VfGH G124/08 ua

VfGHG124/08 ua23.9.2009

Zurückweisung der Anträge des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung einer Bestimmung im Fremdenpolizeigesetz 2005 betreffend den Begriff "Familienangehörige" von nicht freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern als zu eng gefasst; keine Beseitigung der Bedenken des VwGH im Hinblick auf die Verhängung von Aufenthaltsverboten angesichts der bestehenden Legaldefinition

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
FremdenpolizeiG 2005 §2 Abs4 Z12, §86, §87
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
FremdenpolizeiG 2005 §2 Abs4 Z12, §86, §87

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof sind sieben

Beschwerdeverfahren gegen im Instanzenzug ergangene Bescheide von Sicherheitsdirektionen mehrer Bundesländer anhängig, mit denen über drittstaatszugehörige Angehörige von nicht freizügigkeitsberechtigten österreichischen Staatsangehörigen befristete bzw. unbefristete Aufenthaltsverbote wegen strafgerichtlicher Verurteilungen bzw. wegen Aufnahme einer unrechtmäßigen Beschäftigung verhängt wurden.

2. Aus Anlass dieser Verfahren stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 18. September 2008, 23. Oktober 2008, 18. Dezember 2008 und 22. Jänner 2009 sieben auf Art140 Abs1 B-VG gestützte Anträge, den Klammerausdruck "(§2 Abs4 Z12)" in §87 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel, BGBl. I 100/2005, (im Folgenden: FPG) als verfassungswidrig aufzuheben.

II. 1. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1.1. §2 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 157/2005 lautet auszugsweise:

"(1) bis (3) ...

(4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

1. Fremder: wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt;

2. - 7. ...

8. EWR-Bürger: ein Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist;

9. ...

10. Drittstaatsangehöriger: ein Fremder, der nicht EWR-Bürger ist;

11. begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;

12. Familienangehöriger: wer Drittstaatsangehöriger und Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie);

13. - 14. ...

15. Recht auf Freizügigkeit: das gemeinschaftliche Recht eines EWR-Bürgers, sich in Österreich niederzulassen;

16. - 17. ...

(5) ..."

1.2. §60 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 99/2006, lautet auszugsweise:

"3. Abschnitt

Aufenthaltsverbot und Rückkehrverbot

Voraussetzungen für das Aufenthaltsverbot

§60. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2. anderen im Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. - 7. ...

8. von einem Organ der Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVOG, der regionalen Geschäftsstelle oder der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen;

9. - 14. ...

(3) - (6) ..."

1.3. §86 FPG, BGBl. I 100/2005, lautet auszugsweise:

"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigungund für verfahrensfreie Maßnahmen

§86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) - (6) ..."

1.4. §87 FPG, BGBl. I 100/2005, lautet auszugsweise (der angefochtene Klammerausdruck ist hervorgehoben):

"Familienangehörige von nicht freizügigkeitsberechtigtenEWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern

§87. Familienangehörige (§2 Abs4 Z12) unterliegen der Sichtvermerkspflicht. Für sie gelten die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§85 Abs2 und 86."

III. 1. Seine Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung legt der Verwaltungsgerichtshof in dem zu G124/08 protokollierten Antrag, der mit den weiteren Anträgen im Wesentlichen gleich lautend ist, wie folgt dar:

"... 3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Rahmen des

gegenständlichen Beschwerdefalles mit der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer zu beschäftigen. Vorrangig ist zu prüfen, ob die belangte Behörde bei der von ihr anzustellenden Gefährdungsprognose auf den Maßstab des §60 Abs1 FPG abstellen durfte, oder ob insoweit die strengeren Voraussetzungen nach §86 Abs1 FPG hätten vorliegen müssen. Dabei kommt es auf die Frage nach der Reichweite der Verweisbestimmung des §87 FPG an (vgl. zur letztgenannten Norm etwa das hg. Erkenntnis vom 29. April 2008, Zl. 2008/21/0072, Pkt. 5.1. der Entscheidungsgründe). Insbesondere ist zu prüfen, ob im Sinn der dargestellten Überlegungen der erstinstanzlichen Behörde §87 FPG deshalb nicht einschlägig ist, weil die in dieser Vorschrift dem Begriff 'Familienangehörige' in Klammern nachgestellte Gesetzesbestimmung zum Ausdruck bringt, dass als Familienangehörige nach §87 FPG nur die im §2 Abs4 Z12 FPG genannten Personen - Ehegatten und unverheiratete minderjährige Kinder - verstanden werden können. Der Beschwerdeführer, der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides seit rund einem halben Jahr das 18. Lebensjahr vollendet und damit auch nach türkischem Recht - vgl. Art11 des türkischen Zivilgesetzbuches (wiedergegeben bei Bergmann/Ferid/ Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei 58) - die Volljährigkeit erlangt hatte, fiele dann nicht darunter, sodass sich die Anwendung des §60 FPG grundsätzlich als zutreffend erwiese. Von daher hat der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung der Rechtmäßigkeit des in Beschwerde gezogenen Bescheides §87 FPG und vor allem auch die angefochtene Klammerpassage als 'negatives Tatbestandsmerkmal' anzuwenden (vgl. in diesem Sinn etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 16.214/2001).

4.1. §87 FPG erweitert den Kreis jener Personen, gegenüber denen die privilegierenden Aufenthaltsverbotsbestimmungen des §86 Abs1 FPG zur Anwendung gelangen und schränkt dergestalt die Maßgeblichkeit des allgemeinen Aufenthaltsverbotstatbestandes nach §60 FPG ein. Als insoweit begünstigt werden, 'Familienangehörige' genannt, worunter - wie schon erwähnt und wie sich aus der Überschrift des §87 FPG und dem systematischen Zusammenhang mit §86 FPG ergibt - 'Familienangehörige von nicht freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern' fallen. Was unter 'nicht freizügigkeitsberechtigt' zu verstehen ist, hat der Verfassungsgerichtshof für den Bereich des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG in seinem Erkenntnis vom 13. Oktober 2007, B1462/06, dargelegt. Auch für das FPG muss dieses Verständnis gelten, sodass gemäß den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes unter 'Familienangehörigen von nicht freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern' solche Familienangehörige zu verstehen sind, deren Ankerperson (EWR-Bürger, Schweizer oder Österreicher) keinen Freizügigkeitssachverhalt im Sinn der Art18 und 39 ff EG verwirklicht hat.

4.2. Es wurde schon oben betont, dass dem Begriff 'Familienangehörige' in §87 FPG die Wendung '(§2 Abs4 Z12)' nachgestellt ist. Das kann - wie von der Bundespolizeidirektion Linz im erstinstanzlichen Bescheid ausdrücklich festgehalten - tatsächlich nur bedeuten, dass als 'Familienangehörige' im Sinn des §87 FPG nur jene Personen zu verstehen sind, die von der Legaldefinition des §2 Abs4 Z12 FPG erfasst werden. Verwandte in gerader absteigender Linie, die wie der Beschwerdeführer des vorliegenden Falles bereits volljährig sind, kommen daher nicht als 'Familienangehörige' nach §87 FPG in Betracht und sind demnach insoweit vor allem von der privilegierenden, nämlich im Verhältnis zu §60 Abs1 FPG strengere Voraussetzungen normierenden Aufenthaltsverbotsbestimmung des §86 Abs1 FPG ausgeschlossen. §86 Abs1 FPG selbst bezieht dem gegenüber begünstigte Drittstaatsangehörige in seinen (unmittelbaren) Anwendungsbereich mit ein, worunter nach der Begriffsbestimmung in §2 Abs4 Z11 FPG insbesondere - unabhängig vom Erreichen der Volljährigkeit - Verwandte eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, zu verstehen sind, 'insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.'

4.3. Gegen diese sich aus dem aufgezeigten Verständnis des §87 FPG ergebende Differenzierung, die auch den Bereich der Verwandten in gerader aufsteigender Linie umfasst und die im Folgenden der Einfachheit halber nur unter Hinweis auf die fallbezogen schlagend werdende unterschiedliche Altersgrenze bei Verwandten in gerader absteigender Linie (18 Jahre in §87 FPG, 21 Jahre in §86 FPG) behandelt wird, bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Diese ergeben sich vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen zwischen dem vollendeten 18. und dem vollendeten 21. Lebensjahr, je nachdem, ob sie Kind eines nicht 'freizügigkeitsberechtigten' Österreichers oder Kind eines 'freizügigkeitsberechtigten' EWR-Bürgers (oder Schweizer Bürgers) sind.

4.3.1. Zwar könnte das Kriterium der 'Ausübung der Freizügigkeitsberechtigung' seitens der Ankerperson auf den ersten Blick unter Umständen die angesprochene Ungleichbehandlung rechtfertigen, dabei ist aber Folgendes zu beachten:

Ein EWR-Bürger oder ein Schweizer Bürger, der in Österreich niedergelassen und hier erwerbstätig ist, über ausreichende Mittel für einen privaten Aufenthalt verfügt oder einer Ausbildung nachgeht (vgl. die Fälle des §51 NAG), verwirklicht bereits kraft seiner Niederlassung einen Freizügigkeitssachverhalt. Das erforderliche grenzüberschreitende Moment liegt allein in seiner nicht-österreichischen Staatsbürgerschaft; auch im Falle einer Niederlassung in Österreich von Geburt an (ohne jegliche Reisebewegung) wäre er demnach EWR-Bürger (oder Schweizer Bürger), der sich auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Freizügigkeit berufen kann (in diesem Sinn auch der Bundesminister für Inneres in seiner an den Verfassungsgerichtshof im Verfahren B1462/06 erstatteten Gegenschrift - siehe deren Wiedergabe im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2007; vgl. aber insbesondere das Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2004, Rechtssache C-200/02 'Zhu und Chen', Randnr. 18 f).

4.3.2. Die Situation eines im Inland geborenen Österreichers, der ohne Verwirklichung eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes hier erwerbstätig ist, über ausreichende Mittel für einen privaten Aufenthalt verfügt oder einer Ausbildung nachgeht, unterscheidet sich von der Situation des soeben umschriebenen, gleichfalls in Österreich geborenen EWR-Bürgers (oder Schweizer Bürgers) faktisch nicht und rechtlich - mit der aufgezeigten Konsequenz einer unterschiedlichen Behandlung seiner drittstaatsangehörigen Kinder zwischen 18 und 21 Jahren - nur durch die andere Staatsbürgerschaft. Im Ergebnis ist das schon 18-jährige Kind eines Österreichers in der beschriebenen Konstellation daher allein deshalb kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und gelangt damit ausschließlich aus dem Grund nicht in den Bereich des günstigeren Aufenthaltsverbotsregimes des §86 Abs1 FPG, weil sein österreichischer Elternteil die 'falsche' Staatsbürgerschaft hat, nämlich die österreichische und nicht die eines sonstigen EWR-Mitgliedstaates oder der Schweiz.

4.3.3. Dieser Befund wird nicht dadurch erschüttert, dass der Begriff des begünstigten Drittstaatsangehörigen nach §2 Abs4 Z11 FPG ergänzend voraussetzt, dass der Drittstaatsangehörige die Ankerperson 'begleitet oder ihr nachzieht'. Diese Wendung kann vor dem Hintergrund der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs nämlich nur jenen Bedeutungsgehalt haben, der der gleich lautenden Wortfolge in den Art3 Abs1, Art6 Abs2 sowie Art7 Abs1 litd und Abs2 der schon angesprochenen Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zukommt. Dazu hat der EuGH jedoch jüngst in seinem Urteil vom 25. Juli 2008, Rechtssache C127/08 'Metock' u.a. unter Randnr. 93 ausgesprochen, dass der in Art3 Abs1 der erwähnten Richtlinie verwendete Begriff 'Familienangehörige eines Unionsbürgers, die ihn begleiten' dahin ausgelegt werden muss, dass er sowohl die Familienangehörigen eines Unionsbürgers umfasst, die mit diesem in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, als auch diejenigen, die sich mit ihm dort aufhalten, ohne dass in diesem Fall danach zu unterscheiden wäre, ob die Drittstaatsangehörigen vor oder nach dem Unionsbürger oder bevor oder nachdem sie dessen Familienangehörige wurden, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind. Es steht mithin - ungeachtet dessen, dass das auch diese Frage berührende Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 2007, Zl. EU 2007/0009, noch nicht beantwortet worden ist - fest, dass auch die drittstaatszugehörigen Familienangehörigen eines EWR-Bürgers, der in Österreich geboren wurde und der das Bundesgebiet nie verlassen hat, das hier in Frage stehende ergänzende Kriterium des 'Nachziehens' oder des 'Begleitens' erfüllen.

4.3.4. Nach dem Gesagten bleibt es damit zusammenfassend dabei, dass ein Drittstaatsangehöriger gegebenenfalls allein deshalb nicht in den Genuss des für ihn günstigeren Regimes des §86 Abs1 FPG gelangt, sodass über ihn also nur unter eingeschränkten Bedingungen ein Aufenthaltsverbot verhängt werden könnte, weil ein Elternteil die vsterreichische und nicht die Staatsbürgerschaft eines sonstigen EWR-Mitgliedstaates (oder der Schweiz) hat. Die sich daraus ergebende, nach dem Gesagten letztlich ausschließlich auf die Staatsbürgerschaft eines Elternteils zurückzuführende Schlechterstellung von aus Drittstaaten stammenden Nachkommen von Österreichern gegenüber solchen von anderen EWR-Bürgern erscheint, legt man die vom Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen VfSlg. 14.863/1997 und 16.214/2001 angestellten Überlegungen zu Grunde, insbesondere unter dem Blickwinkel des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander nach dem BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungswidrig zu sein, und zwar unabhängig davon, ob sich diese (unterstellte) Verfassungswidrigkeit im Anlassfall tatsächlich manifestiert (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13.015/1992).

4.4. Ein weiterer Gesichtspunkt - freilich gleichfalls unter Bezugnahme auf das BVG BGBl. Nr. 390/1973 - führt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zur Konsequenz der Verfassungswidrigkeit einer Regelung, der zufolge die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen Kinder eines nicht 'freizügigkeitsberechtigten' Österreichers im Alter zwischen 18 und 21 Jahren nicht am privilegierten Maßstab des §86 Abs1 FPG zu messen sei:

Wie schon unter 2.2. dargestellt, kommt §86 Abs1 FPG auch für jene türkischen Staatsangehörigen zur Anwendung, denen die Rechtsstellung nach Art6 oder 7 ARB zukommt. Auch sie stehen damit günstiger als die zuvor umschriebenen Kinder eines österreichischen Elternteils, was in einer Konstellation wie jener, die der Verwaltungsgerichtshof im anhängigen Beschwerdefall zu beurteilen hat, zu dem seltsam anmutenden Ergebnis führt, dass sich der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Elternteil eines türkischen Staatsangehörigen als schädlich erweist. Wäre dem Vater des Beschwerdeführers nicht bereits mit Wirkung vom 6. November 2001 die österreichische Staatsbürgerschaft zuerkannt worden, so hätte er seinem Sohn nämlich augenscheinlich die Position nach Art7 ARB und damit die 'Benefizien' des §86 Abs1 FPG vermittelt. Dies war zum Zeitpunkt des Zuzugs des Beschwerdeführers nach Österreich im November 2002 kraft der dann schon gegebenen österreichischen Staatsbürgerschaft seines Vaters nicht mehr möglich, weshalb also der Umstand, dass der Vater nicht türkischer Staatsangehöriger blieb, sondern die österreichische Staatsbürgerschaft erworben hatte, am Boden des dem §87 FPG zuzumessenden Regelungsgehaltes die nun zu beurteilende rechtliche Stellung des Beschwerdeführers verschlechterte. Auch hiefür ist offenkundig keine sachliche Rechtfertigung erblickbar.

5. Das dargestellte, nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes verfassungswidrige Ergebnis scheint nur durch Eliminierung der fraglichen Klammerpassage sanierbar. Insbesondere ist nicht erkennbar, wie am Boden der geltenden Rechtslage eine verfassungskonforme Interpretation des Begriffs 'Familienangehörige' in §87 FPG erzielt werden könnte, sodass - was die Umschreibung des Verwandtschaftsverhältnisses anlangt - der Kreis der von dieser Vorschrift erfassten Personen jenem des §86 Abs1 FPG entspricht; der durch das Klammerzitat zum Ausdruck gebrachte Verweis auf die Legaldefinition des §2 Abs4 Z12 FPG schließt eine derartige Vorgangsweise offensichtlich aus (vgl. schon oben 4.2.). Bei Wegfall der Klammerpassage stünde diese Möglichkeit indes offen, zumal ein im Rahmen von 'Begriffsbestimmungen' festgelegtes Verständnis eines Terminus grundsätzlich nicht dazu zwingt, diesen innerhalb eines Gesetzes stets im Sinn der Legaldefinition auszulegen. In der Legaldefinition selbst liegt nicht der Sitz der vom Verwaltungsgerichtshof erblickten Verfassungswidrigkeit, sie kann daher unangetastet bleiben. Im Übrigen scheint die Beseitigung der inkriminierten Wendung zur Erzielung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtslage der 'schonendste Eingriff' zu sein, weshalb sich der Verwaltungsgerichtshof veranlasst sieht, den im Spruch formulierten Antrag zu stellen."

2. Die Bundesregierung erstattete (gleich lautende) Äußerungen, in denen sie die Zulässigkeit der Anträge wegen des zu eng gewählten Anfechtungsumfanges bestreitet, den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes auch in der Sache entgegentritt und die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Anträge beantragt.

Zur Zulässigkeit wird ausgeführt:

" ... 3. In ständiger Rechtsprechung hat der

Verfassungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen, dass der Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen ist, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 9374/1982,11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001). Es sollen jedoch keine oder möglichst wenige Regelungen aufgehoben werden, gegen die sich die vorgebrachten Bedenken nicht richten (vgl. zB VfSlg. 8461/1978, 13.739/1994,13.965/1994). Ziel des Normenprüfungsverfahrens ist die Herstellung einer im Licht der geltend gemachten Bedenken einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren.

Der antragstellende Verwaltungsgerichtshof begründet das Erfordernis der Aufhebung des angefochtenen Klammerausdruckes (folglich des darin enthaltenen Binnenverweises auf die Legaldefinition) damit, dass andernfalls keine verfassungskonforme Interpretation des Begriffs der 'Familienangehörigen' in §87 FPG erzielt werden könne, sodass der Kreis der von dieser Vorschrift erfassten Personen jenem des §86 Abs1 FPG entspricht; der durch das Klammerzitat zum Ausdruck gebrachte Verweis auf die Legaldefinition des §2 Abs4 Z12 FPG schließe eine derartige Vorgehensweise offensichtlich aus. Bei Wegfall der Klammerpassage stünde diese Möglichkeit indes offen, zumal ein im Rahmen von 'Begriffsbestimmungen' festgelegtes Verständnis eines Terminus grundsätzlich nicht dazu zwinge, diesen innerhalb eines Gesetzes stets im Sinn der Legaldefinition auszulegen.

Dazu ist anzumerken, dass zutreffenderweise ein in Gesetzesbestimmungen Verwendung findender Terminus nicht (immer) ausschließlich das Begriffsverständnis zukommt, welches diesem Terminus in der Begriffsbestimmung des konkreten Gesetzeswerks beigegeben wurde. In Rechtsvorschriften finden sich gelegentlich Hinweise, wonach dem im Rechtstext ausgewiesenen Begriff ein anderer Begriffsinhalt als in der entsprechenden Begriffsbestimmung zuzumessen ist. Rechtstechnisch kann dies etwa bereits in der Begriffsbestimmung zum Ausdruck kommen (etwa 'In diesem Gesetz haben die nachgenannten Ausdrücke, soweit nicht der Zusammenhang eine andere Auslegung erfordert/soweit nicht anders angeordnet, nachstehende Bedeutung ...') oder etwa auch durch sprachlichen Ausdruck der abweichenden Anordnung in der konkreten Regelung oder im systematischen Regelungsgefüge erfolgen.

Für eine von der Legaldefinition abweichende Auslegung des Begriffs der Familienangehörigen in §87 FPG böte sich jedoch auch nach Aufhebung des angefochtenen Klammerausdrucks im Gesetzestext kein Anhaltspunkt; mangels entsprechenden Anhaltspunktes zöge eine von der Begriffsdefinition abweichende Auslegung des Begriffs der Familienangehörigen das Verdikt einer contra legem Auslegung nach sich. Nach Ansicht der Bundesregierung wäre der Begriff der Familienangehörigen in §87 FPG auch nach Aufhebung des darin enthaltenen Klammerausdrucks - mangels anderer entsprechender Anhaltspunkte im FPG - im Sinne der Begriffsbestimmung des §2 Abs4 Z12 FPG auszulegen. Dies hätte zur Folge, dass - bei Zutreffen der vom Verwaltungsgerichtshof vorgebrachten Bedenken - die Verfassungswidrigkeit im Normtext durch Aufhebung der angefochtenen Wendung aus dem Rechtsbestand nicht beseitigt wäre, weshalb der Antrag als unzulässig zurückzuweisen wäre. ..."

3. Der Verwaltungsgerichtshof erstattete eine Stellungnahme, in der auf den Einwand der Bundesregierung hinsichtlich der Unzulässigkeit der Anträge nicht eingegangen wird.

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat hinsichtlich der Zulässigkeit der - gemäß §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Anträge erwogen:

1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesvorschrift sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren (vgl. zB VfSlg. 8155/1977, 8461/1978, 12.464/1990) schon wiederholt darlegte, notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass anderseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass in Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg. 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 13.965/1994 mwN, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001, 16.542/2002, 16.911/2003).

2. Die Anträge erweisen sich als zu eng gefasst:

Der Verwaltungsgerichtshof hegt das Bedenken, dass durch den angefochtenen Klammerausdruck in §87 FPG eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von drittstaatszugehörigen Angehörigen von nicht freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern gegenüber drittstaatszugehörigen Angehörigen von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern in Hinblick auf die Verhängung von Aufenthaltsverboten bewirkt wird.

Allein durch eine Aufhebung des Klammerausdrucks "(§2 Abs4 Z12)" in §87 FPG würde keine Rechtslage hergestellt, auf die die verfassungsrechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr zuträfen: Selbst für den Fall der Beseitigung des angefochtenen Klammerausdrucks - der u.a. festlegt, dass für Familienangehörige (von nicht freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern) im Sinn des §2 Abs4 Z12 FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§85 Abs2 und 86 FPG gelten - findet sich kein Hinweis im FPG für eine von der Legaldefinition des §2 Abs4 Z12 FPG abweichende Auslegung des Begriffs "Familienangehöriger" in §87 FPG. Bei Wegfall des angefochtenen Klammerausdrucks würde eine andere Auslegung des Begriffs "Familienangehöriger" im Hinblick auf dessen Legaldefinition in §2 Abs4 Z12 FPG scheitern. Somit bliebe für den Fall der Aufhebung des Klammerausdrucks "(§2 Abs4 Z12)" in §87 FPG die vom Verwaltungsgerichtshof behauptete Verfassungswidrigkeit bestehen.

Da der Antrag somit zu eng gestellt wurde, war er als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 12.762/1991, 13.299/1992).

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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