VwGH 83/08/0058

VwGH83/08/005822.9.1983

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Liska, Mag. Öhler, Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Starlinger, über die Beschwerde der AB, Landesbedienstete, Graz, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 10. Februar 1983, Zl. IVc-7022B-Dr.Puy/Schu, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme eines Verfahrens in Angelegenheit des Karenzurlaubsgeldes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §73 Abs2;
AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §73 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.310,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem am 23. Juli 1981 beim Arbeitsamt Graz und am 11. August 1981 bei der belangten Behörde eingelangten Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des mit Bescheid der belangten Behörde vom 11. April 1980 abgeschlossenen Verfahrens betreffend ihren Antrag auf Zuerkennung von Karenzurlaubsgeld gemäß § 27 Abs. 3 AlVG für die Zeit vom 4. September 1979 bis 9. Juli 1980 aus Anlass der Geburt ihres zweiten Kindes BB, geboren am 9. Juli 1979.

Mit einem am 17. August 1982 beim Bundesministerium für soziale Verwaltung eingelangten Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin den "Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung vom Landesarbeitsamt Steiermark an das Bundesministerium für soziale Verwaltung als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde" mit der Begründung, dass die belangte Behörde "bis zum heutigen Tage nicht entschieden" habe.

Datiert mit 1. Februar 1983 erging nachstehendes Schreiben des Bundesministers für soziale Verwaltung an die Beschwerdeführerin:

"Unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 8. 1. 1983 teilt das Bundesministerium für soziale Verwaltung mit, dass das Landesarbeitsamt Steiermark beauftragt wurde, so rasch wie möglich über die Höhe der Karenzurlaubsgeldbeträge aus Anlass der Geburt Ihres zweiten und dritten Kindes zu entscheiden oder entscheiden zu lassen.

Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass nur dann eine Entscheidung möglich ist, wenn alle im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. 6. 1982, Zl. 81/08/0072, betreffend die Höhe des Karenzurlaubsgeldes aus Anlass der Geburt Ihres ersten Kindes, erforderlichen Unterlagen über die Höhe des Einkommens Ihres Gatten von Ihnen dem Arbeitsamt bzw. Landesarbeitsamt vorgelegt werden."

Das bezogene Schreiben vom 8. Jänner 1983 betraf das Verfahren auf Karenzurlaubsgeld aus Anlass der Geburt des dritten Kindes der Beschwerdeführerin.

Mit dem angefochtenen Bescheid lehnte die belangte Behörde den Wiederaufnahmeantrag der Beschwerdeführerin gemäß den §§ 69, 70 AVG 1950 ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, u. a. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 73 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 AVG 1950 geht, wenn der Partei innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Antrages bei der Behörde der Bescheid nicht zugestellt wird, auf ihr unmittelbar, bei der Oberbehörde einzubringendes schriftliches Verlangen die Zuständigkeit zur Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Liegen die Voraussetzungen für einen Devolutionsantrag vor (Nichterledigung eines Antrages durch sechs Monate), so geht mit dem Einlangen des Antrages bei der Oberbehörde die Zuständigkeit zur Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag an diese Behörde über; ein nach diesem Zeitpunkt durch die Unterbehörde erlassener Bescheid ist infolge Unzuständigkeit dieser Behörde, unabhängig davon, ob die Unterbehörde tatsächlich schuldhaft säumig im Sinne des § 73 Abs. 2 letzter Satz AVG 1950 war, rechtswidrig (vgl. Erkenntnis vom 27. Februar 1981, Zl. 08/3408/78, mit weiteren Judikaturhinweisen), es sei denn, der Devolutionsantrag wäre gemäß § 73 Abs. 2 letzter Satz leg. cit. bereits vor der Bescheiderlassung rechtskräftig abgewiesen worden (vgl. Erkenntnis vom 4. Oktober 1968, Zl. 163/68; Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsrechts2, Seite 203).

Im Beschwerdefall war nun - unbestritten - im Zeitpunkt des Einlangens des Devolutionsantrages der Beschwerdeführerin beim Bundesminister für soziale Verwaltung die Sechsmonatsfrist des § 73 Abs. 1 AVG 1950 abgelaufen. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über den obgenannten Wiederaufnahmeantrag der Beschwerdeführerin ging daher mit diesem Zeitpunkt auf den Bundesminister für soziale Verwaltung über. Die belangte Behörde wäre daher zu der erst nach diesem Zeitpunkt erfolgten Erlassung des angefochtenen Bescheides nur dann zuständig gewesen, wenn der Bundesminister für soziale Verwaltung nach dem Übergang der Zuständigkeit auf ihn den Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin nach § 73 Abs. 2 letzter Satz AVG 1950 abgewiesen hätte und daher die Kompetenz wieder auf die belangte Behörde zurückgefallen wäre. Die belangte Behörde vertritt diese Auffassung in ihrer Gegenschrift. Sie meint nämlich, der Bundesminister für soziale Verwaltung habe mit "Bescheid vom 1. 2. 1983" (gemeint das obzitierte Schreiben vom selben Tag) den Devolutionsantrag abgelehnt und damit zum Ausdruck gebracht, dass die belangte Behörde für die Erledigung zuständig sei. Die Entscheidung sei zwar nicht als Bescheid bezeichnet, weise aber alle nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. N. F. Nr. 9458/A, für einen Bescheid wesentlichen Merkmale auf.

Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Nach dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates ist das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung dann unerheblich, wenn eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift oder auch die Beglaubigung enthält. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. Der normative Inhalt muss sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung, also in diesem Sinne auch aus der Form der Erledigung, ergeben. Die Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge des Verfahrens, Rechtsbelehrungen und dergleichen können nicht als verbindliche Erledigung, also nicht als Spruch im Sinne des § 58 Abs. 1 AVG 1950 gewertet werden.

Im obzitierten Schreiben vom 1. Februar 1983 teilte der Bundesminister für soziale Verwaltung der Beschwerdeführerin mit, dass die belangte Behörde beauftragt worden sei, so rasch wie möglich über die Höhe der Karenzurlaubsgeldbeträge aus Anlass der Geburt des zweiten und dritten Kindes der Beschwerdeführerin zu entscheiden oder entscheiden zu lassen. Diese Mitteilung kann nur als Hinweis auf Verfahrensvorgänge, aber nicht als normative Entscheidung im Sinne des § 73 Abs. 2 letzter Satz AVG 1950 verstanden werden. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über den von der Beschwerdeführerin gestellten Wiederaufnahmeantrag blieb daher trotz dieses Schreibens weiterhin beim Bundesminister für soziale Verwaltung.

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 lit. b VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 im Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Das S 50,-- übersteigende Begehren auf Ersatz von Stempelgebühren für Beilagen war abzuweisen, da ein derartiger Ersatz nur für jene Stempelgebühren vorgesehen ist, die für Beilagen zu entrichten sind, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kraft Gesetzes vorzulegen sind.

Wien, am 22. September 1983

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