VwGH 87/09/0191

VwGH87/09/019122.10.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Griesmacher, Mag. Meindl, Dr. Germ, und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Gyenge, über die Beschwerde der AP in I, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. Bernhard Heitzmann in Innsbruck, Müllerstraße 3, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Tirol vom 26. März 1987, Zl. OB 810-051 738-009, betreffend Kriegsopferversorgung (Anerkennung von Dienstbeschädigungen und Beschädigtenversorgung), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §6;
KOVG 1957 §4 Abs1;
VwRallg;
ABGB §6;
KOVG 1957 §4 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens war mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. Juli 1983 der Antrag der im Jahre 1917 geborenen Beschwerdeführerin auf Anerkennung der festgestellten Gesundheitsschädigungen "Adipositas mit Zwerchfellhochstand, Hypertonie, links Hypertrophie und Neigung zu Belastungsstenocardien, Diabetes mellitus, Spondylarthrose mit Brachialgie links, Arthralgie im linken Schulter- und rechten Sprunggelenk" als Dienstbeschädigungen im Sinne des § 4 KOVG 1957 und Gewährung von Beschädigtenrente hiefür abgewiesen worden.

Am 12. November 1985 beantragte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf das Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 9. November 1984 die Anerkennung der Verletzungen an Wirbelsäule und Brustkorb sowie der Schäden an Lunge und Rippenfell als Dienstbeschädigungen.

Das Landesinvalidenamt für Tirol führte ein Ermittlungsverfahren durch, in dem es die ärztlichen Sachverständigengutachten des Facharztes für Röntgenologie Dr. N, des Facharztes für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie Dr. M und des Facharztes für Lungenkrankheiten Dr. F einholte.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 1986 wies das genannte Landesinvalidenamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf Anerkennung der genannten Leiden als Dienstbeschädigungen mit der Begründung ab, nach den Feststellungen des ärztlichen Sachverständigen Dris. M in seinem Gutachten vom 5. März 1986 stünden die bestehenden degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule mit der Dienstbeschädigung in keinem Zusammenhang. Nach dem Gutachten Dris. F vom 15. September 1986 dürften die geringen indurativen Veränderungen im rechten Lungen-UF und Hilus von einer tuberkulösen Kindheitsinfektion herrühren und hätten keinen Krankheitswert. Ein Zusammenhang mit dem Dienst bei der Deutschen Wehrmacht sei nicht anzunehmen.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 26. März 1987 wurde der von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Berufung, in der sie ausführte, sie sei auf Grund der Kriegseinwirkungen zweimal an Lungenentzündungen erkrankt und habe weitere zwei Herzinfarkte erlitten, deren Anerkennung sie nunmehr beantrage, keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des § 4 Abs. 1 KOVG 1957 aus, die Beurteilung, ob die ärztlich festgestellte Gesundheitsschädigung zur Gänze oder zum Teil auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen sei, bleibe ausschließlich der Behörde vorbehalten. Hierbei habe sich diese der fachtechnisch geschulten Mithilfe ärztlicher Sachverständiger zu bedienen. Nach eingehender Prüfung und Beratung sei die belangte Behörde zur einhelligen Auffassung gelangt, daß die Versorgungsbehörde erster Rechtsstufe zu Recht die angemeldeten Gesundheitsschädigungen "Adipositas", "Cervicodorsolumbalgie", "geringe spezifische Indurationen im rechten Lungen-UF und Hilus nach tuberkulöser Erstinfektion ohne Krankheitswert" sowie "Struma ohne nennenswerte Beeinträchtigung der Trachea" als Dienstbeschädigungen nicht anerkannt und den hiefür geltend gemachten Versorgungsanspruch abgewiesen habe. Die dem erstinstanzlichen Bescheid zugrundeliegende Kausalitätsbeurteilung habe die belangte Behörde deshalb begründet übernehmen und ihrer nunmehrigen Entscheidung zugrundelegen können, weil in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides auf alle in dem Rechtsmittel vorgebrachten Tatsachen und Rechtsausführungen eingegangen worden und dem Senat keine durch die Begründung der Erstbehörde offengelassene Frage vorgelegt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte. Die Beschwerdeführerin hat hiezu eine Gegenäußerung erstattet.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin ihrem gesamten Vorbringen zufolge in ihrem Recht auf Anerkennung der geltend gemachten Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigungen und auf Gewährung der Beschädigtengrundrente gemäß § 4 Abs. 1 KOVG 1957 als verletzt. Sie führt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im wesentlichen aus, gemäß der Bestimmung des § 4 Abs. 1 KOVG 1957 sei für die Begründung des Anspruches auf Kriegsopferversorgung die Wahrscheinlichkeit einer Verursachung einer Gesundheitsschädigung der Gewißheit gleichgestellt (VwSlg. N.F. Nr. 3159/A). Für die Annahme der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges genüge auch schon ein geringfügiges Überwiegen der dafür sprechenden Gründe (VwSlg. N.F. Nr. 4846/A). Die Versorgungsbehörden hätten als unrichtig festgestellt, daß die Beschwerdeführerin in den Kriegsjahren gemäß der aktenkundigen Anamnese bei einem Luftangriff an der Wirbelsäule und am Brustkorb verletzt worden sei und wiederholt Lungenentzündung und Rippenfellentzündung erlitten habe. Da die Entscheidung darüber, ob fragliche oder streitige Vorgänge der Krankheitsvorgeschichte (Anamnese) als wahr anzunehmen seien, ausschließlich der Verwaltungsbehörde obliege, weil nur ihr und nicht den Sachverständigen das Recht der freien Beweiswürdigung zustehe (VwSlg. N.F. Nr. 3839/A), ergäbe sich bei richtiger Würdigung des festgestellten Sachverhaltes, daß die für die Wahrscheinlichkeit der Verursachung sprechenden Gründe jedenfalls überwiegen würden. Es dürfe ja nicht so vorgegangen werden, als ob der Geschädigte den Beweis dafür anzutreten hätte, daß der Kriegsdienst und nichts anderes für sein Leiden verantwortlich sei. Auch der Versuch, ihre festgestellten Leiden als "anlagebedingt" abzutun, entspreche nicht der Aktenlage. Gerade ein Leiden mit den Bandscheiben, also an der Wirbelsäule, könne nicht als anlagebedingt erklärt werden, weil Einflüsse von außen her notwendig seien; dies umsomehr, wenn derartige Leiden wie bei der Beschwerdeführerin im jugendlichen Alter aufgetreten seien. Selbst wenn aber ihre Leiden auch als anlagebedingt anzusehen wären, könnte dies nicht dazu führen, daß der ursächliche Zusammenhang mit ihrem Wehrdienst verneint werden dürfte. Der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsschädigung mit der Dienstleistung dürfe nicht mit der Begründung verneint werden, daß die Gesundheitsschädigung auch ohne Wehrdienst durch die Berufsarbeit des Beschädigten ausgelöst worden wäre (VwSlg. N.F. Nr. 3889/A). Die Beurteilung des Sachverhaltes durch die belangte Behörde laufe aber genau auf diese Haltung hinaus, zumal ihr Anspruch mit der Begründung abgelehnt worden wäre, daß ihre Leiden anlagebedingt seien, obwohl diese gerade in den Kriegsjahren 1943/1944 während ihrer Wehrmachtstätigkeit aufgetreten seien, als sie ein junges Mädchen Mitte Zwanzig gewesen wäre. Wenn die Ärzte, die sie untersucht haben, nunmehr - fast vierzig Jahre nach Kriegsende - nicht mehr in der Lage seien, zu beurteilen, wie die Leiden der Beschwerdeführerin in den Kriegsjahren ausgesehen hätten, so wäre dies nicht weiter verwunderlich und es obliege der Behörde festzustellen, ob ihre Angaben über ihre Krankheiten in den Kriegsjahren richtig seien. Die Aufgabe der ärztlichen Sachverständigen bestehe darin, zu beurteilen, ob diese Leiden noch vorhanden seien bzw. sich verstärkt hätten oder abgeklungen seien.

Diesem Vorbringen bleibt es verwehrt, die Beschwerde zum Erfolg zu führen.

Gemäß § 4 Abs. 1 KOVG 1957 ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 KOVG 1957 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist. Für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichenwissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht.

Die rechtliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges im Sinne dieser Bestimmung setzt voraus, daß der Kausalzusammenhang im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn in dem durch § 90 KOVG 1957 geregelten Verfahren geklärt wird und allenfalls strittige Tatsachen im Zusammenhang mit der Wehrdienstleistung bzw. dem schädigenden Ereignis und der Krankheitsvorgeschichte von der Behörde ermittelt und festgestellt werden.

Im vorliegenden Beschwerdefall haben sowohl der vom Landesinvalidenamt herangezogene ärztliche Sachverständige Dr. M als auch der Facharzt für Lungenkrankheiten Univ. Doz. Dr. F ärztlicherseits die Auffassung vertreten, es sei nicht anzunehmen, daß die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Gesundheitsschädigungen mit ihrem Dienst bei der Deutschen Wehrmacht in einem Kausalkonnex stünden. Dieser in den beiden Sachverständigengutachten vertretenen Auffassung hat die Leitende Ärztin des Landesinvalidenamtes für Tirol mit Sichtvermerk vom 12. Februar 1986 und mit Sichtvermerk vom 24. September 1986 im Sinne des § 90 Abs. 5 KOVG 1957 zugestimmt.

Wenn die belangte Behörde ihrer Entscheidung in freier Beweiswürdigung diese beiden Sachverständigengutachten zugrundelegt, ist dies im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zustehenden nachprüfenden Kontrolle, die darauf beschränkt ist, ob ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt bzw. ob die Erwägungen den Denkgesetzen, somit auch dem allgemein menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen können, nicht als unschlüssig zu erkennen. Die Beschwerdeführerin hat gegen die beiden Sachverständigengutachten im Berufungsverfahren medizinisch belegte Gegenbehauptungen nicht vorgebracht, sondern lediglich die Anerkennung der beiden erlittenen Herzinfarkte - die bereits Gegenstand des Bescheides des Landesinvalidenamtes für Tirol vom 14. März 1975 waren - beantragt.

Da die belangte Behörde zutreffend davon ausgehen konnte, daß die als Dienstbeschädigung geltend gemachten Gesundheitsschädigungen keinesfalls mit der vom Gesetz her geforderten Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die mit der Dienstleistung bei der Deutschen Wehrmacht eigentümlichen Verhältnisse zurückgeführt werden kann, vermochte der Verwaltungsgerichtshof bei der gegebenen Sach- und Rechtslage die im Instanzenzug bestätigte Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Durch die Bestätigung der von der Versorgungsbehörde erster Rechtsstufe trotz bereits eingetretener Rechtskraft neuerlich in der Sache ausgesprochenen Abweisung der Gesundheitsschädigung "Adipositas" wurde die Beschwerdeführerin in keinem Recht verletzt. Die von der Beschwerdeführerin erstmals in der Berufung geltend gemachte Gesundheitsschädigung "Herzinfarkt" wurde zu Recht nicht berücksichtigt, da sie nicht den Gegenstand der Sachentscheidung der belangten Behörde als Berufungsbehörde im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 86 Abs. 1 KOVG 1957) bildete.

Der unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Einwand, der Antrag der Beschwerdeführerin vom 24. Februar 1972 sei bisher völlig unerledigt geblieben, vermag die Beschwerde deshalb nicht zum Erfolg zu führen, weil nach der Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hierüber mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Tirol vom 14. März 1975 abgesprochen und die geltend gemachten Gesundheitsschädigungen "Asthma, chronische Eierstock- und Gebärmutterentzündung sowie Nierenbeckenentzündung und chronische Mandelentzündung" als Dienstbeschädigungen nicht anerkannt worden waren.

Die Beschwerde erweist sich damit im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zur Gänze als unbegründet, was gemäß § 42 Abs. 1 VwGG ihre Abweisung zur Folge hatte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 22. Oktober 1987

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