VfGH G166/09 ua

VfGHG166/09 ua23.9.2010

Gleichheitswidrigkeit der Aufteilung der Mittel der Rücklagen aus dem Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen zu Gunsten der Wiener Gebietskrankenkasse; keine besonderen Strukturnachteile dieser Gebietskrankenkasse; bloß vorübergehender Geldbedarf in einer bestimmten historischen Situation kein sachlicher Grund für das Abgehen von dem durch den Ausgleichsfonds geschaffenen Ordnungssystem

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
ASVG §447a, §447b, §643 Abs2 idF BGBl I 52/2009
VfGG §62 Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
ASVG §447a, §447b, §643 Abs2 idF BGBl I 52/2009
VfGG §62 Abs1

 

Spruch:

I. Der zu G282/09 protokollierte Antrag der Salzburger

Landesregierung wird, soweit er sich auf §643 Abs1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52, bezieht, zurückgewiesen.

II. §643 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

III. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Juli 2011 in Kraft.

IV. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

V. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der

Aussprüche II., III. und IV. im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit dem Bundesgesetz vom 6. April 1960, mit dem das

Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geändert wird (6. Novelle zum ASVG), BGBl. 87/1960, wurde - mit 1. Jänner 1961 - der Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger errichtet. Seit der 8. Novelle zum ASVG, BGBl. 294/1960, bestanden Regelungen über eine gebundene Rücklage dieses Fonds. Eine wesentliche Neugestaltung der Regelungen des Ausgleichsfonds erfolgte mit der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I 140/2002, wobei die Regelung über die Bildung der gebundenen Rücklage gegenüber der bis dahin geltenden Rechtslage im Wesentlichen unverändert blieb.

§447a Abs4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. 189/1955, lautete idF der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I 140/2002:

"Von den Jahreseinnahmen (Abs2) sind 10% zur Bildung einer Rücklage zu verwenden, die nur zur Deckung eines außerordentlichen Aufwandes herangezogen werden darf. Erreicht diese Rücklage die Höhe von 0,5% der Summe der Beitragseinnahmen aller am Fonds beteiligten Krankenversicherungsträger im vorangegangenen Kalenderjahr, dann ist sie nicht weiter zu erhöhen. Die Rücklage ist zinsenbringend im Sinne des §446 Abs1 Z1 bis 4 anzulegen."

1.2. Die Materialien (RV 1183 BlgNR 21. GP, 22) bemerken dazu Folgendes:

"Die Regelung der Rücklagenbildung entspricht im Wesentlichen der geltenden Rechtslage, wobei jedoch die Bindung des außerordentlichen Aufwandes, der durch die Rücklage gedeckt werden darf, nicht mehr auf bestimmte Katastrophenfälle eingeschränkt sein soll. Auch soll die Rücklage schon dann nicht mehr weiter erhöht werden dürfen, wenn sie 0,5% (statt derzeit 1%) der Beitragseinnahmen der beteiligten Krankenversicherungsträger im Vorjahr erreicht."

2. Mit dem Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 hob der Verfassungsgerichtshof wesentliche Elemente der durch die Novelle BGBl. I 140/2002 erfolgten Neuregelungen des Systems des Ausgleichsfonds, im Besonderen die damit angeordnete Einbeziehung weiterer Krankenversicherungsträger neben den Gebietskrankenkassen, als verfassungswidrig auf (VfSlg. 17.172/2004, S 596 ff.). Die damals in §447a Abs4 ASVG enthaltene Regelung über die gebundene Rücklage war von diesem Erkenntnis nicht betroffen.

3.1. Durch die 66. Novelle zum ASVG (Art1 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2006 [SRÄG 2006], BGBl. I 131) wurden die Regelungen über den Ausgleichsfonds unter Beschränkung auf die beteiligten Gebietskrankenkassen in großen Teilen neu gefasst. §§447a und 447b ASVG lauteten idF dieser Novelle auszugsweise wie folgt:

"Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen

§447a. (1) Der beim Hauptverband errichtete Ausgleichsfonds hat eine ausgeglichene Gebarung bzw. eine ausreichende Liquidität der Gebietskrankenkassen zu gewährleisten und nach Maßgabe der vorhandenen Mittel entsprechend den nachfolgend angeführten Bestimmungen Zahlungen an die Gebietskrankenkassen zu leisten.

(2) Das Vermögen dieses Fonds ist getrennt vom sonstigen Vermögen des Hauptverbandes zu verwalten. Für jedes Jahr ist ein Rechnungsabschluss zu erstellen, der jedenfalls aus einer Erfolgsrechnung und einer Schlussbilanz zum Ende des Jahres bestehen muss. Weiters ist zum Abschluss eines jeden Jahres ein Geschäftsbericht zu verfassen und mit dem Rechnungsabschluss der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen vorzulegen.

(3) Die Mittel des Ausgleichsfonds werden aufgebracht durch

  1. 1. die Beiträge der Gebietskrankenkassen (Abs4);
  2. 2. den Pauschalbeitrag nach §1 Abs2 GSBG;
  3. 3. die Beiträge nach §3 DAG;
  4. 4. die Einnahmen nach §447f Abs9;
  5. 5. sonstige Einnahmen.

(4) Die Gebietskrankenkassen haben einen Beitrag im Ausmaß von 2,0 % ihrer Beitragseinnahmen zu entrichten. Dieser Beitrag ist von der Summe der für das vorhergehende Kalenderjahr fällig gewordenen Beiträge zu ermitteln; er ist in zwei gleichen Teilbeträgen jeweils am 1. April und am 1. Oktober eines jeden Kalenderjahres dem Hauptverband zu überweisen. Der Betrag nach Abs3 Z2 ist monatlich bis zum 25. des Folgemonates vom Bundesminister für Finanzen an den Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen zu überweisen.

(5) Von den Jahreseinnahmen (Abs3 Z1 bis 4) sind 10 % zur Bildung einer Rücklage zu verwenden, die nur zur Deckung eines außerordentlichen Aufwandes herangezogen werden darf. Erreicht diese Rücklage die Höhe von 0,5 % der Summe der Beitragseinnahmen aller am Fonds beteiligten Gebietskrankenkassen im vorangegangenen Kalenderjahr, dann ist sie nicht weiter zu erhöhen. Die Rücklage ist zinsbringend im Sinne des §446 anzulegen.

(6) Die Einnahmen des Fonds nach Abs3 Z1 bis 4, einschließlich allfälliger Vermögenserträgnisse, sind für die Bereiche

  1. 1. Ausgleich unterschiedlicher Strukturen,
  2. 2. Ausgleich unterschiedlicher Liquidität,
  3. 3. Betrieb einer allgemeinen Krankenanstalt und
  4. 4. Deckung eines besonderen Ausgleichsbedarfs

zu verwenden.

(7) Das Aufteilungsverhältnis der Mittel zwischen den Bereichen nach Abs6 sowie der Zeitraum, für den dieses gilt, ist von der Trägerkonferenz festzusetzen und in den Richtlinien nach §447b Abs3 im Internet kundzumachen. Falls nach Ablauf dieses Zeitraumes kein neues Aufteilungsverhältnis festgesetzt wird, gilt das bisher geltende weiter.

(8) Die Aufteilung der Mittel auf die Gebietskrankenkassen erfolgt

1. nach Abs6 Z1 nach §447b,

2. nach Abs6 Z2 aufgrund des negativen Reinvermögens je Anspruchsberechtigten/Anspruchsberechtigter,

3. nach Abs6 Z4 nach einem Aufteilungsschlüssel, der das Ziel der Z4 zu berücksichtigen hat. Dieser Schlüssel sowie der Zeitraum, für den dieser gilt, ist von der Trägerkonferenz festzusetzen und in den Richtlinien nach §447b Abs3 im Internet kundzumachen. Falls nach Ablauf dieses Zeitraumes kein neuer Schlüssel festgesetzt wird, gilt der bisher geltende weiter.

(9) - (11) ...

(12) Leistungen aus dem Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen gebühren nicht, wenn die Gebietskrankenkasse eine ungünstige Kassenlage durch Außerachtlassung der Grundsätze einer wirtschaftlichen Verwaltung selbst herbeigeführt hat.

Ausgleich unterschiedlicher Strukturen

§447b. (1) Für den Ausgleich unterschiedlicher Strukturen (§447a Abs6 Z1) sind folgende Bestimmungsgrößen zu berücksichtigen:

1. Beitragseinnahmen und Einnahmen aus der Rezeptgebühr, abzüglich jener strukturell bedingten Ausgaben, die nicht in den Durchschnittskosten nach Z2 abgebildet werden;

2. Durchschnittskosten nach Alter und Geschlecht der Anspruchsberechtigten, welche über alle Gebietskrankenkassen in einjährigen Altersstufen zu ermitteln sind, sowie für Anspruchsberechtigte, für die außergewöhnlich hohe Leistungen erbracht werden. Anspruchsberechtigte, für die außergewöhnlich hohe Leistungen erbracht werden, sind solche, deren jährliche Heilmittelaufwendungen höher sind als bei den verbleibenden 99 % aller Leistungsbezieher und Leistungsbezieherinnen;

3. regionale Belastungen, ermittelt aus den Datengrundlagen und Berechnungsergebnissen nach Z2, die die Durchschnittskosten nach Z2 übersteigen. Aufwendungen für stationäre Anstaltspflege bleiben hiebei unberücksichtigt;

4. Belastungen aus der Krankenanstaltenfinanzierung nach §447f.

(2) Die Daten für die Berechnung des Ausgleichs unterschiedlicher Strukturen nach Abs1 sind

1. aus den Rechnungsabschlüssen der Gebietskrankenkassen,

2. aus den endgültigen Überweisungen der Gebietskrankenkassen nach §447f und

3. - anonymisiert - zumindest aus den Daten der Gebietskrankenkassen, die für die Leistungsinformation an die Versicherten nach §81 Abs1 verwendet werden,

zu ermitteln. Alle Berechnungen nach Abs1 haben durch den Hauptverband zu erfolgen.

(3) Der Hauptverband hat die Berechnungsregeln für den Strukturausgleich nach Abs1 in Richtlinien festzulegen. Diese Richtlinien sind durch die Trägerkonferenz zu beschließen und im Internet zu verlautbaren.

(4) Die in den §§447a und 447b vorgesehenen Beschlüsse der Trägerkonferenz kommen nur dann gültig zustande, wenn dem Beschluss zusätzlich zu den allgemeinen Beschlusserfordernissen (§441a Abs2) auch eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden stimmberechtigten Obmänner der Gebietskrankenkassen (§441a Abs1 Z1 litd) zugestimmt hat."

3.2. Die Materialien (AB 1483 BlgNR 22. GP, 3 ff.) halten dazu Folgendes fest:

"Die vorliegende Neuregelung des Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen (§§447a und 447b ASVG) beruht auf dem Ergebnis eines unter der Leitung der Salzburger Gebietskrankenkasse durchgeführten Projektes zur Erarbeitung eines wissenschaftlichen Modells für einen Strukturausgleich der am Ausgleichsfonds beteiligten Gebietskrankenkassen. Die Regelung ist notwendig geworden, nachdem die mit der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 140/2002, erfolgte grundlegende Neugestaltung des Ausgleichsfonds - ua. durch Einbeziehung aller auf Grund ihrer Größe bedeutenden Krankenversicherungsträger, Regelungen über einen Strukturausgleich und Zielvereinbarungen - vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. März 2004, G279/02 ua, VfSlg. 17.172, teilweise aufgehoben wurde.

...

Die vorliegenden Änderungen der §§447a und 447b ASVG bilden die gesetzliche Grundlage für den neuen Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen.

Wie bisher sollen die Mittel für den Ausgleich in einem eigenen, beim Hauptverband eingerichteten Fonds, getrennt vom sonstigen Vermögen des Hauptverbandes verwaltet werden und eigene Rechnungsabschlüsse erfolgen (§447a Abs1 und 2 ASVG).

Unverändert ist auch die Mittelaufbringung (§447a Abs3 und 4 ASVG). Die im §447a Abs3 Z2 bis 4 genannten Mittel wurden bisher unter 'sonstige Einnahmen' subsumiert. Unter 'sonstige Einnahmen' fallen zum derzeitigen Zeitpunkt lediglich die Zinserträgnisse des Ausgleichsfonds sowie die Mittel aus der Tabaksteuer nach §447a Abs10 ASVG, die allerdings nicht für den Ausgleich der Gebietskrankenkassen verwendet werden, sondern an den Ausgleichsfonds für die Krankenanstaltenfinanzierung nach §447f ASVG sowie an den Fonds für Vorsorge(Gesunden)untersuchungen und Gesundheitsförderung nach §447h weitergeleitet werden. Eine Regelung für die Aufteilung der Mittel nach §447a Abs3 Z5 ASVG ist daher derzeit nicht erforderlich.

Wie schon bisher soll eine Rücklage im Ausmaß von 10 % der Jahreseinnahmen, mit Ausnahme der unter 'sonstige Einnahmen' fallenden Einnahmen, für die Deckung eines außerordentlichen Aufwandes gebildet werden (§447a Abs5 ASVG). Aus diesem Titel wurden in der Vergangenheit etwa Beitragseinnahmenausfälle auf Grund von Hochwasserkatastrophen ausgeglichen.

Die Einnahmen des Fonds nach §447a Abs3 Z1 bis 4, einschließlich der unter Z5 leg. zit. fallenden Vermögenserträgnisse sollen auf vier Bereiche aufgeteilt werden, wobei die Trägerkonferenz für einen bestimmten Zeitraum das Aufteilungsverhältnis zwischen diesen Bereichen festlegt (§447a Abs6 und 7 ASVG). Für das Jahr 2005 (erfolgswirksam im Geschäftsjahr 2006) werden Ausgleichsfondsmittel in der Höhe von ca. 154,5 Mio. Euro erwartet. Im Projekt einigten sich die Obmänner für das Jahr 2005 darauf, dass, nach Abzug von ca. 30 Mio. Euro, der für den Betrieb einer allgemeinen Krankenanstalt zweckgewidmet verwendet werden soll, 45 % für den Strukturausgleich, 45 % für den Liquiditätsausgleich und 10 % zur Deckung eines besonderen Ausgleichsbedarfs verwendet werden soll.

Die Aufteilung der Ausgleichsfondsmittel auf die einzelnen Gebietskrankenkassen folgt unterschiedlichen Regelungen (§447a Abs8 ASVG):

Der Ausgleich von Strukturen erfolgt nach §447b ASVG, der Ausgleich der Liquidität auf Grund des (buchhalterisch ausgewiesenen) negativen Reinvermögens je Anspruchsberechtigten, und die Deckung eines - sich trotz der Ergebnisse nach §447a Abs7 und Abs8 Z1 und 2 ASVG ergebenden - besonderen Ausgleichsbedarfs nach einem bestimmten, von der Trägerkonferenz für einen bestimmten Zeitraum festzusetzenden Aufteilungsschlüssel; der Bereich 'Betrieb einer allgemeinen Krankenanstalt' bedarf keiner näheren Regelung, da von den Gebietskrankenkassen derzeit nur von der Wiener Gebietskrankenkasse eine allgemeine Krankenanstalt betrieben wird.

...

Für den Ausgleich der unterschiedlichen Strukturen der Gebietskrankenkassen sollen nach §447b Abs1 ASVG folgende Parameter herangezogen werden. Es sind dies

1. die Beitragseinnahmen und die Einnahmen aus der Rezeptgebühr, abzüglich strukturell bedingter Ausgaben,

2. die Durchschnittskosten nach Alter und Geschlecht sowie für die 'teuren Fälle',

3. regionale Belastungen und

4. Belastungen aus der Krankenanstaltenfinanzierung nach §447f ASVG.

Ad 1.: Strukturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Gebietskrankenkassen ergeben sich auf der Einnahmenseite primär aus den jeweiligen Beitragseinnahmen und den Einnahmen aus der Rezeptgebühr. Dazu werden strukturell bedingte Ausgabenpositionen, die entweder wegen Unbeeinflussbarkeit oder mangels Datengrundlagen nicht in Form von Durchschnittskosten abgebildet werden können, als Abzugsposten berücksichtigt. Die Ausgaben, die hier in Ansatz zu bringen sein werden, sind etwa die von den Gebietskrankenkassen zu leistenden Beiträge zum Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen, die nicht in Durchschnittskosten abbildbaren Anteile der LKF Zahlungen (zB. rund 40 % der Pauschalzahlung nach §447f Abs1 ASVG), Krankengeld und Wochengeld sowie Wahlarztleistungen und sonstigen Wahlleistungen.

Ad 2.: Krankenversicherungsleistungen werden von den Krankenversicherungsträgern abhängig von Alter und Geschlecht in unterschiedlichem Ausmaß geleistet. Dieser Umstand soll ebenfalls im Strukturausgleich der Gebietskrankenkassen Eingang finden. Berücksichtigt sollen auch jene Anspruchsberechtigten werden, für die außergewöhnlich hohe Leistungen erbracht werden. Um verhaltens- und tarifbedingte Unterschiede hiebei zu minimieren, soll nur ein Prozent der Leistungsbezieher/Leistungsbezieherinnen mit den höchsten Kosten, gemessen an den Heilmittelkosten, in dieser Risikogruppe abgebildet werden. Auf Datenbasis 2004 wären das all jene Leistungsbezieher/Leistungsbezieherinnen, deren jährliche Heilmittelkosten einen Schwellenwert von 3.179 € übersteigen.

Ad 3.: Aus Faktoren wie das Inanspruchnahmeverhalten der Versicherten, die Versorgungsdichte oder das Verhalten der Vertragspartner und Vertragspartnerinnen resultieren vom Versicherungsträger nur langfristig beeinflussbare Ausgabenunterschiede; sie sollen als eigene Bestimmungsgröße für den Ausgleich festgesetzt werden.

Ad 4.: Die Regelung der Krankenanstaltenfina[n]zierung des §447f Abs1 ASVG basiert zu rund 30 % auf den ehemaligen KRAZAF-Zahlungen (abhängig von bestimmten Beitragseinnahmen und unabhängig von tatsächlich in Anspruch genommenen Krankenanstaltsleistungen), zu rund 10 % auf den Ambulanzleistungen (Aufwandserhebung 1994) und zu rund 60 % auf den geleisteten, mit Tagessätzen bewerteten, Spitalstagen (Aufwandserhebung 1994). Daraus folgt, dass sich neben morbiditätsbedingten auch verhaltens- und tarifinduzierte Unterschiede zwischen den einzelnen Trägern aus dem Basisjahr 1994 in den aktuellen LKF-Pauschalzahlungen widerspiegeln.

Für die in den Richtlinien abzubildenden Berechnungsmodalitäten für die Ermittlung des Strukturausgleiches werden jene Teile der LKF Zahlungen, denen keine Leistungen gegenüber stehen (LKF Anteil rd. 30 %) oder bei denen keine entsprechenden Daten vorhanden sind (LKF Anteil ambulant rd. 10 %) als Abzugsposten auf der Einnahmenseite zu berücksichtigen sein (siehe oben); der LKF Anteil für stationär erbrachte Leistungen (rd. 60 %) wird in Form von alters- und geschlechtsspezifischen Durchschnittskosten abzubilden sein. Daraus resultierende Benachteiligungen einzelner Träger sind bei der Ermittlung des Ausgleichs zu berücksichtigen.

Die Berücksichtigung der strukturellen Unterschiede zwischen den Gebietskrankenkassen wurde unter anderem auch durch Auswertung der Daten der Gebietskrankenkassen für die Leistungsinformation an die Versicherten nach §81 Abs1 ASVG möglich. Durch diese Information und Auswertung, die noch weiter zu entwickeln ist sowie durch künftig zur Verfügung stehende Daten, etwa aus dem Krankenanstaltenbereich als Folge der Gesundheitsreform, kann das Ausgleichsmodell des Projektes nicht als endgültig abgeschlossen betrachtet werden und wird weiter zu entwickeln sein.

Die Berechnungsregeln für den Strukturausgleich sind in Richtlinien, die von der Trägerkonferenz zu beschließen sind, näher zu determinieren. Die in den §§447a und 447b vorgesehenen Beschlüsse der Trägerkonferenz kommen nur dann gültig zustande, wenn dem Beschluss zusätzlich zu den allgemeinen Beschlusserfordernissen (§441a Abs2 ASVG) auch eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden stimmberechtigten Obmänner der Gebietskrankenkassen (§441a Abs1 Z1 litd ASVG) zugestimmt hat.

Finanzielle Auswirkungen auf den Bund sind mit dieser Regelung nicht verbunden."

4. Mit der 68. Novelle zum ASVG (Art4 des Bundesgesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften an die Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens für die Jahre 2008 bis 2013, BGBl. I 101/2007) wurden in §447a Abs10 ASVG die für den vorliegenden Zusammenhang nicht relevanten Regelungen über die Überweisungen von Beträgen an den Ausgleichsfonds aus den Mitteln der Tabaksteuer adaptiert.

5.1. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2009 (Art48 leg.cit., BGBl. I 52) wurde zum einen die in §447a Abs5 ASVG enthaltene Regelung über die Bildung einer gebundenen Rücklage des Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen ersatzlos aufgehoben (Art48 Z2 leg.cit.).

Ergänzend dazu wurden in §643 ASVG Schlussbestimmungen erlassen, die die näheren Regelungen über die Modalitäten dieser Auflösung der gebundenen Rücklage enthalten (Art48 Z3 des Budgetbegleitgesetzes 2009). Diese Bestimmung lautet wie folgt (die angefochtenen Teile der Regelung sind in ihrem weitesten Umfang hervorgehoben):

"§643. (1) §447a Abs5 tritt mit Ablauf des 30. September 2009 außer Kraft.

(2) Die Aufteilung der Mittel der Rücklage nach §447a Abs5 hat in der Weise zu erfolgen, dass die Wiener Gebietskrankenkasse 33 Millionen Euro erhält. Die verbleibenden Mittel sind auf die übrigen Gebietskrankenkassen entsprechend ihrer in den Ausgleichsfonds nach §447a im Jahr 2008 eingezahlten Beiträge aufzuteilen.

(3) Ab dem Geschäftsjahr 2009 sind die Mittel der pauschalen Beihilfe nach §1 Abs2 GSBG in der Höhe von 4,3 % der Krankenversicherungsaufwendungen, die bei Versicherungsträgern mit negativem Reinvermögen über die vollständige Abgeltung der nicht abziehbaren Vorsteuer hinausgehen (Überdeckung), vom Hauptverband auf diese Krankenversicherungsträger entsprechend der jeweiligen nicht abziehbaren Vorsteuer des Abrechnungsjahres zu verteilen; bei Versicherungsträgern mit positivem Reinvermögen ist eine derartige Überdeckung vom Hauptverband auf die Krankenversicherungsträger entsprechend deren negativem Reinvermögen des Abrechnungsjahres zu verteilen. Bei der vorläufigen monatlichen Weiterleitung ist vom negativen Reinvermögen des zuletzt abgeschlossenen Geschäftsjahres auszugehen."

5.2. Die Materialien (RV 113 BlgNR 24. GP, 83; AB 198 BlgNR

24. GP, 5) führen dazu Folgendes aus:

"Allgemeines:

Mit der vorliegenden Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz sollen mehrere finanzielle Maßnahmen getroffen werden, die dem schrittweisen Abbau des negativen Reinvermögens der Gebietskrankenkassen dienen.

...

Zu §§447a Abs5 und 643 Abs2 ASVG:

Die gebundene Rücklage nach §447a Abs5 ASVG soll aufgelöst und die Mittel - nach Abzug des für die Wiener Gebietskrankenkasse vorgesehenen Betrages - an die übrigen Gebietskrankenkassen entsprechend ihrer im Jahr 2008 geleisteten Beiträge nach §447a Abs4 ASVG zum Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen aufgeteilt werden. Im Zuge der Auflösung der Rücklage soll der auf Grund einer Stundung von Zahlungsverpflichtungen der Wiener Gebietskrankenkasse aushaftende Betrag von 33 Millionen Euro dieser zufließen. Zum 31. Dezember 2008 beträgt die Rücklage rund 42,548 Millionen Euro.

Wie der Rechnungshof in seinem Bericht über den Vergleich der Oberösterreichischen und der Wiener Gebietskrankenkassen herausgearbeitet hat, bestehen im Bereich der Wiener Gebietskrankenkasse in einigen Bereichen andere Strukturen als bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, wie zB die Ärztedichte oder das Patientenverhalten, das sich in der Krankheitshäufigkeit oder der Frequenz der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zeigt. Die Ursachen für diese unterschiedlichen Strukturen sind teilweise in engem Zusammenhang mit den Auswirkungen eines großstädtischen Umfeldes zu sehen und die vorgeschlagene Aufteilung daher gerechtfertigt.

Knapp über 50 % des akkumulierten negativen Reinvermögens der Kassen entfällt auf die Wiener Gebietskrankenkasse. Es gilt daher, die Leistungsfähigkeit der Wiener Gebietskrankenkasse wieder zu festigen. Dazu gehört, dass der aushaftende Betrag bei der Wiener Gebietskrankenkasse verbleibt."

5.3. §80a Abs8 ASVG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I 52, lautet:

"(8) Der Bund leistet am 1. Juli 2009 für das Geschäftsjahr 2009 dem Hauptverband einen Betrag von 45 Millionen Euro, den dieser auf die Gebietskrankenkassen entsprechend deren negativem Reinvermögen zum 31. Dezember 2008 unverzüglich aufzuteilen hat."

5.4. Das in der öffentlichen Diskussion als "Krankenkassen-Sanierungspaket" bezeichnete Bündel gesetzgeberischer Maßnahmen enthielt in den Art50 und 51 des Budgetbegleitgesetzes 2009 ferner die Einrichtung eines "Kassenstrukturfonds", der jährlich aus Steuermitteln (im Jahre 2010 mit 100 Millionen Euro) dotiert wird, und die gesetzliche Ermächtigung an den Finanzminister, in den Jahren 2010 bis 2012 zugunsten der Kassen mit negativem Reinvermögen auf Einnahmen in der Höhe von jährlich 150 Millionen Euro zu verzichten. Durch die Maßnahmen des "Krankenkassen-Sanierungspaketes" werden den Gebietskrankenkassen bis zum Jahr 2012 Mittel in einer Größenordnung von insgesamt rd. 1,1 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt.

II. Gegen die in §643 ASVG angeordnete Verteilungsregel hinsichtlich der aufgelösten gebundenen Rücklage wenden sich die Vorarlberger, die Oberösterreichische und die Salzburger Landesregierung mit jeweils auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Anträgen und begehren in unterschiedlichem Umfang die Aufhebung dieser Bestimmung als verfassungswidrig.

1. Die Vorarlberger Landesregierung begehrt in ihrem zu G166/09 protokollierten, auf Art140 B-VG gestützten Antrag,

"1. in §643 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG - (BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009) die Wortfolgen 'Aufteilung der' und 'hat in der Weise zu erfolgen, dass die Wiener Gebietskrankenkasse 33 Millionen Euro erhält. Die verbleibenden Mittel' sowie das Wort 'übrigen';

1.1 in eventu:

in §643 Abs2 ASVG (BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009) die Wortfolgen 'Aufteilung der' und 'hat in der Weise zu erfolgen, dass die Wiener Gebietskrankenkasse 33 Millionen Euro erhält. Die verbleibenden Mittel';

1.2 in eventu:

in §643 Abs2 ASVG (BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009) den ersten Satz;

1.3. in eventu:

in §643 Abs2 ASVG (BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009) den ersten Satz und in §643 Abs2 zweiter Satz ASVG (BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009) das Wort 'übrigen'.

1.4. in eventu:

in §643 Abs2 ASVG (BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009) den ersten Satz und in §643 Abs2 zweiter Satz ASVG (BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009) die Wörter 'verbleibenden' und 'übrigen'.

1.5. in eventu:

§643 Abs2 ASVG (BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009) zur Gänze;"

als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die Oberösterreichische Landesregierung begehrt mit ihrem zu G198/09 protokollierten Antrag,

"1. §643 Abs2 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009,

2. in eventu:

im §643 Abs2 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009, den ersten Satz und die Wörter 'verbleibenden' und 'übrigen',

3. in eventu:

im §643 Abs2 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung BGBl. I Nr. [5]2/2009, den ersten Satz und das Wort 'übrigen',

4. in eventu:

im §643 Abs2 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009, die Wortfolge 'Aufteilung der' und 'hat in der Weise zu erfolgen, dass die Wiener Gebietskrankenkasse 33 Millionen Euro erhält. Die verbleibenden Mittel' sowie das Wort 'übrigen',"

als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Schließlich begehrt die Salzburger Landesregierung mit ihrem zu G282/09 protokollierten Antrag,

"1. §643 Abs1 und 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl Nr 189/1955, in der Fassung des Gesetzes BGBl I Nr 52/2009 als verfassungswidrig aufzuheben;

in eventu:

2. im §643 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl Nr 189/1955, in der Fassung des Gesetzes BGBl I Nr 52/2009 als verfassungswidrig auf[zu]heben:

2.1. im ersten Satz die Wortfolgen 'Aufteilung der' und 'hat in der Weise zu erfolgen, dass die Wiener Gebietskrankenkasse 33 Millionen Euro erhält' sowie im zweiten Satz die Wortfolge 'Die verbleibenden Mittel' und das Wort 'übrigen';

in eventu:

2.2. im ersten Satz die Wortfolgen 'Aufteilung der' und 'hat in der Weise zu erfolgen, dass die Wiener Gebietskrankenkasse 33 Millionen Euro erhält' sowie im zweiten Satz die Wortfolge 'Die verbleibenden Mittel';

in eventu:

2.3. den ersten Satz sowie im zweiten Satz die Worte 'verbleibenden' und 'übrigen';

in eventu:

2.4. den ersten Satz;

in eventu:

2.5. den ersten Satz sowie im zweiten Satz das Wort 'verbleibenden';

in eventu:

2.6. den ersten Satz sowie im zweiten Satz das Wort 'übrigen'."

4.1. Begründend bringen die Vorarlberger und die Oberösterreichische Landesregierung dazu zunächst vor, dass die in §643 ASVG angeordnete Auflösung der gebundenen Rücklage des Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen nicht zu dem im Gesetz, im Besonderen §447a Abs5 ASVG, geforderten Zweck erfolgt wäre.

4.2.1. Die Anträge der Vorarlberger, der Oberösterreichischen und der Salzburger Landesregierung behaupten in ihrem wesentlichen Vorbringen, dass die Regelung des §643 Abs2 ASVG idF BGBl. I 52/2009 den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz dadurch verletze, dass die Aufteilung der Mittel der aufgelösten gebundenen Rücklage nicht nach sachlichen Kriterien erfolge, weil sie die Wiener Gebietskrankenkasse bevorzugen würde. Sachlich gerechtfertigt könnten Leistungen nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung nur zum Ausgleich objektiver Strukturnachteile sein. Solche objektiven Strukturnachteile würden aber bei der Wiener Gebietskrankenkasse nicht vorliegen. Dazu wird vorgebracht, dass die Wiener Gebietskrankenkasse nach einer Verteilung der Rücklagenmittel nach Maßgabe des §447a Abs6 Z1 und 2 ASVG einen wesentlich geringeren Betrag als den ihr von §643 Abs2 ASVG zugewiesenen erhalten hätte. Die Salzburger Landesregierung sieht in der Aufteilung der Mittel der aufgelösten Rücklage eine "ungerechtfertigte Quersubventionierung" und behauptet insoweit einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz.

4.2.2. Einzig die Salzburger Landesregierung behauptet in ihrem Antrag darüber hinaus eine Verletzung des Gleichheitssatzes auch dadurch, dass "die nach dem Vorwegabzug zu Gunsten der Wiener Gebietskrankenkasse verbleibenden Mittel unter den übrigen Gebietskrankenkassen nach dem Verhältnis ihrer in den Ausgleichsfonds einbezahlten Beiträge und nicht nach Maßgabe der diese gleichermaßen treffenden 'strukturbedingten Nachteile' aufgeteilt werden". Die "die übrigen Gebietskrankenkassen treffenden 'strukturbedingten Nachteile'" würden "so besehen gleichsam 'ausgeblendet', was den im §643 Abs2 ASVG festgelegten Aufteilungsschlüssel mit Gleichheitswidrigkeit belastet."

4.3. Die Vorarlberger und Oberösterreichische Landesregierung behaupten weiters, dass §643 Abs2 ASVG auch gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums verstoßen würde, weil die Mittel der gebundenen Rücklage im (Gesamthand-)Eigentum der Gebietskrankenkassen stünden bzw. - auch wenn keine derartige Eigentumsposition der Gebietskrankenkassen bestünde - zumindest im Lichte der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes im Hinblick auf den Eigentumsschutz bei vffentlich-rechtlichen Ansprüchen ein Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung bestehen würde.

III. 1. Die Bundesregierung erstattete in allen Verfahren im Wesentlichen gleich lautende Äußerungen, in denen sie beantragt, die Anträge der Vorarlberger, der Oberösterreichischen und der Salzburger Landesregierung abzuweisen.

2. Dem Vorbringen der Vorarlberger und der Oberösterreichischen Landesregierung, wonach die angeordnete Auflösung der gebundenen Rücklage des Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen nicht zu dem im Gesetz, im Besonderen §447a Abs5 ASVG, geforderten Zweck erfolgt wäre (s. Pkt. II.4.1.), hält die Bundesregierung in ihrer zu G166/09 erstatteten Äußerung Folgendes entgegen:

"Die Vorarlberger Landesregierung behauptet zunächst (...), die Auflösung der Rücklage erfolge 'ohne Bezugnahme auf den in §447a Abs5 ASVG geforderten Zweck' (Deckung eines außerordentlichen Aufwandes). Nach der bisherigen Praxis wäre es nämlich nur bei unvorhersehbaren Naturereignissen, wie Lawinenunglücke und Hochwasserkatastrophen, zu Zahlungen an betroffene Gebietskrankenkassen gekommen. Keinesfalls hätten aber finanzielle Schwierigkeiten einzelner Träger (ohne außerordentliche Ursache) eine Grundlage für Zahlungen unter diesem Titel darstellen können. Konkrete (verfassungs-)rechtliche Schlussfolgerungen zieht die Vorarlberger Landesregierung aus diesem Vorbringen allerdings nicht; insbesondere behauptet sie nicht, die angefochtene Bestimmung (über die Mittelverteilung) wäre aus diesem Grund verfassungswidrig. Die Bundesregierung weist in diesem Zusammenhang dennoch auf Folgendes hin:

Zunächst ist der Vorarlberger Landesregierung entgegen zu halten, dass der Gesetzwortlaut des §447a Abs5 ASVG, wonach die Rücklage 'nur zur Deckung eines außerordentlichen Aufwandes' herangezogen werden darf, denkbar weit formuliert ist. Wie gesehen (...) sollte mit dieser Formulierung eine Eingrenzung auf bestimmte Zwecke wie etwa Naturereignisse gerade vermieden werden. Im Gegensatz zum Vorbringen der Vorarlberger Landesregierung ist es daher durchaus denkbar, dass auch bestimmte finanzielle Schwierigkeiten einzelner am Ausgleichsfonds beteiligter Krankenversicherungsträger einen solchen 'außerordentlichen Aufwand' darstellen könnten (...). Aus einer allfälligen bisherigen Vollzugspraxis können jedenfalls keine Rückschlüsse auf den Inhalt dieser Norm gezogen werden.

Jedenfalls fällt mit der Aufhebung des §447a Abs5 ASVG mit Ablauf des 30. September 2009 (Art48 Z2 Budgetbegleitgesetz 2009 iVm §643 Abs1 ASVG) auch die Zweckbestimmung der Rücklage ('Deckung eines außerordentlichen Aufwandes') weg. Sie kann schon aus diesem Grund nicht mehr Maßstab für die Verteilung der Mittel der aufgelösten Rücklage sein (...). Eine Regelung über die Verwendung der Mittel bei Auflösung der Rücklage existierte vor der Erlassung des §643 Abs2 ASVG durch das Budgetbegleitgesetz 2009 nicht."

3.1. Dem zentralen Vorbringen aller drei Landesregierungen im Hinblick auf die Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (s. Pkt. II.4.2.1.) tritt die Bundesregierung in ihrer Äußerung im zu G166/09 protokollierten Verfahren im Einzelnen folgendermaßen entgegen:

"1.2.1 Die Vorarlberger Landesregierung behauptet eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch die angefochtene Bestimmung des §643 Abs2 ASVG im Wesentlichen dadurch, dass die Aufteilung der Mittel der aufgelösten Rücklage gemäß §447a Abs5 ASVG nicht nach sachlichen Kriterien erfolge, weil sie die WGKK privilegiere. Sachlich gerechtfertigt könnten Leistungen aus dem Ausgleichsfonds nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung 'nur' zum Ausgleich objektiver Strukturnachteile sein; solche 'objektiven', nicht selbst 'verschuldeten' Strukturnachteile lägen bei der WGKK aber nicht vor.

...

1.2.2 Die Vorarlberger Landesregierung versucht ihr Vorbringen mit dem Hinweis darauf zu untermauern, dass die WGKK bei einer Verteilung nach Maßgabe des §447a Abs6 Z1 und 2 ASVG (Ausgleich unterschiedlicher Strukturen und unterschiedlicher Liquidität) einen wesentlich geringeren Betrag als die ihr von §643 Abs2 ASVG zugesprochenen 33 Mio EUR erhalten hätte (...). Dem ist entgegen zu halten, dass Maßstab für die Verfassungskonformität der Verteilung der Mittel durch den angefochtenen §643 Abs2 ASVG nicht die Bestimmungen der §§447a und 447b ASVG über die ('regulären') Leistungen des Ausgleichsfonds sind. §643 Abs2 ASVG trifft gerade eine - von den allgemeinen Regelungen der §§447a und 447b ASVG abweichende - Sonderregelung für einen bestimmten Teil der Mittel des Ausgleichsfonds, nämlich jener der aufgelösten Rücklage. Maßstab für die Verfassungskonformität dieser Regelung ist einzig und allein der Gleichheitssatz und das vom Verfassungsgerichtshof aus diesem abgeleitete Sachlichkeitsgebot.

1.2.3 Der Verfassungsgerichtshof hat sich zuletzt im erwähnten Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 ausführlich mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für einen finanziellen Ausgleich zwischen Versicherungsträgern beschäftigt. Er hat dabei - unter Hinweis auf seine Vorjudikatur zur Übertragung von Beitragseinnahmen zwischen Sozialversicherungsträgern zum einen und seiner Rechtsprechung zur unterschiedlichen Höhe der Beitragssätze von Versichertengruppen desselben Versicherungsträgers zum anderen - folgende allgemeine Ausführungen gemacht (Pkt. III.4.3. des genannten Erkenntnisses):

'... Es ist (erstens) wegen Verstoßes gegen den

Gleichheitssatz unzulässig, Beitragseinnahmen, und seien es auch Überschüsse oder Rücklagen, einer Versichertengemeinschaft an eine andere Versichertengemeinschaft zu übertragen, sofern zwischen diesen beiden Versichertengemeinschaften kein persönlicher und sachlicher Zusammenhang besteht.

... Es ist aber (zweitens) aus verfassungsrechtlicher Sicht

nicht schlechthin unzulässig, besondere Nachteile, die einem Versicherungsträger (einer Versichertengemeinschaft) auf Grund einer bestimmten Gestaltung des Gesamtsystems, insbesondere also durch Bestimmungen entstehen, die Wirkungen (wie etwa die soeben genannten 'Wanderversicherungsverluste') erzeugen, welche die Grenzen der in Selbstverwaltung organisierten Versichertengemeinschaften überschreiten, durch Zahlungen zwischen den Versicherungsträgern auszugleichen.'

Weiters führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Bildung eines 'trägerübergreifenden Ausgleichssystems' so gestaltet sein müsse, 'dass weder einzelne Krankenversicherungsträger systematisch benachteiligt noch andere Versicherungsträger systemimmanent privilegiert werden'. Die Beitragsleistung der einzelnen Versicherungsträger zu einem solchen Ausgleich müsse sich am Verhältnis ihrer Leistungsfähigkeit orientieren, 'wobei sichergestellt sein muss, dass die Beitragsleistungen die Gebarung des Versicherungsträgers nicht so belasten, dass die Erfüllung seiner Aufgaben gefährdet wäre' (Pkt. III.4.5.2. und III.4.5.3. des genannten Erkenntnisses).

1.2.4 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Unterschied zur Rechtslage, die dem Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 zugrunde lag, die Verteilung der Mittel der aufgelösten Rücklage nach Maßgabe des §643 Abs2 ASVG ausschließlich zwischen den Gebietskrankenkassen erfolgt, ein persönlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen den Versicherten der jeweils begünstigten und belasteten Versicherungsträger daher wohl in jedem Fall gegeben ist. Insbesondere gilt für alle bei den Gebietskrankenkassen Versicherten grundsätzlich dasselbe Beitrags- und Leistungsrecht des ASVG; insoweit kann gesagt werden, dass diese eine Versichertengemeinschaft bilden. Nach Auffassung der Bundesregierung steht es grundsätzlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, Lasten innerhalb einer durch das gleiche Beitrags- und Leistungsrecht verbundenen Gruppe von Versicherten zu verteilen. Es stünde dem Sozialversicherungsgesetzgeber schließlich offen, bei einer solchen Gruppe von Versicherten auf eine regionale Gliederung der Versicherungsträger überhaupt zu verzichten, wie dies etwa bei der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau der Fall ist (§23 Abs4 ASVG), wodurch Ausgleichsmaßnahmen von vornherein obsolet wären.

1.2.5 Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 (Pkt. III.4.5.4.) - zur Rechtslage nach der 60. Novelle zum ASVG, die in §447b Abs2 ASVG eine Definition des Begriffes 'Strukturnachteile' enthielt - auch ausgesprochen, dass der Gesetzgeber 'den für die Mittelzuteilung maßgeblichen Begriff des Strukturnachteils in einer dem Gleichheitssatz Rechnung tragenden Weise zu gestalten' hat. §643 Abs2 ASVG ordnet zwar nicht ausdrücklich eine Verteilung nach dem Kriterium des Strukturnachteils an. Aus den Gesetzesmaterialien zum Budgetbegleitgesetz 2009 ergibt sich allerdings, dass der Gesetzgeber bei der Zuteilung von Mitteln aus der aufgelösten Rücklage an die WGKK, die im Vergleich zu den von ihr im Jahr 2008 an den Ausgleichsfonds geleisteten Beiträgen höher als bei den anderen Gebietskrankenkassen ausfällt, sehr wohl auf für die WGKK nachteilige Strukturen Bedacht genommen hat (vgl. RV 113 BlgNR XXIV. GP 83, wonach 'im Bereich der Wiener Gebietskrankenkasse in einigen Bereichen andere Strukturen als bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse [bestehen], wie zB die Ärztedichte oder das Patientenverhalten, das sich in der Krankheitshäufigkeit oder der Frequenz der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zeigt. Die Ursachen für diese unterschiedlichen Strukturen sind teilweise in engem Zusammenhang mit den Auswirkungen eines großstädtischen Umfeldes zu sehen und die vorgeschlagene Aufteilung daher gerechtfertigt').

Die Vorarlberger Landesregierung bestreitet nun unter Berufung auf den in den zitierten Erläuterungen bezogenen Rechnungshofbericht Bund 2009/1 betreffend den Vergleich der WGKK mit der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (im Folgenden: OÖGKK), dass es sich dabei um solche Strukturnachteile handelt, die geeignet wären, den durch §643 Abs2 ASVG zugunsten der Wiener Gebietskrankenkasse vorgenommenen Lastenausgleich zu rechtfertigen. Vielmehr sei 'anzunehmen, dass die prekäre finanzielle Situation der WGKK auch und vor allem auf - im Sinne des §447a Abs12 ASVG - subjektive, also von dieser beeinflussbare ('verschuldete') Belastungen' zurückzuführen sei (...).

1.2.6 Da es sich dabei um das zentrale Vorbringen der Vorarlberger Landesregierung handelt, soll im Folgenden näher dargetan werden, dass sich gerade anhand des erwähnten Rechnungshofberichtes belegen lässt, dass die WGKK im Vergleich mit der OÖGKK, aber auch mit allen anderen Gebietskrankenkassen verschiedensten Strukturnachteilen unterliegt, deren Ausgleich auch in dem in §643 Abs2 ASVG vorgesehenen Ausmaß sachlich gerechtfertigt ist.

a) Höhere Ausgaben für ärztliche Hilfe und Heilbehandlung - 'Großstadtfaktor'

Der Rechnungshofbericht zeigt auf, dass die WGKK - im Vergleich zur OÖGKK - sowohl mehr Ausgaben für ärztliche Hilfe als auch für Heilbehandlungen hatte, und dass eine bessere Steuerung dieser Ausgaben hätte vorgenommen werden können ('[2] Durch eine bessere Steuerung der Ausgaben für ärztliche Hilfe und Heilmittel sollten die entstandenen Mehrausgaben [ca. 80 Mio EUR jährlich] im Vergleich zur OÖGKK verringert werden [Tz 5]'). Im Rechnungshofbericht (Bund 2009/1, Tz 4 und Tz 5, S. 12 ff) wird auch dargelegt, dass die WGKK zwar einerseits je Anspruchsberechtigten um ca. 108 EUR höhere Einnahmen als die OÖGKK hatte, andererseits aber dennoch um 106 EUR pro Anspruchsberechtigten mehr für ärztliche Hilfe und um 71 EUR pro Anspruchsberechtigten mehr für Heilmittel ausgab; daraus entstand im Jahr 2006 ein Mehraufwand gegenüber der OÖGKK von insgesamt ca. 260 Mio EUR. Der Rechnungshof führte weiters aus, dass im Jahr 2006 eine Steigerung dieser Ausgaben (für ärztliche Hilfe und Heilmittel) der WGKK gegenüber der OÖGKK in Höhe von 120 Mio EUR erfolgte. Davon seien allerdings 40 Mio EUR auf die ungünstige Entwicklung der Versichertenzahl bei [der] WGKK zurückzuführen. Daher bestehe nur in Bezug auf den Anstieg iHv 80 Mio EUR ein Begrenzungspotential.

Der Rechnungshof führt weiter aus, dass von den Mehrkosten für ärztliche Hilfe in Höhe von insgesamt 106 EUR gegenüber der OÖGKK ein Betrag von 34 EUR auf die 'unterschiedliche Struktur der Inanspruchnahme der Ärzte' entfällt. 'Bei der WGKK wurden mehr Patienten zu technischen Fachärzten (z.B. Labor, Radiologie) überwiesen' (Rechnungshofbericht Bund 2009/1, Tz 6.2., S. 15). Ferner sei ein Teilbetrag von ca. 31 EUR darauf zurückzuführen, dass die Anspruchsberechtigten der WGKK mehrere Ärzte - und noch dazu häufiger - als jene der OÖGKK in Anspruch nahmen. Lediglich ein Betrag von ca. 41 EUR sei auf die unterschiedlichen Kosten pro Fall (das sind die Kosten der Versorgung eines Patienten bei einem bestimmten Arzt in einem Quartal) zurückzuführen.

Es ist daher festzuhalten, dass nach dem Rechnungshofbericht von den Mehrkosten für ärztliche Hilfe von insgesamt ca. 106 EUR (gegenüber der OÖGKK) nur ein Teil von ca. 39 % (= 41 EUR) auf die unterschiedlichen Kosten pro Fall entfällt, während der weitaus größere Teil von ca. 61 % (34 + 31 = 65 EUR) auf die 'unterschiedliche Struktur der Inanspruchnahme der Ärzte' sowie auf das Verhalten der Anspruchsberechtigten bei der Ärztewahl zurückzuführen ist. Die WGKK brachte in diesem Zusammenhang vor, dass 'die leichtere Erreichbarkeit und höhere Facharztdichte in Wien zu einer immer häufigeren direkten Inanspruchnahme und damit auch zu höheren Kosten' führe. Zwar hätten 'Innsbruck, Linz und Salzburg sogar eine noch höhere Vertrags(fach)arztdichte als Wien'; bei den Krankenversicherungsträgern in diesen Städten würde jedoch 'dieser so genannte Großstadtfaktor durch die außerhalb der Ballungsräume liegenden Strukturen egalisiert'. Diese Ausführungen der WGKK blieben vom Rechnungshof unwidersprochen (Rechnungshofbericht Bund 2009/1, Tz 6.3., S. 15 f).

Auch andere Studien belegen, dass Wien im Bundesdurchschnitt eine wesentlich höhere Ärztedichte im Vergleich zu anderen Bundesländern aufweist. So führt der Bericht, der im Jahr 2004 anlässlich einer Sonderprüfung bei der WGKK durch die Organe des (damaligen) Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen erstellt wurde (in der Folge: 'Sonderprüfungs-Bericht'; ...) aus, dass es in Wien 62 Fachärzte je 100.000 Einwohner gebe, in anderen Bundesländern jedoch nur zwischen 28 (Oberösterreich) und 41 (Vorarlberg) (Abschnitt 2.3.1.2. des Sonderprüfungs-Berichtes). Der Bericht bestätigt ebenfalls, dass die höhere Ärztedichte in Wien und die damit verbundenen Kosten im Gegensatz zu anderen Gebietskrankenkassen aufgrund des fehlenden ländlichen Umfeldes nicht kompensiert werden [können].

Der Sonderprüfungs-Bericht bestätigt den 'Großstadtfaktor':

Aufgrund der höheren Fachärztedichte in Großstädten wie Wien würden die Stadtbewohner direkt das Facharztangebot annehmen und nicht zuvor einen Arzt für Allgemeinmedizin konsultieren. Die Ausgaben der Krankenkassen pro Kopf seien für ärztliche Hilfe in den Städten daher höher als am Land (Abschnitt 2.4 des Sonderprüfungs-Berichtes).

Wie der Sonderprüfungs-Bericht zeigt, bestehen die oben dargestellten Strukturnachteile der WGKK nicht nur im Verhältnis zur OÖGKK, sondern auch zu den anderen Gebietskrankenkassen. Der Bericht erwähnt in diesem Zusammenhang auch eine Studie des IHS zur 'Ärztedichte im urbanen Umfeld' aus dem Jahr 2002, in der festgestellt wurde, dass die Ärztedichte in urbanen Ballungsräumen in allen untersuchten europäischen Städten deutlich höher ist als in ländlichen Gebieten (Felderer et al, Ärztedichte im urbanen Umfeld, Endbericht, März 2003, Institut für Höhere Studien [IHS]). Zum gleichen Ergebnis kommt eine empirische Analyse der Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Leistungen in Deutschland (...).

Bei der unterschiedlichen Struktur der Inanspruchnahme von Ärzten, also den häufigeren Überweisungen an technische Fachärzte (z.B. Labor, Radiologie), handelt es sich um einen Strukturnachteil der WGKK gegenüber den anderen Gebietskrankenkassen. Das macht bereits die vom Rechnungshof verwendete Formulierung ('unterschiedliche Struktur') deutlich. Auch die 'leichtere Erreichbarkeit und höhere Facharztdichte in Wien', die 'zu einer immer häufigeren direkten Inanspruchnahme und damit auch zu höheren Kosten' führt, ist als ein solcher Strukturnachteil zu werten.

Eine Einsparung in jenem Teilbereich der Kosten bzw. des Mehraufwandes, der nicht durch den 'Großstadtfaktor' induziert ist, wäre nur im Wege der Tarifsenkung möglich, was der Rechnungshof auch vorgeschlagen hat (Rechnungshofbericht Bund 2009/1, Tz 8.2., S 19); darauf weist auch die Vorarlberger Landesregierung in ihrem Antrag hin. Ferner schlägt der Rechnungshof eine Gesamtausgabenbegrenzung vor, die bei der OÖGKK im Unterschied zur WGKK üblich sei (Rechnungshofbericht Bund 2009/1, Tz 8.4., S 19, sowie Tz 9.); auch darauf weist die Vorarlberger Landesregierung hin. Tarifsenkungen und Gesamtausgabenbegrenzung hängen allerdings - was auch vom Rechnungshof nicht angezweifelt wird - von der Verhandlungsbereitschaft des Tarifpartners (Ärztekammern) ab. Die vom Rechnungshof aufgezeigte Möglichkeit der 'Steuerung' dieser Ausgaben liegt daher nicht (alleine) in der Hand der WGKK.

Wie dargestellt konnte daher der Vorwurf der Vorarlberger Landesregierung (...), die angefochtene Bestimmung des §643 Abs2 ASVG stütze sich nur auf einen Vergleich zwischen der WGKK und der OÖGKK, entkräftet werden. Es hat sich auch gezeigt, dass die von der Vorarlberger Landesregierung angesprochenen Mehrkosten für ärztliche Hilfe (im Vergleich zur OÖGKK) zum größten Teil, nämlich zu über 60%, durch die großstädtische Struktur induziert sind. Der Verfassungsgerichtshof hat im mehrfach erwähnten Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 (Pkt. III.5.2.3.) das in §447b Abs2 ASVG idF der 60. Novelle zum ASVG enthaltene Kriterium des 'Großstadtfaktors' nicht deshalb als verfassungswidrig aufgehoben, weil es für die Beurteilung von Strukturnachteilen an sich untauglich und daher unsachlich wäre, sondern lediglich wegen mangelnder Bestimmtheit der damaligen Rechtslage. Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass der 'Großstadtfaktor' (im zuvor beschriebenen Sinn einer höheren Ärztedichte und einer unterschiedlichen Inanspruchnahme der Ärzte) einen Strukturnachteil der WGKK darstellt, der vom Gesetzgeber bei der in §643 Abs2 ASVG vorgesehenen Verteilung von Mitteln aus dem Ausgleichsfonds berücksichtigt werden durfte.

b) Kosten für Heilmittel

Zu den Kosten für Heilmittel führt der Rechnungshof aus, dass die WGKK im Vergleich zur OÖGKK um ca. 71 bzw. 77 EUR mehr pro Anspruchsberechtigtem ausgegeben habe. Der Rechnungshof präzisiert diese Analyse dahingehend, dass ein Teilbetrag von 26 EUR (bezogen auf die 77 EUR Gesamtbetrag an Mehrausgaben) auf 'Sonderindikationen' zurückzuführen sei, und zwar auf die erhöhte Krankheitshäufigkeit bzw. Morbidität in Wien (Rechnungshofbericht Bund 2009/1, Tz 14.1., S. 24 f). Ein weiterer Teilbetrag von 35 EUR ist nach Ansicht des Rechnungshofes auf die erhöhte Patientenanzahl zurückzuführen. Nur ein Teilbetrag von 16 EUR sei durch höhere Kosten je Patient veranlasst.

Es zeigt sich demnach, dass der weitaus überwiegende Teil der Mehrkosten für Heilmittel der WGKK (im Vergleich zur OÖGKK) in Höhe von insgesamt 77 EUR, nämlich 79% (26 + 35 = 61 EUR), auf Strukturnachteile der WGKK gegenüber den anderen Gebietskrankenkassen zurückzuführen ist. Nach Ansicht der Bundesregierung handelt es sich auch dabei um einen Strukturnachteil, der vom Gesetzgeber bei der in §643 Abs2 ASVG vorgesehenen Verteilung von Mitteln aus dem Ausgleichsfonds zugunsten der WGKK berücksichtigt werden durfte.

c) Nachteilige Entwicklung des Versichertenstandes

Der erwähnte Sonderprüfungs-Bericht zeigt als weiteren Strukturnachteil der WGKK eine im Vergleich zu anderen Gebietskrankenkassen nachteilige Entwicklung des Versichertenstandes auf. Der Versichertenstand sei im Zeitraum 1995 bis 2002 nur um 0,5% angestiegen, während er im Schnitt aller Gebietskrankenkassen um 6,2% gestiegen sei. Differenziert nach Versicherungskategorien zeigt sich weiter, dass die Zahl der Erwerbstätigen unter den Versicherten in diesem Zeitraum zurückgegangen ist (- 2,2%), während die Zahl der Pensionisten leicht (+ 1,2%), die Zahl der Arbeitslosen aber sogar stark (+ 22,8%) angestiegen ist. Ein Anstieg dieser beiden zuletzt genannten Versicherungskategorien ist naturgemäß nicht nur mit geringeren Einnahmen (insbesondere bei den Arbeitslosen), sondern auch mit höheren Ausgaben verbunden, und zwar insbesondere bei den Pensionisten (Abschnitt 2.2. und 5.2. des Sonderprüfungs-Berichtes). Da die Entwicklung des Versichertenstandes nicht von der Kasse beeinflussbar ist, liegt auch hierin ein Strukturnachteil, der im Rahmen von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds berücksichtigt werden darf: Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 (Pkt. III.4.5.) die Abhängigkeit mancher Krankenversicherungsträger 'von der Wirtschaftsentwicklung, aber auch von strukturellen Umständen in der Schichtung der Versichertengemeinschaft' als nicht steuerbares Risiko und somit als systembedingtes Strukturproblem anerkannt.

d) Demographische Struktur

Einen Strukturnachteil der WGKK bedeutet auch die demografische Struktur ihrer Versicherten. Der Evaluierungsbericht zum Ausgleichsfonds weist insbesondere auf zwei demographische Nachteile hin: 'Eine Gebietskrankenkasse mit einem höheren Anteil an älteren und/oder weiblichen Anspruchsberechtigten ist im Vergleich zu einer Gebietskrankenkasse mit einem niedrigeren Anteil an solchen Anspruchsberechtigten strukturell benachteiligt' (vgl. Salzburger Gebietskrankenkasse, Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen - Strukturausgleich Evaluierungsbericht 2007, 25. August 2008, S. 10).

Eine Erklärung für die (bereits ... erwähnten) höheren

pro-Kopf-Aufwendungen pro Anspruchsberechtigten der WGKK gegenüber jenen der OÖGKK oder der Vorarlberger Gebietskrankenkasse liegt in der Altersstruktur des Anspruchsberechtigtenkreises (...): Wie internationale wissenschaftliche Studien belegen, verschlechtert sich mit zunehmendem Alter das gesundheitliche Befinden, woraus eine vermehrte Nachfrage nach ärztlichen Leistungen resultiert (...).

...

Ein weiterer struktureller Nachteil der WGKK gegenüber anderen Gebietskrankenkassen liegt in der vergleichsweise hohen Frauenquote ihrer Versicherten. Studien weisen darauf hin, dass Frauen, die häufig die Rolle des 'Gesundheitsmanagers der Familie' übernehmen und sich daher mehr mit Gesundheitsthemen auseinandersetzen als Männer, öfter einen Arzt konsultieren (...).

...

e) Weitere Strukturnachteile (sozioökonomische Faktoren, präoperative Diagnostik)

Aus dem Sonderprüfungs-Bericht (siehe Abschnitt 5.2. des Berichtes) ergibt sich auch, dass sozioökonomische Faktoren wie Gesundheitszustand, Morbidität und Mortalität die Gebarung der WGKK besonders negativ beeinflussen. So gehört Wien zu den Bundesländern mit dem höchsten Anteil an Krankheiten und körperlichen Gebrechen, die Bettlägerigkeit bzw. Unterbrechung der gewohnten täglichen Verrichtungen nach sich ziehen. Hinsichtlich der Morbidität ergibt sich aus der österreichischen Gesundheitsbefragung 2006/2007, dass die Wiener Bevölkerung ihren subjektiven Gesundheitszustand im Vergleich zur Bevölkerung anderer Bundesländer am schlechtesten einschätzt (82,3% der Vorarlberger, 76,4% der Oberösterreicher, aber nur 73,3% der Wiener geben ihren subjektiven Gesundheitszustand als sehr gut bzw. gut an; vgl. Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend, Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/2007 - Hauptergebnisse und methodische Dokumentation). Auch die Rechnungsabschlüsse der Krankenversicherungsträger lassen Rückschlüsse auf die Morbiditätsstruktur ihrer Versicherten zu, etwa durch die Kopfquoten zum Krankengeld. Unter der Annahme, dass Krankengeldbezieher eine erhöhte Krankheitslast aufweisen, liegt Wien mit einer Kopfquote von 100,47 EUR vor Oberösterreich mit 85,90 EUR und Vorarlberg mit 84,28 EUR (vgl. Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Finanzstatistik 2008).

Schließlich greift die Vorarlberger Landesregierung in ihrem Antrag die Anregung des Rechnungshofes auf, wonach 'Maßnahmen zum Ausgleich der Kosten für die präoperative Diagnostik ergriffen werden [sollten] (Tz 16)'. Zu diesen Kosten führt der Rechnungshof (Bericht Bund 2009/1, Tz 16., S. 27) aus, dass es in Wien seit der Einführung der 'neuen' Spitalsfinanzierung ab 1997 vermehrt zu Auslagerungen der für die OP-Freigabe erforderlichen Untersuchungen (insbesondere Labor, Röntgen) in den niedergelassenen Bereich (zu Fachärzten außerhalb von Krankenanstalten) gekommen sei. Im Jahr 2006 seien von der WGKK Leistungen der präoperativen Diagnostik im Ausmaß von ca. 10 Mio EUR abgerechnet worden, sie sei allerdings nur für Versicherte mit einem Leistungsumfang von ca. 7 Mio EUR selbst zuständig gewesen.

Auch dieser Mehraufwand ist unmittelbare Folge eines Strukturnachteils der WGKK: Die Mehrkosten für präoperative Diagnostik sind nämlich von der im Bereich der Anstaltspflege und im niedergelassenen Bereich vorhandenen Versorgungsdichte abhängig. Die Versorgungsdichte an Fachärzten in Wien ist, wie erwähnt, deutlich höher als in anderen Bundesländern, sodass Fachärzte in Wien wesentlich stärker in Anspruch genommen werden als in anderen Bundesländern. Umgekehrt hat der Rechnungshof vergleichbare Auslagerungen im Bereich der OÖGKK nicht festgestellt. Dies hängt ursächlich damit zusammen, dass in Oberösterreich - jedenfalls außerhalb des Ballungsraumes Linz/Wels - keine oder kaum Strukturen im niedergelassenen Bereich vorhanden sind.

f) Betrieb des Hanusch-Krankenhauses

Schließlich hat die WGKK einen Strukturnachteil besonderer Art zu tragen, da sie als einzige Gebietskrankenkasse eine allgemeine Krankenanstalt betreibt (Hanusch-Krankenhaus). In den Jahren 2006, 2007 und 2008 entstand der WGKK - nach Abzug eigener Erträge, Mittel aus der Krankenanstaltenfinanzierung, Zahlungen der Stadt Wien (sog. Abgangsdeckung gemäß §56 Abs2 erster Satz Wr. KAG, LGBl. Nr. 23/1987 idgF) und Zahlungen von jährlich ca. 30 Mio EUR aus dem Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen gemäß §447a Abs6 Z3 ASVG - ein Verlust von ca. 12, 17 und 13 Mio EUR. Für die Zeit davor stellte der Rechnungshof einen jährlichen Verlust von ca. 11 Mio EUR fest (Bericht Bund 2009/1, Tz 18, S. 28 ff).

Verluste aus dem Betrieb des Hanusch-Krankenhauses

2006 12.075.387,97

2007 16.708.253,58

2008 13.392.430,65

Summe 42.176.072,20

2006-2008

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 (Pkt. III.5.2.1.) ausgesprochen, dass der Betrieb des Hanusch-Krankenhauses - zu dessen Betrieb die WGKK gesetzlich verpflichtet ist (§57 Abs1 Wr. KAG und §23 Abs6 erster Satz zweiter Halbsatz ASVG) - ein verfassungsrechtlich zulässiges Kriterium eines Strukturnachteils darstellt. Nach Auffassung der Bundesregierung durften daher bei der in §643 Abs2 ASVG vorgesehenen Verteilung von Mitteln aus dem Ausgleichsfonds die Verluste, die der WGKK aus dem Betrieb des Hanusch-Krankenhauses entstehen, berücksichtigt werden, wobei der der WGKK zukommende Betrag von 33 Mio EUR nicht einmal ausreicht, um den Betriebsverlust der letzten drei Jahre abzudecken.

g) Zusammenfassung

Nach Auffassung der Bundesregierung bestehen Strukturnachteile der WGKK, die vom Gesetzgeber bei der in §643 Abs2 ASVG vorgesehenen Verteilung von Mitteln aus der aufgelösten Rücklage des Ausgleichsfonds berücksichtigt werden durften, wobei die für die WGKK vorgesehenen 33 Mio EUR die Strukturnachteile dieser Gebietskrankenkasse gegenüber den anderen nicht abzudecken vermag. Hervorzuheben ist die zusätzliche Belastung durch den Betrieb des Hanusch-Krankenhauses im Ausmaß von 42 Mio EUR allein in den Jahren 2006 bis 2008; bezogen auf [den] durch den 'Großstadtfaktor' bewirkten strukturellen Nachteil für die ärztliche Hilfe und gleichgestellte Leistungen wandte die WGKK allein im Jahr 2007 einen Mehrbetrag von rund 100 Mio EUR im Vergleich zum Durchschnitt aller Gebietskrankenkassen auf.

1.2.7 Nach Auffassung der Bundesregierung ist aber auch der Ausgleich unterschiedlicher Liquidität, wie er auch im geltenden Dauerrecht des Ausgleichsfonds vorgesehen ist (§447a Abs6 Z2 ASVG), ein verfassungsrechtlich zulässiger Zweck für Leistungen aus dem Ausgleichsfonds. Der Verfassungsgerichtshof hat zwar im Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 die mit der 60. Novelle zum ASVG als Merkmal eines Strukturnachteils eingeführte 'Kassenlage' eines Krankenversicherungsträgers als verfassungswidrig aufgehoben; dafür waren allerdings (nur) die Unterschiede im Beitragsrecht der damals am Ausgleich[s]fonds beteiligten Krankenversicherungsträger maßgeblich (vgl. Pkt. III.5.1.2.c) und d) sowie III.5.2.2. des genannten Erkenntnisses). Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis vielmehr auch anklingen lassen, dass im Rahmen eines zulässigen trägerübergreifenden Ausgleiches die finanzielle Situation und Kapazität des Krankenversicherungsträgers von der einfachen Gesetzgebung zu berücksichtigen ist (vgl. Pkt. III.4.5.3., wonach 'sichergestellt sein muss, dass die Beitragsleistungen die Gebarung des Versicherungsträgers nicht so belasten, dass die Erfüllung seiner Aufgaben gefährdet wäre'). Auch die Entwicklung der Vorschriften über den Ausgleichsfonds hat gezeigt, dass einmalige Zuwendungen aus der Rücklage des Ausgleichsfonds zur Verbesserung der Finanzlage einzelner Krankenversicherungsträger keineswegs ungewöhnlich waren

(...).

Wenn die Vorarlberger Landesregierung daher unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien - wonach Ziel der angefochtenen Bestimmung sei, 'die Leistungsfähigkeit der Wiener Gebietskrankenkasse wieder zu festigen' (RV 1183 BlgNR XXIV. GP 83) - vorbringt, die behauptete Bevorzugung der WGKK solle nicht Strukturnachteile, sondern in Wahrheit 'deren prekäre finanzielle Situation' verbessern (...), so ist dem entgegen zu halten, dass es sich dabei wie dargestellt um einen sachlich gerechtfertigten Zweck für Leistungen aus dem Ausgleichsfonds handelt. Das indiziert im Übrigen auch dessen grundlegende Zielsetzung, neben einer 'ausgeglichenen Gebarung' auch eine 'ausreichende Liquidität' der Gebietskrankenkassen zu gewährleisten (§447a Abs1 ASVG). Schon die erste nähere Zweckbestimmung des Ausgleichsfonds sah die Gewährung von Zuwendungen vor, 'um eine ungünstige Kassenlage ganz oder teilweise zu beheben' (§447b Abs1 litc ASVG idF 8. ASVG-Novelle;

...).

Die Vorarlberger Landesregierung bringt weiters vor, dass auch bei einer Verteilung der Mittel der aufgelösten Rücklage nach Maßgabe des §447a Abs6 Z2 ASVG (Ausgleich unterschiedlicher Liquidität) der der WGKK zugewiesene Betrag von 33 Mio EUR sachlich nicht gerechtfertigt wäre (...). Dem ist zunächst zu entgeg[n]en, dass - wie bereits ausgeführt (...) - Maßstab für die Verfassungskonformität der Verteilungsregel des §643 Abs2 ASVG nicht der §447a ASVG, sondern der Gleichheitssatz bzw. das Sachlichkeitsgebot sind.

Selbst wenn man aber eine Verteilung der Mittel der aufgelösten Rücklage allein nach Maßgabe der einfachgesetzlichen Vorschriften über den Ausgleich unterschiedlicher Liquidität (§447a Abs6 Z2 iVm Abs8 Z2 ASVG) - also ohne Berücksichtigung der zulässigerweise auszugleichenden Strukturnachteile (...) - vornähme, ergäbe dies für die WGKK einen Betrag in der Höhe von ca. 23 Mio EUR, also über zwei Drittel der ihr aufgrund von §643 Abs2 ASVG zukommenden Summe.

Aufteilung der Mittel der aufgelösten Rücklage zum Ausgleich unterschiedlicher Liquidität

Aufteilung nach Reinvermögen 2008 42.548.443

'Reinvermögen' negatives Anteil Anteil

Reinvermögen

WGKK - 594.468.292 - 594.468.292 54,20 % 23.062.088

NÖGKK - 65.592.742 - 65.592.742 5,98 % 2.544.636

BGKK - 24.889.296 - 24.889.296 2,27 % 965.567

OÖGKK 278.643.793 - 0,00 % -

STGKK - 246.291.808 - 246.291.808 22,46 % 9.554.763

KGKK - 134.379.303 - 134.379.303 12,25 % 5.213.175

SGKK 103.849.928 - 0,00 % -

TGKK - 31.143.949 - 31.143.949 2,84 % 1.208.213

VGKK 6.127.904 - 0,00 % -

- 708.143.765 - 1.096.765.390 100 % 42.548.443

Auch aus der hypothetischen Anwendung des §447a Abs6 Z2 ASVG sind daher keine Argumente dafür zu gewinnen, dass der - die tatsächlich bestehenden Struktur- und Liquiditätsnachteile der WGKK nur zum Teil ausgleichende - Betrag von 33 Mio EUR unsachlich wäre.

1.2.8 Schließlich weist die Bundesregierung noch auf Folgendes hin: Die angefochtene Verteilung der Mittel aus der aufgelösten Rücklage nach §447a Abs5 ASVG ist Teil des 'Krankenkassensanierungspakets' im Budgetbegleitgesetz 2009, welches als weitere Maßnahmen einen Bundeszuschuss an die Gebietskrankenkassen (§80a Abs8 ASVG idF BGBl. I Nr. 52/2009) und eine Aufteilung der über die Abgeltung der Umsatzsteuer auf Arzneimittel hinausgehenden Beihilfe nach dem Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetz auf die überschuldeten Krankenversicherungsträger (§643 Abs3 ASVG) - also budgetfinanzierte Maßnahmen - vorsieht. Nach den Gesetzesmaterialien sollen damit 'finanzielle Maßnahmen getroffen werden, die dem schrittweisen Abbau des negativen Reinvermögens der Gebietskrankenkassen dienen' (RV 113 BlgNR XXIV. GP 83). Der Verfassungsgerichtshof hat ein öffentliches Interesse an Maßnahmen, die den Krankenversicherungsträgern eine ausgeglichene Gebarung ermöglichen sollen, ausdrücklich anerkannt (zuletzt VfGH 11.3.2009, G14/08 ua, V101/07 ua, mwN). Dieses öffentliche Interesse rechtfertigt nach Auffassung der Bundesregierung auch - neben dem Einsatz von Budgetmitteln - die Verteilung von Mitteln des primär aus Beiträgen der Gebietskrankenkassen gespeisten Ausgleichsfonds. Im vorliegenden Fall sollte durch die angefochtene Bestimmung des §643 Abs2 ASVG auch die akute Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit der WGKK abgewendet werden.

1.2.9 Nach Auffassung der Bundesregierung kann dem Gesetzgeber daher unter Berufung auf den Gleichheitssatz nicht entgegen getreten werden, wenn er in §643 Abs2 ASVG für die Verteilung der Mittel der aufgelösten Rücklage zwischen den Gebietskrankenkassen differenziert. Die Vorarlberger Landesregierung behauptet nicht, dass die Verteilung der Mittel im Verhältnis der im vorangegangenen Jahr in den Ausgleichsfonds eingezahlten Beiträge, wie sie für die Gebietskrankenkassen mit Ausnahme von Wien erfolgt, unsachlich wäre (...). Auch der für die WGKK vorgesehene Fixbetrag ist aber nicht unsachlich: Damit wird der Höhe nach an ein aushaftendes Darlehen aus der aufgelösten Rücklage angeknüpft, welches aus Belastungen aus der Krankenanstaltenfinanzierung nach §447f ASVG resultiert; solche Belastungen sind nach geltendem Dauerrecht des Ausgleichsfonds aber ausdrücklich als Element eines Strukturnachteils anerkannt (§447b Abs1 Z4 ASVG). Im Übrigen ist die Höhe dieses Fixbetrages und somit auch das Verhältnis der beiden in §643 Abs2 ASVG zur Anwendung gelangenden Verteilungskriterien wie gezeigt im Hinblick auf die Strukturnachteile und die unterschiedliche Liquidität der WGKK gegenüber den anderen Gebietskrankenkassen sachlich gerechtfertigt. Durch den Ausgleichsfonds sollen 'finanziell schwachen Krankenversicherungsträgern Mittel zugewendet' werden (AB 188 BlgNR IX. GP zur Errichtung des Ausgleich[s]fonds mit der 6. ASVG-Novelle); seine Aufgabe ist nicht die 'Belohnung' von wirtschaftlich gut gestellten Gebietskrankenkassen."

3.2. Dem Vorbringen der Salzburger Landesregierung hinsichtlich einer Verletzung des Gleichheitssatzes dadurch, dass "die nach dem Vorwegabzug zu Gunsten der Wiener Gebietskrankenkasse verbleibenden Mittel unter den übrigen Gebietskrankenkassen nach dem Verhältnis ihrer in den Ausgleichsfonds einbezahlten Beiträge und nicht nach Maßgabe der diese gleichermaßen treffenden 'strukturbedingten Nachteile' aufgeteilt werden" (s. Pkt. II.4.2.2.), hält die Bundesregierung Folgendes entgegen:

"Dagegen ist einzuwenden, dass im Gegensatz zu den

systembedingten Nachteilen der WGKK ... keine gleichgelagerten

Strukturnachteile der übrigen Krankenversicherung[en] ersichtlich sind und konkrete Strukturnachteile von der Salzburger Landesregierung auch nicht behauptet wurden. Wie bereits dargestellt wurde, ist ein wesentlicher Teil des strukturbedingten Nachteils der WGKK auf den sogenannten Großstadtfaktor zurückzuführen (...). Ein solcher ist möglicherweise in Ansätzen auch im urbanen Umfeld der anderen Gebietskrankenkassen vorzufinden, doch wird dieser Faktor durch die außerhalb der Ballungsräume liegenden ländlichen Strukturen egalisiert. Hinzu kommt die Tatsache, dass die WGKK als einzige Gebietskrankenkasse zum Betrieb einer Krankenanstalt nach §23 Abs6 ASVG gesetzlich verpflichtet ist, worin nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wie bereits ausgeführt wurde ein verfassungsrechtlich zulässiges Kriterium für einen Strukturnachteil liegt (vgl. VfSlg. 17.172/2004).

In Konsequenz lassen sich aktuell keine konkreten Strukturnachteile erkennen, welche eine der übrigen Gebietskrankenkassen mehr treffen würde als andere, weshalb eine sachlich gerechtfertigte Aufteilung der übrigen Mittel aus der Auflösung der Rücklage nur nach dem Verhältnis der eingezahlten Beträge erfolgen kann. Die - einmalige - Aufteilung der verbleibenden Mittel war deshalb nach dem Verhältnis der in den Ausgleichsfonds einbezahlten Beiträge zu normieren, da es für die Anknüpfung an ein anderes Kriterium keinen sachlich gerechtfertigten Grund gibt."

4. Dem Vorbringen der Vorarlberger und der Oberösterreichischen Landesregierung hinsichtlich einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums (s. Pkt. II.4.3.) hält die Bundesregierung in ihrer zu G166/09 erstatteten Äußerung Folgendes entgegen:

"1.3.1 Die Vorarlberger Landesregierung behauptet weiters, §643 Abs2 ASVG verstoße gegen das Eigentumsgrundrecht gemäß Art5 StGG und Art1 des [1.] ZPEMRK. Sie begründet dies damit, dass die Mittel (der gebundenen Rücklage) des Ausgleich[s]fonds im (Gesamthand-)Eigentum der Gebietskrankenkassen stünden, sodass ihre Verteilung eine 'zumindest teilweise, soweit Wien bevorzugt wird', Enteignung darstelle (...).

1.3.2 Dieses Vorbringen beruht auf der verfehlten Annahme, die Mittel des Ausgleichsfonds sowie jene der gebundenen Rücklage nach §447a Abs5 ASVG wären Eigentum der Gebietskrankenkassen.

Beim Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen handelt es sich um einen sog. unechten Fonds, dem keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt (Tomandl, Allgemeiner Teil, in: ders [Hrsg.], System des österreichischen Sozialversicherungsrechts [17. Lfg. 2005] 0.5.3.). Wie die Vorarlberger Landesregierung selbst einräumt, werden die Mittel des Ausgleich[s]fonds zwar überwiegend (ihren Angaben zufolge: zu 69 %), aber eben bei weitem nicht ausschließlich durch Beiträge der beteiligten Gebietskrankenkassen aufgebracht (s. zu den anderen Mitteln des Ausgleichsfonds §447a Abs3 Z2 bis 5 ASVG). Schon daran zeigt sich, dass der Ausgleichsfonds (und mit ihm die gebundene Rücklage nach §447a Abs5 ASVG) nicht im Eigentum der Gebietskrankenkassen, sondern in jenem des Hauptverbandes steht, der über eigene Rechtspersönlichkeit verfügt (§32 Abs1 ASVG).

Auch die Hinweise der Vorarlberger Landesregierung auf den geltenden Gesetzestext führen nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Überschrift zu §447a ASVG ('Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen') weist viel eher darauf hin, dass die Gebietskrankenkassen Zahlungen aus dem Fonds erhalten (vgl. §447a Abs1 ASVG). Im Gegenteil sprechen die Formulierung des §447a Abs1 ASVG, wonach der Ausgleichsfonds 'beim Hauptverband errichtet' ist, sowie die Bestimmung des §447a Abs2 ASVG, wonach das Vermögen des Ausgleich[s]fonds getrennt vom sonstigen Vermögen des Hauptverbandes zu verwalten ist, dafür, dass der Ausgleichsfonds ein im Eigentum des Hauptverbandes stehendes Sondervermögen ist (...). Der Verfassungsgerichtshof hat aus der gesetzlichen Errichtungsanordnung des Ausgleichsfonds 'beim Hauptverband' geschlossen, dass dieser dem Hauptverband zuzurechnen ist; Streitigkeiten über die Höhe einer Zahlungsverpflichtung einer Gebietskrankenkasse an den Ausgleichsfonds seien solche mit dem Hauptverband

(VfSlg. 16.406/2001, 16.859/2003; s. auch VfSlg 10.451/1985, S. 585, zum damaligen Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger gemäß §447g ASVG: 'Sondervermögen des Hauptverbandes').

Entgegen der Auffassung der Vorarlberger Landesregierung kann den genannten Bestimmung[en] des §447a Abs1 und Abs2 ASVG auch nicht die Bedeutung beigemessen werden, dass dem Hauptverband - vergleichbar einem Treuhänder - lediglich die Verwaltung des Fonds übertragen und das (Gesamthand-)Eigentum bei den einzelnen Gebietskrankenkassen belassen wäre. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die (einzelnen) Gebietskrankenkassen auf den Hauptverband bezüglich der Verwaltung und der Gebarung des Ausgleichsfonds in einer Weise Einfluss nehmen können, wie dies bei einem Treuhänder der Fall wäre. Sie können lediglich im Wege der Willensbildung der Organe des Hauptverbandes Einfluss nehmen; weder in der Trägerkonferenz noch im Verbandsvorstand ist den Gebietskrankenkassen aber eine Mehrheit bei der Willensbildung gesichert (vgl. §441a Abs2 und §441b Abs6 ASVG; s. daher auch §447b Abs4 ASVG, der den Gebietskrankenkassen einen entscheidenden Einfluss auf die Willensbildung in der Trägerkonferenz sichert).

Den (einzelnen) Gebietskrankenkassen steht kein vermögenswertes Privatrecht am Ausgleichsfonds und der gebundenen Rücklage nach §447a Abs5 ASVG zu. Die angefochtene Bestimmung des §643 Abs2 ASVG greift daher nicht in den Schutzbereich des Art5 StGG ein.

1.3.3 Die Vorarlberger Landesregierung behauptet aber auch einen Eingriff in das durch Art1 [1.] ZPEMRK geschützte Recht auf Eigentum. Zwar fallen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch öffentlich-rechtliche Ansprüche in den Schutzbereich des Art1 [1.] ZPEMRK (VfSlg. 15.129/1998). Als ausschlaggebend hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung den Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung angesehen. Dieser Gedanke ist jedoch auf die Verteilung der Mittel aus der Rücklage des Ausgleich[s]fonds nicht übertragbar. Die Verwendung der Mittel des Ausgleich[s]fonds erfolgt nämlich nicht nach Maßgabe der Beitragsleistung; die am Ausgleich[s]fonds beteiligten Gebietskrankenkassen erwerben durch ihre Beiträge keine Anwartschaften auf Leistungen aus dem Fonds. Die Mittel werden vielmehr zu Zahlungen in den in §447a Abs6 ASVG genannten Bereichen nach den gesetzlich vorgesehenen Kriterien (§447a Abs8 ASVG) verwendet, wobei die Höhe der Beiträge der einzelnen Gebietskrankenkassen in keinem Bezug zu den Leistungen des Ausgleich[s]fonds und zu allfälligen Ansprüchen der Gebietskrankenkassen auf solche Leistungen stehen. Der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 15.129/1998 geforderte 'gesamthafte' Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung bei einer Versichertengemeinschaft, wie etwa der Arbeitslosenversicherung, ist hinsichtlich der Beteiligung der Gebietskrankenkassen am Ausgleichsfonds nicht gegeben.

Nach Auffassung der Bundesregierung fallen die Ansprüche der Gebietskrankenkassen auf die Mittel der aufgelösten Rücklage gemäß §643 Abs2 ASVG daher nicht in den Schutzbereich des Art1 [1.] ZPEMRK. Sollte der Verfassungsgerichtshof dies aber bejahen, wäre die bekämpfte Verteilung aus den oben im Zusammenhang mit dem Gleichheitsgrundsatz ausführlich dargestellten Gründen (...) verhältnismäßig und der Eingriff in das Eigentumsgrundrecht gerechtfertigt. Eine Verletzung des Art1 [1.] ZPEMRK liegt daher nach Auffassung der Bundesregierung jedenfalls nicht vor."

5. Der Verfassungsgerichtshof hat am 17. Juni 2010 über die Anträge der Vorarlberger, der Oberösterreichischen und der Salzburger Landesregierung eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Parteien ihre Rechtsstandpunkte aufrechterhielten.

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat in den - gemäß §§404 Abs2, 187 Abs2 ZPO (§35 Abs1 VfGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen - Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:

A. Zur Zulässigkeit der Anträge:

1.1. Gemäß §15 Abs2 VfGG hat ein Antrag an den Verfassungsgerichtshof unter anderem ein bestimmtes Begehren zu enthalten. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag gemäß Art140 B-VG die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit sind präzise zu umschreiben, die Bedenken sind schlüssig und überprüfbar darzulegen

(VfSlg. 11.888/1988, 12.223/1989). Das Fehlen solcher Darlegungen führt zur sofortigen Zurückweisung des Antrages (VfSlg. 11.970/1989, 12.564/1990, 13.571/1993, 15.877/2000).

1.2. Der zu G282/09 protokollierte Antrag der Salzburger Landesregierung, soweit er sich auf §643 Abs1 ASVG, BGBl. 189/1955 idF BGBl. I 52/2009, bezieht, genügt nicht den Formerfordernissen des '62 Abs1 VfGG. Die Salzburger Landesregierung trägt zwar konkrete Bedenken gegen die Aufteilungsregeln des §643 Abs2 ASVG vor, aber keine Bedenken gegen die in §643 Abs1 ASVG angeordnete Auflösung der gebundenen Rücklage an sich oder auch nur gegen den Umstand, dass diese mit Ablauf des 30. September 2009 erfolgt ist. Entgegen der Ansicht der Salzburger Landesregierung besteht zwischen den Regelungen des §643 Abs1 und Abs2 ASVG auch kein untrennbarer Zusammenhang, weil §643 Abs1 ASVG lediglich einen bestimmten Termin nennt, zu dem die Auflösung der gebundenen Rücklage erfolgen soll.

Im Hinblick auf die Bestimmung des §643 Abs1 ASVG fehlt es im Antrag der Salzburger Landesregierung daher an einer Darlegung der verfassungsrechtlichen Bedenken "im einzelnen", wie sie §62 Abs1 VfGG zwingend voraussetzt.

Soweit er sich auf diese Bestimmung bezieht, war der zu G282/09 protokollierte Antrag der Salzburger Landesregierung somit zurückzuweisen.

2. Da sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge im Übrigen als zulässig. Im Hinblick auf die - vor der durch das Außer-Kraft-Treten von §447a Abs5 ASVG mit 30. September 2009 angeordneten Auflösung der gebundenen Rücklage gestellten - Anträge der Vorarlberger und der Oberösterreichischen Landesregierung ergibt sich deren Zulässigkeit schon daraus, dass Anträge nach Art140 Abs1 zweiter Satz B-VG schon dann zulässig sind, sobald ein Bundesgesetz rechtswirksam erlassen wurde, auch wenn es noch nicht in Wirksamkeit getreten ist (vgl. etwa VfSlg. 6460/1971, 14.895/1997). Eine rechtswirksame Erlassung des Budgetbegleitgesetzes 2009 lag bereits mit seiner am 17. Juni 2009 im BGBl. I 52/2009 erfolgten Kundmachung vor.

B. In der Sache:

1. Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Verfassungsgerichtshof im Normenkontrollverfahren auf die Erörterung der im Prüfungsantrag dargelegten Bedenken beschränkt ist (zB VfSlg. 14.802/1997 mwN).

2. Unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes bringen die antragstellenden Landesregierungen im Wesentlichen vor, die Aufteilung jenes Vermögens, das aus der Auflösung der beim Ausgleichsfonds geführten gebundenen Rücklage stammt, erfolge nach unsachlichen Kriterien.

Damit sind sie im Ergebnis im Recht.

2.1. Wie die Bundesregierung darlegt und in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen klargestellt wurde, hat die angegriffene Regelung ihre historische Wurzel in dem Umstand, dass die Wiener Gebietskrankenkasse im Jahr 2008 an den zur Krankenanstaltenfinanzierung eingerichteten Ausgleichsfonds nach §447f ASVG eine Leistung von 100 Mio. Euro hätte erbringen müssen, die sie jedoch im damaligen Zeitpunkt nicht zur Gänze aufbringen konnte. Der Fehlbetrag iHv 33 Mio. Euro wurde aus den Mitteln der gebundenen Rücklage nach §447a Abs5 leg.cit. transferiert; gleichzeitig wurde vereinbart, dass die Wiener Gebietskrankenkasse dem Fonds nach §447a leg.cit. (konkret: dem Sondervermögen "gebundene Rücklage" nach §447a Abs5 leg.cit.) diesen Betrag als Darlehen schuldet. In seinem Rechnungsabschluss 2008 weist der Fonds diesen Betrag dementsprechend als Darlehensforderung aus. Im Zuge der Auflösung dieser Rücklage wurde der Wiener Gebietskrankenkasse ein Betrag in Höhe dieser Verbindlichkeit zugesprochen und mit der Forderung gegenverrechnet, so dass eine Überweisung nicht erfolgte.

2.2. Als Träger der Krankenversicherung nach dem ASVG sind Gebietskrankenkassen eingerichtet, die als selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts auftreten und deren sachliche Zuständigkeit sich jeweils auf ein Bundesland erstreckt (§§23 und 26 ASVG). Auch wenn es sich bei den nach dem ASVG krankenversicherten Personen somit um eine Versichertengemeinschaft handelt, ist diese doch nach örtlichen Gesichtspunkten auf neun Gebietskrankenkassen aufgeteilt, die - ungeachtet der einheitlichen gesetzlichen Grundlagen zum Beitrags- und Leistungsrecht - die Krankenversicherung der in ihre örtliche und sachliche Zuständigkeit fallenden Personen selbständig und unabhängig durchzuführen haben. Das betrifft jedenfalls auch die Verantwortung für die finanzielle Gebarung.

2.3. Eine wesentliche Modifikation dieses Prinzips ergibt sich durch die Einrichtung des Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen, der eine ausgeglichene Gebarung bzw. eine ausreichende Liquidität der Gebietskrankenkassen zu gewährleisten hat (§447a ASVG idF BGBl. I 131/2006). Die Mittel dieses Ausgleichsfonds werden gemäß §447a Abs3 ASVG (u.a.) durch Beiträge der Gebietskrankenkassen aufgebracht, die hiefür grundsätzlich 2 % ihrer Beitragseinnahmen zur Verfügung zu stellen haben. Nach der Rechtslage vor dem Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl. I 52, waren 10 % davon zur Bildung der hier strittigen gebundenen Rücklage zu reservieren, deren Zweck es war, außerordentliche Aufwendungen zu decken (§447a Abs5 ASVG).

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.172/2004 ausgesprochen, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht schlechthin unzulässig ist, besondere Nachteile, die einem Versicherungsträger (einer Versichertengemeinschaft) auf Grund einer bestimmten Gestaltung des Gesamtsystems entstehen, durch Zahlungen zwischen den Versicherungsträgern auszugleichen. Auch die antragstellenden Landesregierungen bringen gegen die Regelungen über den Ausgleichsfonds keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor (in der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof wurde die Sachlichkeit dieser Institution sogar explizit außer Streit gestellt).

Die einschlägigen Regelungen sind dadurch gekennzeichnet, dass schon auf Ebene des Gesetzes detaillierte Vorschriften über die Verwendung der Fondseinnahmen bestehen: Die "Bereiche", für die Ausgleichszahlungen in Betracht kommen, sind abschließend aufgezählt. Es sind dies (§447a Abs6 ASVG): (1) der Ausgleich unterschiedlicher Strukturen, (2) der Ausgleich unterschiedlicher Liquidität, (3) der Betrieb einer allgemeinen Krankenanstalt und (4) die Deckung eines besonderen Ausgleichsbedarfs. Das Aufteilungsverhältnis der Mittel zwischen den genannten Bereichen ist von der Trägerkonferenz des Hauptverbandes festzusetzen (§447a Abs7 leg.cit.). In der Folge bestimmt das Gesetz selbst im Detail die Voraussetzungen der Ausgleichszahlungen. Besonders eingehend ist dabei der Ausgleich der Strukturnachteile geregelt. Zum Teil ist die Erstellung von Richtlinien vorgesehen, in denen die Berechnungsregeln und die Aufteilungsmodalitäten im Einzelnen fixiert werden. In dem dabei erforderlichen Entscheidungsprozess kommt eine zentrale Kompetenz der Trägerkonferenz zu. Dass der Gesetzgeber selbst auf eine möglichst einvernehmliche Aufteilung der Mittel aus dem Ausgleichsfonds Wert legt, zeigt sich auch darin, dass für einschlägige Beschlüsse eine qualifizierte Mehrheit der anwesenden stimmberechtigten Obmänner der Gebietskrankenkassen erforderlich ist. Der Verfassungsgerichtshof schließt daraus, dass das ASVG vom Prinzip der unabhängigen Gebarung der Gebietskrankenkassen zwar in Form des Ausgleichsfonds eine Ausnahme vorgesehen hat, hiebei aber - vor dem Hintergrund des in dieser Frage zu erwartenden Interessenkonfliktes - den Inhalt und die Grenzen des Ausgleichsmechanismus exakt umschrieben und abgesteckt hat. Der Gesetzgeber wollte damit sichtlich - das zeigen auch die Materialien - eine sensible Frage nach bestimmten Ordnungsgesichtspunkten und Wertmaßstäben abschließend regeln. Das bedeutet aus verfassungsrechtlicher Sicht aber auch, dass nachfolgende Ausgleichsregelungen, die außerhalb dieses durch §§447a ff. ASVG gesteckten Rahmens getroffen werden, sich entweder in diesen Rahmen einfügen lassen müssen oder - wenn sie Ausnahmen zu diesem Ordnungsgefüge darstellen - einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedürfen (vgl. zB VfSlg. 11.368/1987, S 551 mwH; 14.782/1997, S 265; 15.040/1997, S 738).

2.4. Für den Verfassungsgerichtshof hat das Verfahren ergeben, dass die Aufteilung, die §643 Abs2 ASVG idF BGBl. I 52/2009 anlässlich der Auflösung der gebundenen Rücklage vorsieht, mit den Regelungen, die für den Ausgleichsfonds bestehen, nicht erreichbar gewesen wäre. Mit anderen Worten: Wären die Mittel der gebundenen Rücklage nach Auflösung in den allgemeinen Ausgleichsfonds geflossen (innerhalb dessen sie ja zunächst als Sondervermögen gebildet worden waren), dann hätten die frei gewordenen Mittel nur nach Maßgabe der - wie dargelegt: außerordentlich detaillierten und ausgewogenen - Vorschriften des §447a Abs6 ASVG und der darauf Bezug nehmenden Folgebestimmungen und Richtlinien verwendet werden können. Es mag zutreffen, dass auch in diesem Fall die Wiener Gebietskrankenkasse Anspruch auf bestimmte Mittel aus dem Ausgleichsfonds gehabt hätte, es ist aber auszuschließen, dass dieser Kasse bei Anwendung der Vorschriften zum Ausgleichsfonds der strittige Betrag von 33 Mio. Euro hätte zukommen können:

Zunächst ist auszuschließen, dass der Tatbestand "Deckung eines besonderen Ausgleichsbedarfs" iSd §447a Abs6 Z4 ASVG als Rechtsgrundlage für eine Zuteilung dieser Art und Höhe in Betracht gekommen wäre. Was darunter zu verstehen ist, wird nämlich in Abs8 dieser Bestimmung genau determiniert: Es muss sich um einen Aufteilungsschlüssel handeln, der das Ziel der Z4 zu berücksichtigen hat; dieser Schlüssel sowie der Zeitraum, für den er gilt, ist von der Trägerkonferenz festzusetzen und in den Richtlinien nach §447b Abs3 ASVG im Internet kundzumachen. Diese Vorschrift hätte somit keine Deckung dafür geboten, der Wiener Gebietskrankenkasse vorweg aus den Mitteln der gebundenen Rücklage - wären sie in den Ausgleichsfonds zurückgeführt worden - einen Betrag in der Höhe von 33 Mio. Euro zuzuweisen. Aber auch der Umstand, dass der historische Ausgangspunkt des strittigen Zuschusses ein Finanzierungsdefizit im Rahmen der Krankenhausfinanzierung war (s. oben unter Pkt. 2.1.), führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Bundesregierung ist zwar Recht zu geben, dass Belastungen aus der Krankenanstaltenfinanzierung in §447b Abs1 Z4 ASVG als Element eines Strukturnachteils anerkannt sind. Diesem Element ist aber durch den Mechanismus des Ausgleichsfonds und nach Maßgabe der dort getroffenen bzw. vereinbarten Regelungen Rechnung zu tragen. Diese ließen eine Sonderfinanzierung der hier in Rede stehenden Art unzweifelhaft nicht zu. Auch unter dem Titel "Ausgleich unterschiedlicher Liquidität" hätte die Zuwendung nicht geleistet werden können. Das hiefür maßgebliche "Dauerrecht" des §447a Abs8 ASVG sieht hiefür eine Verteilung nach Maßgabe des negativen Reinvermögens vor. Wie das Verfahren gezeigt hat, hätte eine solche Verteilung ebenfalls nicht das von §643 Abs2 leg.cit. angeordnete Verteilungsergebnis erbracht.

2.5. Der Verfassungsgerichtshof kommt damit zum Zwischenergebnis, dass die getroffene (angefochtene) Maßnahme sich außerhalb des in §§447a ff. ASVG geregelten Ausgleichssystems bewegt und daher einer eigenen sachlichen Rechtfertigung bedarf.

Eine solche konnte aber im Verfahren nicht aufgezeigt werden. Soweit von der Bundesregierung die besonderen Strukturprobleme der Wiener Gebietskrankenkasse ins Treffen geführt wurden, hat das Verfahren ergeben, dass nach dem einschlägigen, dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Evaluierungsbericht (Evaluierungsbericht Strukturausgleich 2008 aufgrund §8 der Berechnungsregeln zu den Richtlinien gemäß §447b Abs3 ASVG) die Wiener Gebietskrankenkasse hinsichtlich der Strukturnachteile nur im Mittelfeld liegt. Eine Verteilungsregelung, die die (bloß durchschnittlichen) Strukturnachteile einer Kasse berücksichtigt, die (überdurchschnittlichen) Strukturnachteile anderer Kassen aber vollkommen unberücksichtigt lässt, kann sich zur sachlichen Rechtfertigung offensichtlich nicht auf Strukturnachteile berufen. Zum anderen ist von Bedeutung, dass der Anlass für die strittige Verteilungsregel gar nicht bestimmte Strukturnachteile waren, sondern - wie eingangs dargestellt - ein Liquiditätsproblem der Wiener Gebietskrankenkasse zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt, das - wie ebenfalls das Verfahren ergeben hat - jedenfalls auch anders als durch die Zuweisung von Mitteln aus der gebundenen Rücklage hätte behoben werden können. Der absehbar bloß vorübergehende Geldbedarf einer Gebietskrankenkasse in einer bestimmten historischen Situation ist aber kein sachlicher Grund, der es rechtfertigen könnte, von dem durch den Ausgleichsfonds geschaffenen Ordnungssystem abzugehen.

Der Verfassungsgerichtshof kommt damit zum Ergebnis, dass mit der angefochtenen Maßnahme ein Ausgleichsinstrument geschaffen wurde, das sich außerhalb des Ordnungsgefüges des Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen bewegt, zu den dort vorgesehenen Maßnahmen somit nicht bloß hinzutritt, sondern im Widerspruch steht und für das eine sachliche Rechtfertigung nicht zu sehen ist.

Mit der Aufhebung der Verteilungsregel des Abs2 des §643 ASVG idF BGBl. I 52/2009 wird dieses unsachliche Ergebnis insofern beseitigt, als diese Mittel nach Außer-Kraft-Treten des §447a Abs5 ASVG nunmehr freie Mittel des Ausgleichsfonds werden. Dem Gesetzgeber steht es allerdings frei, eine neue Regelung zu treffen, die eine sachgerechte Aufteilung der Mittel aus der gebundenen Rücklage vorsieht.

V. Für das Außer-Kraft-Treten der aufgehobenen

Gesetzesbestimmung war eine Frist bis 31. Juli 2011 zu bestimmen, um allfällige legistische Vorkehrungen zu ermöglichen. Dieser Ausspruch stützt sich auf Art140 Abs5 vorletzter und letzter Satz B-VG.

Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

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