VwGH 90/01/0126

VwGH90/01/012621.11.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerden

1.) des SN und 2.) des TN gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 28. Mai 1990, Zl. 4 288.733/2-III/13/90 (zu hg. Zl. 90/01/0126) und Zl. 4 288.735/2-III/13/90 (zu hg. Zl. 90/01/0127), betreffend Zurückweisung von Berufungen, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §61 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1968 §1;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §61 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat jedem der Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren beider Beschwerdeführer wird abgewiesen.

Begründung

Beide Beschwerden wurden wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden.

Die Beschwerdeführer, ein Brüderpaar iranischer Staatsangehörigkeit, reisten gemeinsam am 27. Oktober 1989 in das Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag Asylantrag. Nach ihrer niederschriftlichen Einvernahme zu ihren Fluchtgründen am 11. Dezember 1989 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark mit zwei Bescheiden vom 22. März 1990 fest, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes sind. Zur Begründung wurde lediglich ausgeführt, die niederschriftliche Vernehmung habe keine einwandfreien Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die von den Beschwerdeführern aufgestellten Behauptungen auch tatsächlich zuträfen.

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer gleichlautende Berufungen, in denen sie folgendes vorbrachten:

"Ich berufe gegen die Ablehnung meines Antrages um politisches Asyl in Österreich. Ich habe meine Heimat aus politischen und religiösen Gründen verlassen und kann wegen der Schikanen, die ich bereits erleiden mußte und aus Angst vor weiteren Verfolgungen, in meine Heimat nicht mehr zurückkehren. Ich danke für die Demokratie und für die Menschlichkeit in ihrem Land. Ich möchte nicht nach Iran zurückkehren, deshalb ersuche ich Sie, mir die Möglichkeit, für ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Mit der Bitte um eine nochmalige Überprüfung verbleibe ich ..."

Mit den nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden vom 28. Mai 1990 wurden die Berufungen der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 zurückgewiesen.

In den gleichlautenden Begründungen der angefochtenen Bescheide wurde nach Wiedergabe des § 63 Abs. 3 AVG 1950 und der zu dieser Gesetzesstelle ergangenen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes im wesentlichen ausgeführt, pauschal abstrakte Floskeln als Begründung des Berufungsantrages genügten nicht. Es "ist eine derartige Konkretisierung der Begründung zu fordern, daß die Berufungsbehörde die angeführten Argumente nachvollziehen und bestimmte Mängel 'ansprechen' kann, sodaß sie die Möglichkeit hat, ihrer Aufgabe, die in der Regel nicht in der vollständigen Rekapitulation des gesamten Verwaltungsverfahrens vor der nachgeordneten Behörde besteht, nachzukommen". Wohl sei kein strenger Maßstab "am Erfordernis" der Konkretisierung anzulegen, doch könne vom gänzlichen Fehlen bestimmter oder zumindest bestimmbarer "bescheidgerichteter" Mängel in der Berufungsbegründung nicht abgesehen werden. Ein Berufungswerber, der seine Berufungsgründe abstrakt und pauschal beschreibe, wäre hinsichtlich des Umfanges der Überprüfungstätigkeit einem Berufungswerber gegenüber im Vorteil, der seine Berufungsgründe im erforderlichen Ausmaß konkretisiert (präzisiert) habe. Die (wörtliche oder sinngemäße) Wiedergabe des Gesetzeswortlautes (hier des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) erfülle diese Voraussetzungen nicht, insbesondere die Verwendung des Begriffes "politische Gründe" sei für sich allein nicht ausreichend. Dies gelte auch für einen pauschalen, abstrakten Verweis auf bereits dargelegte Gründe. Die Berufung sei ja kein Antrag auf Asylgewährung. Die Behauptung, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z. 1 der Konvention auf den Antragsteller zuträfen, begründe die Parteistellung im Asylverfahren und einen Anspruch auf Erlassung eines erstinstanzlichen Bescheides. Für die Einleitung des Berufungsverfahrens hingegen sei die schlichte Behauptung, an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches beteiligt zu sein, nicht ausreichend; diese sei an das zusätzliche Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages geknüpft. Würde man von jeder inhaltlichen Anforderung an eine Berufungsbegründung absehen und die bloße Rechtsbehauptung ohne Bezugnahme auf den bekämpften Bescheid akzeptieren, so wäre nicht nur § 63 Abs. 3 AVG 1950 in diesem Punkt sinnlos und ad absurdum geführt, es erwiese sich letztlich die Einrichtung eines Instanzenzuges als obsolet. Die belangte Behörde meine, in gegenständlicher Sache nicht "formalistisch" vorgegangen zu sein, da sie ihre Überlegungen nicht auf äußere Formen oder Bezeichnungen, sondern auf inhaltliche Aspekte konzentriert habe. Da in der Vergangenheit vielfach ähnlich kurze Berufungen meritorisch erledigt worden seien, müsse dem entgegen gehalten werden, daß eine Entscheidung in der Sache anstatt einer "vorzunehmenden" Zurückweisung, "auch wenn der Verwaltungsgerichtshof in einem solchen Fall die Beschwerdelegitimation mangels Beschwer verneint", rechtswidrig sei und ein subjektives Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht bestehe.

Gegen diese Bescheide richten sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Beschwerden. Die Beschwerdeführer erachten sich nach dem Beschwerdevorbringen in ihren Rechten auf eine Sachentscheidung verletzt. Außerdem erachten sie sich im Recht, als Flüchtling anerkannt zu werden, verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG 1950 hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.

Strittig ist im vorliegenden Fall allein die Frage, ob die Berufungen der Beschwerdeführer einen begründeten Berufungsantrag enthalten. Eine Eingabe ist nur dann als Berufung im Sinne des § 63 AVG 1950 anzusehen, wenn ihr entnommen werden kann, daß der bezeichnete Bescheid angefochten wird, d.h. daß die Partei mit der Erledigung der erkennenden Behörde nicht einverstanden ist. Desweiteren muß aber aus der Eingabe auch ersichtlich sein, aus welchen Erwägungen die Partei die Entscheidung der Behörde bekämpft. Denn das Gesetz verlangt nicht nur einen Berufungsantrag, sondern überdies eine Begründung, d.h. Ausführungen, aus welchen Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft wird. Tatsächlich enthalten die Berufungen der Beschwerdeführer eine, wenn auch knappe Begründung darüber, worin die Unrichtigkeit der Bescheide der Behörde erster Instanz gelegen sein solle, nämlich in der Beurteilung der behaupteten Verfolgungshandlungen gegenüber den Beschwerdeführern "aus politischen und religiösen Gründen und wegen der Schikanen, die ich bereits erleiden mußte und aus Angst vor weiteren Verfolgungen". Es handelt sich hiebei entgegen der von der belangten Behörde in der Begründung der angefochtenen Bescheide und in den Gegenschriften vertretenen Meinung nicht um eine allgemein gehaltene Begründung oder um eine teilweise Wiedergabe eines Gesetzeswortlautes, sondern um in der Konvention konkret angeführte rechtliche Tatbestände, bei deren Vorliegen Asyl zu gewähren ist. Die Beschwerdeführer haben damit hinreichend zum Ausdruck gebracht, daß ihr Vorbringen vor der Behörde erster Instanz unter jene in der Berufung angeführten rechtlichen Tatbestände zu subsumieren sei. Ob dies möglich ist, war in diesem Verfahren nicht zu beurteilen. Daher gehen die Beschwerdeausführungen zum Teil an der Sache vorbei. Indes ist die Behörde erster Instanz in ihrer Bescheidbegründung auf das Vorbringen der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht konkret eingegangen, sondern hat nur ganz allgemein pauschal festgestellt, daß das Vorbringen nicht erkennen lasse, die Beschwerdeführer wären Verfolgungen im Sinne der Konvention ausgesetzt gewesen. Daraus ist aber eine eindeutige rechtliche Subsumtion des Vorbringens der Beschwerdeführer und dessen rechtliche Würdigung nicht zu erkennen. Die belangte Behörde wäre daher verhalten gewesen über die Wertung der behaupteten Verfolgungshandlungen eine Sachentscheidung zu treffen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in einem gleichgelagerten Fall dieselbe Rechtsansicht vertreten (vgl. hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1989, Zlen. 89/01/0214, 0215).

Die von der belangten Behörde für ihre formalistische Betrachtungsweise zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes steht in keiner Weise mit dem vorstehenden Ergebnis in Widerspruch. Hat doch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in Übereinstimmung mit der des Verwaltungsgerichtshofes stets betont, daß die erwähnte Gesetzesbestimmung nicht formalistisch ausgelegt werden darf. Es genügt, daß die Berufung erkennen läßt, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt. So hat auch der Verfassungsgerichtshof insbesondere in seinen Erkenntnissen Slg. N.F. Nr. 8738 und 9051 eine kurze Begründung (etwa "beim Wohnmobil handle es sich nicht um ein Bauwerk") als ausreichende Berufungsbegründung angesehen, während in den Berufungen der den anderen Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes zu Grunde liegenden Fällen jegliche Andeutung fehlte, worin die Unrichtigkeit des bekämpften Bescheides gelegen sein sollte.

Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, waren die angefochtenen Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren für Stempelmarken war abzuweisen, da für die vorzulegende Beilage zur Beschwerde nur ein Aufwand von S 90,-- an Bundesstempelmarken erforderlich war.

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