es für die Beurteilung als "leitender Angestellter" im Sinne des § 1 Abs. 2 Z. 8 Arbeitszeitgesetz in stärkerem Maße auf den faktischen Einfluß und die Funktion des betreffenden Arbeitnehmers ankommt. Der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 2 lit. f des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen setzt hingegen nicht voraus, daß die betreffende Arbeitnehmerin im Unternehmen eine im derartigen Ausmaß herausgehobene, einflußreiche Position einnimmt.

Zufolge des der belangten Behörde bei der Auslegung des § 2 Abs. 2 lit. f des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen unterlaufenen Rechtsirrtums ist der angefochtene Bescheid in Ansehung der Verurteilung wegen der Verwaltungsübertretung nach § 3 Abs. 1 leg. cit. mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Er war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren sei bemerkt, daß es auch hinsichtlich des Ausnahmetatbestandes nach § 2 Abs. 2 lit. f des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen dem gemäß § 9 Abs. 1 leg. cit. zur Verantwortung gezogenen Dienstgeber oder dessen Bevollmächtigten aufgrund seiner Mitwirkungspflicht im Verwaltungsstrafverfahren obliegt, durch konkrete Behauptungen mit entsprechenden Beweisanboten das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes darzutun; ebenso gilt der Grundsatz, daß es im Falle einer "gemischten Verwendung", also dann, wenn eine Dienstnehmerin auch mit anderen als dem angeführten Ausnahmetatbestand zu unterstellenden Tätigkeiten befaßt ist, darauf ankommt, welche Tätigkeit das Schwergewicht bildet.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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