VfGH B1066/07 ua

VfGHB1066/07 ua10.6.2008

Verletzung im Recht auf ungehinderte und vertrauliche Kommunikation eines Schubhäftlings mit seinem Rechtsbeistand durch Abweisung einer Maßnahmenbeschwerde gegen die Anordnung einer Glastrennscheibe beim Besuch durch den Rechtsbeistand infolge bloßer Behauptung einer von Schubhäftlingen ausgehenden Sicherheitsgefährdung ohne Auseinandersetzung mit der Person des Beschwerdeführers und wegen rechtsirriger Annahme eines ungehinderten Kontakts trotz Glastrennwand

Normen

B-VG Art129a Abs1 Z2
AnhalteO, BGBl II 128/1999 idF BGBl II 439/2005 §21
FremdenpolizeiG 2005 §79
PersFrSchG 1988 Art4 Abs7, Art6
VStG §53c
B-VG Art129a Abs1 Z2
AnhalteO, BGBl II 128/1999 idF BGBl II 439/2005 §21
FremdenpolizeiG 2005 §79
PersFrSchG 1988 Art4 Abs7, Art6
VStG §53c

 

Spruch:

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ungehinderte und vertrauliche Kommunikation mit ihrem Rechtsbeistand (Art6 iVm Art4 Abs7 PersFrG) verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 5.940,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Den auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden liegen folgende Sachverhalte zugrunde:

1. Zu B1066/07:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. September 2005 nach §§27 und 28 Suchtmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafhaft wurde zunächst in Wien, ab dem 4. November 2005 in der Justizanstalt Klagenfurt vollzogen. Am 5. Oktober 2005 erließ die Bundespolizeidirektion Wien ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Die dagegen erhobene Berufung blieb erfolglos.

Nach vorzeitiger Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 25. September 2006 ordnete die Bundespolizeidirektion Klagenfurt mit diesem Tag die Verhängung der Schubhaft an. Der Beschwerdeführer wurde zum Vollzug der Schubhaft in das Polizeianhaltezentrum Klagenfurt (im Weiteren: PAZ) überstellt.

1.2. Am 3. Oktober 2006 wurde der nach wie vor in Schubhaft befindliche Beschwerdeführer von seinem Rechtsvertreter im PAZ besucht. Über Anordnung des Leiters des PAZ fand dieser Besuch in einem allgemeinen, für Besuche vorgesehenen Raum statt, wobei die Kommunikation zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsbeistand nur durch eine Trennscheibe aus Glas erfolgen konnte. Ein sogenannter "Tischbesuch" wurde untersagt.

2. Zu B1671/07:

2.1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2002 nach Österreich ein. Sein Asylantrag wurde in zweiter Instanz rechtskräftig mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates abgewiesen. Mit Bescheid vom 28. September 2006 ordnete die Bundespolizeidirektion Klagenfurt die Schubhaft an und der Beschwerdeführer wurde zur Vollziehung der Schubhaft in das PAZ eingeliefert.

2.2. Am 31. Oktober 2006 wurde der in Schubhaft befindliche Beschwerdeführer von seinem Rechtsvertreter im PAZ besucht. Über Anordnung des Leiters des PAZ fand auch dieser Besuch in einem allgemeinen, für Besuche vorgesehenen Raum statt, wobei auch hier die Kommunikation zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsbeistand nur durch eine Trennscheibe aus Glas erfolgen konnte. Ein "Tischbesuch" wurde ebenfalls untersagt.

3. Zu B1672/07:

3.1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2002 nach Österreich ein. Sein Asylverfahren wurde rechtskräftig negativ abgeschlossen. Die Bundespolizeidirektion Klagenfurt ordnete mit Bescheid vom 18. Oktober 2006 die Schubhaft an und der Beschwerdeführer wurde zum Vollzug der Schubhaft in das PAZ eingeliefert.

3.2. Am 31. Oktober 2006 wurde der Beschwerdeführer dort von seinem Rechtsvertreter besucht. Dieser Besuch fand über Anordnung des Leiters des PAZ in einem allgemeinen, für Besuche vorgesehenen Raum statt, wobei der Beschwerdeführer und sein Rechtsbeistand nur durch eine Trennscheibe aus Glas kommunizieren konnten. Auch hier wurde ein "Tischbesuch" untersagt.

4. Zu B1673/07:

4.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Republik Gambia, reiste am 19. November 2002 in Österreich ein. Am 13. April 2004 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin und erhielt am 23. Februar 2005 eine Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreicher" mit Gültigkeit bis 23. Februar 2006. Der Beschwerdeführer wurde vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt, die er in der Justizanstalt Klagenfurt verbüßte. Mit Bescheid vom 29. Juni 2006 erließ die Bundespolizeidirektion Wien ein unbefristetes Aufenthaltsverbot aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers. Nach der vorzeitigen Haftentlassung wurde der Beschwerdeführer erneut festgenommen, mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Klagenfurt die Schubhaft angeordnet und er zum Vollzug derselben in das PAZ überstellt.

4.2. Am 3. Oktober 2006 besuchte sein Rechtsvertreter den Beschwerdeführer im PAZ. Auch dieser Besuch fand über Anordnung des Leiters des PAZ in einem allgemeinen, für Besuche vorgesehenen Raum statt. Das Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsbeistand konnte nur durch eine Trennscheibe aus Glas geführt werden. Ein "Tischbesuch" wurde auch hier untersagt. Erst als das Gespräch durch aus Bauarbeiten im PAZ resultierendem Lärm nicht mehr möglich war, konnten der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter das Gespräch im Erdgeschoss in einem im Gesperre befindlichen Raum fortsetzen, in dem die Kommunikation jedoch nur durch Gitterstäbe möglich war.

5. Zu B1674/07:

5.1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 4. März 2005 in das Bundesgebiet ein und brachte noch am selben Tag einen Asylantrag ein. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Mai 2005 wurde sein Asylantrag abgewiesen, die Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer aus Österreich ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 18. August 2006 abgewiesen. Dagegen hat der Beschwerdeführer eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Am 25. September 2006 wurde von der Bundespolizeidirektion Klagenfurt die Schubhaft angeordnet und der Beschwerdeführer zur Anhaltung in das PAZ eingeliefert.

5.2. Am 26. September 2006 besuchte ihn sein Rechtsbeistand im PAZ. Über Anordnung des Leiters des PAZ fand dieser Besuch in einem allgemeinen, für Besuche vorgesehenen Raum statt, wobei die Kommunikation zwischen dem Beschwerdeführer und seinem rechtsfreundlichen Vertreter nur durch eine Trennscheibe aus Glas erfolgen konnte. Ein "Tischbesuch" wurde untersagt. Noch am selben Vormittag wurde der Beschwerdeführer jedoch aus der Schubhaft entlassen, nachdem telefonisch mitgeteilt wurde, dass dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof stattgegeben wurde.

6. Zu B809/08:

6.1. Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, verheiratet mit einem österreichischen Staatsbürger, reiste am 16. Mai 2005 legal in Österreich mit einem Visum C (gültig von 16. Mai bis 6. Juli 2005) ein. Ihr Asylverfahren wurde schließlich mit 8. März 2006 rechtskräftig negativ abgeschlossen und ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehörige letztlich mit Bescheid des (damaligen) Bundesministers für Inneres vom 20. März 2007 im Instanzenzug abgewiesen. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der eine aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde. Am 2. August 2007 wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Villach gegen die Beschwerdeführerin Schubhaft angeordnet und sie zum Vollzug in das PAZ überstellt.

6.2. Am selben Tag besuchte der rechtsfreundliche Vertreter die Beschwerdeführerin und verlangte aufgrund ihres schlechten gesundheitlichen Zustandes ohne Glastrennscheibe mit ihr sprechen zu dürfen. Dies wurde untersagt. Im Anschluss an das Gespräch in einem allgemeinen, für Besuche vorgesehenen Raum mit Glastrennwand wurde die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes dem Polizeiarzt vorgeführt. In der Folge wurde die Schubhaft aufgehoben und die Beschwerdeführerin wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes, ihrer angespannten psychischen Verfassung und insbesondere aufgrund der noch von ihr zu stillenden Tochter aus der Schubhaft entlassen.

II. 1. Alle sechs Beschwerdeführer brachten durch denselben Rechtsvertreter Maßnahmenbeschwerden gemäß Art129a Abs1 Z2 B-VG iVm §67a Abs1 Z2 AVG beim Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten (im Weiteren: UVS) wegen Verletzung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ungehinderten Kontakt zu ihrem Verteidiger gemäß Art6 Abs3 litb und litc EMRK sowie in ihrem Recht auf jederzeitigen und uneingeschränkten Besuch ihres Rechtsbeistandes im erforderlichen Ausmaß gemäß §21 Abs3 Anhalteordnung iVm §53c Abs5 VStG ein.

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des UVS, alle datiert mit 17. April 2007, ausgenommen B809/08, dieser datiert mit 10. April 2008, wurden die von den Beschwerdeführern erhobenen Maßnahmenbeschwerden als unbegründet abgewiesen.

3. Gegen diese Bescheide des UVS richten sich die vorliegenden, inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmenden, von ein- und demselben Rechtsvertreter eingebrachten Beschwerden. In diesen wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ungehinderten Kontakt zum Verteidiger behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung von Gegenschriften Abstand.

III. Zu der in den vorliegenden Beschwerdefällen maßgeblichen Rechtslage wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13.3.2008, B1065/07, verwiesen.

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §356 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - zulässigen - Beschwerden erwogen:

Die gegenständlichen Beschwerden entsprechen in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem hg. Erkenntnis vom 13.3.2008, B1065/07, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich ebenfalls gegen eine Entscheidung des UVS wandte.

Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, auf die Entscheidungsgründe seines zu B1065/07 am 13.3.2008 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen; aus diesem ergibt sich auch für die vorliegenden Fälle, dass die Beschwerdeführer durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ungehinderte und vertrauliche Kommunikation mit ihrem Rechtsbeistand (Art6 iVm Art4 Abs7 PersFrG) verletzt wurden und die Bescheide daher aufzuheben waren.

V. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind hinsichtlich B1066/07 sowie B1071/07 bis einschließlich B1074/07 Umsatzsteuer in der Höhe von € 450,-, hinsichtlich B809/08 Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabegebühren in der Höhe von € 1.080,- enthalten.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte