VwGH 91/11/0059

VwGH91/11/005921.1.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden des EA in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Tirol 1) vom 27. März 1991, Zl. IIb2-K-2020/2-91, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer kraftfahrrechtlichen Angelegenheit (hg. Zl. 91/11/0059), und 2) vom 9. Juli 1991, Zl. IIb2-K-2020/4-91, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens in einer kraftfahrrechtlichen Angelegenheit (hg. Zl. 91/11/0100), beschlossen und zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 litb;
AVG §69 Abs1 Z2 impl;
KFG 1967 §75 Abs2;
AVG §69 Abs1 litb;
AVG §69 Abs1 Z2 impl;
KFG 1967 §75 Abs2;

 

Spruch:

1. Die gegen den Bescheid vom 27. März erhobene Beschwerde (Zl. 91/11/0059) wird für gegenstandslos erklärt; das diesbezügliche Beschwerdeverfahren wird eingestellt.

2. Die gegen den Bescheid vom 9. Juli 1991 erhobene Beschwerde (Zl. 91/11/0100) wird als unbegründet abgewiesen.

3. Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 21. August 1990 forderte die Erstbehörde, die Bezirkshauptmannschaft Landeck, den Beschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 auf, binnen drei Monaten ab Rechtskraft dieses Bescheides einen verkehrspsychologischen Befund "zum Nachweis seiner Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen beizubringen". Anlaß für diese Maßnahme war ein Verkehrsunfall des Beschwerdeführers vom 15. April 1990, der in diesem Zusammenhang der Alkoholisierung verdächtigt wurde, sowie zwei rechtskräftige Vorstrafen des Beschwerdeführers wegen Alkoholdelikten. Die gegen den Bescheid vom 21. August 1990 erhobene Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 13. November 1990 als verspätet zurückgewiesen.

1.2. Mit Schriftsatz vom 23. November 1990 begehrte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens "wegen Führerscheinsache". Er begründete diesen Antrag damit, daß sich in dem gegen ihn im Anschluß an den Verkehrsunfall beim Bezirksgericht Landeck durchgeführten Strafverfahren wegen § 81 Z. 2 StGB auf Grund eines Sachverständigengutachtens in der Hauptverhandlung vom 9. November 1990 ergeben habe, daß er zur Unfallszeit nicht alkoholbeeinträchtigt gewesen sei; er sei deswegen auch freigesprochen worden. Darin lägen die Wiederaufnahmsgründe nach § 69 Abs. 1 lit. b und c AVG 1950. 1.3.1. Mit Bescheid vom 31. Jänner 1991 gab die Bezirkshauptmannschaft Landeck dem "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. c AVG" nicht statt. Sie begründete diesen Bescheid damit, daß dann, wenn ein Gericht zu einer anderen Sachverhaltsfeststellung als die Verwaltungsbehörde kommt, keine anders lautende Vorfragenentscheidung vorliege. Auf die Geltendmachung des Wiederaufnahmsgrundes nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 ging die Erstbehörde nicht ein.

1.3.2. In seiner gegen diesen Erstbescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, daß die Behörde den Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 nicht anerkannt und daß sie sich mit dem Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 nicht auseinandergesetzt habe.

1.3.3. Mit Bescheid vom 27. März 1991 wies die belangte Behörde die Berufung, soweit sie sich "auf das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG stützt," als unbegründet ab. Ferner wurde die Berufung "hinsichtlich des geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes nach § 69 Abs. 1 lit. b

AVG ..... als unzulässig zurückgewiesen".

1.4.1. Mit Bescheid vom 26. April 1991 wies die Erstbehörde den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 23. November 1990 auch im Hinblick auf den geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund "nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG" ab.

1.4.2. Die dagegen erhobene Berufung wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom 9. Juli 1991 als unbegründet abgewiesen.

1.5. In seinen an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerden gegen die unter 1.3.3. und 1.4.2. genannten Bescheide bekämpft der Beschwerdeführer lediglich den zurückweisenden Ausspruch des Bescheides vom 27. März 1991 sowie den Bescheid vom 9. Juli 1991 zur Gänze. Die belangte Behörde hat Gegenschriften erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerdefälle wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden und hierüber erwogen:

2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Ausspruch im Bescheid vom 27. März 1991 in seinem Recht auf Fällung einer "Sachentscheidung auf einen konkretisierten Antrag" für verletzt.

2.2. Mit Verfügung vom 10. Dezember 1991 forderte der Verwaltungsgerichtshof den Beschwerdeführer auf, zu der Frage Stellung zu nehmen, inwiefern er durch diesen Ausspruch noch in seinen Rechten verletzt sein könne, da er durch den Bescheid vom 9. Juli 1991 die begehrte Sachentscheidung über das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG erhalten habe.

2.3. Der Beschwerdeführer führte dazu in seinem Schriftsatz vom 19. Dezemnber 1991 aus, daß er sich durch den angefochtenen Ausspruch "in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf eine formal richtige Entscheidung verletzt" fühle. Im Zeitpunkt der Verfassung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 27. März 1991 sei es für den Beschwerdeführer keineswegs absehbar gewesen, wann und ob überhaupt die begehrte Sachentscheidung getroffen werde. Der Beschwerdeführer sei daher verpflichtet gewesen, eine Bescheidbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu richten. Für die Beurteilung der Beschwer des Beschwerdeführers sei nicht der Zeitpunkt der Fällung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes entscheidend, sondern der Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde. Ob die Beschwer im Laufe des Verfahrens wegfällt oder nicht, sei ohne Belang.

2.4. Mit diesen Ausführungen verkennt der Beschwerdeführer die Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes bei seiner Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Eine Prozeßvoraussetzung in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde ist die Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten verletzt sein kann. Die Prüfung der bloß objektiven Rechtmäßigkeit eines an den Beschwerdeführer ergangenen Bescheides, der für diesen keine rechtlichen Auswirkungen zeitigt, steht dem Verwaltungsgerichtshof nicht zu. Die dem Verwaltungsgerichtshof im Fall der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zukommende Kompetenz zur Aufhebung des Bescheides muß die Folge haben, daß der Beschwerdeführer hiedurch rechtlich bessergestellt wird. Ein von anderen subjektiven Rechten losgelöstes Recht auf rechtmäßige Entscheidung, wie es dem Beschwerdeführer vorschwebt, besteht nicht. Fehlt die Möglichkeit, durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein, schon bei Einbringung der Beschwerde, so ist diese zurückzuweisen; fällt die Möglichkeit einer Rechtsverletzung erst während des anhängigen Beschwerdeverfahrens weg, so tritt Gegenstandslosigkeit der Beschwerde ein, die die Einstellung des Verfahrens nach sich zieht. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa den Beschluß vom 27. Juni 1990, Zl. 90/03/0097).

Diese Überlegungen treffen hier voll zu. Die Aufhebung des zurückweisenden Abspruches im Bescheid vom 27. März 1991 würde die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nicht verändern. Sie würde insbesondere keine Verpflichtung der belangten Behörde zur Fällung einer Sachentscheidung bewirken; dies wäre ihr im Hinblick auf die durch den angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 1991 getroffene Sachentscheidung vielmehr sogar verwehrt.

Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 27. März 1991 war daher gemäß § 33 Abs. 1 VwGG für gegenstandslos zu erklären und das Verfahren war einzustellen.

3.1. Die Rechtmäßigkeit des zweitangefochtenen Bescheides vom 9. Juli 1990 hängt davon ab, ob die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, das in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Landeck vom 9. November 1990 erstattete Gutachten, wonach der Blutalkoholgehalt des Beschwerdeführers bei dem Verkehrsunfall vom 15. April 1990 "knapp unter 0,8 Promille" betragen habe, sei in Ansehung der Aufforderung zur Beibringung eines verkehrspsychologischen Befundes weder eine neue Tatsache noch ein neues Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG.

3.2. Abgesehen davon, daß es sich bei dem in Rede stehenden Gutachten tatsächlich nicht um ein neues Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG handelt, weil es erst nach Abschluß des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstanden, somit kein "novum repertum", sondern ein "novum productum" ist, besteht die Annahme der belangten Behörde schon deswegen zu Recht, weil es für die Bedenken der Kraftfahrbehörde gegen die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein konnte, ob der Beschwerdeführer bei einem bestimmten Verkehrsunfall in einem Maße durch Alkohol beeinträchtigt gewesen ist, welches seine Strafbarkeit nach § 81 Z. 2 StGB zur Folge hätte. Die Alkoholbeeinträchtigung des Beschwerdeführers wurde mit einem (Alkomat-)Gerät gemäß § 5 Abs. 2a Z. 2 StVO 1960 gemessen. Dabei wurde ungefähr eine halbe Stunde nach dem Unfall ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,42 mg/l festgestellt. Die über Verlangen des Beschwerdeführers vorgenommene Untersuchung des Blutes ergab einen Blutalkoholgehalt von 0,7 %o ungefähr 1 1/4 Stunden nach der Tat. Die Aufforderung nach § 75 Abs. 2 KFG 1967 (Bescheid vom 21. August 1990) erfolgte - wie bereits ausgeführt -, weil der Verdacht der Alkoholbeeinträchtigung beim Unfall vom 15. April 1990 bestand und der Beschwerdeführer bereits wegen zwei Alkoholdelikten rechtskräftig bestraft worden war. Es kann dahinstehen, ob diese Umstände geeignet waren, Bedenken gegen die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967 (Alkoholabhängigkeit oder chronischer Alkoholismus) zu begründen. Die Rechtmäßigkeit dieser Annahme kann wegen der Rechtskraft des Aufforderungsbescheides vom 21. August 1990 nicht mehr überprüft werden. Ob der Blutalkoholgehalt des Beschwerdeführers bei dem Unfall vom 15. April 1990 knapp über oder knapp unter 0,8 Promille betragen habe, konnte für den Bestand der Bedenken der Kraftfahrbehörde gegen das Vorliegen dieser Eignung nicht von Bedeutung sein.

Das in der Hauptverhandlung vom 9. November 1990 vorgetragene Gutachten war daher kein Beweismittel, welches im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG einen "im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid" als den Aufforderungsbescheid vom 21. August 1990 herbeigeführt hätte.

Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 9. Juli 1991 war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

4. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Im Verfahren zur Zl. 91/11/0059 war kein Aufwandersatz zuzusprechen, weil weder ein Fall der Klaglosstellung (§ 56 VwGG) noch der Zurückziehung der Beschwerde (§ 51 VwGG) vorliegt und im Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens im übrigen § 58 VwGG zum Tragen kommt, wonach jede Partei den ihr im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erwachsenden Aufwand selbst zu tragen hat, soferne nichts anderes bestimmt ist. Das Mehrbegehren im Fall Zl. 91/11/0100 war abzuweisen, weil der belangten Behörde mangels Vorlage eines Verwaltungsaktes in diesem Verfahren kein Vorlageaufwand zugesprochen werden konnte.

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