Normen
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art131 Abs1 Z1, Art133
B-VG Art19, Art102
EMRK Art6 Abs1, Art13
BG über den Umweltsenat §5
EU-Grundrechte-Charta Art47, Art51, Art52
EUV Art19 Abs1
Richtlinie des Rates vom 27.06.85, 85/337/EWG, über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Richtlinie) idF der Richtlinie 2003/35/EG Art10a
UVP-G 2000 §23b, §40 Abs1
VwGG §41 Abs1, §42 Abs2 Z3, §63 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art131 Abs1 Z1, Art133
B-VG Art19, Art102
EMRK Art6 Abs1, Art13
BG über den Umweltsenat §5
EU-Grundrechte-Charta Art47, Art51, Art52
EUV Art19 Abs1
Richtlinie des Rates vom 27.06.85, 85/337/EWG, über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Richtlinie) idF der Richtlinie 2003/35/EG Art10a
UVP-G 2000 §23b, §40 Abs1
VwGG §41 Abs1, §42 Abs2 Z3, §63 Abs1
Spruch:
I. Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.
1. Der vorliegenden Beschwerde liegt das in der Folge dargestellte Verwaltungsverfahren einschließlich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zugrunde:
1.1. Die beschwerdeführende Partei stellte mit
Schreiben vom 13. März 2008, neu gefasst mit Eingabe vom 25. April 2008, beim Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie einen Antrag betreffend Umweltverträglichkeitsprüfung und Erteilung der erforderlichen in die Zuständigkeit dieser Behörde fallenden Genehmigungen für die Errichtung des in Österreich liegenden Teils des Brenner Basistunnels ein. Die Umweltverträglichkeitserklärung für diesen Abschnitt war am 10. Juni 2003 vorgelegt worden, woraufhin das Vorverfahren geführt wurde.
Bei der Behörde wurden im Rahmen der öffentlichen
Auflage des nach den Bestimmungen des Großverfahrens durch Edikt kundgemachten Antrags mehrere Stellungnahmen eingebracht. Mit Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie, BGBl. II 315/2008, wurde der Trassenverlauf für den Brenner Basistunnel gemäß §5a HochleistungsstreckenG vorläufig sichergestellt.
1.2. Mit Bescheid vom 15. April 2009 erteilte die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die beantragten Genehmigungen (Trassengenehmigung, eisenbahnrechtliche Baubewilligung, Rodungsbewilligung, Bewilligung nach dem Mineralrohstoffgesetz, Genehmigung nach dem UVP-G 2000) mit Nebenbestimmungen. In der Rechtsmittelbelehrung wurde festgehalten, dass gegen diesen Bescheid kein ordentliches Rechtsmittel zulässig sei, und auf die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof hingewiesen.
1.3. Die dagegen erhobenen Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, u.a. jene der mitbeteiligten Partei, wurden von diesem mit Beschluss vom 30. September 2010, 2009/03/0067, 2009/03/0072, mit der Begründung zurückgewiesen, dass gegen den bekämpften Bescheid noch das Rechtsmittel der Berufung an den Umweltsenat zulässig sei. Dabei verweist der Verwaltungsgerichtshof auf seinen am selben Tag gefassten Beschluss 2010/03/0051, 2010/03/0055, in dem er zur Frage der unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz in Genehmigungsverfahren nach dem UVP-G - im Wesentlichen - Folgendes ausführt:
"3. Durch das UVP-G 2000 wird die UVP-Richtlinie
umgesetzt (§1 Abs2 UVP-G 2000). Bei der Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung im gegenständlichen Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren handelt es sich daher um eine Entscheidung im Anwendungsbereich des Unionsrechtes (vgl das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (...) vom 19. Jänner 2010, C-555/07 , Kücükdeveci, Rz 25), weshalb die durch das Unionsrecht gewährten Rechte, insbesondere nach Art10a der UVP-RL, zu wahren sind.
...
Mit Art6 Abs4 der UVP-RL wird der betroffenen
Öffentlichkeit eine effektive Beteiligung an den umweltbezogenen Entscheidungsverfahren garantiert (so ausdrücklich der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Oktober 2009, Rs C-263/08 , Djurgarden-Lilla Värtans Miljöskyddsförening, Rz 36). Der Gerichtshof hat in diesem Urteil weiter betont, dass Art10a der UVP-RL die Ausgestaltung des Überprüfungsverfahrens zwar dem nationalen Gesetzgeber überlässt, dass die so festgelegten nationalen Rechtsvorschriften aber zum einen 'einen weiten Zugang zu Gerichten' sicherstellen und zum anderen die praktische Wirksamkeit derjenigen Bestimmungen der UVP-RL gewährleisten müssen, die die gerichtliche Anfechtung betreffen (Rz 45).
...
Zudem ist zu beachten, dass der Gerichtshof das Erfordernis der (gerichtlichen) Überprüfbarkeit von Entscheidungen einer nationalen Behörde (...) ebenso wie den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (Urteil des Gerichtshofes vom 18. März 2010, C-317/08 , Allassini, Rn 61) als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts beurteilt. Das Urteil Allassini hält fest, dass sich dieser Grundsatz aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, in den Art6 und 13 EMRK verankert ist und im Übrigen von Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden ist.
4. Vor diesem Hintergrund ist es weder mit dem Wortlaut und der Systematik noch mit der Zielsetzung des Art10a UVP-RL, der betroffenen Öffentlichkeit einen effektiven Rechtsschutz gegen umweltbezogene Entscheidungen zu gewähren, vereinbar, wenn die Kognitionsbefugnis des überprüfenden Gerichtes insbesondere einer Beschränkung dahin unterworfen ist, dass die von der Verwaltungsbehörde angenommenen Tatsachen, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegen, keiner oder nur einer beschränkten Kontrolle unterliegen. Die unionsrechtlich geforderte effektive Überprüfung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit der Entscheidung setzt vielmehr voraus, dass dem nachprüfenden Gericht auch volle Tatsachenkognition zukommt (vgl in diesem Zusammenhang auch das Urteil des Gerichtshofes vom 19. September 2006, C-506/04 , Wilson, Rz 61, wonach ein Gericht, dessen Zuständigkeit auf Rechtsfragen beschränkt ist, nicht über die 'volle gerichtliche Zuständigkeit' verfügt).
Der Verwaltungsgerichtshof hat - im Zusammenhang mit einer Angelegenheit des Telekommunikationsrechtes - bereits erkannt, dass im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts (nun: des Unionsrechts) für die Entscheidung über
'civil rights' iSd Art6 EMRK ein Tribunal mit voller Kognition eingerichtet sein muss, bevor der Verwaltungsgerichtshof angerufen wird, um den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes Genüge zu tun. Die Entscheidung durch eine nicht als Tribunal eingerichtete Verwaltungsbehörde verbunden mit der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ist demnach nicht ausreichend, um die Anforderungen des als Gemeinschaftsgrundrecht anzuwendenden Art6 EMRK zu erfüllen. Sieht das nationale Recht eine derartige - Art 6 EMRK nicht entsprechende - Behördenzuständigkeit vor, muss der Verwaltungsgerichtshof gegebenenfalls durch Nichtanwendung entgegenstehender Bestimmungen sicherstellen, dass - vor Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes - ein Tribunal mit voller Kognition entscheidet, um dem unionsrechtlichen Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, zur Geltung zu verhelfen (vgl das hg Erkenntnis vom 15. Dezember 2003, 99/03/0423, unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes vom 22. Mai 2003, C-462/99 , Connect Austria Gesellschaft für Telekommunikation GmbH).
Im Beschwerdefall kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei den hier in Frage stehenden Rechtsansprüchen der beschwerdeführenden Parteien um 'civil rights' im Sinne des Art6 EMRK handelt: Der Grundsatz des Rechts auf ein Gerichtsverfahren im Unionsrecht gilt nämlich nicht nur für Streitigkeiten im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen (vgl nunmehr auch die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl C 303 vom 14. Dezember 2007, S 30)."
In der Folge begründet der Verwaltungsgerichtshof
näher, inwiefern die Möglichkeit der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dem unionsrechtlich geforderten effektiven Rechtsschutz nicht entspreche. Er zieht daraus den Schluss, dass die die Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes des UVP-G 2000 beschränkenden Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen seien, sodass der Umweltsenat - soweit unionsrechtlich geboten - auch im Bereich des dritten Abschnitts des UVP-G 2000 zur Entscheidung über Berufungen zuständig sei:
"Es besteht kein Zweifel, dass es sich beim Verwaltungsgerichtshof um ein Gericht im Sinne des Art267 AEUV handelt, das auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet, unabhängig und unparteiisch ist.
Die Möglichkeit der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gewährleistet eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der verwaltungsbehördlichen Entscheidung, die jedenfalls in Bezug auf die Auslegung und die richtige Anwendung der maßgebenden Rechtsvorschriften den Anforderungen des Art10a UVP-RL entspricht.
Damit könnte es dem Verwaltungsgerichtshof im Einzelfall möglich sein, den unionsrechtlich geforderten effektiven Rechtsschutz zu bieten (vgl auch das die Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof unter dem Blickwinkel des Art6 EMRK - vor dem Hintergrund einer im Einzelfall vorgenommenen Prüfung Punkt für Punkt - als ausreichend erachtende Urteil des EGMR vom 21. September 1993, Beschwerde 28/1992/373/447, Nr. 32, Zumtobel, sowie das auf dieses Urteil Bezug nehmende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2008, VfSlg 18.446).
Gerade im Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung sind regelmäßig Tatsachen, insbesondere Art und Ausmaß von Umweltauswirkungen eines Vorhabens, im besonderen Maße entscheidend für die Genehmigungsfähigkeit des Projekts.
Ein Fall wie der vorliegende, in dem die Richtigkeit des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalts unter Bezugnahme auf eigene Sachverständigengutachten in Zweifel gezogen wird, zeigt deutlich, dass eine gerichtliche Kontrollinstanz, die mit voller Tatsachenkognition ausgestattet ist, im Anwendungsbereich der UVP-RL, in dem das Unionsrecht - unbeschadet des Art47 der Grundrechtecharta bzw des Gebotes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes - jedenfalls ein spezifisches Rechtsschutzgebot vorsieht, vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Funktion als Höchstgericht und auf der Grundlage der von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften nicht ersetzt werden kann:
Gemäß §41 Abs1 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalts zu überprüfen. Im Bereich der Tatsachenkontrolle kann der Verwaltungsgerichtshof damit - im Rahmen des Beschwerdevorbringens - lediglich prüfen, ob bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts Verfahrensvorschriften verletzt wurden, ob der Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die bei der Beweiswürdigung von der belangten Behörde angestellten Erwägungen schlüssig sind. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt es nicht zu, die vorgenommene Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Auch im Falle der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist die Kontrollbefugnis und damit der Verhandlungsgegenstand auf Rechtsfragen beschränkt.
7. Wie sich aus den oben (Punkt 3. und 4.)
dargestellten Überlegungen ergibt, hat in Angelegenheiten, in denen unionsrechtlich die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung geboten ist, ein Tribunal im Sinne des Art6 EMRK mit voller Kognition - vor einem Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof - zu entscheiden. Dieser unionsrechtlich gebotenen Rechtslage steht nach den österreichischen Rechtsvorschriften die Beschränkung der Zuständigkeit des Umweltsenates als Berufungsbehörde auf 'Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes' des UVP-G 2000 in §40 Abs1 UVP-G 2000 und in §5 USG entgegen.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes obliegt die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Art10 EG (vgl nunmehr Art4 Abs3 EUV), alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Das nationale Gericht hat, soweit es das nationale Recht bei der Anwendung einer Richtlinie auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art249 Abs3 EG (nunmehr Art288 Abs3 AEUV) nachzukommen. Ist eine den Anforderungen der Richtlinie genügende Anwendung des nationalen Rechts nicht möglich, so ist das nationale Gericht verpflichtet, das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, 'indem es notfalls jene Bestimmung unangewendet lässt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem gegen diese Richtlinie verstoßenden Ergebnis führen würde, während die Nichtanwendung dieser Bestimmung das nationale Recht mit der Richtlinie in Einklang bringen würde' (vgl zum Ganzen das bereits zitierte Urteil des Gerichtshofes vom 22. Mai 2003, Rs C-462/99 , Connect Austria Gesellschaft für Telekommunikation GmbH, Rz 38, 40).
...
Es sind daher die genannten, die Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes des UVP-G 2000 beschränkenden Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen, sodass der Umweltsenat auch zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 - soweit diese unionsrechtlich geboten ist - zuständig ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass es nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, dass die Entscheidung eines obersten Organes einem Instanzenzug unterliegt (vgl VfSlg 8917/1980 ua), da dem Unionsrecht auch Vorrang gegenüber dem innerstaatlichen Verfassungsrecht zukommt (vgl das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Februar 1999, B1625/98, VfSlg 15427/1999)."
1.4. Der daraufhin von der mitbeteiligten Partei,
einer Umweltorganisation, gestellte, mit der Einbringung der Berufung gegen den Genehmigungsbescheid vom 15. April 2009 verbundene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist wurde mit dem durch die vorliegende Beschwerde angefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom 28. Jänner 2011 bewilligt.
In der Bescheidbegründung weist die belangte Behörde auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes hin, wonach in Angelegenheiten, in denen unionsrechtlich die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung geboten sei, ein Tribunal iSd Art6 EMRK mit voller Kognition zu entscheiden habe und daher die in §40 Abs1 UVP-G 2000 und in §5 USG vorgesehene Beschränkung der Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnitts des UVP-G 2000 unangewendet zu bleiben habe. Der Umweltsenat sei daher - soweit unionsrechtlich geboten - auch zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 zuständig.
Des Weiteren führt die belangte Behörde aus, dass die Beschwerde zwar als unzulässig zurückgewiesen worden sei und die "erweiterte Bindungswirkung für alle Verwaltungsbehörden und den VfGH" nach §63 Abs1 VwGG nicht bestehe, dass der Verwaltungsgerichtshof jedoch sehr wohl selbst an seine eigenen Beschlüsse gebunden sei und diese Bindungswirkung auch für die belangte Behörde als Verfahrenspartei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gelte. Die belangte Behörde geht daher von einer Bindung an den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes aus und erachtet eine Berufung gegen ihren Bescheid vom 15. April 2009 für zulässig, soweit dies unionsrechtlich geboten sei. Dies sei dann der Fall, wenn "im Rahmen der Behandlung des Rechtsmittels gegen den Bescheid die eingeschränkte Prüfkompetenz des VwGH" den unionsrechtlichen Vorgaben widerspreche. Zum Vorliegen dieser Voraussetzungen führt die belangte Behörde Folgendes aus:
"Im konkreten Fall war die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht nur nach dem UVP-G 2000, sondern bereits aufgrund der UVP-Richtlinie zwingend geboten, weil es sich um den Neubau einer Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke handelt.
Hiezu ist weiters zu prüfen, ob die in der
vorliegenden Berufung enthaltenen Berufungsgründe auch Kritik am von der Behörde festgestellten Sachverhalt hinsichtlich solcher Fragestellungen beinhalten, für die der Wiedereinsetzungswerberin aufgrund der Einwendungen im Rahmen der öffentlichen Auflage Parteistellung zukommt. Im konkreten Fall behandeln sowohl die Einwendung vom 17. Juni 2008 als auch die vorgelegte Berufung das Thema der Luftschadstoffbelastung. Zumindest dieses Thema lässt im Hinblick auf die Einschränkung der Prüfkompetenz des Verwaltungsgerichtshofes die Berufungsmöglichkeit an den Umweltsenat unionsrechtlich geboten erscheinen."
Schließlich befasst sich die belangte Behörde mit der Frage, ob die Bestimmung des §72 Abs4 letzter Satz AVG, wonach gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung kein Rechtsmittel zulässig ist, durch die Bestimmung des Art10a UVP-RL verdrängt werde und vor der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes auch im Fall der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zusätzlich auch noch eine Berufung an den Umweltsenat erforderlich sei: Im konkreten Fall sei dem Antrag der Wiedereinsetzungswerberin vollinhaltlich entsprochen und insbesondere dem hiezu entscheidungsrelevanten Tatsachenvorbringen uneingeschränkt gefolgt worden; auch seitens des Unternehmens seien gegen das Tatsachenvorbringen der Wiedereinsetzungswerberin keine Einwendungen erhoben worden. Für den gegenständlichen verfahrensrechtlichen Bescheid lägen keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Einschränkung der Prüfkompetenz des Verwaltungsgerichtshofes vor, die Anlass zu einer Verdrängung des §72 Abs4 letzter Satz AVG durch Art10a UVP-RL geben könnte.
2. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde
behauptet die beschwerdeführende Partei, in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein.
2.1. Allgemein führt die beschwerdeführende Partei hinsichtlich des Willkürvorwurfs aus, dass die Bindung an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes für den Verfassungsgerichtshof soweit nicht gelte, als er verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vom Verwaltungsgerichtshof angewendete Norm habe oder als der Verwaltungsgerichtshof die Norm entgegen dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung angewendet habe. Letzteres sei im vorliegenden Fall zutreffend; der Verfassungsgerichtshof habe "somit die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs gleichsam als Rechtsauffassung der Bundesministerin objektiv am Maßstab des Verfassungsrechts und nicht aus der Sicht des - eingeschränkten - Entscheidungsspielraums der Bundesministerin zu überprüfen".
Die auf europarechtliche Rechtsschutzanforderungen gestützte Eröffnung des Instanzenzugs an den Umweltsenat durch den Verwaltungsgerichtshof verwundere bereits deshalb, weil dieser diesen Aspekt trotz mehrfacher Gelegenheit noch in keinem einzigen Verfahren betreffend Vorhaben des dritten Abschnitts des UVP-G 2000 aufgegriffen habe; diesbezüglich sei etwa das Erkenntnis betreffend die Genehmigung der Autobahn S 10 zu nennen (VwGH 23.9.2010, 2009/06/0196, 2009/06/0197). In einzelnen Entscheidungen bemängele der Verwaltungsgerichtshof zwar seine eingeschränkte Kognitionsbefugnis, leite daraus letztlich jedoch keine Konsequenzen ab.
2.2. In der näheren Begründung der behaupteten Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vertritt die beschwerdeführende Partei den Standpunkt, dass die vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebene und von der belangten Behörde übernommene Rechtsauffassung einer "ausreichenden europarechtlichen Grundlage" entbehre:
Art 10a UVP-RL verlange nicht, dass die betreffende unabhängige und unparteiische Stelle mit voller Tatsachenkognition ausgestattet sein müsse. Der Verwaltungsgerichtshof leite dieses Erfordernis aus dem allgemeinen Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art47 GRC bzw. Art6 und 13 EMRK ab, übersehe dabei jedoch, dass der EuGH eine auf Rechtsfragen beschränkte gerichtliche Nachprüfung als ausreichend effektiven Rechtsschutz anerkannt habe (EuGH 21.1.1999, Rs. C-120/97 , Upjohn). Diese Wertungsentscheidung müsse erst recht für den Verwaltungsgerichtshof gelten, zumal dieser selbst zu einer eingeschränkten Überprüfung auf Tatsachenebene befugt sei. Gerade in UVP-Verfahren, in welchen sich der maßgebliche Sachverhalt aus den im Akt befindlichen Gutachten ergebe, entsprächen "die Kognitionsbefugnisse des Verwaltungsgerichtshofs" jedenfalls den unionsrechtlichen Anforderungen. In diesem Zusammenhang weist die beschwerdeführende Partei darauf hin, dass die den Parteien nach dem UVP-G bereits im erstinstanzlichen Verfahren zustehenden Rechte und Möglichkeiten deutlich über den in der UVP-RL geforderten Standard hinausgehen würden.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei an den Verwaltungsgerichtshof zum überwiegenden Teil Themen angesprochen habe, die für das gegenständliche UVP-Verfahren generell irrelevant oder längst präkludiert seien; lediglich der Beschwerdepunkt der Luftschadstoffbelastung habe allenfalls Umweltauswirkungen zum Gegenstand, welche vom Verwaltungsgerichtshof zu prüfen gewesen wären. Diesbezüglich habe die mitbeteiligte Partei aber keine eigenen Sachverständigengutachten vorgelegt. Der vorliegende Fall unterscheide sich daher erheblich vom Sachverhalt, der dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs im "Parallelverfahren" zugrunde gelegen habe. Der Verwaltungsgerichtshof hätte diese Besonderheiten in einer Gesamtbetrachtung des Rechtsschutzsystems entsprechend würdigen und zum Ergebnis gelangen müssen, dass die "großzügig eingerichteten Rechtsschutzmöglichkeiten in erster Instanz die seiner Ansicht nach bestehenden - aber jedenfalls geringfügigen - Rechtsschutzdefizite in zweiter Instanz mehr als aufwiegen" würden.
Im Übrigen sei nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes außerhalb des Kernbereichs des Art6 Abs1 EMRK die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof jedenfalls ausreichend.
Es ergebe sich weder aus den Grundsätzen der Art6 und 13 EMRK, noch aus Art47 GRC oder aus Art10a UVP-RL eine unmittelbare Pflicht der Mitgliedstaaten, Rechtsschutzmöglichkeiten mit voller Tatsachenkognition für Berufungen im 3. Abschnitt des UVP-G einzurichten.
2.3. Des Weiteren bringt die beschwerdeführende
Partei vor, dass die im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung selbst unter Zugrundelegung der Annahme, dass der Verwaltungsgerichtshof mangels voller Tatsachenkognition dem Erfordernis des effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht werde, eine gehäufte Verkennung der Rechtslage darstelle:
Das Gebot der Verhältnismäßigkeit verlange, die unterschiedlichen Instrumente zur Durchsetzung des Anwendungsvorrangs nicht beliebig, sondern in bestimmter Reihenfolge anzuwenden; Widersprüche zwischen nationalem Recht und Europarecht seien zunächst mittels europarechtskonformer Auslegung zu lösen. Könne der Konflikt so nicht gelöst werden, seien weitere Besonderheiten zu beachten, da unklar sei, welche konkrete Bestimmung an die Stelle der verdrängten europarechtswidrigen nationalen Verfahrensnorm treten solle. Zu weitgehend und vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips völlig inakzeptabel sei es, aus dem Anwendungsvorrang generell eine Befugnis zur freien Ergänzung des nationalen Rechts abzuleiten. Bei mehreren "Verdrängungslösungen" sei jener der Vorzug zu geben, die die Entscheidung und Wertungen des nationalen Gesetzgebers soweit wie möglich berücksichtige.
So hätte der Verwaltungsgerichtshof nicht den Rechtsweg zum Umweltsenat eröffnen, sondern stattdessen die Wortfolge "aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" in §41 Abs1 VwGG unangewendet lassen müssen. Dagegen sei auf Grund des Wortlauts des §40 Abs1 UVP-G 2000 die Begründung der Zuständigkeit des Umweltsenats für Vorhaben nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 durch Verdrängung gar nicht möglich; eine Ergänzung sei durch den europarechtlichen Anwendungsvorrang jedoch nicht gedeckt.
2.4. Darüber hinaus sieht die beschwerdeführende
Partei im angefochtenen Bescheid einen Verstoß gegen den Grundsatz der doppelten Bindung:
Bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in das nationale Recht habe der Gesetzgeber auch das österreichische Verfassungsrecht zu beachten; dies gelte auch für die Auslegung der Umsetzungsnorm durch Behörden oder Gerichte. Während die Erweiterung der Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes durch partielle Nichtanwendung des §41 Abs1 VwGG lediglich die Verdrängung einer einfachgesetzlichen Bestimmung erfordere, sei die Begründung der Zuständigkeit des Umweltsenates für Vorhaben nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 verfassungswidrig, da die Bundesministerin oberstes Organ der Verwaltung iSd Art19 B-VG sei (s. VfSlg. 15.578/1999). Außerdem fehle eine entsprechende kompetenzrechtliche Grundlage, da die Vollziehung des dritten Abschnitts des UVP-G 2000 nach Art10 Abs1 Z9 B-VG eine Bundesangelegenheit sei, für die der Rechtszug an den Umweltsenat nicht in Betracht komme. Im Übrigen sei der Verwaltungsgerichtshof nach der Konzeption des B-VG nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen beschränkt.
2.5. Weiters rügt die beschwerdeführende Partei unter dem Gesichtspunkt der Gleichheitswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auch die Unterlassung der Berücksichtigung des Grundrechts auf Vertrauensschutz:
Die beschwerdeführende Partei habe als
Antragstellerin darauf vertrauen dürfen, dass ihr Antrag im Falle einer Genehmigung durch die Bundesministerin nur mehr der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof unterliege. Die - überraschend eröffnete - Möglichkeit einer Berufung an den Umweltsenat stelle eine erhebliche Verfahrensverzögerung, die mit beträchtlichen Mehrkosten verbunden sei, dar. Die Frage des Vertrauensschutzes und damit des Grundsatzes von Treu und Glauben werde jedoch gänzlich übergangen; in verfassungskonformer Auslegung hätte der Verwaltungsgerichtshof statt der Schaffung eines neuen Instanzenzuges seine eigene Kognitionsbefugnis ausweiten und so das berechtigte Vertrauen der beschwerdeführenden Partei schützen müssen. Da die Bundesministerin diesen Umstand erkannt habe, sei im Bescheid zumindest betreffend einzelne Aspekte des Bauvorhabens die aufschiebende Wirkung der Berufung ausgeschlossen worden; dadurch werde das Vertrauen aber nur in engen Grenzen geschützt.
2.6. Schließlich gibt die beschwerdeführende Partei auch zu bedenken, dass die Frage der Zuständigkeit in Rechtsmittelverfahren nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 bzw. ihre Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof zu uneinheitlichen Instanzenzügen führe:
Bei reinen Rechtsfragen oder bei Tatsachenfragen, die der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner beschränkten Tatsachenkognition noch erledigen könne, bliebe es bei der gesetzlich vorgesehenen Zuständigkeitsordnung, während in anderen Fällen erst "außergesetzlich" ein Tribunal gefunden werden müsste; dies würde in Zukunft erhebliche praktische Probleme und Rechtsunsicherheiten mit sich bringen.
2.7. Außerdem wird in der Beschwerde auch die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet:
Da im vorliegenden Fall bei verfassungskonformer
Auslegung die Berufung an den Umweltsenat ausgeschlossen sei, bestehe auch keine Zuständigkeit der Bundesministerin, über eine Wiedereinsetzung zu entscheiden, und wäre der Wiedereinsetzungsantrag daher zurückzuweisen gewesen. Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung nehme die Bundesministerin daher eine ihr nach dem Gesetz nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten
vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch unter Verweis auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 30.9.2010, 2009/03/0067, 2009/03/0072, sowie 30.9.2010, 2010/03/0051, 2010/03/0055), an welche sie sich als gebunden erachte und deren Bindungswirkung von der beschwerdeführenden Partei auch nicht bestritten worden sei, sowie auf die Begründung des angefochtenen Bescheides abgesehen.
4. Die mitbeteiligte Partei beantragt in ihrer
Äußerung die Zurück- bzw. Abweisung der Beschwerde oder die Ablehnung der Beschwerdebehandlung unter Kostenersatz. Sie weist darauf hin, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. September 2010, 2009/03/0067, 2009/03/0072, bereits in Rechtskraft erwachsen sei. Würde der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben werden, so wäre der zugrundeliegende (Genehmigungs-)Bescheid der belangten Behörde vom 15. April 2009 niemals einer Prüfung zugeführt worden und rechtskräftig. Die beschwerdeführende Partei hätte sich in ihrer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, somit an den "Sonderverwaltungsgerichtshof", auf eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung und allfälligen damit einhergehenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen beschränken müssen. Die europarechtliche Argumentation der beschwerdeführenden Partei könne hier nun nicht mehr Gegenstand sein.
Im Übrigen sei das "Überspringen einer Instanz" zum Zweck der Auseinandersetzung mit einer Entscheidung der vorangegangenen Behörde bereits einfachgesetzlich nicht möglich. Ausführungen zur (Nicht-)Bindung des Verfassungsgerichtshofes seien hier nicht aufzugreifen, zumal die Beschwerde nicht den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes, sondern den Bescheid der Bundesministerin bekämpfe. Der angefochtene Bescheid stelle keine willkürliche behördliche Rechtsanwendung dar, sondern die Überbindung und Ausführung einer vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen Entscheidung auf bzw. durch die belangte Behörde.
5. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst wurde
eingeladen, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob in dem dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Verfahren die Entscheidung durch eine nicht als Gericht iSd Art6 EMRK eingerichtete Verwaltungsbehörde verbunden mit der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ausreichend ist, um die Anforderungen des Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. des Art6 EMRK zu erfüllen. In Beantwortung dieses Ersuchens nimmt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst insbesondere wie folgt Stellung:
"1. In Art6 (und 13) MRK ist - so der EuGH ua. in den Urteilen vom 11. Jänner 2001, C-226/99 , Siples Srl, Rn 17, sowie vom 25. Juli 2002, C-459/99 , MRAX, Rn 101 - ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, nämlich der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, verankert. Dieser Grundsatz ist - so der EuGH im Urteil vom 18. März 2010, C-317/08 , Alassini, Rn 61, weiter - durch Art47 der Grundrechtecharta bekräftigt worden. Art47 Abs2 der Grundrechtecharta entspricht - ohne eine Beschränkung auf zivilrechtliche Ansprüche vorzusehen - Art6 Abs1 MRK (vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union3, Art47 Rz 1; Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art47, Rz 20).
Dass im vorliegenden Fall eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde verbunden mit der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof diesen Grundsatz verletzen würde, ist für das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst nicht ersichtlich. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt zwar im Rahmen seiner Prüfung keine volle Kognitionsbefugnis hinsichtlich des Tatsachenbereichs zu (vgl. §41 Abs1 VwGG); dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes eine derartige Befugnis jedenfalls verlangen würde, ergibt sich jedoch weder aus den oben zitierten Urteilen noch aus anderen Entscheidungen des EuGH.
1.1. Im Urteil vom 21. Jänner 1999, Rs C-120/97 ,
Upjohn, hat sich der EuGH mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine bestimmte Richtlinie und das Gemeinschaftsrecht allgemein die Mitgliedstaaten verpflichten, in bestimmten Angelegenheiten ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung einzuführen, das die nationalen Gerichte ermächtigt, 'ihre Würdigung des Sachverhaltes [...] an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die [...] zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben'. Der EuGH hat diese Frage verneint; es sei nicht ersichtlich, dass nur eine solche Ermächtigung geeignet sei, 'zu verhindern, dass die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden' (Rn 33). Dies ergebe sich daraus, dass eine Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgaben komplexe Prüfungen vorzunehmen hat, dabei über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, dessen Wahrnehmung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, die nicht einschließt, dass der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts an die Stelle derjenigen dieser Behörde setzt. Der EuGH hat es daher für den Fall, dass das Unionsrecht eine komplexe Beurteilung vorsieht und einen Ermessensspielraum einräumt, für nicht geboten erachtet, dass die nachprüfende gerichtliche Kontrolle weitergehend ist, als sie der EuGH in vergleichbaren Fällen vornimmt (Rn 35).
Wenn in einem konkreten Verfahren 'Tatsachen,
insbesondere Art und Ausmaß von Umweltauswirkungen eines Vorhabens, im besonderen Maße entscheidend für die Genehmigungsfähigkeit des Projekts' sind (so der VwGH in seinem Beschluss vom 30. September 2010, Zl. 2010/03/0051, 2010/03/0055, zum Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung), so dürfte dies dahin deuten, dass es sich um einen jener Fälle handelt, die der EuGH vor Augen hat, wenn er im Urteil Upjohn davon spricht, dass die Behörde 'im Rahmen ihrer Aufgaben komplexe Prüfungen vorzunehmen hat' (vgl. auch Potacs, Kein EU-Rechtsschutz durch den österreichischen Verwaltungsgerichtshof?, ZÖR 2011, 119-133 [hier: 132]).
1.2. Im Urteil vom 19. September 2006, Rs C-506/04 , Wilson, Rn 61, hat der EuGH ausgesprochen, dass Art9 der Richtlinie 98/5/EG zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs einen effektiven Zugang zu einem für eine Entscheidung über die Sach- und Rechtslage zuständigen Gericht verlange; ein Gericht, dessen Zuständigkeit auf Rechtsfragen beschränkt sei, verfüge nicht über die volle gerichtliche Zuständigkeit. Ob diese Aussagen verallgemeinert werden können und somit als Aussagen über den Inhalt des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutz schlechthin gedeutet werden können, ist fraglich (vgl. Wiederin, Anmerkung zu VwGH 30.9.2010, 2010/03/0051-16, 2010/03/0055-13, wbl 2011, 56 f). Aber selbst wenn man sie für verallgemeinerungsfähig hält, stellt sich die Frage, ob darin eine Abkehr von der im Urteil Upjohn vertretenen Auffassung liegt oder ob bloß in dem, dem Urteil Wilson zu Grunde liegenden Fall die Behörde, gegen deren Entscheidung das Gericht angerufen wurde, im Rahmen ihrer Aufgaben gerade keine 'komplexe[n] Prüfungen' vorzunehmen hatte (vgl. Potacs, aaO, 132).
2. Bezieht man die seitens des EGMR ergangene
Judikatur zu Art6 MRK in die Betrachtung ein, so gelangt man zu keinem anderen Ergebnis:
2.1. Dass der Verwaltungsgerichtshof keine Befugnis zur umfassenden Tatsachenkognition besitzt, wurde bereits erwähnt (vgl. Punkt 1). Weder darf der Gerichtshof eine Beweisaufnahme durchführen, noch darf er an die Stelle der Beweiswürdigung der belangten Behörde die eigene Beweiswürdigung setzen. Allerdings ist er im Rahmen der Kontrolle der Einhaltung der Verfahrensvorschriften (§42 Abs2 Z3 VwGG) befugt, die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde zu überprüfen.
Zu beachten ist, dass der EGMR bei der Beurteilung der Verletzung des Art6 MRK - im Bereich der civil rights - nicht darauf abstellt, ob eine Rechtslage den sich aus Art6 MRK ergebenden Anforderungen abstrakt entspricht; geprüft wird vielmehr, ob die Garantien im konkreten Fall gewahrt wurden. Der EGMR hat mehrfach ausgesprochen, dass der Umfang der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs bei der Bescheidprüfung unter den Umständen des konkreten Falles ('in the circumstances of the case') mit Art6 Abs1 MRK vereinbar ist: Im Fall Zumtobel (Urteil vom 21. September 1993, 12235/86) erachtete es der EGMR für ausreichend, dass der Verwaltungsgerichtshof das Vorbringen Punkt für Punkt auf seine Begründetheit geprüft hatte, ohne seine Zuständigkeit bei dieser Prüfung oder bei der Feststellung des Sachverhalts verneinen zu müssen. In weiterer Folge hat der EGMR in keinem Fall eine Verletzung des Art6 MRK allein wegen der beschränkten Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes angenommen (vgl. Grabenwarter, Art6 EMRK, Rz 46 [2007], in: Korinek/Holoubek [Hrsg], Bundesverfassungsrecht).
2.2. Aus der Judikatur des EGMR (vgl. das Urteil
Zumtobel, Rz 31, sowie die Urteile vom 26. Juni 1986, 8543/79 ua., van Marle, Rz 36, vom 22. November 1995, 19178/91, Bryan, Rz 47, und vom 26. April 1995, 16992/90, Fischer, Rz 34) wurde in der Lehre abgeleitet, dass für den Bereich der civil rights in bestimmten Fällen die Befugnisse zur gerichtlichen Nachprüfung der Sachverhaltsannahmen der Verwaltungsbehörde zurückgenommen werden können. Dies gelte für Fälle, in denen die Verwaltungsbehörde bereits im Rahmen der Sachverhaltsermittlung 'Annahmen der Unsicherheit' treffen muss; dazu zählen Entscheidungen mit Prognosen über künftige Entwicklungen und Entscheidungen, die Gefahrprognosen enthalten (vgl. Grabenwarter, Verfahrensgarantien der Verwaltungsgerichtsbarkeit [1997], 427). Wenn die Sachverhaltsermittlung weitgehend auf sachverständigen Prognosen beruht, die notwendigerweise einer gewissen Unsicherheit unterliegen, dann würde eine Wiederholung der Sachverhaltsermittlung durch das Gericht diese Unsicherheit nicht eliminieren; eine solche Wiederholung würde daher auch zu keiner Verbesserung des Rechtsschutzes beitragen (vgl. Potacs, aaO, 131). Hier sei es daher nicht erforderlich, dass das nachprüfende Gericht die eigenen Annahmen an die Stelle der Annahmen der Verwaltungsbehörde setze; vielmehr sei eine Überprüfung der Sachverhaltsannahmen auf grobe Fehler ausreichend (vgl. Grabenwarter, Verfahrensgarantien, 427).
Nach Auffassung des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst ist davon auszugehen, dass Verfahren nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000, in denen Einschätzungen und Prognosen über Umweltauswirkungen eine maßgebliche Rolle spielen, zu jenen Fällen zählen, bei denen nach der oben dargestellten Judikatur des EGMR die Befugnisse zur gerichtlichen Nachprüfung der Sachverhaltsannahmen der Verwaltungsbehörde zurückgenommen werden können (vgl. auch Potacs, aaO, 131).
3. Der Vollständigkeit halber wird schließlich auch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes erwähnt, wonach - unter Bezugnahme auf das EGMR-Urteil Zumtobel - die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof bei verfassungskonformer Wahrnehmung seiner Zuständigkeit den Anforderungen an ein unabhängiges und unparteiliches Tribunal nach Art6 MRK genügt (vgl. zuletzt VfSlg. 18.446/2008)."
6. Der Verfassungsgerichtshof führte am 16. Juni 2011 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der die Parteien insbesondere zur Frage Stellung nahmen, ob der Verwaltungsgerichtshof den Anforderungen an ein Gericht iSd Art10a der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten idF der Richtlinie 2003/35/EG bzw. des Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht.
II.
Die maßgebliche Rechtslage stellt sich dar wie folgt:
1. Die entscheidungsrelevanten Bestimmungen des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000, BGBl. 697/1993 idF BGBl. I 87/2009 (in der Folge: UVP-G 2000), lauten:
"3. ABSCHNITT
UMWELTVERTRÄGLICHKEITSPRÜFUNG FÜR BUNDESSTRASSEN UND
HOCHLEISTUNGSSTRECKEN
...
Anwendungsbereich für Hochleistungsstrecken
§23b. (1) Für folgende Vorhaben von Hochleistungsstrecken, die nicht bloß in Ausbaumaßnahmen auf bestehenden Eisenbahnen bestehen, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung (§1) nach diesem Abschnitt durchzuführen:
1. Neubau von Eisenbahn-Fernverkehrsstrecken oder
ihrer Teilabschnitte, Neubau von sonstigen Eisenbahnstrecken oder ihrer Teilabschnitte auf einer durchgehenden Länge von mindestens 10 km,
2. Änderung von Eisenbahnstrecken oder ihrer
Teilabschnitte auf einer durchgehenden Länge von mindestens 10 km, sofern die Mitte des äußersten Gleises der geänderten Trassen von der Mitte des äußersten Gleises der bestehenden Trasse mehr als 100 m entfernt ist.
(2) - (4) ...
Verfahren, Behörde
§24. (1) Wenn ein Vorhaben gemäß §23a oder §23b einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, hat der Bundesminister/die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie die Umweltverträglichkeitsprüfung und ein teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren durchzuführen. In diesem Genehmigungsverfahren hat er/sie alle jene nach den bundesrechtlichen Verwaltungsvorschriften für die Ausführung des Vorhabens erforderlichen materiellen Genehmigungsbestimmungen anzuwenden, die ansonsten von ihm/ihr oder einem/einer anderen Bundesminister/in in erster Instanz zu vollziehen sind. Der Landeshauptmann kann mit der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung und des teilkonzentrierten Genehmigungsverfahrens ganz oder teilweise betraut werden, wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gelegen ist.
(2) - (11) ...
...
§40. (1) In den Angelegenheiten des ersten und
zweiten Abschnittes ist der Umweltsenat, auch im Fall einer Delegation gemäß §39 Abs1 vierter Satz, nicht jedoch in Verfahren gemäß §45, Berufungsbehörde und sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne der §§5, 68 und 73 AVG. Er entscheidet auch über Wiederaufnahmsanträge nach §69 AVG.
(2) - (3) ..."
2. §5 des Bundesgesetzes über den Umweltsenat, BGBl. I 114/2000 (in der Folge: USG), lautet:
"Kompetenzen des Umweltsenates
§5. Der Umweltsenat entscheidet über Berufungen in Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes, BGBl. Nr. 697/1993. Er ist in diesen Angelegenheiten sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinn der §§5, 68 und 73 AVG und entscheidet über Anträge auf Wiederaufnahme nach §69 AVG."
3. Die entscheidungsrelevanten Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG, BGBl. 10/1985 idF BGBl. I 111/2010, lauten:
"Prüfung des angefochtenen Bescheides
§41. (1) Der Verwaltungsgerichtshof hat, soweit er nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde oder wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gegeben findet (§42 Abs2 Z2 und 3) und nicht §38 Abs2 anwendbar ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte (§28 Abs1 Z4) oder im Rahmen der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§28 Abs2) zu überprüfen. Ist er der Ansicht, daß für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Bescheides in einem der Beschwerdepunkte oder im Rahmen der Erklärung über den Umfang der Anfechtung Gründe maßgebend sein könnten, die einer Partei bisher nicht bekanntgegeben wurden, so hat er die Parteien darüber zu hören und, wenn nötig, eine Vertagung zu verfügen.
(2) In den Fällen des Art132 B-VG hat der Gerichtshof den Sachverhalt unter Bedachtnahme auf §36 Abs9 festzustellen.
Erkenntnisse
§42. (1) Der Verwaltungsgerichtshof hat alle
Rechtssachen, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt, mit Erkenntnis zu erledigen. Das Erkenntnis hat, abgesehen von den Fällen der Säumnisbeschwerden (Art132 B-VG), entweder die Beschwerde als unbegründet abzuweisen oder den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
(2) Der angefochtene Bescheid ist aufzuheben
1. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes,
- 2. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der
belangten Behörde,
- 3. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von
Verfahrensvorschriften, und zwar weil
- a) der Sachverhalt von der belangten Behörde in einem
wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde
oder
- b) der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer
Ergänzung bedarf oder
- c) Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden,
bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem
anderen Bescheid hätte kommen können.
(3) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Abs2 tritt die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte.
(4) In den Fällen des Art132 B-VG kann der Verwaltungsgerichtshof sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgebender Rechtsfragen beschränken und der belangten Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiemit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Macht der Verwaltungsgerichtshof von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch oder kommt die belangte Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet er über die Säumnisbeschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei er auch das sonst der Verwaltungsbehörde zustehende freie Ermessen handhabt.
...
Vollstreckung
§63. (1) Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Beschwerde gemäß Art131 B-VG stattgegeben hat, sind die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
(2) ..."
4. Bei der Beurteilung der vorliegenden Beschwerde spielen die im Folgenden genannten Bestimmungen des Unionsrechts eine Rolle.
4.1. Art10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 1985 L 175, idF der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. 2003 L 156/17 (in der Folge: UVP-RL), lautet:
"Artikel 10a
Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer
innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die
a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ
b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,
Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.
Die Mitgliedstaaten legen fest, in welchem
Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können.
Was als ausreichendes Interesse und als
Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 1 Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfuellt, als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a) dieses Artikels. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b) dieses Artikels verletzt werden können.
Dieser Artikel schließt die Möglichkeit eines
vorausgehenden Überprüfungsverfahrens bei einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis einer Ausschöpfung der verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.
Die betreffenden Verfahren werden fair, gerecht,
zügig und nicht übermäßig teuer durchgeführt.
Um die Effektivität dieses Artikels zu fördern,
stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Öffentlichkeit praktische Informationen über den Zugang zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren zugänglich gemacht werden."
4.2. Maßgeblich sind weiters folgende Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. 2007 C 303 idF ABl. 2010 C 83 (in der Folge: GRC):
"Artikel 47
Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein
unparteiisches Gericht
Jede Person, deren durch das Recht der Union
garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Personen, die nicht über ausreichende Mittel
verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.
...
Artikel 51
Anwendungsbereich
(1) Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.
(2) Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.
Artikel 52
Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze
(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
(2) Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, erfolgt im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen.
(3) Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.
(4) Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt
werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt.
(5) Die Bestimmungen dieser Charta, in denen
Grundsätze festgelegt sind, können durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Rechts der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt werden. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden.
(6) Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen.
(7) Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen."
III.
Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:
1. Der Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde
könnte insoweit das Prozesshindernis der fehlenden Erschöpfung des Instanzenzuges entgegenstehen, als sich - wie im angefochtenen Bescheid aufgeworfen wird - die Frage stellt, ob der Anwendungsvorrang des Unionsrechts die Möglichkeit der Berufung an den Umweltsenat und insoweit die Verdrängung des §72 Abs4 letzter Satz AVG gebietet.
2. Die belangte Behörde selbst wirft im angefochtenen Bescheid die Frage auf, ob - entgegen der Bestimmung des §72 Abs4 letzter Satz AVG - vor der Erhebung der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder den Verwaltungsgerichtshof noch eine Berufung an den Umweltsenat gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung offen stehe, und führt aus, dass dem Antrag der Wiedereinsetzungswerberin vollinhaltlich entsprochen und dabei maßgeblichen Tatsachenvorbringen uneingeschränkt gefolgt worden sei. Eine - Anlass zur Verdrängung des §72 Abs4 letzter Satz AVG durch Art10a UVP-Richtlinie gebende - Einschränkung der Prüfkompetenz des Verwaltungsgerichtshofes sei nicht anzunehmen.
3. Mit dieser Einschätzung ist die belangte Behörde - im Ergebnis - im Recht. Entgegen ihrer Auffassung kommt es aber nicht darauf an, ob dem Antrag der Wiedereinsetzungswerberin entsprochen und maßgeblichen Tatsachenvorbringen gefolgt wurde. Vielmehr kommt ein Vorrang des Unionsrechts aus den von der Behörde in den Raum gestellten Gründen von vornherein nicht in Betracht (zur Begründung näher unten IV.3. bis 6.). Die Beschwerde ist daher zulässig.
IV.
Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde in der Sache erwogen:
1. Die beschwerdeführende Partei behauptet eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz durch Unterstellung eines gleichheitswidrigen Inhalts und gehäufte Verkennung der Rechtslage (Willkür) sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB
VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Eine Verletzung in diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht kann sich auch aus einer im Zusammenhang mit dem Unionsrecht stehenden Gesetzesanwendung durch die belangte Behörde ergeben. Der Verfassungsgerichtshof hat die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Unionsrecht freilich nur dann selbst zu beurteilen, wenn diese Frage "derart offenkundig" ist, dass "keinerlei Raum für vernünftige Zweifel" bleibt (EuGH 6.10.1982, Rs. 283/81, CILFIT, Slg. 1982, I-3415, Rz 16). In anderen, keinen offenkundigen Widerspruch zum Unionsrecht zu Tage bringenden Fällen jedoch stellt ein Verstoß gegen Unionsrecht keine Verfassungsverletzung dar und ist dieser daher vom Verfassungsgerichtshof nicht aufzugreifen (VfSlg. 14.886/1997, 15.583/1999).
Vor diesem Hintergrund kann eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch darin liegen, dass die belangte Behörde zu Unrecht einen offenkundigen Widerspruch zwischen innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften und Unionsrecht verneint oder aber umgekehrt einen solchen annimmt und in der Folge Zuständigkeitsvorschriften des innerstaatlichen Rechts unangewendet lässt, obwohl ein Widerspruch zum Unionsrecht offenkundig auszuschließen ist.
3. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil der
belangten Behörde insofern ein verfassungsrechtlich relevanter Vollzugsfehler anzulasten ist, als diese unter Berufung auf das Recht der Europäischen Union die in §40 Abs1 UVP-G 2000 und §5 USG vorgesehene Beschränkung der Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnitts des UVP-G 2000 nicht anwendet, dementsprechend das Bestehen eines Instanzenzugs an den Umweltsenat annimmt und infolgedessen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ausspricht:
3.1. Zunächst ist festzuhalten, dass die Zurückweisung einer Beschwerde der mitbeteiligten Partei durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes für ein neuerliches Verfahren vor diesem über denselben Streitgegenstand Bindungswirkung für die belangte Behörde (als Partei) entfaltet, eine "erweiterte" Bindungswirkung iSd §63 Abs1 VwGG mangels eines stattgebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht zum Tragen kommt (Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, 184 und 186; VwGH 23.6.1987, 87/07/0060).
Aber auch insoweit, als die Behörde eine Selbstbindung des Verwaltungsgerichtshofes und damit der belangten Behörde als Verfahrenspartei annimmt, besteht eine Bindung der belangten Behörde an den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nur insoweit, als dieser darin seine Unzuständigkeit ausspricht. Hinsichtlich der Zuständigkeit einer (anderen) Verwaltungsbehörde zur Entscheidung über eine Berufung gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 15. April 2009 entfaltet der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes keine Bindungswirkung.
3.2. Die belangte Behörde nimmt an, dass im konkreten Fall gegen den auf den dritten Abschnitt des UVP-G gestützten Genehmigungsbescheid entgegen der Bestimmung des §40 Abs1 UVP-G 2000 die Berufung an den Umweltsenat offen steht, da in Angelegenheiten, in denen unionsrechtlich die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung geboten sei, ein Tribunal iSd Art6 EMRK mit voller Kognition zu entscheiden habe und der Verwaltungsgerichtshof dieses Erfordernis auf Grund seiner eingeschränkten Kognitionsbefugnis nicht erfülle. Mit dieser Annahme ist sie nicht im Recht.
3.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Verfahren nach Art131 Abs1 Z1 B-VG den Bescheid gemäß §41 Abs1 VwGG "auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalts" zu überprüfen. Dem Verwaltungsgerichtshof ist dabei die Überprüfung von Tatsachenfeststellungen und -annahmen der Behörde nicht verwehrt: So ist der Verwaltungsgerichtshof nicht schlechthin an die Tatsachenfeststellungen der belangten Behörde gebunden, sondern nur insoweit, als diese in einem von wesentlichen Mängeln freien Verfahren getroffen wurden (zB VwGH 14.12.1995, 94/18/0398); die Erwägungen der Behörde bei der Beweiswürdigung selbst unterliegen der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung auf ihre Schlüssigkeit (VwGH 25.5.2005, 2003/17/0257). Der Verwaltungsgerichtshof hat den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt auf dessen Vollständigkeit zu prüfen und allenfalls den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß §42 Abs2 Z3 VwGG aufzuheben, wenn der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, der Ergänzung bedarf oder bei seiner Ermittlung Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (zB VwGH 17.12.1997, 96/21/0628).
Diese Vorschriften ermöglichen es dem Verwaltungsgerichtshof, in einer mit dem gerichtlichen Verfahren vergleichbaren und wirksamen Weise ausreichende Tatsachengrundlagen zu erarbeiten, um die maßgebliche Rechtsfrage beurteilen zu können (Martin Köhler, Die Europäische Union und die Gerichtsbarkeit öffentlichen Rechts, Referat, 14. ÖJT [2001] Bd. I/2, 113 [128]), indem er sich nach seiner eigenen Rechtsprechung zu einer - wenngleich beschränkten - Kontrolle der Beweiswürdigung, im Regelfall aber nicht zu eigenen Beweisaufnahmen befugt sieht (Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, 343 ff. mwN; weiter gehend Ringhofer, Der Sachverhalt im verwaltungsgerichtlichen Bescheidprüfungsverfahren, in: Lehne/Loebenstein/ Schimetschek [Hrsg.], Die Entwicklung der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes, 1976, 351; weitere Judikaturnachweise bei Lang, Rechtswidrigkeit infolge Aktenwidrigkeit oder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts, in Holoubek/Lang [Hrsg.], Das verwaltungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, 1999, 135; Schick, Rechtswidrigkeit infolge entscheidungsrelevanter Verletzung von Verfahrensvorschriften, aaO, 149; Holoubek, Tatsachen- und Rechtskontrolle, aaO, 169).
3.4. Art19 Abs1 EUV verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Schaffung der erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist. Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes bildet einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, der sich sowohl aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, als auch in den Art6 und 13 EMRK verankert ist und von Art47 GRC bekräftigt wurde (EuGH 18.3.2010, verb. Rs. C-317/08 , C-318/08 , C-319/08 , C-320/08 , Alassini ua., noch nicht in amtlicher Slg., Rz 61). Gemäß Art47 Abs2 GRC hat jede Person - in einem Fall der "Durchführung des Rechts der Union" wie diesem, der in den Anwendungsbereich der Grundrechtecharta fällt (Art51 Abs1 GRC) - ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
Für die Auslegung des Art47 Abs2 GRC ist Art6 EMRK heranzuziehen. Gemäß Art52 Abs3 GRC haben jene Chartarechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird. Der Wortlaut des Art47 Abs2 GRC entspricht in wesentlichen Teilen jenem des Art6 Abs1 EMRK. Auch nach den Erläuterungen zur Grundrechtecharta - die auch vom Verfassungsgerichtshof "gebührend zu berücksichtigen" sind (Art52 Abs7 GRC) - entspricht Art47 Abs2 GRC dem Art6 Abs1 EMRK (ABl. 2007 C303/29).
3.5. Anders als Art6 EMRK enthält Art47 GRC keine Beschränkung des Schutzbereichs auf Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ("civil rights and obligations") und auf Strafverfahren. Insoweit ist Art6 EMRK für die Auslegung des Art47 Abs2 GRC ohne Bedeutung.
Wohl aber bestimmt Art6 EMRK die Auslegung des Gerichtsbegriffs der Grundrechtecharta. Aus dem Gleichklang der in beiden Grundrechten explizit genannten Anforderungen an ein Gericht (unabhängig, unparteiisch, auf Gesetz beruhend bzw. zuvor durch Gesetz errichtet) ist abzuleiten, dass auch jene Anforderungen an ein Gericht, die nicht ausdrücklich Niederschlag im Text gefunden haben, sondern in der Rechtsprechung des EGMR zu Art6 EMRK entwickelt wurden, in der von der Rechtsprechung geprägten Weise für die Auslegung des Art47 Abs2 GRC maßgeblich sind. Zu diesen gehören im Besonderen die Entscheidungsbefugnisse und die Kontrolldichte - in der Diktion des Verwaltungsgerichtshofes und der belangten Behörde: die Kognitionsbefugnis - des Gerichts.
3.6. Die Rechtsprechung des EGMR zur von Art6 EMRK für ein nachprüfendes Tribunal erforderlichen Kontrolldichte differenziert zunächst zwischen Strafverfahren und Verfahren über "civil rights". Für erstere lässt er eine kassatorische Entscheidungsbefugnis mit einer beschränkten Kontrollbefugnis in Tatsachenfragen, wie sie dem Verwaltungsgerichtshof zukommt, in ständiger Rechtsprechung nicht genügen (vgl. EGMR 23.10.1995, Fall Schmautzer, Appl. 15.523/89; 23.10.1995, Fall Gradinger, Appl. 15.963/90; 20.12.2001, Fall Baischer, Appl. 32.381/96; vgl. ferner EGMR 9.6.1998, Fall Incal, Appl. 22.678/93).
Für Verfahren über "civil rights" war Ende der Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts beim damaligen Stand der Rechtsprechung des EGMR zweifelhaft, ob eine beschränkte Tatsachenkognition Art6 EMRK entspreche (vgl. EGMR 23.6.1981, Fall Le Compte, Van Leuven and de Meyere, Appl. 6878/75, 7238/75; EGMR 10.2.1983, Fall Albert and Le Compte, Appl. 7299/75, 7496/76). Der Verfassungsgerichtshof hielt der Rechtsprechung des EGMR in dieser Situation entgegen, dass die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes diesen Anforderungen zumindest dann genüge, wenn die "in Rede stehenden Streitigkeiten nicht über 'civil rights' selbst entstanden" seien, "sondern solche nur in ihren Auswirkungen betreffen". Außerhalb der traditionellen Ziviljustiz müsse eine nachprüfende Kontrolle durch ein Tribunal - wie jene des Verwaltungsgerichtshofes - jedenfalls dann als ausreichend angesehen werden, wenn diese dem Gericht die Gelegenheit gebe, "sich von der Richtigkeit der Lösung sowohl der Tat- wie der Rechtsfrage zu überzeugen" (VfSlg. 11.500/1987; vgl. auch VfSlg. 11.645/1988 zum straßenrechtlichen Baubewilligungsverfahren, 15.149/1998 mwN).
3.7. In der Folge entwickelte der EGMR - beginnend mit dem Urteil im Fall Zumtobel im Jahr 1993 - eine auf den Einzelfall bezogene Rechtsprechung, die darauf abstellte, dass die Entscheidung in der betreffenden Angelegenheit nicht ausschließlich im Ermessen der Verwaltungsbehörden lag, sondern von der Erfüllung gesetzlicher Voraussetzungen abhängig war, deren Einhaltung der Verwaltungsgerichtshof überprüfen konnte. Im konkreten Fall sah der EGMR - unter Berücksichtigung der Art der vorgebrachten Beschwerdepunkte und des für diese erforderlichen Prüfungsumfangs - die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes als den Erfordernissen des Art6 Abs1 EMRK entsprechend an, da dieser keinen der Beschwerdepunkte wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen, sondern jeden einzelnen auf seine inhaltliche Begründetheit überprüft hatte (EGMR 21.9.1993, Fall Zumtobel, Appl. 12.235/86, ÖJZ 1993, 782, Z31 f.; so auch EKMR 13.10.1993, Fall Geyer, Appl. 16.789/90, ÖJZ 1994, 520, sowie zur Erteilung einer Baubewilligung EGMR 25.11.1994, Fall Ortenberg, Appl. 12.884/87, ÖJZ 1995, 225, und zur Erteilung einer wasserrechtlichen Deponiegenehmigung EGMR 26.4.1995, Fall Fischer, Appl. 16.922/90). Erst jüngst bestätigte der EGMR - in einem das Ausländerbeschäftigungsrecht betreffenden Fall - die Tribunalqualität des Verwaltungsgerichtshofes, da es keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass dessen Kognitionsbefugnis den Anforderungen des Art6 Abs1 EMRK nicht genügt hätte (EGMR 10.12.2009, Fall Koottummel, Appl. 49.616/06, mit Verweis auf das im Wesentlichen gleichlautende Urteil des EGMR 10.11.2005, Fall Schelling, Appl. 55.193/00; vgl. ferner zum Vereinigten Königreich EGMR 22.11.1995, Fall Bryan, Appl. 19.178/91).
3.8. Dieser Rechtsprechung des EGMR ist der Verfassungsgerichtshof stets gefolgt, wobei er in jüngerer Zeit, ohne auf die Unterscheidung zwischen Kernbereich und Randbereich des Zivilrechts Bezug zu nehmen, wiederholt angenommen hat, dass die - in verfassungskonformer Weise wahrgenommene - nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes in Streitigkeiten über ein "civil right" den Anforderungen an ein unabhängiges und unparteiliches Tribunal nach Art6 EMRK genügt (vgl. VfSlg. 18.446/2008 zum Anspruch einer Gemeinde gegen eine Agrargemeinschaft auf Zahlung von über die land- und forstwirtschaftliche Nutzung hinausgehenden Erträgnissen aus dem Gemeindegut; ferner zum Dienstrecht VfSlg. 18.309/2007 und 18.927/2009).
3.9. Im Ergebnis erfüllt der Verwaltungsgerichtshof bei verfassungs- und konventionskonformer Wahrnehmung seiner gesetzlichen Befugnisse zur Sachverhaltskontrolle im Allgemeinen und im Besonderen auch in Verfahren wie jenem, das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt, die Anforderungen an ein Gericht im Sinne des Art6 EMRK (Grabenwarter, aaO, 460 ff.; Marx, Verfahrensgarantien in Zivil- und Strafsachen, in Heißl [Hrsg.], Handbuch Menschenrechte, 2009, Rz 26/26; Matthias Köhler, Entscheidungsanmerkung , RdU 2011, 30 [33 f.]).
4. Daraus folgt, dass der Verwaltungsgerichtshof auch für die korrespondierende grundrechtliche Garantie im Recht der Union als Gericht mit hinreichender Kontrollbefugnis in Tatsachenfragen anzusehen ist. Dem entspricht auch die Rechtsprechung des EuGH, die vor In-Kraft-Treten der Grundrechtecharta ergangen ist. Ihr zufolge widerspricht ein System der nachprüfenden gerichtlichen Kontrolle dem Unionsrecht nicht. In seinem Urteil in der Rechtssache Upjohn sprach der EuGH vielmehr aus, dass weder die in diesem Fall zu beachtende Richtlinie noch das Gemeinschaftsrecht (nunmehr: Unionsrecht) es erfordern würden, dass das zuständige nationale Gericht im Nachprüfungsverfahren (in concreto: über den Widerruf von Genehmigungen für das In-Verkehr-Bringen von Arzneispezialitäten) ermächtigt werde, seine Würdigung des Sachverhalts an die Stelle der Würdigung durch die nationale Behörde zu setzen (EuGH 21.1.1999, Rs. C-120/97 , Slg. 1999 I-00223, Rz 37).
Den Verwaltungsgerichtshof selbst qualifizierte der EuGH - im Einklang mit dem Verfassungsgerichtshof
(VfSlg. 15.427/1999) - aus Anlass eines vom Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Ersuchens um Vorabentscheidung in einem Fall betreffend die Zuteilung von Frequenzen für die Erbringung von Mobilfunkdiensten als ein Gericht, das wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz im Sinne des Rechts der Union (insbesondere des Art5a Abs3 der RL 90/387 ) gewährleistet (vgl. EuGH 22.5.2003, Rs. C-462/99 , Connect Austria, Slg. 2003 I-05197, Rz 39 ff.), mit der Konsequenz, dass der Verwaltungsgerichtshof sogar verpflichtet ist, mangels Zuständigkeit anderer gerichtlicher Instanzen eine allfällige Beschränkung seiner Zuständigkeit durch Art133 B-VG kraft Unionsrechts unangewendet zu lassen (aaO Rz 41; die Gerichtsqualität des Verwaltungsgerichtshofes für das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ebenfalls bejahend Frank, Gemeinschaftsrecht und staatliche Verwaltung, 2000, 142 f.; Potacs, Die Europäische Union und die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts, Gutachten, 14. ÖJT 2000, Bd. I/1, 91 ff.; ders, Kein EU-Rechtsschutz durch den österreichischen Verwaltungsgerichtshof?, ZÖR 2011, 119 [130]; Martin Köhler, aaO, 127 f.).
5. Der Verwaltungsgerichtshof ist sohin ein Gericht iSd Art47 GRC. Zur Erfüllung des Gebots wirksamen Rechtsschutzes ist daher keine Vorschrift des Unionsrechts unmittelbar anzuwenden, welche die Zuständigkeit einer unabhängigen Verwaltungsbehörde herbeiführen und jene des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über die Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid der belangten Behörde im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren beseitigen würde.
6. Angesichts dessen hätte die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag der mitbeteiligten Partei zurückzuweisen gehabt. Dadurch, dass sie die Wiedereinsetzung bewilligt und auf diese Weise eine Sachentscheidung getroffen hat, weil sie im angefochtenen Bescheid zu Unrecht die gesetzlich vorgesehene Beschränkung der Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnitts des UVP-G nicht angewendet hat und infolgedessen von der Möglichkeit einer Berufung an den Umweltsenat ausgegangen ist, hat sie eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen.
7. Selbst unter der Annahme, dass eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes nicht erfüllt, hätte die belangte Behörde zu keinem anderen Ergebnis kommen dürfen: Zunächst kommt die Annahme eines Vorrangs des Art10a Abs3 Satz 1 der Richtlinie 85/337/EWG idF der Richtlinie 2003/35/EG gegenüber innerstaatlichem Recht schon allein deshalb nicht in Betracht, weil diese Bestimmung nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, um im Sinne der Rechtsprechung des EuGH die Voraussetzungen für die unmittelbare Anwendbarkeit zu erfüllen (EuGH 12.5.2011, Rs. C-115/09 , Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Rz 55 und 56).
Die Annahme eines Vorrangs des Unionsrechts hätte zur Folge gehabt, dass die Zuständigkeit des Unabhängigen Umweltsenates - in mehrfacher Weise - in Widerspruch zur Bundesverfassung gestanden wäre (vgl. Madner, Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz, Anwendungsvorrang und zuständige gerichtliche Kontrollinstanz, ZfV 2011, 1 [7]; Wiederin, Zuständigkeit des Umweltsenates für Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken, wbl 2011, 53 [57]): Das Rechtsmittel einer Berufung gegen den Bescheid eines Bundesministers an eine unabhängige Behörde wie den Unabhängigen Umweltsenat verstieße gegen Art19 B-VG. Mit der Annahme der Zuständigkeit des Umweltsenates im Anlassverfahren würde überdies eine Form unmittelbarer Bundesverwaltung geschaffen, die nicht durch Art11 Abs7 B-VG gedeckt wäre und daher im Widerspruch zu Art102 B-VG stünde. Schließlich würde eine Rechtslage herbeigeführt, die den Bestimmtheitsanforderungen des Art83 Abs2 B-VG für die Anordnung von Zuständigkeiten im Allgemeinen nicht genügen würde. Zwar kann dem Unionsrecht nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Einzelfall Vorrang vor österreichischem Verfassungsrecht zukommen (vgl. VfSlg. 15.427/1999). Ein solcher Vorrang kommt jedoch mit Blick auf den Grundsatz der doppelten Bedingtheit von das Unionsrecht umsetzenden Rechtsvorschriften (vgl. zB VfSlg. 14.863/1997, 18.642/2008) erst dann in Betracht, wenn eine unionsrechtskonforme Rechtslage nicht durch die Nichtanwendung von einfachgesetzlichen Rechtsvorschriften herbeigeführt werden kann, ohne dass es gleichzeitig der Annahme eines Vorrangs des Unionsrechts gegenüber Verfassungsrecht bedarf.
V.
1. Die beschwerdeführende Partei ist durch den
angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.
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