B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
Spruch:
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.
1. Der Beschwerdeführer kandidierte im Jahr 2010 für die Wahl zum Publikumsrat des Österreichischen Rundfunks (im Folgenden: ORF) in der Kurie "Konsumenten".
2. Mit Bescheid vom 19. April 2010 wies der Bundeskommunikationssenat (im Folgenden: BKS) eine Beschwerde wegen Verletzung des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (im Folgenden: ORF-G), soweit sie die Verfassungswidrigkeit der Publikumsratswahl 2010 auf Grund der Wahl der Jugendvertreter durch eine Mehrheit von über 50-jährigen Rundfunkteilnehmern behauptet, mangels eines die von §36 Abs1 Z1 lita ORF-G vorausgesetzte Möglichkeit einer Schädigung geeigneten Vorbringens zurück und im Übrigen ab. Der BKS begründete seine Entscheidung u.a. damit, dass dem Wortlaut von §28 Abs9 erster Satz ORF-G zu Folge die Entscheidung, welches der genannten Verfahren für die Durchführung der Wahl gewählt werde, ausschließlich dem ORF obliege, der dabei vordringlich die Frage der wirtschaftlichen Tragbarkeit zu berücksichtigen habe; der Gesetzgeber habe keinesfalls zwingend ein kumulatives Anbieten mehrerer Abstimmungsverfahren vorgeschrieben. Der Behauptung, durch die "Wahlordnung für die Wahl von sechs Mitgliedern des Publikumsrats gemäß §28 Abs6 bis 10 ORF-G, BGBl. I Nr. 83/2001 idF BGBl. I Nr. 100/2002, BGBl. I Nr. 97/2004, BGBl. I Nr. 159/2005, BGBl. I Nr. 52/2007, BGBl. I Nr. 102/2007 für die Funktionsperiode 2010-2013" (im Folgenden: Wahlordnung) seien in gesetzwidriger Weise nichtzahlende Rundfunkteilnehmer von der Wahl ausgeschlossen worden, hielt der BKS entgegen, dass die Wahlberechtigung nach §28 Abs6 ORF-G nicht bloß den bei der GIS Gebühren Info Service GmbH im Sinne des §2 Abs4 des Bundesgesetzes betreffend die Einhebung von Rundfunkgebühren (Rundfunkgebührengesetz - RGG), BGBl. I 159/1999 idF BGBl. I 71/2003 (im Folgenden: RGG), als zahlungspflichtig registrierten Personen, sondern grundsätzlich allen Rundfunkteilnehmern zukomme. Wörtlich führte der BKS aus:
"Als Rundfunkteilnehmer nach §2 RGG (auf den auch §28 Abs6 ORF-G insgesamt und nicht bloß auf dessen Abs1 verweist) gelten daher nur die tatsächlich gemeldeten und im Sinne des §4 Abs3 RGG erfassten Rundfunkteilnehmer. Zurückkommend auf die gegenständliche Beschwerde ist damit aber weder die Vorgehensweise des ORF noch §1 Abs1 der Wahlordnung zu beanstanden, der zutreffend gerade nicht auf die nach dem RGG von der GIS als 'gebührenpflichtig' registrierten Rundfunkteilnehmer abgestellt hat, sondern lediglich eine Erfassung als Rundfunkteilnehmer nach §2 Abs1 RGG voraussetzte."
3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Anwendung sowohl eines verfassungswidrigen Gesetzes als auch einer gesetzwidrigen Verordnung geltend: §28 Abs6 ORF-G und §1 Abs1 der Wahlordnung seien verfassungs- bzw. gesetzwidrig, da diese eine Wahlberechtigung ausschließlich für natürliche Personen vorschreiben. Ferner seien nicht zahlende Rundfunkteilnehmer vom Wahlrecht ausgeschlossen worden; §2 RGG knüpfe jedoch bei der Definition des Begriffs "Rundfunkteilnehmer" - unabhängig vom Bestehen einer Gebührenpflicht - an ein bestimmtes Verhalten, nämlich an das Betreiben einer Rundfunkempfangseinrichtung in einem Gebäude, an. Die vom BKS ins Treffen geführte Registrierungs- bzw. Meldepflicht sei weder im ORF-G noch im RGG vorgeschrieben, der ORF hätte daher bei Abstellen auf eine solche Registrierung bzw. Teilnehmernummer gemäß §28 Abs8 zweiter Satz ORF-G zumindest die betroffenen Rundfunkteilnehmer öffentlich und rechtzeitig informieren müssen.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
1. Aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §28 Abs6 bis 10 ORF-G, BGBl. 379/1984 (Wv) idF BGBl. I 83/2001, sowie Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der "Wahlordnung für die Wahl von sechs Mitgliedern des Publikumsrats gemäß §28 Abs6 bis 10 ORF-G, BGBl. I Nr. 83/2001 idF BGBl. I Nr. 100/2002, BGBl. I Nr. 97/2004, BGBl. I Nr. 159/2005, BGBl. I Nr. 52/2007, BGBl. I Nr. 102/2007 für die Funktionsperiode 2010-2013", entstanden. Der Verfassungsgerichtshof leitete daher mit Beschluss vom 16. Dezember 2010 gemäß Art140 Abs1 undArt139 Abs1 B-VG Verfahren zur Prüfung der Verfassungs- bzw. Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmungen ein. Mit Erkenntnis vom 27. September 2011, G9/11 und V5/11, hob er §28 Abs6 bis 10 ORF-G wegen Widerspruchs zum Legalitätsprinzip als verfassungswidrig auf. Das Verfahren hinsichtlich der Wahlordnung für die Wahl von sechs Mitgliedern des Publikumsrates für die Funktionsperiode 2010-2013 wurde eingestellt.
2. Die - zulässige - Beschwerde ist begründet.
Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).
III.
1. Der Bescheid ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.
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