VwGH 91/06/0030

VwGH91/06/003028.11.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde 1. der I in G und 2. der Mag. K in G , beide vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 17.1.1991, Zl. A 17 - K - 25.035/1990 - 4, betreffend Nachbareinwendungen gegen die Erteilung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: O in G, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in F), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs4 litd;
BauO Stmk 1968 §3 Abs1;
BauO Stmk 1968 §3 Abs2;
BauO Stmk 1968 §61 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2 litb;
BauO Stmk 1968 §62 Abs1;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §23 Abs5 lita;
ROG Stmk 1974 §23 Abs5 litb;
ROG Stmk 1974 §32 Abs3;
ROG Stmk 1974 §51 Abs4;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs4 litd;
BauO Stmk 1968 §3 Abs1;
BauO Stmk 1968 §3 Abs2;
BauO Stmk 1968 §61 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2 litb;
BauO Stmk 1968 §62 Abs1;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §23 Abs5 lita;
ROG Stmk 1974 §23 Abs5 litb;
ROG Stmk 1974 §32 Abs3;
ROG Stmk 1974 §51 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 22. Juli 1982 wurde dem Mitbeteiligten gemäß den §§ 2 und 3 der Steiermärkischen Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149, idF LGBl. Nr. 55/1977, die Widmung des Grundstückes Nr. n, EZ m, KG X, als Baugrund bewilligt. Unter Punkt 7. der Bebauungsgrundlagen ("zulässige Bauten - Verwendungszweck") wurde festgelegt:

"Betriebsstätte (Gaststätte) mit 1 Wohnung. Keine Anlagen, die durch Verbreitung schädlicher oder übler Dünste oder Gerüche, durch Entwicklung von starkem Rauch, durch Bildung von schädlichen oder lästigen Niederschlägen aus Dämpfen und Abgasen oder durch starke Geräusche oder Erschütterungen Gefahren, Nachteile oder häufige Belästigungen der Nachbarschaft herbeizuführen geeignet sind. Nebengebäude, ausgenommen Kleingaragen, sind nicht zulässig."

Die Auflage unter Punkt 13. dieses Bescheides lautet:

"Errichtung von Abstellflächen oder Garagen:

Ein Abstellplatz je Wohneinheit, 1 Abstellplatz je 10 Besucherplätze auf Abstellfläche oder in freistehender Garage oder im Hauptgebäude. Situierung der Abstellflächen: Nordseitig der R-Straße bzw. westseitig des Gaststättenobjektes."

Mit Bescheid vom 11. August 1982 wurde dem Mitbeteiligten die Baubewilligung für die Errichtung eines ganz unterkellerten, eingeschoßigen Betriebsgebäudes mit einer Wohnung und teilweise ausgebautem Dachgeschoß in massiver Ausführung auf dem von der Widmungsbewilligung erfaßten Grundstück unter zahlreichen Auflagen bewilligt und mit Bescheid vom 27. September 1987 die Benützungsbewilligung erteilt. Aus den Verwaltungsakten ist ersichtlich, daß der Mitbeteiligte in den bewilligten Räumlichkeiten seither ein "Heurigenlokal" (bzw. Heurigenrestaurant) betreibt. Mit Bescheid vom 16. März 1989 wurde ihm eine Widmungsänderung und in der Folge mit Bescheid vom 24. April 1989 eine weitere Baubewilligung zur Errichtung einer Gartenmauer im Ausmaß von 24 lm, eines Flugdaches im Hof des bestehenden Gebäudes und zur Errichtung von 14 PKW-Abstellplätzen erteilt.

Am 5. Jänner 1990 beantragte der Mitbeteiligte die Erteilung einer Baubewilligung für einen Umbau und einen Zubau zum bestehenden Objekt; die Baubehörde erster Instanz beraumte darüber eine mündliche Verhandlung für den 1. März 1990 an, zu der auch die Beschwerdeführerinnen als Nachbarn unter Hinweis auf die Rechtsfolgen der nicht rechtzeitigen Erhebung von Einwendungen im Sinne des § 42 AVG geladen wurden.

Mit einem am 28. Februar 1990 bei der Behörde eingelangten Schriftsatz (auf den in der mündlichen Bauverhandlung vom 1. März 1990 verwiesen wurde) erhoben die Beschwerdeführerinnen Einwendungen; sie vertreten darin im wesentlichen die Auffassung, daß der Betrieb des Mitbeteiligten in der bestehenden Flächenwidmung "reines Wohngebiet" unzulässig sei. Die Größe des bestehenden Betriebes gehe weit über den örtlichen Bedarf hinaus; Heurigenlokale sollten in Wohngebieten grundsätzlich nicht errichtet werden. Jede Erweiterung dieses Baues bedeute einen weiteren unzulässigen Eingriff "in die Raumordnungsbestimmung", der entschieden entgegengetreten werden müsse. Darüber hinaus widerspreche die Bauführung der Widmungsbewilligung vom 22. Juli 1982, weil als Widmungszweck "Betriebsstätte (Gaststätte) mit einer Wohnung" festgesetzt worden sei, ein Heurigenlokal aber keine Gaststätte sei, sondern eine mit stärkeren Immissionen verbundene Type des Gastgewerbes. Schon der jetzige Betrieb erzeuge unzumutbaren und weit über das ortsübliche Ausmaß hinausgehenden Lärm. Eine Vergrößerung dieses Betriebes bedeute somit eine Erhöhung dieser Lärmquelle, welche die Beschwerdeführerinnen nicht hinnehmen könnten. Der Lärm komme aus den Betriebsräumen auch bei geschlossenen Fenstern. Als weitere Lärmquellen werden das Zu- und Wegfahren der Kraftfahrzeuge der Gäste, das Türenschlagen sowie das bei alkoholisierten Gästen immer wieder vorkommende "Johlen und Singen" angesehen. Ferner wenden sich die Beschwerdeführerinnen gegen die Situierung der Abstellplätze und die bereits zum Absterben von Bäumen führende Abgasbelastung der Umwelt, sowie gegen die zu erwartende verstärkte Verkehrsbelastung.

Mit Bescheid vom 17. Mai 1990 wurde der mitbeteiligten Partei die beantragte Baubewilligung unter mehreren Auflagen erteilt. Die Einwendungen der Beschwerdeführerinnen wurden teils als unbegründet abgewiesen, hinsichtlich der Einwendungen der verstärkten Lärm- und Abgasbelastung, der erhöhten Verkehrsbelastung und der Umweltbelastung jedoch als unzulässig zurückgewiesen. Dieser Bescheid wurde damit begründet, daß das Vorhaben zwar im "reinen Wohngebiet" im Sinne des Flächenwidmungsplanes liege, diese Widmung den Verwendungszweck "Betriebsstätte (Gaststätte) mit einer Wohnung" jedoch erlaube. Der Überbegriff Gaststätte umfasse sowohl ein Heurigenlokal als auch andere Formen dieser Betriebstype. Die beabsichtigte Erweiterung widerspreche diesem Begriff nicht. Da das Bauvorhaben durch die vorliegende rechtskräftige Widmungsbewilligung gedeckt sei, seien die Einwendungen abzuweisen gewesen. Die übrigen Einwendungen würden "nicht die Qualifikation einer Einwendung im Rechtssinne" aufweisen.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführerinnen Berufung, in der sie im wesentlichen an der - ihrer Auffassung nach zu beachtenden - Unterscheidung "Gasthaus-Heurigenlokal" festhalten und die Auffassung vertreten, daß ein Heurigenlokal im "reinen Wohngebiet" im Sinne des § 23 Abs. 5 lit. a des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1974, LGBl. Nr. 127, idgF, nicht zulässig sei. Dementsprechend seien auch ein Um- und ein Zubau zu einem solchen Betrieb unzulässig. Die Baubewilligung widerspreche aber auch der Widmung, da ein Heurigenlokal keine Gaststätte sei.

Einer im Berufungsverfahren eingeholten Stellungnahme des Stadtplanungsamtes zufolge, liegt das streitgegenständliche Grundstück nach dem Flächenwidmungsplan 1982 der Landeshauptstadt Graz (Gemeinderatsbeschluß vom 24. März 1982, rechtskräftig am 23. Juni 1982) im "reinen Wohngebiet" mit einer Bebauungsdichte von 0,1 bis 0,6. Am 1. April 1982 (Datierung des Widmungsbescheides) sei der Flächennutzungsplan 1975 rechtlich noch wirksam gewesen, es sei jedoch bereits seit 2. Jänner 1981 zur Sicherung der geplanten Ausweisung im Flächenwidmungsplan 1980 (gleichlautend mit dem schließlich erlassenen Flächenwidmungsplan 1982) die Bausperreverordnung III vom 11. Dezember 1980 in Kraft gestanden, sodaß behördliche Bewilligungen für raumbedeutsame Maßnahmen, die im Widerspruch zu dem Planungsvorhaben, zu dessen Sicherung die Bausperre erlassen worden sei, stünden, nicht erteilt werden durften. Im Flächennutzungsplan 1975 sei das Grundstück als "Wohngebiet" mit einer Bebauungsdichte - Richtwert von 0,3 ausgewiesen gewesen.

Die Berufungsbehörde holte ferner ein lärmschutztechnisches Gutachten zu der Frage ein, ob durch den geplanten Zubau und Umbau zusätzliche Lärmbelästigungen für die Nachbarschaft herbeigeführt würden. Der Amtssachverständige des Amtes für Umweltschutz der Landeshauptstadt Graz führte in seinem Gutachten vom 19. Oktober 1990 unter Hinweis auf den Befund (Projektbeschreibung und örtliche Situation, sowie die verwendeten Baumaterialien) aus, es könne aus lärmschutztechnischer Sicht gesagt werden, daß bei plan- und beschreibungsgemäßer Ausführung des geplanten Zu- bzw. Umbaues "keine das ortsübliche Ausmaß überschreitenden Belästigungen bei den nächstgelegenen Wohnnachbarn" zu erwarten seien, da die Bauart und die verwendeten Baumaterialien einen entsprechenden Schutz gegen Schallimmissionen im Sinne des § 24 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 darstellen würden.

Dieses Gutachten wurde den Beschwerdeführerinnen zur Kenntnis gebracht; in der von ihnen erstatteten Äußerung rügen die Beschwerdeführerinnen, daß die Vergrößerung der "Lärmquelle" eine "Ausdehnung" des Verwendungszweckes und damit "zwangsläufig" eine Vergrößerung der Immissionen bedinge. In der Gesamtheit bilde ein Heurigenlokal eine Störquelle, die in einem reinen Wohngebiet unzulässig sei.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17. Jänner 1991 wurde der Berufung der Beschwerdeführerinnen keine Folge gegeben und dies - im wesentlichen - damit begründet, durch die rechtskräftige Widmungsbewilligung vom 22. Juli 1982, in deren Rahmen sich das Bauprojekt halte, sei verbindlich ausgesprochen worden, daß die von der Widmung erfaßte Grundfläche nach Maßgabe dieser Widmungsbewilligung zur Bebauung geeignet sei. Eine Änderung der bei Erlassung dieses Bescheides zu beachtenden raumordnungsrechtlichen Vorschriften sei seither nicht erfolgt, weil infolge der (im Zeitpunkt der Erteilung der Widmungsbewilligung bereits in Kraft gestandenen) Bausperreverordnung III vom 11. Dezember 1980 bereits die geplante Ausweisung "reines Wohngebiet" im Flächenwidmungsplan 1982 zu berücksichtigen gewesen sei. Es sei daher mit dem Widmungsbescheid verbindlich ausgesprochen worden, daß der Betrieb einer Gaststätte mit dem Flächenwidmungsplan vereinbar sei. Da diese Widmungsbewilligung hinsichtlich des festgesetzten Bebauungsgrades und der Bebauungsdichte noch nicht zur Gänze ausgeschöpft worden sei, sei der Zubau zulässig. Unter Gaststätte sei in diesem Zusammenhang auch ein Heurigenlokal zu verstehen. Da das eingeholte lärmschutztechnische Gutachten ergeben habe, daß keine das ortsübliche Ausmaß überschreitende Belästigung bei den nächstgelegenen Wohnnachbarn zu erwarten sei, habe die Baubehörde das Ansuchen des Mitbeteiligten nicht abweisen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die vorliegende Beschwerde gründet sich im wesentlichen auf zwei Argumente: Das Projekt stehe im Widerspruch zum Widmungsbescheid, da ein Heurigenlokal der hier vorliegenden Art keine "Gaststätte" und daher vom zulässigen Verwendungszweck, wie er im Widmungsbescheid festgelegt werde, nicht umfaßt sei. Das Projekt stehe darüber hinaus mit dem Flächenwidmungsplan im Widerspruch, weil ein derartiges Heurigenlokal "in auffallender Größe, das durch durch den Zu- und Umbau noch wesentlich vergrößert werden soll und weit über die landesüblichen, in Weingegenden gelegenen Heurigenlokale umfänglich hinausgeht" nicht den täglichen Bedürfnissen der Bewohner eines "reinen Wohngebietes" entspreche.

Das Mitspracherecht der Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in zweifacher Hinsicht beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als den Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10317/A, uva).

Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu untersuchen, ob den Beschwerdeführerinnen als Nachbarn in der Frage der Übereinstimmung der geplanten baulichen Maßnahmen mit dem Widmungsbescheid und dem Flächenwidmungsplan die erwähnten - unbestrittenermaßen rechtzeitig erhobenen - Einwendungen aufgrund subjektiv-öffentlicher Rechte zustehen.

Gemäß § 61 Abs. 2 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (BO), in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 14/1989, kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen. Diese "Bauvorschriften" sind im § 61 Abs. 2 lit. a bis k BO taxativ (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 1990, Zl. 90/06/0056) aufgezählt. Gemäß § 61 Abs. 2 lit. b leg. cit. zählt hiezu die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan und den Bebauungsrichtlinien, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist (§ 3 Abs. 2 BO).

Gemäß § 3 Abs. 2 BO ist eine Widmungsbewilligung zu erteilen, wenn (u.a.) die im Raumordnungsgesetz 1974, LGBl. Nr. 127, (ROG), in der jeweils geltenden Fassung genannten Voraussetzungen für eine Widmung vorliegen.

§ 23 Abs. 5 lit. a und b ROG 1974 in der (hinsichtlich lit. a unveränderten) Fassung des Stammgesetzes und der Novelle LGBl. Nr. 39/1986, lauten:

"(5) Im Bauland sind entsprechend den örtlichen Erfordernissen Baugebiete festzulegen. Als Baugebiete kommen hiebei in Betracht:

a) reine Wohngebiete, das sind Flächen, die ausschließlich für Wohnbauten bestimmt sind, wobei auch Nutzungen, die zur Deckung der täglichen Bedürfnisse der Bewohner des Gebietes dienen (Kindergärten, Schulen, Kirchen u.dgl.) oder die dem Gebietscharakter nicht widersprechen, zulässig sind;

b) allgemeine Wohngebiete, das sind Flächen, die vornehmlich für Wohnbauten bestimmt sind, wobei auch Gebäude, die den wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Bedürfnissen der Bewohner von Wohngebieten dienen (z.B. Verwaltungsgebäude, Schulgebäude, Kirchen, Krankenanstalten, Kindergärten, Garagen, Geschäfte, Gärtnereien, Gasthäuser und Betriebe aller Art, soweit sie keine dem Wohncharakter des Gebietes widersprechenden Belästigungen der Bewohnerschaft verursachen), errichtet werden können;"

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon in seinen Erkenntnissen vom 17. November 1983, Zl. 82/06/0114, BauSlg. 142, und vom 19. November 1985, Zlen. 84/06/0137, 0138, BauSlg. Nr. 569, ausgesprochen hat, zeigt ein Vergleich der Definition des "reinen Wohngebietes" mit jener des "allgemeinen Wohngebietes", daß im reinen Wohngebiet weniger wohnzweckfremde Einrichtungen zulässig sind, als im allgemeinen Wohngebiet; im reinen Wohngebiet sind daher Gasthäuser (und sonstige Betriebe), die Belästigungen der Bevölkerung verursachen, die dem Wohncharakter des Gebietes widersprechen, schon deshalb unzulässig, weil sie (gemäß der Definition des § 23 Abs. 5 lit. b ROG) nicht einmal im allgemeinen Wohngebiet errichtet werden dürften. Insoweit ist daher mit der Festlegung eines "reinen Wohngebietes" im Sinne des § 23 Abs. 5 lit. a ROG - wie im Beschwerdefall - auch ein Immissionsschutz zugunsten der Bewohner dieses Gebietes verbunden, denen somit hinsichtlich von Bauprojekten, zu denen sie Nachbarn sind, ein Mitspracherecht im Sinne des § 61 Abs. 2 lit. b BO zukommt.

Diese Bestimmung ist (schon ihrer systematischen Stellung zufolge) im Baubewilligungsverfahren, aber auch - gemäß § 3 Abs. 1 letzter Satz BO - im Widmungsbewilligungsverfahren anzuwenden, weshalb dieses nachbarliche Mitspracherecht in BEIDEN Verfahren besteht. Die im § 61 Abs. 2 lit. b (am Ende) BO enthaltene Verweisung auf § 3 Abs. 2 BO ist daher so zu verstehen, daß damit auf die entsprechenden Regelungen verwiesen werden sollte, die im § 3 Abs. 2 BO erwähnt sind (darunter auch das Raumordnungsgesetz 1974) nicht aber etwa, daß damit das Mitspracherecht der Nachbarn in dieser Frage auf das Widmungsverfahren beschränkt werden sollte.

Ausgehend davon, daß den Beschwerdeführerinnen somit ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Einhaltung der Widmung "reines Wohngebiet" und insoweit ein Mitspracherecht im Baubewilligungsverfahren zukommt, ist die weitere Frage zu untersuchen, ob diesbezüglich in der Widmungsbewilligung ein verbindlicher Formalakt vorliegt und (daher) eine neuerliche Prüfung der raumordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens unter dem Gesichtspunkt der Flächenwidmung (bei insoweit unveränderter Rechts- und Sachlage) im Baubewilligungsverfahren nicht in Betracht kommt.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich dieser von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid und von der mitbeteiligten Partei in ihrer Gegenschrift vertretenen Auffassung nicht anzuschließen: Dagegen spricht zunächst § 61 Abs. 1 BO, wonach ein Bauansuchen u.a. wegen eines unlösbaren Widerspruches zu einem Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan und zu Bebauungsrichtlinien ohne mündliche Bauverhandlung abgewiesen werden darf; diese Bestimmung deutet jedenfalls nicht in die Richtung, daß mit dem Widmungsbescheid normativ auch die raumordnungsrechtliche Verträglichkeit des (künftigen) Bauvorhabens bereits festgelegt wäre. Die nahezu gleichlautende Bestimmung im § 3 Abs. 1 BO über das Widmungsansuchen spricht vielmehr dafür, daß SOWOHL im Widmungsverfahren ALS AUCH im Baubewilligungsverfahren das Projekt unmittelbar anhand der zu den jeweiligen Zeitpunkten der Bescheiderlassung in Geltung stehenden Raumordnungsvorschriften (Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan) zu prüfen ist. Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigt schließlich auch die Bestimmung des § 32 Abs. 1 ROG, wonach Verordnungen und Bescheide der Gemeinde aufgrund von Landesgesetzen einem Flächenwidmungsplan oder Bebauungsplan nicht widersprechen dürfen und (§ 32 Abs. 3 ROG) entgegen dieser Vorschrift erlassene Bescheide innerhalb von drei Jahren nach Eintreten der Rechtskraft mit Nichtigkeit bedroht sind (§ 68 Abs. 4 lit. d AVG). Es ist nicht denkbar, daß aufgrund der rechtskräftigen Widmungsbewilligung (etwa in Bindung an einen darin festgelegten Verwendungszweck) zwar eine Baubewilligung OHNE neuerliche Prüfung der Einhaltung des Flächenwidmungsplanes zunächst erlassen werden müßte, um nach Eintritt der Rechtskraft gemäß § 32 Abs. 3 ROG in Verbindung mit § 68 Abs. 4 lit. d AVG wieder für nichtig erklärt werden zu können.

Der Verwaltungsgerichtshof ist daher der Auffassung, daß die raumordnungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens unter dem Gesichtspunkt des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes in gleicher Weise Voraussetzung der Rechtmäßigkeit einer Widmungsbewilligung und einer Baubewilligung ist, daß jedoch eine entgegen einer bestehenden Flächenwidmung erteilte Widmungsbewilligung in dieser Beziehung keine normative, d.h. bindende Wirkung für das Baubewilligungsverfahren dahin entfaltet, daß schon deshalb von der raumordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Projektes ausgegangen werden müßte. Damit werden - wie auch im Falle der nachträglichen Änderung des Flächenwidmungsplanes - die sonstigen, vom Flächenwidmungsplan nicht berührten Festsetzungen der Widmungsbewilligung nicht gegenstandslos.

Für den Beschwerdefall bedeutet dies, daß die Auffassung der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei rechtsirrig ist, der Heurigenbetrieb der mitbeteiligten Partei entspreche schon dann (nicht nur der Widmungsbewilligung, sondern auch) den Anforderungen der Raumordnung, wenn er vom Begriff der "Gaststätte", wie er im Widmungsbescheid vom 22. Juli 1982 Verwendung gefunden hat, umfaßt sei, andererseits aber auch, daß auf sich beruhen kann, in welchem Verhältnis die Begriffe "Gaststätte" und "Heurigenlokal" (bzw. "Heurigen-Restaurant", so der Wortlaut des von der mitbeteiligten Partei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Konzessionsdekretes vom 13. Jänner 1983) zueinander stehen. Maßgebend ist vielmehr, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Gaststättenbetrieb (im weitesten Sinne) im reinen Wohngebiet im Sinne des § 23 Abs. 5 lit. a ROG zulässig ist.

Bei Untersuchung dieser Frage ist zunächst darauf zu verweisen, daß Gasthäuser, die keine dem Wohncharakter des Gebietes widersprechenden Belästigungen der Bewohnerschaft verursachen, ausdrücklich dem "allgemeinen Wohngebiet" im Sinne des § 23 Abs. 5 lit. b ROG zugeordnet sind und daher unter den gleichen Voraussetzungen nicht auch im "reinen Wohngebiet" zulässig sein können. Es entspricht vielmehr dem Wesen des reinen Wohngebietes nach der Definition und systematischen Stellung des § 23 Abs. 5 lit. a ROG, daß dort ausschließlich Wohnbauten vorgesehen werden dürfen, es sei denn, daß eine von zwei im Gesetz genannten, alternativen Ausnahmen vorliegt, nämlich, entweder eine Nutzung zur Deckung der täglichen Bedürfnisse der Bewohner des Gebietes oder eine Nutzung, die dem Gebietscharakter nicht widerspricht.

Das Vorliegen des ersten Ausnahmefalles hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 17. November 1983, Zl. 82/06/0114, BauSlg. Nr. 142, für eine KFZ-Werkstätte und im Erkenntnis vom 19. November 1985, Zlen. 84/06/0137, 0138, BauSlg. Nr. 569, für die Flutlichtanlage eines Tennisplatzes verneint, weil es sich in beiden Fällen nicht um die Deckung eines täglichen Bedürfnisses der Bewohner handelte. Hingegen hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 6. November 1986, Zl. 86/06/0133, BauSlg. Nr. 802, die Errichtung eines Tagesespresso im reinen Wohngebiet mit der Begründung für zulässig erachtet, daß vom Betrieb dieses Espressos - den aufgrund eines Sachverständigengutachtens getroffenen Feststellungen der Behörde entsprechend - keine belästigenden Immissionen ausgingen.

Der Verwaltungsgerichtshof hält (dem zuletzt genannten Erkenntnis folgend) zunächst daran fest, daß Gastgewerbebetriebe im weitesten Sinne, sofern sie keine Belästigung der Wohnbevölkerung verursachen, im reinen Wohngebiet nicht schlechthin unzulässig sind. Dies ergibt sich schon aus der Überlegung, daß die Inanspruchnahme eines Speiselokals z.B. für ältere, alleinstehende Menschen durchaus ein tägliches Bedürfnis darstellen kann. Daraus ist aber nicht abzuleiten, daß schon deshalb GASTGEWERBLICHE BETRIEBE JEDWEDER ART im reinen Wohngebiet zulässig wären, weil auch jener Teil der normativen Voraussetzungen zu beachten ist, wonach sich die Nutzung auf die Befriedigung täglicher Bedürfnisse der BEWOHNER DES GEBIETES zu beschränken hat. Ob dies der Fall ist, kann unter den hier maßgebenden baurechtlichen Gesichtspunkten nicht etwa von der Breite der Palette der tatsächlich angebotenen Speisen und Getränke abhängen (sodaß die auf Verwaltungsebene erörterte Unterscheidung zwischen Gasthaus und Heurigenlokal allein nicht den Kern der Sache trifft), sondern von der Größe des Betriebes, seiner Betriebsart und der Größe des zu versorgenden Gebietes und ihrer jeweiligen Ausprägung in bezug auf das zu beurteilende Projekt. Der Betrieb muß insbesondere nach Art und Umfang auf die Bewohner dieses Gebietes ausgerichtet sein und darf keinen Anziehungspunkt für Bewohner der weiteren Umgebung außerhalb des festgelegten reinen Wohngebietes bilden. Dies ist bei der Betriebsform eines Tagesespressos (wie im Falle des Erkenntnisses vom 6. November 1986, Zl. 86/06/0133, BauSlg. Nr. 802) im allgemeinen der Fall. Ob ein Heurigenbetrieb, wie jener des Mitbeteiligten, unter diesen Gesichtspunkten im reinen Wohngebiet zulässig ist oder ob dies - wie die Beschwerdeführerinnen meinen - nicht der Fall ist, kann in Ermangelung geeigneter Feststellungen derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden.

Sollte das Heurigenlokal des Mitbeteiligten jedoch nach Art und Umfang auf ein über das reine Wohngebiet hinausgehendes Einzugsgebiet abzielen, so käme seine Zulässigkeit nur bei Zutreffen des zweiten Ausnahmegrundes in Betracht, nämlich, wenn es dem Gebietscharakter nicht widerspricht. Der Begriff des Gebietscharakters ist in dem Sinne zu verstehen, wie er auch im § 51 Abs. 4 ROG 1974 verwendet wird, nämlich als der Ausdruck der tatsächlich vorhandenen (rechtmäßigen) Nutzung (im Gegensatz zur "gesollten" oder "geplanten" Nutzung; vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. November 1984, Zl. 82/06/0020, BauSlg. Nr. 336). Die Ausnahmeregelung soll jedoch nicht widmungswidrigen Nutzungen Vorschub leisten: Es kommt vielmehr darauf an, ob sich das Projekt - abgesehen davon, daß von ihm keine dem Wohncharakter widersprechenden Belästigungen ausgehen dürfen - in die in der engeren räumlichen Umgebung tatsächlich vorkommenden Nutzungen (also etwa bei Vorhandensein konsentierter Heurigenlokale in der unmittelbaren Umgebung) einfügt. Auch zur abschließenden Beurteilung dieser Frage, die die Einholung eines entsprechenden ortsplanerischen Sachverständigengutachtens voraussetzt, reichen die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens auf Verwaltungsebene derzeit nicht aus. Das von der belangten Behörde eingeholte lärmschutztechnische Sachverständigengutachten und die darauf gegründete Feststellung, daß bei plan- und beschreibungsgemäßer Ausführung des geplanten Zu- und Umbaues keine das ortsübliche Ausmaß überschreitenden Belästigungen bei den nächstgelegenen Nachbarn zu erwarten seien, trifft diese Thematik nicht, weil über die vorhandenen Nutzungen nichts ausgesagt wird. Diese Feststellung ist im übrigen unzureichend begründet: Es ist nämlich nicht erkennbar, wodurch das Maß der "ortsüblichen Belästigung" bestimmt wurde. Sollte damit jene des bestehenden Betriebes gemeint sein, so wäre dies verfehlt, weil es auf die Zulässigkeit gerade dieses Betriebes unter raumordnungsrechtlichen Gesichtspunkten (und nicht nur des Zubaues) ankommt. Das Maß der ortsüblichen Belästigung müßte daher von anderen, tatsächlich vorkommenden Nutzungen abgeleitet und dann mit dem durch den Betrieb der mitbeteiligten Partei verursachten Belästigungen verglichen werden. Sollte sich herausstellen, daß der Heurigenbetrieb des Mitbeteiligten unter Zugrundelegung der vom Verwaltungsgerichtshof als maßgebend erkannten Kriterien mit der bestehenden Flächenwidmung "reines Wohngebiet" nicht im Einklang steht, so wäre zwar der bestehende Betrieb durch die Rechtskraft der Baubewilligungsbescheide vom 11. August 1982 und vom 24. April 1989 geschützt, der beantragte Um- oder Zubau jedoch gemäß § 62 Abs. 1 BO in Verbindung mit § 23 Abs. 5 lit. a und 32 Abs. 1 ROG unzulässig. Gleiches würde auch dann gelten, wenn erst durch den geplanten Zu- und Umbau ein (bisher) unbedenklicher Betrieb die dargelegten Grenzen einer vom Wohnen verschiedenen Nutzung im Sinne des § 23 Abs. 5 lit. a ROG überschreiten würde.

Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte