VfGH B215/07 ua

VfGHB215/07 ua27.6.2008

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

 

Spruch:

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrers Rechtsvertreters die mit insgesamt € 4.776,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführer, zwei Brüder, reisten im Jahr 1984 im Alter von 5 bzw. 13 Jahren mit ihren Eltern nach Österreich ein. Die in der Folge gestellten Asylanträge wurden rechtskräftig abgewiesen. Die Beschwerdeführer, die albanische Staatsangehörige waren und mittlerweile staatenlos sind, haben im Bundesgebiet ihre Schulausbildung (Hauptschule und Polytechnischer Lehrgang) absolviert.

2.1. Der Beschwerdeführer zu B215/07, geboren 1979, beantragte eine humanitäre Niederlassungsbewilligung gemäß §19 Abs2 Z6 iVm Abs3 Fremdengesetz 1997 (im Folgenden: FrG 1997). Mit Schreiben des Magistrates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 2. Juni 2005 wurde er vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt. Der Beschwerdeführer nahm mit Schreiben vom 21. Juni 2005 dazu Stellung und führte unter anderem aus, dass er mit einer österreichischen Staatsangehörigen, die er mangels ausreichender Dokumente nicht heiraten könne, in Lebensgemeinschaft lebe und im Besitz eines von 15. September 2002 bis 14. September 2007 gültigen Befreiungsscheines sei.

2.2. Der Beschwerdeführer zu B216/07, geboren 1971, war im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung gültig bis 15. Juli 1994. Er beantragte ebenfalls eine humanitäre Niederlassungsbewilligung gemäß §19 Abs2 Z6 iVm Abs3 FrG 1997. Begründend führte er aus, dass er bis 12. Mai 1998 im Besitz eines Befreiungsscheines gewesen sei. Nunmehr sei er alleiniger Gesellschafter und angestellter Geschäftsführer einer GmbH. Er lebe mit einer Österreicherin in Lebensgemeinschaft. Am 23. August 2003 sei die gemeinsame Tochter geboren worden.

3. Mit Schriftsätzen vom 6. Juni 2006 beantragten die Beschwerdeführer den Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne des §73 Abs2 AVG, weil seit der Antragstellung bereits mehr als sechs Monate verstrichen seien und die Behörde noch keine Entscheidung getroffen habe.

4. Diesen Devolutionsanträgen wurde mit Bescheiden der (damaligen) Bundesministerin für Inneres vom 12. Dezember 2006 stattgegeben und die Anträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen gemäß §§72, 73 und 81 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass eine Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß §73 Abs2 NAG nur von Amts wegen erteilt werden könne. Für die Erteilung bedürfe es der Zustimmung der Bundesministerin für Inneres.

5. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, im Kern gleichlautenden Beschwerden nach Art144 B-VG, in denen die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht, die Prüfung der Wortfolge "von Amts wegen" in "§72 Abs1 und/oder §73 Abs2 und/oder §73 Abs3 NAG" sowie des §81 Abs1 NAG angeregt und die Aufhebung der Bescheide begehrt wird.

6. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und Gegenschriften erstattet, in denen sie den behaupteten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die genannten Bestimmungen entgegentritt.

II. Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "von Amts wegen" in §73 Abs2 NAG, BGBl. I 100/2005, ein. Mit Erkenntnis vom 27. Juni 2008, G246,247/07 ua., hob er unter anderem die Wortfolge "von Amts wegen" in §73 Abs2 NAG als verfassungswidrig auf.

III. Die Beschwerden sind begründet.

Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage der Fälle offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Die Beschwerdeführer wurden also durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 720,-, eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 360,- sowie Reisekosten in der Höhe von € 96,40 für die Teilnahme an der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren enthalten.

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