VfGH G14/10 ua

VfGHG14/10 ua2.10.2012

Zurückweisung der Anträge auf Aufhebung von Bestimmungen des FortpflanzungsmedizinG betreffend den Ausschluss gleichgeschlechtlicher Partnerschaften von medizinisch unterstützter Fortpflanzung; Unzulässigkeit des Individualantrags infolge Beschreitung des gerichtlichen Rechtsweges; Antrag des Obersten Gerichtshofes zu eng gefasst

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
FortpflanzungsmedizinG §1, §2 Abs1, Abs2, §3, §8 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
FortpflanzungsmedizinG §1, §2 Abs1, Abs2, §3, §8 Abs1

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt und Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Erstantragstellerin des zu G14/10

protokollierten Verfahrens ist österreichische Staatsbürgerin und mit der Zweitantragstellerin, einer deutschen Staatsangehörigen, am 20. August 2008 vor dem Standesamt Krefeld (Deutschland) eine Lebenspartnerschaft nach dem dt. Lebenspartnerschaftsgesetz eingegangen. Diese Lebenspartnerschaft wird in Österreich gemäß §27a des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), BGBl. 304/1978 idF BGBl. I 135/2009, anerkannt. Die Erstantragstellerin möchte - im Einvernehmen mit der Zweitantragstellerin - durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung unter Verwendung einer Samenspende eine Schwangerschaft herbeiführen.

1.1. Mit dem zu G14/10 protokollierten und auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehren die Antragstellerinnen, "die Wortfolge 'von Personen verschiedenen Geschlechts' in §2 Abs1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes, BGBl. Nr. 275/1992 idF BGBl. I Nr. 135/2009"; in eventu "§2 Abs1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes, BGBl. Nr. 275/1992 idF BGBl. I Nr. 135/2009"; in eventu "das Fortpflanzungsmedizingesetz, BGBl. Nr. 275/1992 idF BGBl. I Nr. 135/2009" als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Zu ihrer Antragslegitimation bringen die Antragstellerinnen Folgendes vor:

"Die Erstantragstellerin möchte durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung unter Verwendung des Samens eines Dritten ein Kind empfangen. Die Zweitantragstellerin stimmt dieser medizinisch unterstützten Fortpflanzung an der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten ausdrücklich zu.

Die Erstantragstellerin freut sich auf ihr leibliches Kind. Beide Antragstellerinnen freuen sich darauf, mit dem leiblichen Kind der Erstantragstellerin ein glückliches Familienleben zu führen.

Dies wird ihnen durch die o.a. Bestimmungen verboten. Den beiden Antragstellerinnen, denen ein Geschlechtsverkehr entgegen ihrer sexuellen Orientierung und entgegen ihrem Versprechen sexueller Treue nicht zuzumuten ist, wird die Fortpflanzung verboten.

Dieses Verbot ist mit Strafandrohung abgesichert.

Den Antragstellerinnen ist es nicht zuzumuten, ein Strafverfahren zu provozieren und damit eine Bestrafung zu riskieren.

Ein anderer zumutbarer Weg, als dieser Antrag,

besteht zur Bekämpfung der in ihre Rechtssphäre eingreifenden (ihnen Fortpflanzung untersagenden) Verfassungswidrigkeit nicht."

1.3. In der Sache bringen die Antragstellerinnen vor, dass das in §2 Abs1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG), BGBl. 275/1992 idF BGBl. I 135/2009, normierte Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung außerhalb einer Ehe oder verschieden geschlechtlichen Lebensgemeinschaft verfassungswidrig sei. Sie begründen dies im Einzelnen wie folgt:

"Für heterosexuelle (auch unverheiratete) Paare gilt das unter 1. genannte Verbot nicht. Sie können medizinisch unterstützte Fortpflanzung in Anspruch nehmen. Die Antragstellerinnen nicht, weil sie gleichen Geschlechts sind.

Die Norm differenziert daher (direkt) auf Grund des Geschlechts und (indirekt) auf Grund der sexuellen Orientierung.

Die Ungleichbehandlung von unverheirateten verschiedengeschlechtlichen Paaren auf der einen Seite und unverheirateten gleichgeschlechtlichen Paaren auf der anderen Seite (ebenso wie die Ungleichbehandlung von Ehepaaren und eingetragenen Partnerinnen) ist gleichheitswidrig. Sie verstößt gegen Art2 StGG, Art7 B-VG und Art14 iVm 8 EMRK.

Die Erstantragstellerin ist österreichische Staatsbürgerin (Blg. ./4), weshalb Art2 StGG und Art7 B-VG anwendbar sind. Die Zweitantragstellerin wiederum ist gegen unsachliche Ungleichbehandlungen gegenüber Ausländerinnen mit einem männlichen österreichischen Partner durch das Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander (Art1 Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung) geschützt. Medizinisch unterstützte Fortpflanzung und deren gesetzliche Regelung und Beschränkung fallen in den Anwendungsbereich des Art8 EMRK, weshalb Ungleichbehandlungen auf Grund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung den Anforderungen des Art14 EMRK zu entsprechen haben (vgl. mutatis mutandis: EGMR: Frette vs. France 2002; E.B. vs. France 2008).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unmissverständlich ausgesprochen, dass Diskriminierungen von (unverheirateten) gleichgeschlechtlichen Paaren gegenüber (unverheirateten) verschiedengeschlechtlichen Paaren mit Art14 EMRK nicht vereinbar und daher unzulässig sind (EGMR: Karner vs. Austria, 24.07.2003).

Gleichgeschlechtlich l(i)ebende Menschen sind, wie es die Parlamentarische Versammlung des Europarates treffend formulierte, Opfer jahrhundertealter Vorurteile. Die Aufhebung sämtlicher diskriminierender Bestimmungen ist mittlerweile eine Voraussetzung für die Aufnahme neuer Mitglieder in den Europarat und in die Europäische Union, und die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung wiederholt als 'besonders abscheulich' und als 'eine der abscheulichsten Formen von Diskriminierung' verurteilt.

Nach der heute ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist die sexuelle Selbstbestimmung ein zentrales Schutzgut der Europäischen Menschenrechtskonvention und Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung inakzeptabel.

Der Gerichtshof erachtet solche Diskriminierung als ebenso schwerwiegend wie Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, der Religion, der Rasse, Hautfarbe oder der ethnischen Herkunft und verlangt für die Rechtfertigung von Differenzierungen auf Grund der sexuellen Orientierung dementsprechend besonders schwerwiegende Gründe.

Unterschiedliche Regelungen für gleichgeschlechtliche Lebenssachverhalte einerseits und verschiedengeschlechtliche andererseits müssen für die Erfüllung eines legitimen Zieles notwendig sein, bloße Plausibilität, Vernünftigkeit, Sachlichkeit oder die bloße Eignung das Ziel zu erreichen, genügen nicht. Unterscheidungen sind, wie bei Geschlecht, der Religion, der Rasse, Hautfarbe und ethnischer Herkunft nur zulässig, wenn diese Unterscheidungen wirklich notwendig ('necessary') sind, insb. wenn es um ungleiche Behandlung homo- und heterosexueller Lebensgemeinschaften geht.

Vorurteile einer heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer homosexuellen Minderheit können, wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, ebensowenig eine ausreichende Begründung für Eingriffe in die Rechte homo- und bisexueller Menschen bieten, wie ähnlich negative Einstellungen gegenüber Menschen anderer Rasse, Herkunft oder Hautfarbe.

Die Gesetzesmaterialien geben keinerlei Begründung für das Verbot der medizinisch unterstützen Fortpflanzung für Frauen, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften leben. Angeführt wird lediglich, dass dies im Begutachtungsverfahren gefordert worden sei (RV 485 Blg.-NR XXIV. GP).

Eine Notwendigkeit (!) (zur Erreichung welchen

legitimen Zieles?) zur Benachteiligung (unverheirateter) gleichgeschlechtlicher Paare gegenüber (unverheirateten) verschiedengeschlechtlichen Paaren besteht in keiner Weise, zumal der EGMR auch betont hat, dass der Gesellschaft ein gewisses Maß an Unannehmlichkeiten zuzumuten ist, um dem Einzelnen ein Leben in Würde und im Einklang mit seiner sexuellen Identität zu ermöglichen.

Das der Beschränkung auf Ehen und Lebensgemeinschaften zu Grunde liegende Ziel, medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in stabilen Partnerschaften zuzulassen, kann auch erreicht werden, ohne zwischen gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren zu differenzieren.

Das Verbot nur für gleichgeschlechtliche Paare

verletzt daher die o.a. verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte (vgl. auch Graupner, Sexuelle Orientierung im europäischen Recht, RZ 2009 178-184)."

1.4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragte, den Individualantrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu abzuweisen. Die Antragstellerinnen erstatteten eine Replik, in der sie an ihrem Antragsvorbringen festhielten.

2. Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 begehrten die Antragstellerinnen beim Bezirksgericht Wels zudem, die Zustimmung der Zweitantragstellerin zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten gemäß §8 Abs1 FMedG gerichtlich zu protokollieren und die Antragstellerinnen zu Handen ihres Vertreters zu einem diesbezüglichen Termin zu laden. Diesen Antrag wies das Bezirksgericht Wels mit Beschluss vom 8. März 2010 mit der Begründung zurück, dass es Zweck des §2 Abs1 FMedG sei, die gemeinsame Elternschaft zweier Personen gleichen Geschlechts auszuschließen.

2.1. Das Landesgericht Wels als Rekursgericht schloss sich dieser Rechtsansicht mit Beschluss vom 2. Juni 2010 an, erklärte jedoch den Revisionsrekurs für zulässig, weil die Frage, ob das Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei gleichgeschlechtlichen Paaren gegen das Recht der Europäischen Union, gegen Bestimmungen der EMRK oder gegen sonstiges österreichisches Verfassungsrecht verstößt, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sei und eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (im Folgenden: OGH) zu dieser Frage nicht existiere.

2.2. Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2010 erhoben die Antragstellerinnen Revisionsrekurs an den OGH und zeigten darin verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des §2 Abs1 FMedG auf. Anlässlich dieses Rechtsmittels beschloss der OGH, hinsichtlich dieser Vorschrift beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Gesetzesprüfung zu stellen. In diesem auf Art89 Abs2 iVm Art140 Abs1 B-VG gestützten und zu G47/11 protokollierten Antrag begehrt er nunmehr, "die Wortfolge 'von Personen verschiedenen Geschlechts' in §2 Abs1 FMedG idF BGBl I 2009/135 als verfassungswidrig aufzuheben". Seine Bedenken legt der OGH dabei im Einzelnen wie folgt dar:

"§2 Abs1 FMedG wurde durch das Gesetz über die eingetragene Partnerschaft (BGBl I 2008/135) novelliert: Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig. Damit werden die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin für gleichgeschlechtliche Paare ausgeschlossen. Nur Eheleute können die medizinisch unterstützte Fortpflanzung ohne Einhaltung der qualifizierten Formvorschriften des §8 Abs1 FMedG in Anspruch nehmen (schriftliche Zustimmung genügt), wenn nicht der Samen eines Dritten verwendet werden soll. Andere Gemeinschaften bedürfen in jedem Fall der besonderen Form der Zustimmung zu gerichtlichem Protokoll oder eines Notariatsakts. §2 Abs1 FMedG steht dem Begehren der Antragstellerinnen, die nach §8 Abs1 FMedG geforderte Zustimmung gerichtlich zu Protokoll zu nehmen, entgegen. Die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung ist damit gegeben. Die durch das Budgetbegleitgesetz 2010 erfolgte Änderung der §§7 Abs3 und 8 Abs1 FMedG, wonach die Beratung nicht mehr durch ein Gericht erfolgen und die Zustimmung nicht mehr in Form eines gerichtlichen Protokolls erteilt werden kann, ist erst anzuwenden, wenn die Beratung oder die Zustimmung nach dem 30. April 2011 erteilt wird (Art39 Budgetbegleitgesetz 2010, BGBl I 2010/111).

Die Beschränkung des §2 Abs1 FMedG verschließt

Frauen, die mit einer Frau in einer Partnerschaft leben, eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung und schließt sie damit von der Möglichkeit aus, Kinder zu haben und aufzuziehen, sofern sie ohne die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin keine Kinder haben können, sei es dass - wie hier - heterosexuelle Kontakte nicht in Betracht kommen oder der Kinderwunsch ungeachtet dessen unerfüllt bleibt. Davon sind alleinstehende Frauen ebenso betroffen wie eingetragene Partnerinnen.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass der von Ehepartnern oder Lebensgefährten gefasste Entschluss, ein Kind zu bekommen und sich hiezu erforderlicher medizinischer Unterstützung zu bedienen, dem Schutzbereich des Art8 EMRK unterliegt (VfGH vom 14. 10. 1999, G91/98, 116/98, VfSlg 15.632, B.1.2.3.). Auch der EGMR betont, dass das Recht 'ein Kind zu bekommen und sich zur Erfüllung des Kinderwunsches die Errungenschaft der Fortpflanzungsmedizin zunutze zumachen' zu den von Art8 EMRK geschützten Rechten zählt (EGMR vom 1.4.2010, 57813/00, S.H. ua gegen Österreich, Z60 = ÖJZ 2010, 684 = RdM 2010/88 [Kopetzki]). Der Wunsch nach einem Kind stellt demnach einen besonders wichtigen Aspekt der Existenz oder der Identität eines privaten Individuums dar (Z93).

Damit ist überaus fraglich, ob die gesetzliche Beschränkung der Erfüllung des Wunsches nach einem Kind mit Mitteln der Fortpflanzungsmedizin auf Paare verschiedenen Geschlechts mit dem Schutz der Familie oder dem Kindeswohl begründet werden kann.

Im Verfahren Schalk und Kopf gegen Österreich trug der EGMR der 'rapiden Evolution des gesellschaftlichen Verhaltens gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren in vielen Mitgliedstaaten' (Z93) Rechnung und sprach mit Urteil vom 24. Juni 2010, 30141/04 aus, dass die Beziehung eines gleichgeschlechtlichen Paares unter den Begriff 'Familienleben' wie auch unter den Begriff 'Privatleben' falle und daher Art14 iVm Art8 EMRK zur Anwendung gelange. Der EGMR geht davon aus, dass Paare gleichen Geschlechts ebenso in der Lage sind, wie Paare verschiedenen Geschlechts, stabile, bindende Beziehungen einzugehen. Unter diesen Voraussetzungen ist eine solche gleichgeschlechtliche Beziehung 'Familie' im Verständnis des Art8 EMRK. Kinder werden entweder durch Geburt oder durch Adoption Teil einer Familienbeziehung.

Die Versagung der Adoption durch eine in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden Frau im Wesentlichen wegen ihrer sexuellen Orientierung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des Art14 iVm Art8 EMRK, wenn die Adoption grundsätzlich Einzelpersonen und damit auch alleinstehenden Homosexuellen offen steht (EGMR 22. Jänner 2008, 43546/02, E.B. gegen Frankreich = ÖJZ 2008, 499).

Nach österreichischem Recht ist die Einzeladoption mit Zustimmung des Partners bei eingetragener Partnerschaft zulässig (§181 Abs1 ABGB idF BGBl I 2009/135). Die Einzeladoption durch einen eingetragenen Partner widerspricht damit für sich genommen grundsätzlich nicht dem Kindeswohl.

Die Herstellung eines nicht auf eine biologische Verbindung rückführbaren Eltern-Kind-Verhältnisses durch (Einzel-)Adoption ist sowohl für eine(n) alleinstehende(n) Homosexuelle(n) als auch in einer eingetragenen Partnerschaft möglich und erlaubt. Außerhalb der Ehe steht es Einzelpersonen damit unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung offen, durch Adoption ein Eltern-Kind-Verhältnis zu begründen. Die auf Vertrag beruhende Verbindung ergänzt die auf Abstammung beruhende Familienbeziehung. Die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin ersetzen ebenfalls eine auf natürliche Fortpflanzung beruhende Familienbeziehung. Damit erscheint es nicht sachgerecht, die Nutzung der Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin vom Bestehen einer verschieden geschlechtlichen Partnerschaft abhängig zu machen und damit alleinstehende ebenso wie in gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft lebende Frauen von der Möglichkeit einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung auszuschließen. Demgegenüber stellt die vom Rekursgericht angeführte Beeinträchtigung des Interesses des Kindes, über die biologische Abstammung aufgeklärt zu werden, nicht zwingend eine Verletzung des Art8 EMRK dar (EGMR in S.H. ua gegen Österreich, Z84) und damit auch kein zwingendes Hindernis für eine Familienbeziehung im Sinne der Antragstellerinnen. Die Unmöglichkeit einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei Partnerschaften von Männern wäre eine biologisch bedingte 'Diskriminierung'. Unterschiedliche Sachverhalte können unterschiedlich rechtlich geregelt werden. Nach Ansicht des Senats bestehen im Licht der zitierten Judikatur des EGMR verfassungsrechtliche Bedenken gegen §2 Abs1 FMedG, soweit dadurch die medizinisch unterstützte Fortpflanzung für eine in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden Frau ausgeschlossen und dieser aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Möglichkeit genommen wird, einen Kinderwunsch zu erfüllen."

2.3. In diesem zu G47/11 protokollierten Verfahren erstattete die Bundesregierung eine Äußerung, in der sie begehrte, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu abzuweisen. Die Antragstellerinnen des Anlassverfahrens erstatteten dazu zwei Repliken, in denen sie beantragten, dem Antrag des OGH stattzugeben.

II. Rechtslage

Die §§1, 2, 3, 4 und 8 Abs1 des Bundesgesetzes, mit dem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen werden (Fortpflanzungsmedizingesetz - FMedG), BGBl. 275/1992, in der dem Antrag des OGH zu Grunde liegenden, maßgeblichen Fassung, nämlich die §§1, 3, 4 und 8 Abs1 in der Stammfassung sowie §2 FMedG idF BGBl. I 135/2009, lauten wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Begriffsbestimmungen

§1. (1) Medizinisch unterstützte Fortpflanzung im Sinn dieses Bundesgesetzes ist die Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr.

(2) Methoden der medizinisch unterstützten

Fortpflanzung im Sinn des Abs1 sind insbesondere

1. das Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau,

2. die Vereinigung von Eizellen mit Samenzellen außerhalb des Körpers einer Frau,

3. das Einbringen von entwicklungsfähigen Zellen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau und

4. das Einbringen von Eizellen oder von Eizellen mit Samen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau.

(3) Als entwicklungsfähige Zellen sind befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen anzusehen."

"Zulässigkeit

§2. (1) Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig.

(2) Sie ist ferner nur zulässig, wenn nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind oder ein Geschlechtsverkehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft den Ehegatten oder Lebensgefährten wegen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit auf Dauer nicht zumutbar ist.

(3) Samen, Eizellen, Hoden- oder Eierstockgewebe

dürfen auch für eine künftige medizinisch unterstützte Fortpflanzung entnommen und aufbewahrt werden, wenn ein körperliches Leiden oder dessen dem Stand der Wissenschaft entsprechende Behandlung eine ernste Gefahr bewirkt, dass eine Schwangerschaft nicht mehr durch Geschlechtsverkehr herbeigeführt werden kann."

"§3. (1) Für eine medizinisch unterstützte

Fortpflanzung dürfen nur die Eizellen und der Samen der Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet werden.

(2) Für die Methode nach §1 Abs2 Z1 darf jedoch der Samen eines Dritten verwendet werden, wenn der des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fortpflanzungsfähig ist.

(3) Eizellen und entwicklungsfähige Zellen dürfen nur bei der Frau verwendet werden, von der sie stammen.

Befugnis

§4. (1) Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung darf nur von einem zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe durchgeführt werden.

(2) Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung darf nur in einer hiefür zugelassenen Krankenanstalt durchgeführt werden; die Methode nach §1 Abs2 Z1 darf jedoch auch in einer Ordinationsstätte eines Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe angewendet werden, sofern dabei der Samen des Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet wird."

"Zustimmung

§8. (1) Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung darf bei Ehegatten nur mit deren schriftlicher Zustimmung durchgeführt werden; bei Lebensgefährten muß die Zustimmung in Form eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts erteilt werden. Bei Verwendung von Samen eines Dritten bedarf die Zustimmung zu dieser Methode stets eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit des zu G14/10 protokollierten Antrages:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10.481/1985, 11.684/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit nach Art140 B-VG gestellten Individualanträgen wiederholt ausgeführt hat, ist dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von einem Gesetz Betroffenen Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet, nur bei Vorliegen - hier gar nicht behaupteter - besonderer außergewöhnlicher Umstände der Partei das Recht zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (vgl. VfSlg. 8312/1978, 10.857/1986, 11.045/1986, 11.823/1988).

1.2. Die Antragstellerinnen haben einen -

mittlerweile durch die in Art20 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I 111/2010, vorgenommene Änderung des §8 Abs1 FMedG vom Gesetzgeber wieder beseitigten - Weg, der ihnen die Möglichkeit zur Anregung einer gerichtlichen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof geboten hat, bereits beschritten:

Wie sich nämlich aus dem zu G47/11 protokollierten Antrag ergibt, haben die Erst- und Zweitantragstellerin in dem diesem Antrag zugrunde liegenden Anlassverfahren zunächst beim Bezirksgericht Wels und in weiterer Folge beim Landesgericht Wels als Rekursgericht beantragt, die Zustimmung der Zweitantragstellerin zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten gemäß §8 Abs1 FMedG gerichtlich zu protokollieren. Auch haben die Antragstellerinnen gegen die Zurückweisung dieses Antrages einen Revisionsrekurs an den OGH erhoben, der letzten Endes zu der zu G47/11 protokollierten Antragstellung des OGH geführt hat.

1.3. Der Individualantrag war daher allein schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.

2. Zur Zulässigkeit des zu G47/11 protokollierten Antrages:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung zu den Prozessvoraussetzungen von Normenkontrollverfahren stets vom Grundgedanken aus, dass ein solches Verfahren dazu führen soll, die behauptete Verfassungswidrigkeit - wenn sie tatsächlich vorläge - zu beseitigen, dass aber der nach Aufhebung verbleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl. zB VfSlg. 8461/1979, 11.737/1988, 18.412/2008). Unzulässig ist ein Antrag daher auch dann, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg. 13.299/1992, 14.740/1997, 16.191/2001, zuletzt VfGH 24.9.2011, G107/10).

2.2. Dies ist hier der Fall:

2.2.1. Die Bedenken des antragstellenden OGH knüpfen daran an, dass "die Beschränkung des §2 Abs1 FMedG [...] Frauen, die mit einer Frau in einer Partnerschaft leben, eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung" und damit die Möglichkeit verschließt,

"Kinder zu haben und aufzuziehen, sofern sie ohne die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin keine Kinder haben können, sei es dass - wie hier - heterosexuelle Kontakte nicht in Betracht kommen oder der Kinderwunsch ungeachtet dessen unerfüllt bleibt. Davon sind alleinstehende Frauen ebenso betroffen wie eingetragene Partnerinnen".

2.2.2. Ausgehend von diesem Befund erachtet es der OGH mit näherer Begründung, insbesondere unter Hinweis auf die Zulässigkeit der Einzeladoption und unter Hinweis auf Rechtsprechung des EGMR als gegen Art8 EMRK, vor dem Hintergrund des Vergleichs mit der Einzeladoption der Sache nach (arg.: "erscheint es nicht sachgerecht") wohl auch als gegen den Gleichheitssatz verstoßend,

"die Nutzung der Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin vom Bestehen einer verschieden geschlechtlichen Partnerschaft abhängig zu machen und damit alleinstehende ebenso wie in gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft lebende Frauen von der Möglichkeit einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung auszuschließen".

2.2.3. Auf dieser argumentativen Grundlage beantragt der OGH schließlich, die Wortfolge "von Personen verschiedenen Geschlechts" in §2 Abs1 FMedG idF BGBl. I 135/2009 als verfassungswidrig aufzuheben.

2.3. Damit wäre jedoch der nach Auffassung des OGH verfassungswidrige Zustand nicht beseitigt.

2.3.1. Zunächst unterliegt jede medizinisch

unterstützte Fortpflanzung gemäß §2 Abs2 FMedG einer allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzung, die - anders als dies die beteiligten Parteien in ihrer zur Äußerung der Bundesregierung erstatteten Replik sehen - nach Wortlaut und Zweck der Norm offenkundig nur von Partnern in heterosexuellen Lebensgemeinschaften erfüllt werden kann, nämlich, dass

"nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind oder ein Geschlechtsverkehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft den Ehegatten oder Lebensgefährten wegen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit auf Dauer nicht zumutbar ist".

2.3.2. Eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung, für die dasselbe gilt, besteht für jene Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, die alleinstehenden Frauen oder Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nach einer von der angefochtenen Wortfolge bereinigten Rechtslage allein offenstehen würde, nämlich des "Einbringen[s] von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau" im Sinne des §1 Abs2 Z1 FMedG:

Nur für diese Methode ist nämlich (im Hinblick auf §3 Abs1 iVm §3 Abs2 FMedG) ausnahmsweise eine Samenspende Dritter zulässig, dies aber im Besonderen nur dann "wenn der [Samen] des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fortpflanzungsfähig ist". Auch §3 Abs1 iVm 2 FMedG setzen somit das Bestehen einer heterosexuell orientierten Lebensgemeinschaft voraus, da anders die in §3 Abs2 leg.cit. genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung nicht erfüllbar sind.

2.4. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich der Gesetzgeber bei Erlassung des Bundesgesetzes über die eingetragene Partnerschaft (Eingetragene Partnerschaft-Gesetz), BGBl. I 135/2009, in dessen Art4 - zwar einer Forderung "im Begutachtungsverfahren" folgend, jedoch, wie gezeigt, ohne zwingende Notwendigkeit - zu der ausdrücklichen "Klarstellung" veranlasst gesehen hat, "dass nach dem FMedG medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in einer Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig ist" (so die Erl. zu §2 FMedG in der RV 485 BlgNR 24. GP, 17).

Gegen diese Auffassung lässt sich nicht

argumentieren, wie dies die beteiligten Parteien in ihrer Replik tun, dass dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden darf, Überflüssiges regeln zu wollen, da dieser Grundsatz nur eine Zweifelsregel ist, die dann nicht zum Tragen kommt, wenn der Gesetzgeber - wie hier - eine Regelung trifft, die nur der Klarstellung dienen soll, insoweit also ausweislich der Materialien vorgenommen wird, obwohl sie im strengen Wortsinn "überflüssig" ist.

2.5. Da schon aus diesen Gründen somit selbst dann, wenn man die Bedenken des OGH teilt, die behauptete Verfassungswidrigkeit, die nach Auffassung des OGH in der Versagung des Zugangs zu Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung für alleinstehende Frauen und Frauen in gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft gelegen ist, im Hinblick auf die im Gesetz enthaltenen weiteren Zugangsschranken durch die Aufhebung der angefochtenen Wortfolge allein nicht beseitigt werden könnte, erweist sich der Antrag als zu eng gefasst und daher als unzulässig.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

Die Anträge sind als unzulässig zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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