VwGH 91/11/0080

VwGH91/11/008021.1.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des G in F, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 19. März 1991, Zl. Ib-277-21/91, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;
KFG 1967 §74 Abs3;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;
KFG 1967 §74 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 5. Februar 1991 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C und E wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm vor dem 15. Februar 1993 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Gemäß § 64 Abs. 2 AVG wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 19. März 1991 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Dagegen richtet sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluß vom 11. Juni 1991, B 529/91, abgetretene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid und der von der belangten Behörde als zutreffend erachteten Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ergibt, ging die belangte Behörde vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 aus. Diese erblickte sie darin, daß der Beschwerdeführer am 9. Dezember 1989 durch Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 lit. a (in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a) StVO 1960 begangen und hiebei einen Verkehrsunfall verschuldet habe, bei dem ein Beifahrer getötet worden sei. Die Tatsache der Alkoholbeeinträchtigung des Beschwerdeführers stehe auf Grund seiner rechtskräftigen Bestrafung mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 4. Oktober 1990 wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z. 2 StBG bindend fest; für eine eigene Beurteilung durch die Kraftfahrbehörde sei insoweit kein Raum mehr. Im erstinstanzlichen Bescheid findet sich dazu noch die Feststellung, der gerichtsmedizinische Sachverständige habe, ausgehend vom Ergebnis der Blutalkoholbestimmung, beim Beschwerdeführer für den Unfallzeitpunkt einen Blutalkoholgehalt von mindestens 1,13 %o errechnet. Die belangte Behörde erachtete auch die Wertung der bestimmten Tatsache und die Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 im erstinstanzlichen Bescheid, wie dessen volle Bestätigung erkennen läßt, für zutreffend. In diesem wurde dazu ausgeführt, wenngleich zugunsten des Beschwerdeführers sein relativ tadelloser Lebenswandel bis zum tragischen Unglück zu berücksichtigen sei, so gereiche ihm doch zum Vorwurf, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug gelenkt und hiebei einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, bei dem eine Person getötet worden sei. Dazu komme, daß der Unfall auch auf "erhöhte Geschwindigkeit" sowie mangelnde Vorsicht und Aufmerksamkeit zurückzuführen sei.

Der Beschwerdeführer bestreitet die Ansicht der belangten Behörde, sie sei in der Frage seiner Alkoholbeeinträchtigung an die Entscheidung des Strafgerichtes gebunden, und behauptet die Unzulässigkeit der Verwertung der gerichtlichen Beweisergebnisse, weil sie auf einer rechtswidrigen Untersuchung der Blutprobe beruhten. Er vertritt weiters die Auffassung, die bekämpfte Entscheidung entspräche auch dann, wenn die Annahme der Begehung eines Alkoholdeliktes durch ihn zuträfe, nicht dem Gesetz, weil die belangte Behörde zu Unrecht von einer "ungünstigen Zukunftsprognose" ausgegangen sei.

Es kann dahinstehen, ob die erstgenannten Einwände berechtigt sind. Der angefochtene Bescheid erweist sich jedenfalls aus dem zuletzt angeführten Grund als rechtswidrig.

Das Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 1 lit. e KFG 1967 allein berechtigt die Kraftfahrbehörde noch nicht zum Ausspruch einer Entziehungsmaßnahme nach § 73 Abs. 1 oder § 74 Abs. 1 KFG 1967. Vielmehr bedarf es dazu wie auch zur Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 noch der Wertung der Tat nach den Kriterien des § 66 Abs. 3 leg. cit. Zu beachten ist hiebei ferner, daß eine Entziehungsmaßnahme nach den genannten beiden Gesetzesstellen nur dann zulässig ist, wenn für die Behörde aufgrund der Sach- und Rechtslage bei Erlassung ihres Bescheides die Annahme berechtigt ist, die betreffende Person sei auch noch in diesem Zeitpunkt verkehrsunzuverlässig und ihre Verkehrszuverlässigkeit werde voraussichtlich nicht vor Ablauf von drei Monaten eintreten. Dabei ist für die Berufungsbehörde, soweit sie in Ausübung der Kontrollfunktion tätig wird, der Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides maßgebend (vgl. zum ganzen das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11237/A). Im vorliegenden Fall ist somit entscheidend, ob diese Voraussetzung bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vorlag. Dies ist nicht der Fall.

Das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers vom 9. Dezember 1989 war zwar in hohem Maße verwerflich und gefährlich. Zu der besonderen Verwerflichkeit und Gefährlichkeit des Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand kommt der Umstand, daß der Beschwerdeführer nach den Feststellungen des Strafgerichtes die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h beträchtlich überschritten hat (ca. 100 km/h). Besonders gefährliche Verhältnisse (im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967) lagen allerdings offenbar nicht vor. Nach den Feststellungen des Gerichtes war die Fahrbahn im Zeitpunkt des Unfalles trocken, Ursache für den Unfall war, daß das Fahrzeug des Beschwerdeführers infolge überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern kam. Auf die Unfallsfolgen kommt es im gegebenen Zusammenhang nicht an. Zugunsten des Beschwerdeführers fällt sein nach der Aktenlage gegebenes Wohlverhalten in der Zeit von rund 14 Monaten zwischen der Tat und dem Beginn der Entziehungsmaßnahme ins Gewicht, dies allerdings im Hinblick auf die in dieser Zeit gegen ihn geführten (Straf- und Entziehungs-) Verfahren nur in eingeschränktem Maße. Zu seinen Gunsten ist weiters zu beachten, daß die Behörde keine sonstigen, bei der Beurteilung seiner Verkehrszuverlässigkeit zu berücksichtigenden strafbaren Handlungen angenommen hat, und daß es sich um das erste Alkoholdelikt des Beschwerdeführers handelt. Diesem Umstand hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung (siehe zu dieser das Erkenntnis vom 29. Oktober 1991, Zl. 91/11/0069) durchgehend besonderes Gewicht beigemessen und in vergleichbaren Fällen nicht nur Aussprüche nach § 73 Abs. 2 in Größenordnungen wie der vorliegenden für rechtswidrig erkannt, sondern etwa auch eine Zeit von 20 Monaten (Erkenntnis vom 25. September 1985, Zl. 83/11/0128) oder eine Zeit von 15 Monaten (Erkenntnis vom 22. Mai 1990, Zl. 90/11/0022) als zu lange qualifiziert. In dem erwähnten Erkenntnis Zl. 91/11/0069 betonte der Gerichtshof, daß diese Rechtsprechung jenen Überlegungen des Gesetzgebers entspricht, die offenbar dem durch die 12. Kraftfahrgesetz-Novelle eingefügten § 73 Abs. 3 KFG zugrunde lagen, wenn er dort für den Fall der erstmaligen Begehung eines Alkoholdeliktes, bei der die betreffende Person keinen Verkehrsunfall verschuldet hat, die Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 mit vier Wochen vorgesehen hat. Im Hinblick darauf ist die frühere Rechtsprechung des Gerichtshofes in vergleichbaren Fällen als überholt anzusehen. Dies gilt insbesondere auch für das im erstinstanzlichen Bescheid erwähnte Erkenntnis vom 28. September 1979, Zl. 1530/79, in welchem der Verwaltungsgerichtshof im Falle der Verursachung eines mit dem Tode eines Menschen verbundenen Verkehrsunfalles in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand trotz Fehlens weiterer für die Entziehung der Lenkerberechtigung sprechender Umstände eine Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 von drei Jahren für rechtens erachtete. In Anbetracht der vorhin angestellten Erwägungen entspricht die Annahme, die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers werde voraussichtlich nach Ablauf von drei Monaten ab Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (am 13. Februar 1991), somit nach Ablauf von 17 Monaten ab Begehung der Tat vom 9. Dezember 1989, noch nicht gegeben sein, nicht dem Gesetz. Damit kam eine Entziehungsmaßnahme nach § 73 Abs. 1 oder nach § 74 Abs. 1 KFG 1967 nicht mehr in Betracht.

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Danach sind dem Beschwerdeführer Kosten nur in dem im Spruch bezeichneten Ausmaß zu erstatten (für die Beschwerde der Pauschbetrag von S 11.120,-- sowie Stempelgebühren im Betrag von S 360,--, für den angefochtenen Bescheid Stempelgebühren im Betrag von S 60,--).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte